„Wem gehört die Welt?"

Misereor-Eröffnung

Datum:
Sonntag, 9. März 2003

Misereor-Eröffnung

Zwei Tage hat uns schon die Frage bewegt „Wem gehört die Welt?". Diese Leitfrage soll uns auch in der ganzen MISEREOR-Aktion herausfordern. Viele Beispiele haben wir dafür kennen gelernt, und in diesem Gottesdienst werden wir in Gebet Meditation, Musik und Spiel unsere Frage noch vertiefen und erweitern. Ganz besonders ist sie uns aufgegangen im Zusammenhang der so genannten Biopatente und ihrer Auswirkungen für Nord und Süd.

Aber jetzt und in diesem Gottesdienst wollen wir diese manchmal auch bedrängende und bedrückende Frage „Wem gehört die Welt?" in ihrem ganzen religiösen und theologischem Gewicht aufgreifen. Wir sind fast geneigt, zunächst einmal zu sagen, dass der Mensch als Ebenbild Gottes bei der Schöpfung zum Herrscher über die Welt berufen worden ist. Diese Sätze auf der ersten Seite der Bibel machen uns freilich auch zu schaffen. Es sind starke Worte.

Aber es besteht kein Zweifel darüber, was uns die Bibel als fundamentale Antwort auf unsere Frage sagt, und zwar von der ersten bis zur letzten Seite: „Sieh, dem Herrn, deinem Gott, gehören der Himmel, der Himmel über den Himmeln, die Erde und alles, was auf ihr lebt." (Dtn 10,14) Diese Grundaussage gehört zu den öfter wiederholten Bekenntniselementen in der gesamten Bibel. So fängt der Psalm 24 an mit den Worten: „Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner." (Ps 24,1-2, vgl. auch Ex 19,5; Jes 66,1-2, 89,12) Es ist darum auch zu erwarten, dass das Neue Testament dieses Bekenntnis voraussetzt und wiederholt, wie z.B. in 1 Kor 10,26: „Denn dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt."

Dabei ist aufschlussreich, dass diese Worte nicht nur, wie wir es heute manchmal verstehen, der Schöpfung und der Umwelt im allgemeinen Sinne gelten, sondern ganz besonders dem Menschen. Dies wird schon deutlich im Alten Testament, wo auf die Aussagen der Herrschaft Gottes über Himmel und Erde die gütige und liebende Erwähnung des Menschen durch Gott zur Sprache kommt. So heißt es unmittelbar auf unser Bekenntnis hin in Dtn 10,15: „Doch nur deine Väter hat der Herr ins Herz geschlossen, nur sie hat er geliebt. Und euch, ihre Nachkommen, hat er später unter allen Völkern ausgewählt, wie es sich heute zeigt." Im Neuen Testament wird diese Herausforderung der Berufung noch gesteigert: „Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. Denn Christus ist gekommen und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende." (Röm 14,7-9) Wenn hier von Herrschaft die Rede ist, dann ist sie ganz grundlegend in Dienst verwandelt.

Die Grundantwort ist also klar: Die Welt gehört Gott, nicht einfach den Menschen. Er ist und bleibt der einzige Herr, der diesen Namen verdient. Dem Menschen ist die Erde anvertraut, gleichsam ausgeliehen, wie ein Lehen zur Verfügung gestellt, aber nicht einfach zur beliebigen Verwendung, vielmehr soll er den Garten Gottes „bebauen und behüten" (Gen 2,15). Die Welt ist und bleibt Gottes Eigentum.

Dieses Grundbekenntnis muss noch entfaltet werden, gerade im Blick auf unsere Frage „Wem gehört die Welt?". Sie kann uns überhaupt nur so anvertraut werden, dass wir sie nur vorläufig, nicht endgültig übertragen bekommen. Die Verantwortung gibt es für uns Sterbliche nur auf Zeit. Deshalb müssen wir immer auch in die Zukunft blicken und uns fragen, ob wir die Welt bloß für uns, für unsere Bedürfnisse, für den reichen Norden der Welt, für unsere Generationen ausnützen und verbrauchen, oder ob wir immer auch schon im Blick auf die ganze Welt, wirklich weltweit solidarisch denken und im Hinblick auf die kommenden Generationen. Wenn hier von „Welt" die Rede ist, dann geht es immer um die ganze Erde, alle Menschen und alle Völker.

Deshalb müssen wir den Begriff der Verantwortung neu bedenken. Dieser bezieht sich nicht nur auf das, was wir in der ferneren oder näheren Vergangenheit getan haben oder in der Gegenwart tun, sondern auch auf die Folgen unsers Handelns für die Zukunft, für die ganze Menschheit. Und dies ist gerade heute besonders wichtig, weil wir oft die Folgen unseres Handelns nicht bedenken und sehr oft auch gar nicht wissen können. Es gibt schon den Zauberlehrling, der etwas in die Welt gesetzt hat, aber nicht weiß, was er mit seinen Ergebnissen angerichtet hat und was er damit tun soll. Ich denke auch an grundlegende Fragen der heutigen Biowissenschaften und der Medizin, z.B. die Produktion und den Umgang hinsichtlich der so genannten überzähligen Embryonen.

