Wie viel Hoffnung bringt die Ökumene ?

Zweiter Ökumenischer Kirchentag in München, 12. bis 16. Mai 2010 Themenbereich 4: Glauben leben - Christsein in der Vielfalt der Kirche Freitag, 14. Mai 2010

Datum:
Freitag, 14. Mai 2010

Zweiter Ökumenischer Kirchentag in München, 12. bis 16. Mai 2010 Themenbereich 4: Glauben leben - Christsein in der Vielfalt der Kirche Freitag, 14. Mai 2010

I.

Bringt die Ökumene Hoffnung? Dies ist eine echte Frage. Kann überhaupt Hoffnung sein, solange die Kirchen getrennt sind? Ist es nicht die steingewordene Hoffnungslosigkeit, dass wir die ersehnte Einheit noch nicht gefunden und verwirklicht haben?

Ja, wir müssen noch schärfer zupacken und fragen, ob diese Verzweiflung an unserer Ohnmacht nicht in der letzten Zeit, z.B. seit dem Beginn des dritten Jahrtausend, seit dem ersten Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin, noch stärker geworden ist?

Seit einiger Zeit hat sich bei uns diese Meinung verbreitet und wohl auch nicht selten die Erfahrung einer neuen Enge und sogar manchmal eines Rückschrittes im Verhältnis der Konfessionen zueinander durchgesetzt. Man muss nicht gleich von der „Eiszeit" reden, aber nach dem guten Gelingen auf der Suche nach einem größeren Zueinander fürchten jetzt viele um einen Stillstand, um ein Treten auf der Stelle, ja eben auch um eine Rückkehr zu Positionen, die man für überwunden glaubte. Das Leitwort dieses Ökumenischen Kirchentages „Damit ihr Hoffnung habt" fordert eine unbestechliche Gewissenserforschung.

Man muss jedoch nicht nur die jetzige Situation überprüfen, ob es wirklich so ist, wie viele empfinden. Man muss auch fragen, woher wir kommen und wohin wir gehen. Es ist ja keine vage und unverbindliche Hoffnung gemeint, die uns wie in einen unwirklichen Traum hinein entführt. Es ist ein Weg, der auch bestimmt ist von dem, was war und was ist. Auch wenn uns manches wie ein bleiernes Gewicht vorkommt, das uns nach unten zieht, so können wir doch nicht einfach unsere Geschichte und unsere Situation überspringen. Gleichwohl brauchen wir gerade auch für den Weg der Ökumene eine verlässliche Hoffnung, die sich nicht zufrieden gibt mit dem, was wir bisher erreicht haben, sondern die uns wirklich nach vorne hin beflügelt und auch mutig macht. Wir wollen ausloten, welche neuen Spielräume sich für die Ökumene auftun, um gegenwärtige Lähmungen zu überwinden.

II.

Wir stehen an einem eigentümlichen Ort: Wir haben einerseits in diesem neuen Zueinander viel erreicht, aber wir sorgen uns andererseits auch zugleich um den weiteren Weg, der uns wirklich nach vorne bringt. Es gibt ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten, das auch mit dem treffenden Bild umschrieben werden kann, dass uns wie bei einer eingestürzten oder zerstörten Brücke noch viele verlässliche Pfeiler stehen geblieben sind und uns mehr Gemeinsames verbindet als Trennendes hindert. Dennoch gibt es bei allen Erfolgen noch bestehende Hindernisse. Sie werden angesichts der wiedergewonnenen Gemeinsamkeit noch belastender. Es handelt sich hauptsächlich um drei Brennpunkte, die nicht zufällig zwischen Theorie und Praxis, Theologie und Alltag des Lebens angesiedelt sind: das Fehlen vollwertiger gemeinsamer Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen, die uneingeschränkt anerkannt werden; die kirchliche Anerkennung und seelsorgliche Begleitung konfessionsverschiedener Ehen; das Warten auf eine gegenseitige Einladung und Anerkennung im Blick auf das Herrenmahl. Die Tragik der Kirchenspaltung erweist im Übrigen gerade im Persönlichsten, wie es Ehe und Familie darstellen, ihre stärkste Macht. Hier erleben viele Menschen die jahrhundertelange Entfremdung furchtbarer als im öffentlichen Verhältnis der Konfessionen selbst. Diese Unruhe muss ein wichtiger Motor unseres ökumenischen Einsatzes bleiben. Dies hat nachhaltig bis heute mein eigenes ökumenisches Engagement bestimmt.

Eine solche Situation ist schwierig. Der erste große Aufbruch scheint sich erschöpft zu haben. Die Hoffnung scheint nicht mehr weiter zu tragen. Das Verhältnis der Kirchen zueinander erscheint trotz einiger Rückschläge in grundlegenden Fragen auch als entschärft. Ökumene ist auf allen Veranstaltungen und Ebenen hoffähig geworden. Wir spüren aber auch, dass dieses Klima nicht ungefährlich ist. Schwerwiegende Differenzen, über die noch zu reden sein wird, werden eher zurückgestellt. Sie stören und sind lästig. Man geht ihnen aus dem Weg. Die begreifliche Ungeduld will nicht mehr warten. Wie lange denn noch?

Hier gab es gewiss auch manchmal eine falsche Höflichkeit. Wir sind manchen unangenehmen Wahrheiten, die uns bedrängen, aus dem Weg gegangen. Wir haben das gemeinsam Er-arbeitete nicht energisch umgesetzt. Man hat sich dann in dem, was erreicht worden ist, recht und schlecht eingerichtet. Aber der notwendige Schwung ist lahmer geworden. Es lässt sich nicht leugnen: Je geringer die Differenzen geworden sind, umso schwieriger kann der Dialog werden. Es besteht die Gefahr, dass immer weitere Unterschiede beigebracht werden, welche vielleicht keinen entscheidenden Rang haben, aber sich eben als beinahe unüberwindbar aufspreizen. So erscheint plötzlich der Ablass viele trennende Aspekte aufzuweisen, dass man dies - manchmal ohne es zu wollen - gegen die Grundvereinbarung in der Rechtfertigungslehre vom 31. Oktober 1999 wendet, ohne im Übrigen die wichtigen neueren theologischen Interpretationen zum Ablass zur Kenntnis zu nehmen. Selbst wenn in diesem Bereich noch einiges aufgearbeitet werden muss, so dürfen wir doch nicht diese große Vereinbarung von vor mehr als zehn Jahren dahinwelken lassen.

Diese objektiv heikle Situation kann leicht zu falschen Grundeinstellungen führen. Man verfällt in Resignation, weil der ökumenische Frühling vorüber sei. Vielleicht hat man da und dort auch zu sehr und auch zu unreflektiert auf irreale Hoffnungen gesetzt. Viele sehen nur noch einen Stillstand auf dem Weg zur Einheit; der offizielle Ökumenismus bestätige nur sich selbst; darum sei der Rückzug auf kleine, lebendige Basisgruppen der Ökumene die einzige Rettung; die etablierten Kirchen seien letztlich reformunfähig und unbußfertig; eine Stärkung dieses Ökumenismus sei - so heißt es manchmal - sogar unerwünscht, weil er nur die konservativen Kräfte in den Kirchen stütze. So wird der Aufruf zum eigenen, nur aus dem ökumenischen Gewissen geborenen Handeln begründet, das in antizipatorischer Zivilcourage das tun soll, was ohnehin längst geboten, aber offiziell (noch) nicht erlaubt sei. Andere erblicken in dem angeblichen Stillstand erste Anzeichen einer innerkirchlichen Beruhigung. Sie sind ohnehin der Meinung, dass die Ökumenische Bewegung am Ende den Kirchen nur geschadet habe, denn sie begünstige einen Identitätsverfall der einzelnen Konfessionen, der in der Zeit der schleichenden oder offenen Erosion religiöser Kräfte ohnehin drohe, oder begünstige den Indifferentismus sowie die Bildung einer „Dritten Konfession", nämlich die von Christen ohne Kirche.

Es gehört zur Nüchternheit und auch Glaubwürdigkeit der ökumenischen Arbeit, dass man sich des bleibenden Wegcharakters bewusst sein muss. Dabei werden Enttäuschungen und auch manchmal rückläufige Tendenzen unvermeidlich sein. Es gibt im Leben des Geistes und des Glaubens nie bloß breite Königs-Straßen ohne verschlungene Pfade, Umwege und Holzwege, Abwege und Irrwege. Dennoch wäre es fatal, wenn eine resignierende Grundstimmung sich gegen ihre letzte Absicht daran beteiligen würde, das immer noch brennende ökumenische Feuer löschen zu helfen. Wer die gewachsenen Differenzen in ihrer Tiefenwirkung zu gering schätzt und auf ihre ernsthafte Aufarbeitung meint verzichten zu können, wird nur Scheinerfolge erreichen können. Nach meiner Erfahrung sind jedoch nicht-gedeckte Schecks in der Ökumene besonders gefährlich, weil nach ihrer Entlarvung die Enttäuschung entsprechend groß ist. Dies darf uns nicht überraschen, denn das Leid und der Schmerz der Ökumene verlangen nach einer gediegenen Überwindung, die sich bewährt. Ökumene braucht den langen Atem. Sonst kann es geschehen, dass Resignation und Revolte sehr dicht beieinander wohnen. Wehe, wenn wir dies durch starre Unbeweglichkeit oder blinden Übereifer begünstigen. Beide sind manchmal ja auf ihre Weise ein Hindernis für wahren Fortschritt.

III.

Zur ökumenischen Aufgabe gehört der Dialog in den verschiedenen Formen. Ein Dialog un-terscheidet sich von Unterhaltung und Gespräch durch eine spezifische Zielsetzung . Er ist von Hause aus auf das Erreichen eines Konsenses ausgerichtet. Das Ziel ist eine theologische Übereinstimmung um der kirchlichen Einheit willen, damit wir der Welt ein glaubwürdiges Zeugnis geben. Die Übereinstimmung muss freilich nicht alle Verschiedenheiten aufheben, sondern will nur jene überwinden, die kirchliche Gemeinschaft verhindern. Wir sprechen so von kirchentrennenden Differenzen. Bei der Konsensbildung bilden darum Divergenzen und Konvergenzen eine entscheidende Rolle, also auseinanderstrebende und sich einander annähernde Tendenzen. Auch wenn nämlich ein hoher Konsens erreicht wird, muss es noch längst kein Maximal- oder gar ein Totalkonsens sein. Entscheidendes Kriterium ist die Frage, ob eine Divergenz kirchentrennenden Charakter hat. In den letzten Jahrzehnten ist die Hermeneutik des ökumenischen Gespräches gerade in dieser Hinsicht intensiv entwickelt worden. Ich sehe keine grundlegende Alternative zu ihr. Wenn diese Methode nicht sorgfältig, sondern oberflächlich angewendet worden wäre, dann ist dies noch kein Argument gegen die Wahl dieses methodischen Instruments. Dies hält man nicht immer genügend gut auseinander.

Unter diesen Voraussetzungen bezieht sich der evangelisch-katholische Dialog in theologischer Hinsicht vor allem auf die folgenden drei Gebiete, die ich hier freilich nur nennen kann: Eucharistie, Kirchesein, Amt.

Es lässt sich nicht übersehen, dass diese und andere Fragen, vor allem auch der Marien- und Heiligenverehrung, durch die am 31. Oktober 1999 unterzeichnete Vereinbarung zwischen dem Lutherischen Weltbund und dem so genannten „Einheitsrat" in Rom für die Katholische Kirche zur Rechtfertigung eine ganz neue Dimension erhalten haben. Es kommt darauf an, dass hier im Zentrum der inneren und äußeren Genese der Reformation ein Einvernehmen gefunden worden ist und trotz verbleibender Unterschiede im Einzelnen in Grundwahrheiten des Rechtfertigungsverständnisses keine durchschlagenden kirchentrennenden Hindernisse gegeben sind. Dies ist ein Mark- und Meilenstein in der ökumenischen Gesprächsserie. Die Diskussion darüber und auch die bleibende Ablehnung nicht weniger evangelischer Theologen bis heute zeigen aber deutlich, wie manches noch tiefer geklärt und fortgeführt werden muss. Das Echo darauf ist noch schwach und kraftlos, wie das zehnjährige Jubiläum am 31. Oktober 2009 in Augsburg zeigte. Die fortzuführende Arbeit geschieht bei uns vor allem im Ökumenischen Arbeitskreis katholischer und evangelischer Theologen, der seit 1946, also auf den Trümmern unseres Landes, sich um das theologische Gespräch bemüht.

Inhaltlich wird die Weiterarbeit nicht zuletzt darin bestehen, dass im Zusammenhang der Rechtfertigungsbotschaft die gemeinsamen Fundamente für das Verständnis der Kirche und des Kircheseins bedacht werden müssen. Die Frage nach den Sakramenten und dem Amt kann dadurch auch leichter und besser gelöst werden, wenn man sie in diesen größeren Kontext der Kirchenfrage einbezieht. Dies ist, so bin ich überzeugt, ein Unterschied gegenüber der früheren Erörterung der Ämterfrage. Gewiss macht die Erweiterung ihres Kontextes mit den Themen von Kirche und Sakramenten die Sache nicht einfacher, aber sie kann auch zu einer gewissen Entkrampfung der Ämterfrage führen, die dann wieder den Blick auf eine Lösung der Probleme erleichtern kann. Schließlich will ich darauf hinweisen, dass bei der Aufarbeitung der „Lehrverurteilungen" das umfangreiche Stück „Sakramente" bis heute noch weitgehend ungenutzt ist, wir wollen es jedoch vom Ökumenischen Arbeitskreis her wieder aktualisiert vorlegen.

Man muss auch nüchtern betrachten, dass es in der Bearbeitung ökumenischer Probleme manchmal auch eine Ungleichzeitigkeit gibt. Manche Themen nehmen für Jahre viel Zeit in Anspruch, wie dies z.B. beim Projekt „Lehrverurteilungen" zwischen 1980 und 1986 der Fall war. Größere Untersuchungen, die in der Zeit vorher unternommen worden sind, lagen dann eher etwas brach und wurden nicht mehr mit größerer Aufmerksamkeit verfolgt. Dies ist kein Erweis geringerer Qualität oder ein Zeichen der Missachtung oder des Desinteresses, sondern es ist eine Anzeige dafür, dass die Umsetzung gewisser Ergebnisse auf allen Ebenen ihre Ka-pazitätsgrenzen hat. Als ein wichtiges Beispiel dafür nenne ich die Gemeinsame Untersuchung lutherischer und katholischer Theologen zum Augsburgischen Bekenntnis aus dem Jahr 1980, die viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Auch darf man die wichtigen Aussagen zur Person Martin Luthers im Zusammenhang des 500. Geburtstages im Jahr 1983 nicht vergessen. Persönlich bin ich auch der Meinung, dass wir an verschiedener Stelle in den 70er Jahren im Blick auf die Thematik unterschiedlicher Konzeptionen der Ämter schon manche Studien durchgeführt haben, die man damals nicht weiter verfolgt hat (z.B. über Ordination, Presbyterat-Episkopat), weil eben ganz andere Themen auf die Tagesordnung kamen. Inzwischen bemühen sich auch neue Generationen um die ökumenische Theologie, die ihre eigenen Anliegen, Prioritäten und auch methodischen Alternativen haben.

In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals daran erinnern, dass wir besonders in unserem Land im Lauf der letzten 40 Jahre nicht nur beträchtliche Fortschritte im Bereich der Glaubenslehre und damit der klassischen Kontroversthemen erreichen konnten, sondern dass wir auch mit der Übereinstimmung in Fragen der ethisch verantworteten Gestaltung unserer Gesellschaft eine zweite wichtige Säule geschaffen haben. Sie umgreift ca. 25-30 Texte. Hier ist wirklich viel gemeinsames Profil geschaffen worden, das freilich in seiner Bedeutung meines Erachtens viel zu wenig beachtet worden ist. Dazu gehören nicht nur die wichtigsten Studien zur Transplantation (Ethik der Transplantation, Xenotransplantation), sondern eine Reihe von grundlegenden Themen für unsere Gesellschaft: Staat und Kirche im Blick auf die europäische Union (1995), Die Herausforderungen durch Migration und Flucht (1997), Chancen und Risiken der Mediengesellschaft (1997), Für eine Zukunft in Solidarität und Gerech-tigkeit. Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland (Sozialhirtenbrief, 1997), Gemeinsame Erklärung zur Reform der Alterssicherung (2000). In diesem Zusammenhang darf als letztes größere Dokument das Wort „Demokratie braucht Tugenden. Zur Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens" (2006) genannt werden.

Unter diesen Verlautbarungen darf die Gemeinsamkeit in Fragen der Bioethik nicht unge-nannt bleiben. Dabei hat uns gewiss die Einführung der „Woche für das Leben" geholfen, die wir seit 1990 gemeinsam - also in diesem Jahr zum 20. Mal - durchführen (vorher allein auf katholischer Seite). Ein Grunddokument für diesen gemeinsamen Einsatz zugunsten eines ungeteilten Schutzes des Lebens, besonders des menschlichen Lebens, war die gemeinsame Schrift „Gott ist ein Freund des Lebens", eine Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der DBK in Verbindung mit der ACK. Dazu kommen zahlreiche Aussagen über die Sterbebegleitung in Auseinandersetzung mit Tendenzen zu einer aktiven Sterbehilfe, eine, seit 1996 bis 2010 immer wieder erweiterte Textsammlung, eine Stellungnahme zu den Chancen und Risiken der pränatalen und prädiktiven Diagnostik sowie der Präimplantationsdiagnostik. Schließlich ist an dieser Stelle die Handreichung „Christliche Patientenverfügung" zu nennen, die seit 1999 eine Auflage von beinahe 2 Mio. Exemplaren hatte, mehrfach überarbeitet wur-de und wohl noch in diesem Jahr, wegen der neuen gesetzlichen Grundlage fast völlig über-arbeitet, in einer Neufassung „Christliche Patientenvorsorge" vorliegen wird. In diesem Zu-sammenhang ist auch ein umfangreiches Dokument „Neuorientierung für eine nachhaltige Landwirtschaft" (2003) zu nennen. Manche Texte sind auch ins Englische und in andere Sprachen übersetzt worden.

Es darf freilich hier nicht verschwiegen werden, dass wir in letzter Zeit im Blick auf diese Gemeinsamkeit in den bioethischen Verlautbarungen einen kleinen Riss verzeichnen müssen. Der Dissens betrifft vor allem die Haltung der Kirchen zur embryonalen Stammzellforschung und besonders zur Frage der Verlegung eines Stichtages. Ich brauche diese Frage hier nicht ausführlicher zu behandeln. Wir sind und bleiben darüber in einem intensiven Gespräch. Dabei ist nicht zu übersehen, dass es dabei auch beträchtliche Unterschiede und verschiedene Stimmen unter den evangelischen Kirchenleitungen gibt. Angesichts der vielen Gemeinsamkeiten habe ich jedoch die Hoffnung, dass wir manche Differenzen beseitigen können. Es ist freilich möglich, dass es in der Frage der Kriterien einer christlichen Ethik noch zu weiteren Untersuchungen kommen muss. Es zeigt sich schon längere Zeit, dass die theologisch-wissenschaftliche Erörterung auf evangelischer Seite hier mehr Differenzen betont, als dies in der Zwischenzeit allgemein wahrgenommen worden ist. Dafür werden wir uns Zeit nehmen müssen. Die Gemeinsamkeit in der Bioethik ist zwar manchen ein Dorn im Auge, aber nach meiner Überzeugung ein großer kostbarer Schatz, der gehütet und weiter entfaltet werden muss. Ich habe auch den Eindruck, dass manche Unterschiede (z.B. die Beurteilung des Wachkomas) im Zusammenhang der „Ökumene der Profile", auf die noch zurückzukommen ist, übertrieben werden.

Wir vergessen ja auch immer wieder schnell, was wir in der Zwischenzeit erreicht haben. Dies gilt z.B. für die Feier der Tauferneuerung und die Unterzeichnung der wechselseitigen Anerkennung der Taufe im Jahr 2007 im Dom zu Magdeburg, wo der älteste Taufstein nördlich der Alpen steht. Auch hier wird es nun darauf ankommen, dass wir diese Gemeinsamkeit stärker zur Vertiefung des Christseins nutzen und missionarisch zur Gewinnung neuer Christen einsetzen. Warum nützen wir solche Errungenschaften und Gemeinsamkeiten zu wenig, z.B. zur dringend notwendigen Vertiefung von Taufe und Christsein?


IV.

Ich komme noch einmal kurz auf die erwähnte neuerliche leichte Trübung des Verhältnisses zwischen der evangelischen Kirche unseres Landes und der katholischen Kirche zu sprechen. Es kann hier gewiss nicht darum gehen, dass wir uns gegenseitig „Sündenregister" vorlegen, wenn sie überhaupt solche sind. Es ist freilich notwendig, sich die Frage zu stellen, was hinter einem gewissen Wandel der Grundstimmung stehen könnte, der sich für mich ungefähr bald nach der Jahrtausendwende bemerkbar gemacht hat (vgl. z.B. die Bevorzugung der „Lutherübersetzung" in ökumenischen Gottesdiensten sowie das Erscheinen von „Dominus Iesus" im Jahr 2000). Diese Grundstimmung ist nach dem Erscheinen der Erklärung der Glaubenskongregation zum Verständnis der Lehre über die Kirche vom 29. Juni 2007 - veröffentlicht am 10. Juli 2007 - (vor allem zum „subsistit" in LG 8) auf einen Tiefpunkt gefallen. Ich kann in diesem Zusammenhang nicht näher darauf eingehen. Einige weitere Irritationen entstanden durch die Veröffentlichungen des Heiligen Stuhls zum erweiterten Gebrauch der vorkonzilia-ren Liturgie (2007) und zur Neufassung des Karfreitagsgebetes für die Juden innerhalb dieser Gemeinschaften (2008). Hier hat es zweifellos neben Missverständnissen und Ungeschick-lichkeit katholischerseits auch manche Fehlinterpretationen gegeben. Umso gründlicher muss den Ursachen eines gewissen Stimmungswandels nachgegangen werden. Die Angelegenheit um die „Pius-Brüder" aus den Monaten Januar bis März 2009 will ich nur als weiteren Stolperstein nennen.

Ich sehe gewisse Probleme im Zusammenhang der Identität und des eigenen Profils, das jede Kirche hat. Wenn in der ökumenischen Arbeit und auf dem Weg zur Einheit der Kirche immer mehr Gemeinsames erkennbar und gewonnen wird, wird auch stärker - solange die Kirchen getrennt sind - die Frage auftauchen, ob denn das eigene Profil nach innen und nach außen genügend gewahrt und vor allem auch wahrnehmbar bleibt. Es ist ein legitimes Anliegen, das Proprium und das eigene Profil zur Geltung zu bringen. Das Identitätsproblem ist auch in anderer Hinsicht eine legitime Frage: Man muss zweifellos aufmerksam sein, dass die notwendige Gemeinsamkeit nicht wie ein kleinster gemeinsamer Nenner erscheint, der am Ende alle ärmer macht, weil er die jeweiligen Reichtümer der einen oder anderen Konfession in den Hintergrund drängt. Solange keine wirkliche Einheit gefunden ist, lässt sich wohl auch irgendeine Form von Konkurrenz zwischen den Kirchen nicht völlig vermeiden. Es kann auch durchaus unter den Konfessionen eine Art friedlichen Wettbewerbs geben, wenn dies dem Wachsen des Christlichen in unserer Gesellschaft dient. Hier muss man ehrlicher miteinander umgehen.

Aber es ist auch hermeneutisch, zumal in einer Mediengesellschaft, nicht so leicht, das ge-meinsam Erworbene festzuhalten und zugleich die eigene Identität zu profilieren. Dies geht erfahrungsgemäß nicht selten auf Kosten der Gemeinsamkeit. Man sieht dies ja auch sehr deutlich bei der Identitätsstärkung junger Menschen, die letztlich auch nicht ohne Konflikte im Sinne einer Abhebung von der Mit- und Umwelt erfolgt. Nun befindet sich natürlich die Ökumene nicht in einem notwendigen Stadium der Pubertät, aber sie muss die Frage, wie sich diese Profilierung vollzieht, selbstkritischer reflektieren. Die Identitätssuche geht nämlich leicht im Stil einer Abgrenzung gegenüber den anderen Partnern vor sich und ist immer auch in Gefahr, zu einer gewissen Überhöhung der eigenen Reichtümer und Schätze zu werden. Wie man das Gemeinsame bewahrt und zugleich das unverwechselbar Eigene hervorheben und gar steigern kann, bleibt recht schwierig. Darauf habe ich schon am Anfang dieser Debat-te aufmerksam gemacht. Und wenn dies im Stil von Wettbewerb und Konkurrenz - dazu noch in unserer Mediengesellschaft - geschieht, dann braucht man eine differenzierte und sensible Spiritualität und Hermeneutik ökumenischer Beziehungen, damit es nicht zu proble-matischen Formen kommt, z.B. des Verdrängens des Anderen und der Selbstüberschätzung.

Ich möchte nicht missverstanden werden: Jedes institutionelle Gebilde braucht Identität und muss sie bezeugen, entfalten und wenn nötig auch verteidigen. Dies gilt erst recht im Glau-ben. Aber es kommt darauf an, wie man dies tut. Wir müssen miteinander und voneinander lernen, wie dies geschehen könnte. Hier möchte ich einige Probleme kurz skizzieren, die an-gesprochen werden müssen, aber in diesem Zusammenhang nicht eingehender behandelt wer-den können.

In der Ökumene ist die ökumenische Methode wichtig. Darüber muss immer wieder auch generell und im konkreten Arbeitsvorgang reflektiert und diskutiert werden. So dürfen wir m.E. die Suche nach einem „differenzierten Konsens" nicht preisgeben. Es gab und gibt gewiss Beispiele, wie diese Suche vielleicht nicht immer streng genug verfolgt worden ist. Aber die jahrelange Polemik einiger Leute gegen die so genannte „Konsensökumene" hat ja nicht zu besseren Instrumenten und Verfahren geführt. Dies gilt auch und gerade für das neuerdings propagierte „Differenz-Modell" . Wir haben mit der Suche nach einem „differenzierten Konsens" vieles Gemeinsame wiederentdeckt. Auch die Feststellung von Teilkonsensen und von Konvergenzen ist und bleibt m.E. auf dem Weg zu einer verantwortlichen Erkenntnis bisher unersetzbar. Dies gilt gerade auch angesichts des Umgangs mit den Lehrverurteilungen . Offensichtlich ist das, was „Differenz-Modell" genannt wird, noch nicht ausreichend geklärt, vor allem auch im Kontext der jahrelangen Diskussion um eine so genannte „Grunddifferenz", ein Gedanke, den schon sehr früh G. Ebeling aufgegriffen hatte, und den das Straßburger Lutherische Forschungsinstitut viele Jahre gründlicher untersucht hat.

Ich habe trotz einer immer noch umfassenden ökumenischen Literatur den Einruck, dass die Ergebnisse der Ökumenischen Theologie, aber auch der Ökumenischen Gesprächs-kreise, gerade wenn sie differenziert sind, weniger Beachtung finden. Vielleicht existier-ten auch einmal überzogene Erwartungen, besonders im Blick auf die Möglichkeiten einer genaueren Befassung in den Gemeinden, z.B. mit den Lehrverurteilungen. Aber auch viele Verantwortliche in den Kirchenleitungen haben aus manchen Gründen die Entwicklung der Ökumenischen Theologie und der Gesprächsergebnisse faktisch wenig verfolgt oder gar ignoriert. Dies gilt auch für viele Fachkollegen, sofern sie nicht eigens Ökumenische Theologie treiben. Die Situation auch nach der Rechtfertigungsvereinbarung von 1999 hat dafür sehr deutlich die Augen geöffnet.

Wir sind heute nicht selten in Gefahr, eine Ökumene ohne theologischen Tiefgang zu be-treiben. Dann belässt man es leicht bei den üblichen Forderungen an den ökumenischen Partner. Man hat dann selbstverständlich auch das Gefühl, es herrsche ein Stillstand, ob-gleich dies gar nicht so ist.

Damit hängt eng zusammen, dass ich oft das Gefühl habe, wir verharrten in einer ökumenischen Immobilität. Gerade der geistliche Ökumenismus, etwa der Gruppe von Dombes und von Taizé, erinnert uns immer daran, dass wir auf dem Weg der Ökumene umkehren müssen und dadurch auch nach vorne hin je auf unsere Weise und gemeinsam spirituell wachsen. Dies kann und wird gewöhnlich in kleinen Schritten geschehen. Wir haben aber nach meiner Einschätzung eine abnehmende Veränderungsbereitschaft. Es ist notwendig, gerade angesichts der Erinnerung an die Einführung der Gebetswoche für die Einheit der Christen vor einem guten Jahrhundert daran zu erinnern. Hier ist und bleibt die Gruppe von Dombes vorbildlich und exemplarisch. Man fordert immer stärker eine wechselseitige Anerkennung, die eine sofortige Beendigung aller Trennungen verlangt. Es ist eine gewisse spirituelle Weigerung nach der Devise: „Du musst mich so annehmen, wie ich bin." Das ist gewiss wichtig für die Ausgangssituation, wo nur Gleiche mit Glei-chen, die sich auch so anerkennen, miteinander in einen Dialog kommen können. Aber dann ist auch klar, dass man auf diesem Weg und in diesem Prozess durch den Anderen und mit ihm lernen kann und muss. Mit dem Theologieverlust und dem Schwächerwerden der ökumenischen Impulse gibt es auch eine abnehmende Veränderungsbereitschaft. Diese implizite Weigerung, sich geistlich und theologisch ändern zu lassen, ist eine spiri-tuelle Häresie. Was soll bei einer solchen Stimmung Hoffnung?

Wenn diese Feststellungen stimmen, geben sie zu denken. Dann müssen wir uns fragen, ob wir auch von Amts wegen eine genügende ökumenische Dynamik schaffen oder uns genügend kräftig einsetzen, damit die Suche nach mehr Einheit lebendig bleibt. Vielleicht finden die immer wiederholten Vorwürfe, die Ökumene leide am meisten unter den untätigen Kirchenleitungen, hier ein Körnchen Wahrheit. Wenn die Spannung überdehnt oder gar nicht genützt wird, verläuft sie im Flachen. Im Übrigen gibt es auch einen Kairos der ökumenischen Arbeit. Es ist nicht sicher, dass einmalige Situationen, die uns in den letzten Jahrzehnten geschenkt worden sind und die uns auch heute immer noch geschenkt werden, jederzeit wieder herbeigerufen werden können. Wir leben immer noch in einem solchen günstigen Augenblick. „Kauft die Zeit aus", gilt auch hier. „Jetzt ist die Zeit", so hat Bernd Jochen Hilberath sein Buch überschrieben.

Auch wenn man diese momentanen Probleme aufrichtig beim Namen nennen muss, so darf dies keine ökumenische Missstimmung hervorrufen oder, wenn sie schon da ist, legitimieren. Wir werden diese Probleme Schritt für Schritt abzubauen versuchen und ehrlich, auch wenn es länger dauert, einer Lösung entgegenführen. Es gibt keine Alternative vor allem zu dem Gebot des Herrn, dass wir mit allen Kräften Trennungen, wo es notwendig und möglich ist, überwinden und die zerbrochene Einheit wieder suchen und finden.

V.

Wir haben zwar einen weiten Radius abgeschritten, aber noch keine großen Schritte ins Kon-krete gemacht. Bevor man dies tut, muss man aber im Sinne des eingangs Gesagten den eige-nen Standort kennen. Es wäre ja sehr unfruchtbar, wenn wir bereits Erworbenes durch Ver-gessen preisgeben oder wenigstens verdrängen würden. Das Gute liegt auch hier so nahe, dass wir nicht einfach in die Ferne schweifen dürfen. Vieles, was erarbeitet worden ist, ist noch nicht rezipiert. Es gehört also auch zu unserer Zukunft, dass wir es uns aneignen. Deshalb ist es eine gute und wichtige Idee von H. Meyer gewesen, „In via-Erklärungen" zu formulieren, die auf dem Weg des Dialogs das „schon Erreichte" festhalten und bejahen, zugleich aber das „noch nicht Erreichte" aufzeigen und markieren. Kardinal Kasper hat mit dem Einheitsrat in Rom einen ersten Versuch dazu gemacht (vgl. die schon angeführte Veröffentlichung „Harvesting the fruits").

Doch wollen wir selbstverständlich in die nähere Zukunft blicken und uns damit auch in die unmittelbare Zukunft führen lassen. Dafür gibt es in der Tat wichtige Schritte und Daten, die uns tiefer in die Ökumene hineinführen können. Wir haben vor sieben Jahren den ersten Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin begangen. Der Osnabrücker Katholikentag (2008) war mit dem Evangelischen Kirchentag in Bremen (2009) so etwas wie eine Brücke nach München. In wiederum sieben Jahren kommt ein anderes Ereignis auf uns zu. Am Horizont steht ein Thema, das uns von nun an intensiver beschäftigen wird, nämlich die 500. Wiederkehr des Ausbruchs der Reformation 1517/2017. Vielleicht werden wir Katholiken zum ersten Mal in der - von der Ökumene her gesehen - gewiss nicht so einfachen Abfolge dieser Reformationsjubiläen dabei eine wichtige Rolle mitübernehmen, auch wenn wir nicht Veranstalter sind. Dann könnte auch ein solches Jubiläum ökumenisch sehr viel weiterführen. Wir sind bereits in intensiven Gesprächen, wie wir uns beteiligen könnten.

Eine wichtige Grundfrage wird sein, wie wir die Reformation überhaupt und im besonderen auch die Person Luthers und der anderen Reformatoren einschätzen. Wir kennen natürlich eine gerade in der Moderne immer wieder mit Vorrang behandelte Perspektive, dass nämlich gerade der Ausbruch der Reformation als die Morgenröte einer neuen Zeit und als Geburt wahrer Freiheit verstanden wird. Wenn über die Reformation gesprochen wird, ist dies bis heute ein Hauptthema der Rede über sie. Ich will diese Perspektive selbstverständlich weder leugnen noch geringschätzen. Aber es kann eine Hilfe sein, wenn in neuerer Zeit andere thematische Schwerpunkte die bisherige Sicht grundlegend ergänzen. Dabei geht es auch darum, dass Luther heute sehr viel stärker im Gesamtkontext der spätmittelalterlichen Geschichte und Kirche gesehen wird. Dies gilt z.B. besonders für die Mystik, aber auch für das Verhältnis zum monastischen Erbe, ja auch zur spätmittelalterlichen Theologie. Dabei geht es jedoch grundlegend um das Verhältnis Luthers und der reformatorischen Kirchen zur umfassenden einen Kirche durch die Jahrhunderte. Dies ist insgesamt eine erstaunlich wenig behandelte Frage. Es genügt nicht nur der Blick, der in der Reformation die Initialzündung zur Moderne sieht, auch nicht nur eine elementare und ursprüngliche Wiederentdeckung des Paulinismus erblickt, sondern es geht um diese Einfügung in die ganze Kirche mit ihrer vollen Tiefe und Breite. Mehr als eine Andeutung kann dies freilich nicht sein. Im Übrigen können eine stärke-re Beschäftigung mit der Gemeinsamkeit in der Auffassung der Grundlegung des christlichen Lebens in Glaube und Taufe und ein stärkeres Bemühen um den Gottesdienst, einschließlich des Sonntags und der Sonntagsheiligung (mit Gottesdienstbesuch!) wichtige Elemente und Konsequenzen dieses Weges in die Zukunft sein.

VI.

Wie soll es weitergehen? Zunächst einmal müssen wir offen und aufrichtig die Situation bedenken. Ökumenische Gewissenserforschung tut Not. Aber dann müssten wir auch endlich intensiver die Themen angehen, die wir schon seit längerer Zeit immer wieder umgehen, wenngleich in der Ökumenischen Theologie durchaus vieles geschieht. Die Bewegungsform des Fortschritts in der Ökumene muss mehr Beachtung finden. Wenn bestimmte Einsichten in anderen Kontexten und Regionen bestätigt werden können, ist dies kein Leerlauf oder ein Stillstand, sondern es ist eine wichtige Form der Vergewisserung und der größeren Konsens-findung. Dazu gehören eben nun auch einmal Kirche und Kirchesein, in diesen Kontext auch die Ämter und die Sakramente, das Verhältnis von Offenbarung bzw. Kirche und Recht, besonders Kirche und Rechtfertigung. Es wird aber auch Zeit - ich habe dies schon gesagt und wiederhole es -, dass wir uns mit einem zentralen Thema beschäftigen, das am Anfang unserer Existenz steht und das wir gemeinsam sträflich vernachlässigen, nämlich Christwerden durch Glauben und vor allem auch Taufe. Dieses Thema hat viele Aspekte, die heute ganz besonders dringend sind. Die erwähnte Feier der Taufanerkennung vom 29. April 2007 in Magdeburg ist dabei, wie schon gesagt, eine große Hilfe. Nutzen wir sie?

Wenn man sich fragt, welches die vordringlichsten zentralen Themen im theologischen Bereich sind, die auch - wenn sie wegweisend miteinander erörtert werden - wirklich nach vorne bringen, möchte ich drei Themen nennen:
1. Das Verhältnis von Rechtfertigung und Kirche im Anschluss an die Vereinbarung zum Verständnis der Rechtfertigungslehre vom 31. Oktober 1999 in Augsburg,
2. das Verständnis des geistlichen Amtes, besonders des bischöflichen Dienstes und der apostolischen Sukzession,
3. Einheit der Kirche und Gemeinschaft im Herrenmahl, Eucharistie- und Kirchengemein-schaft.

Darin konzentrieren sich die wichtigsten ökumenischen Gesprächsthemen, die vor uns stehen. Ich kann nur hoffen, dass die Theologie und die Kirchenleitung sich sorgfältig, tatkräftig und zielgerichtet dieser Themen annehmen. Es gibt schon verheißungsvolle Vorarbeiten (vgl. die Angaben in den Anmerkungen). Dabei ist der Stellenwert der einzelnen Themen für die verschiedenen Kirchen und ihre theologischen Bemühungen zum Teil recht verschieden.

Im Lauf der letzten Jahre ist mir immer wieder ein wichtiges Grundgesetz des ökumenischen Miteinanders in den Sinn gekommen. Gerade wenn man das eigene Profil stärker betont, wie es auch z.B. durch die Hervorhebung der Luther-Übersetzung der Bibel geschieht, gibt es ein gutes Kriterium, nämlich ob wir uns freuen können an der Stärke des Anderen, nicht nur an J. S. Bach, sondern z.B. auch am Wiedererstehen der Frauenkirche in Dresden. Aus dieser Anerkennung des Anderen - und vielleicht zuerst oder manchmal auch auf längere Strecke Fremden - wird echte und nachhaltige Gemeinschaft, die uns im Geist Jesu Christi enger zusammenführt. Für mich ist eine ernsthafte Fortsetzung eines solchen Austausches zwischen uns das Gebot der Stunde, nicht allein die „Ökumene der Profile". Es gibt aber auch große gemeinsame Gestalten, die uns auf dem Weg begleiten, wie z.B. Roger Schutz , dessen tragischer Tod uns nicht von seinen bleibenden Impulsen trennen darf. In diesem Zusammenhang möchte ich auch das große ökumenische Vermächtnis der beiden herausragenden Blutzeugen unserer Kirchen aus nationalsozialistischer Zeit in Erinnerung bringen, nämlich Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp.

Es bleibt das Gebet für die Einheit. Nichts ist wichtiger als die gemeinsame Fürbitte an den Herrn. Der einstige Generalsekretär der Bewegung für Glaube und Kirchenverfassung, Oliver Tomkins, hat es einmal so formuliert: „Selbst angesichts der tiefen Spaltungen ... finden die Herzen vieler Christen ihre tiefste Gewissheit, dass der Pfad zur Einheit nicht für immer ver-schlossen sein wird, in der Tatsache, dass das ernste Gebet in diesem Geiste bereits ein wachsendes Heer in allen Konfessionen vereinigt. Andere Waffen mögen stumpf werden, aber niemand kann die Wirksamkeit dieser Waffe des selbstverleugnenden Gebetes bezweifeln, auch wenn wir ihre Wirkung nicht ermessen können."

Dies alles gilt aber nicht nur für feierliche, seltene ökumenische Gottesdienste, sondern für den Alltag und die Normalität unseres Lebens. Es gibt vieles, was wir sofort könnten und was nicht verboten ist. Ich denke an eine gemeinsame Lesung der Heiligen Schrift, gerade auch im Blick auf den Alltag des Glaubens. Warum schweifen wir oft in die Weite, wo das Gute doch so nahe liegt? Warum nutzen wir nicht auch das, was sofort und ohne Konflikt angepackt werden kann. Ökumene ist nichts Extravagantes, sondern muss intensiv den Alltag beherrschen.

Gegen Ende mag noch eine kleine Überlegung stehen, die mich immer wieder beschäftigt, auch wenn ich sie selten oder gar nicht öffentlich ausgesprochen habe. Ich habe in den Jahrzehnten seit dem Konzil und seit einer intensiveren Beschäftigung mit ökumenischen Fragen, nämlich seit mehr als 40 Jahren, bei nicht wenigen großen Lehrern und Freunden aus der ei-genen Kirche und der Ökumene - ich nenne nur Karl Rahner und Heinrich Fries - die Klage vernommen, warum es denn nicht zu ihren Lebzeiten möglich sei, die Einheit der Kirche zu verwirklichen. Sie haben viele Schuldige für diese Verzögerung gesucht und gefunden. Ich muss gestehen, dass ich diese „Naherwartung" nicht hatte, auch wenn ich den Einsatz für das Zusammenwachsen der Kirchen für eine ganz vordringliche Aufgabe halte. Ich habe dann immer wieder gesucht und gefragt, ob ich nicht zu träge bin oder nicht mehr genügend Schwung der Hoffnung habe. Beim Nachdenken bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass es verschiedene Stile und Gestalten ökumenischer Hoffnung gibt. Darum bin ich auch überzeugt, dass man diese Pluralität der verschiedenen Hoffnungsformen achten muss. Dabei denke ich vor allem an die Gestalt des Mose, der dem verheißenen, gelobten Land entgegenwandert. Er hat für sein Volk alles getan, um es zur Erfüllung dieser Verheißung zu führen. Aber er selbst konnte dieses gelobte Land nicht mehr betreten. Vorher zeigte ihm der Herr das verheißene Land vom Gipfel des Nebo her: „Ich habe es dich mit deinen Augen schauen lassen. Hinüberziehen wirst du nicht. Danach starb Mose, der Knecht des Herrn." (Dtn 34,3 f.). Dies ist gewiss auch in der Zeit des Neuen Bundes und der Kirche eine wichtige Gestalt der Hoffnung und der Einlösung der Verheißungen. Aber sie ist nun, da Gott in Jesus Christus zu uns gekommen ist und immer noch Spaltungen sind, noch dringlicher geworden. Mose ist keine Gestalt zur falschen Beunruhigung.

Kehren wir am Schluss zu unserem Titel über diesem Vortrag und damit zu unserer Aufgabe zurück: Wie viel Hoffnung bringt die Ökumene? In aller Kürze:
· Viel Hoffnung, die jahrhundertelang seit der Kirchenspaltung ausgesprochen wurde, ist in den letzten Jahrzehnten zu einem guten Teil eingelöst worden.
· Viele Menschen warten, dass die noch offenen Konflikte, die die Einheit behindern, gelöst werden.
· Wir haben dabei viel erreicht und haben begründete Hoffnung, dass wir weiterkommen.
· Christliche Hoffnung weiß um das Kreuz, das Leiden, das Scheitern. Wir lassen uns durch Rückschläge nicht entmutigen.

Ich schließe mit einem Wort des Apostels Paulus: „Wir rühmen uns unserer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. Mehr noch, wir rühmen uns ebenso unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist." (Röm 5,2b-5)

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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