Wenn die Welt wirklich von Gott her allen Menschen geschenkt ist, dann könnte „Globalisierung" etwas Gutes sein. Sie könnte bedeuten, dass Lebenschancen gerecht verteilt werden und auch den Menschen zu teil werden, die sie bisher entbehren müssen. Darum muss Globalisierung nicht von vornherein vom Teufel sein. Aber wenn sie dazu benutzt wird, unsere Vorteile weltweit zu verfestigen, wenn wir die Ressourcen der Welt z.B. durch Biopatente in die Hand bekommen wollen, wenn wir den Entwicklungsländern die Möglichkeit der freien Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen entziehen, dann kann Globalisierung sich verkehren.

Darum ist es eine weitere Konsequenz im Geist der Bibel, dass wir uns als Menschheit die Lebenschancen der Erde teilen müssen. Wir dürfen uns nie und nimmer nur alles einverleiben, sondern müssen andere an den Segnungen der Erde ohne Hintergedanken und versteckte Eigeninteressen teilnehmen lassen. Nur so gibt es eine weltweite, ungeteilte Solidarität zwischen Arm und Reich. Und nur dann erfüllen wir wahrhaft den Auftrag Gottes bei der Erschaffung der Welt im Blick auf die Herrschaft über alles, was ist (vgl. Gen 1,26ff.). Wir müssen uns wohl auch generell - und ganz unabhängig davon, ob wir arm oder reich sind – angesichts des Satzes „Wem gehört die Welt" fragen lassen, ob wir diesen Auftrag nicht allzu oft aus der Perspektive reiner Nützlichkeit sehen.

Die heutige Schriftauslegung ruft uns nämlich in Erinnerung, dass Aussagen wie „Sieh, dem Herrn, deinem Gott, gehören der Himmel, der Himmel über den Himmeln, die Erde und alles, was auf ihr lebt" ein Bekenntnis darstellen, ja sogar Ausdruck des Lobpreises und des Dankes sind. Solche Aussagen sind wie ein froher Hymnus. Es ist kein neidisches Bedauern, dass Gott dem Menschen Grenzen setzt, dass er unseren Besitz und Herrschaftsanspruch aufhebt. Vielmehr ist es Freude, dass Er der Herr der Welt ist und er allen Geschöpfen den Reichtum dieser Welt überlässt. Wenn die Welt wirklich Gott gehört, dann dürfen wir sie auch aus diesen Gründen nicht einfach vernutzen.

In diesem Licht verstehen wir auch wiederum, warum dieses Bekenntnis des Menschen zu Gott einhergeht mit der liebenden Berufung und Erwählung von Menschen, damit sie am Werk Gottes so Anteil bekommen, dass sie die Erde im Sinne Gottes verwalten und so seinen Willen tun. Dann verstehen wir erst das biblische Wort „Herrschen", das nicht zuerst Gewalttätigkeit und Willkür, Rücksichtslosigkeit und Eigensinn beinhaltet, sondern Fürsorge für alle Lebewesen im selben Lebensraum bedeutet.

Wenn wir dies bedenken, dann erschrecken wir über unsere Herrschaftsansprüche, ob sie nun offener oder versteckter sind. Dann spüren wir auch, dass wir stets wieder unsere Maßstäbe überprüfen müssen. Denn entscheidend ist ja immer, aus welcher Perspektive, aus welchem Blickwinkel und mit welcher Sichtweise wir auf die Welt und alles, was ist, zugehen. Da wird das biblische Wort vom Umkehren und vom „Umdenken" sehr konkret. Umkehr zur Erde und zum Leben für alle: Dies folgt aus der biblischen Antwort auf die Frage „Wem gehört die Welt?".

Ein heutiger Schriftsteller, Arnim Jure (Wir stehen auf dünner Erdenhaut, Hamburg 1979), hat uns einen modernen Psalm mit der Überschrift geschenkt „Wem gehört die Erde". Er sieht darin eine Variante zu Psalm 2:

 

„Wem gehört die Erde?
Wem gehören Erz und Öl?

Wer kettet die Menschen
an schwere Waffen
und handelt behende
das Gleichgewicht aus?

Die Händler haben
das Sagen. Warum?
Heilig ist ihnen nur ihre Habe,
die Macht und der Friede,
solange er nützt.

In Banken und Börsen
hört man sie beten,
in Angstträumen sprechen,
die Glücksvermehrungslitanei
das Mater Unser der Ökonomie.

 

 

Der im Himmel wohnt,
kann wunderbar spotten,
der lacht, wenn er will,
diese Weltherren kaputt.

Er weckt zum Leben, wen er will.
Er gibt zum Lehen, was er will.
Die sich bergen an ihm
können glücklich sein."

 

 

Wir können es auch sagen mit Psalm 24: Derjenige, der reine Hände hat und ein lauteres Herz, der nicht betrügt und keinen Meineid schwört, „Er wird Segen empfangen vom Herrn und Heil von Gott, seinem Helfer. Das sind die Menschen, die nach ihm fragen, die dein Antlitz suchen [...]" (Ps 24,4-6).

Amen. 

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz