Wirtschaft und Ethik

Überlegungen zum unternehmerischen Handeln aus Sicht der Kath. Soziallehre

Datum:
Mittwoch, 28. November 2012

Überlegungen zum unternehmerischen Handeln aus Sicht der Kath. Soziallehre

Vortrag beim Süddeutschen Wirtschaftstag am 28. November 2012 in Mainz (ZDF)

Wer heute von Wirtschaft und Ethik spricht, dem schallen eine ganze Menge Schlagwörter entgegen: Gier, „System", Korruption. Die Beurteilung der Finanzmärkte und ihrer Prozesse verstärkt dieses Echo. Ich werde mich nicht damit befassen, weil ich dafür nicht kompetent bin. Aber ich bin auch eher zuständig für eine mehr grundsätzliche, damit jedoch keinesfalls folgenlose Betrachtung.

I. Das Verhältnis der Wirtschaft zu Fragen der Ethik und zur Kirche
Es gibt eine mächtig gewordene Tradition, wonach am Markt orientierte Wirtschaft und Ethik unverträglich seien, weil freiwillige, „moralische" Handlungen den Marktregeln widersprächen und einen ethisch orientierten Unternehmer in der Regel aus dem Markt werfen würden. Man meint, das richtige Spiel der Marktregeln gewährleiste am ehesten Fortschritt und irgendwie auch Verteilungsgerechtigkeit . So konnte sich die Ansicht durchsetzen, es handle sich bei der Wirtschaft um einen wertfreien oder wertneutralen Raum, der eigenen Gesetzmäßigkeiten folge. Nach der Überzeugung des Wirtschaftsliberalismus wird gerade durch und wegen der ausschließlichen Verfolgung der Eigen-Interessen des Unternehmens allein unter gewinnbringenden Absichten das Allgemeinwohl am meisten gefördert. Alle weitergehenden Forderungen humanitärer oder gesellschaftlicher Rücksichten erscheinen als dem ökonomischen Handwerk fremd und letztlich schädlich. Von Adam Smith bis Milton Friedman gilt darum so etwas wie „Wirtschaftsethik" als ein Widerspruch in sich, als ein hölzernes Eisen. Das Wohl und Wehe unseres Wirtschaftssystems hängt nach dieser Ansicht vom Vermögen der Führungskräfte ab, das Gewinnstreben optimal zu erfüllen, wobei vorausgesetzt wird, dass sich sowohl die öffentliche Hand als auch besonders interessierte Gruppen möglichst wenig einmischen dürfen. Natürlich wird damit nicht unmoralischen Praktiken das Wort geredet, schon gar nicht im Blick auf Bestechung und Veruntreuung.

Nun besteht kein Zweifel, dass die Wirtschaft ein eigener Sachbereich unseres Lebens ist, in dem sich zu bewegen ein Höchstmaß an wirtschaftlichem Sachverstand erfordert, da er zuerst eigenen Spielregeln und nicht von außen an ihn herangetragenen, völlig fremden Erwägungen zu folgen hat. Das schließt nicht aus, dass sich mittlerweile die Wirtschaft selbst in der Frage nach dem Verhältnis von Ökonomie und Ethik nicht mehr von einem abstrakten, sich gegenseitig ausschließenden, ja sogar feindseligen Gegenüber bestimmt zeigt, sondern mehr als früher nach den ihr immanenten ethischen Prinzipien fragt.

II. Was meint „Katholische Soziallehre"?
Vielleicht sollten zu Beginn wenigstens einige Sätze zum Begriff der „Katholischen Soziallehre" gesagt werden. Die Katholische Soziallehre ist ein vielschichtiges Geflecht, das ständig in Bewegung ist. Man findet hier ethische Garantien und ideale Programme, Skizzen und Vorschläge, Abgrenzungen und Begriffsbestimmungen. Es handelt sich dabei, wie gesagt, nicht um ein festgefügtes System, und viele Aussagen weisen eine innere Elastizität auf. Man darf die Katholische Soziallehre auch nicht einfach von bestimmten Intentionen her sehen, beispielsweise allein als Garantie für bestimmte institutionelle Ordnungswerte. Unübersehbar ist zudem ihre innere Entwicklung, denn seit der ersten großen Sozialenzyklika „Rerum novarum" (1891) bis zu den Enzykliken von Papst Johannes Paul II. „Sollicitudo rei socialis" (1987) sowie „Centesimus annus" (1991) und des gegenwärtigen Papstes Benedikt XVI „Caritas in veritate" (2009) ist sie stets mitgeprägt durch die wechselnde gesellschaftliche und geschichtliche Situation.

Man sollte zudem Katholische Soziallehre und Christliche Gesellschaftslehre zumindest vorläufig unterscheiden. Die Katholische Soziallehre ist eher das Gesamt der offiziellen Verkündigung und der Stellungnahmen der Kirche zu gesellschaftlichen und sozialen Gestaltungsfragen. Die Christliche Gesellschaftslehre ist dagegen mehr der Begriff für ein wissenschaftliches Fach im Spektrum der verschiedenen theologischen Disziplinen. Sie befasst sich vor allem mit der Entfaltung aller Erkenntnisse über Wesen und Ordnung der menschlichen Gesellschaft und mit den sich daraus ergebenden und auf die jeweiligen Verhältnisse anzuwendenden Normen und Ordnungsaufgaben. Die Christliche Gesellschaftslehre ist von Hause aus stärker dem systematischen Entwurf des einzelnen Wissenschaftlers zugeordnet, während die Katholische Soziallehre viel stärker von jener Offenheit gekennzeichnet ist, von der oben die Rede war. Vielleicht darf man die Katholische Soziallehre als ein offenes Gefüge ordnungsethischer Normen verstehen. Dabei ist sie jedoch kein Bündel bloß praktischer Weisungen zur Sozialen Frage und auch keine Auswahl brauchbarer Erkenntnisse der modernen Soziologie, sondern, wie die Enzyklika „Mater et magistra", (1961) sagt, „ein integrierender Bestandteil der christlichen Lehre vom Menschen". So verwendet sie Einsichten der Philosophie und der Humanwissenschaften in die sozial veranlagte und geprägte Natur des Menschen, sie greift aber auch auf anthropologische und theologische Erkenntnisse über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft zurück.

III. Der Unternehmer im Licht der Wirtschaftswissenschaften
Es fällt auf, dass der Unternehmer in der Konzeption der Wirtschaft erst spät in seinem Rang entdeckt wurde, obgleich niemand an seiner praktischen Bedeutung zweifelte. „Die Wirtschaftswissenschaft hat von ihren Anfängen an nicht recht gewusst, was sie mit dem Unternehmer anfangen soll". Natürlich war der Unternehmer im weitesten Sinne auch früher schon eine vertraute Gestalt. Aber lange Zeit blieb er doch vor allem deshalb in seiner wahren Bedeutung verdeckt, weil das Problem der Kapitalbildung im Vordergrund stand. So sah man die wesentliche Funktion des Unternehmers darin, Kapital zur Verfügung zu stellen. Der Unternehmer ist nicht zufällig gleichgesetzt worden mit dem „Kapitalisten", dem Eigentümer und Arbeitgeber. Solange die Wirtschaft als ein starres System mit zwangsmäßigen Mechanismen erschien, hatten darüber hinaus die freie Entscheidung und die Handlung eines Einzelnen kein großes Gewicht. Nur so ist es verständlich, dass selbst in der liberalen Schule des 19. Jahrhunderts, z.B. bei A. Smith, die Leitungs- und Führungsaufgabe des Unternehmers im ökonomischen Prozess eine geringe Rolle spielte.

Bekanntlich hat der große Nationalökonom Joseph A. Schumpeter in seinem Werk „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" den Rang des Unternehmers neu entdeckt. Gewiss hat er dabei auch auf frühere Einsichten zurückgreifen können, die sich zu ihrer Zeit nicht genügend durchsetzen konnten. Dies gilt etwa für einige Analysen der historischen Schule des 19. Jahrhunderts und ganz besonders für die Österreicher, deren einige Schumpeters Lehrer waren. Schumpeter hat die Unternehmer- und die Eigentümerfunktion voneinander unterschieden und damit den Unternehmer von der negativ belasteten Symbolfigur des „Kapitalisten" abgelöst. So kam ein de facto immer schon gegebener, aber in der Theorie vergessener Aspekt zur Sprache. Die besondere persönliche Leistung des Unternehmers wurde stärker herausgearbeitet. Sein Verständnis wurde nun von der unternehmerischen Funktion bestimmt, praktische Initiativen zu ergreifen, durchzuführen und zu verantworten. „Im Erkennen und Durchsetzen neuer Möglichkeiten auf wirtschaftlichem Gebiet liegt das Wesen der Unternehmerfunktion." Der Unternehmer ist ein Wirtschaftspionier, er gilt geradezu als „Neuerer", was einen gewaltigen Unterschied zum bloßen „Kapitalisten" ausmacht.

Unter den Aufgaben dieser wirtschaftlichen Führung nennt Schumpeter: „1. Die Erzeugung und Durchsetzung neuer Produkte oder neuer Qualitäten von Produkten, 2. die Einführung neuer Produktionsmethoden, 3. die Schaffung neuer Organisationen der Industrie (Vertrustung z.B.), 4. die Erschließung neuer Absatzmärkte, 5. die Erschließung neuer Bezugsquellen." Besonders hervorgehoben werden nicht bloß Risiko- und Wagnisbereitschaft des Unternehmers im allgemeinen, sondern auch der schöpferische Charakter seines Tuns: es geht nicht nur um die routinierte Wiederholung des Gleichen, sondern um erst bewusst zu vollbringende neue Leistungen. „Die Fehlerquellen sind infolgedessen nicht nur graduell, sondern wesentlich größer ... Dazu kommt, dass es uns subjektiv schwerer fällt, Neues als Gewohntes zu tun, dass wir dabei nicht von demselben Gefühl fester Wirklichkeit gestützt sind und dass wir unsere Denk- und Handlungsgewohnheiten zu überwinden, uns vom Diktat der Routine zu befreien haben. Endlich widerstrebt unsere Umwelt ungewohntem Verhalten. Im jährlichen Kreislauf des Gewohnten kooperieren die Leute automatisch und in der Regel willig. Neuen Methoden widerstrebt der Arbeiter, neuen Produkten der Konsument, neuen Betriebsformen öffentliche Meinung, Behörden, Recht, Kreditgeber." Damit wird der schöpferisch-dynamische Charakter des Unternehmers hervorgehoben. Es müssen ständig Veränderungsprozesse bewältigt werden.

Freilich wies schon Schumpeter im Jahr 1928 darauf hin, dass die Bedeutung der Unternehmerfunktion sinke, weil nach seiner Meinung sich der Bezirk des streng Berechenbaren kommerziell und technisch immer weiter ausdehne und weil ständige Neuerungen bereits zur sozialen Selbstverständlichkeit geworden seien. Man kann sich fragen, wie weit erst recht heute eine solche Pioniergestalt unternehmerischer Führung mannigfach beeinträchtigt wird.

Der Unternehmer dieses Zuschnitts gehört in das Herz eines dynamisch-expansiven Wirtschaftstyps. Die klassische Wirtschaftslehre hatte für „freie Agenten", die die statische Gesetzmäßigkeit der Wirtschaftslehre durchbrechen, nur wenig Platz.

Das Defizit in der Konzeption des Unternehmers bestimmte eigentümlich die volkswirtschaftliche Reflexion über die Wirtschaft. Die Gleichsetzung von Unternehmer und „Kapitalist" wird besonders verhängnisvoll bei Karl Marx, sie ist aber auch im Liberalismus aus den schon angeführten Gründen noch beträchtlich.

Das Bild hat sich inzwischen in vielem geändert. Der Unternehmer muss mit Scharfsinn und Weitblick seine Aufgabe schöpferischer und freilich auch risikoreicher bewältigen: er muss die richtigen „neuen Kombinationen" aus einer verwirrenden Vielfalt auswählen, er muss ihre Umsetzung im Unternehmen steuern. Die Mitarbeiter müssen zur Akzeptanz von Veränderungen motiviert werden. Dafür muss eine Atmosphäre des Vertrauens geschaffen werden. Information allein genügt nicht, so wichtig die Kommunikationsprozesse sind. Es braucht Überzeugung. Der Unternehmer braucht deshalb heute auch neben andere Motiven (Streben nach Gewinn, Wunsch nach Unabhängigkeit usw.) die Bereitschaft und den Willen, Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen.

IV. Der Unternehmer im Licht der Katholischen Soziallehre
Vom eben aufgezeigten Defizit in der Sicht des Unternehmers war längere Zeit auch die kirchliche Soziallehre bestimmt. Man kann sogar erst in jüngster Zeit einen durchgreifenden Fortschritt feststellen. Immerhin haben sich erste Wandlungen schon in der großen Sozialenzyklika „Quadragesimo anno" (1931) abgezeichnet. Es ist in dieser Hinsicht vielleicht nicht zufällig, dass Pius XI., der damit die Soziallehre Leos XIII. bekräftigte, Sohn des Geschäftsführers einer Seidenweberei war und also aus einer Unternehmerfamilie stammte. „Drei Stücke" - so fasst Oswald von Nell-Breuning zusammen - „machen das Unternehmen aus: ‚intellectus‘, die unternehmerische Initiative, ‚res‘, die sachlichen Produktionsmittel, ‚opera‘, die daran tätigen Menschen. An der Spitze steht die unternehmerische Initiative; nicht die Sachmittel machen das Unternehmen aus, auch nicht das Eigentum an den Sachmitteln noch auch schließlich dessen Eigentümer."

Auch wenn die spätere Soziallehre den Unternehmer nicht so stark herausgestellt hat, so darf und muss er dennoch als eine Schlüsselfigur der Wirtschaft betrachtet werden. Die Kirche anerkennt seine schöpferische Initiative, seinen persönlichen Wagemut im Rahmen einer nüchternen ökonomischen Rationalität und seine eigene Verantwortung in der Unternehmensführung, besonders im Blick auf Investitionen. Es ist auch von kirchlicher Warte her notwendig, über ein Bild des Unternehmers hinwegzukommen, das weitgehend einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung verhaftet ist und in dem das alte Klassenkampfmodell und die Unterstellung des Egoismus dominieren.

Schumpeter hatte auf die Trennung von Eigentümerfunktion und Unternehmeraufgabe hingewiesen. Dann ist es für den Unternehmerbegriff auch nicht entscheidend, ob der Unternehmer zugleich Eigentümer ist oder nicht. In diesem Sinne sind alle Manager (oder Führungskräfte) Unternehmer, wobei die Pyramide aller an Entscheidungen Beteiligten nach „unten" recht groß sein kann. Die Dominanz des Managers gegenüber dem Eigentümer ist teils kritisch beurteilt worden, da die Verantwortung geringer sei, wenn einer nicht das volle Risiko zu tragen habe (so z.B. W. Wittmann), teils aber auch positiv bewertet worden, denn der Nicht-Eigentümer setze seinen Ehrgeiz weniger in die Vermehrung des eigenen Besitzes, sondern noch mehr in den Erfolg des Unternehmens als solchen (O. von Nell-Breuning). Wenn die Manager sich nahtlos in die Verantwortung für das freie Unternehmen einfügen, möchte man lieber die letzte Meinung unterstützen. Freilich gibt es in jüngster Zeit hier auch neue Wandlungen.

In den folgenden Sozialenzykliken ist immer wieder auf diese Verantwortung des Unternehmers hingewiesen worden, aber es geschieht auf weite Strecken hin noch beiläufig. So heißt es in der Enzyklika „Mater et magistra" Papst Johannes XXIII. von 1961: „Von vornherein ist festzuhalten: im Bereich der Wirtschaft kommt der Vorrang der Privatinitiative der einzelnen zu, die entweder für sich allein oder in vielfältiger Verbundenheit mit anderen zur Verfolgung gemeinsamer Interessen tätig werden." Auch das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes" (1965) neue Schritte versucht: „Darum verdienen technischer Fortschritt, Aufgeschlossenheit für das Neue, die Bereitschaft neue Unternehmen ins Leben zu rufen und bestehende zu erweitern, die Entwicklung geeigneter Produktionsverfahren, das ernsthafte Bemühen aller irgendwie am Produktionsprozess Beteiligten, überhaupt alles, was zu diesem Fortschritt beiträgt, durchaus gefördert zu werden", wobei es nicht einfach um die vermehrte Produktionssteigerung oder Gewinnerzielung, sondern um den Dienst am ganzen Menschen geht. O. von Nell-Breuning hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch in der Enzyklika „Laborem Exercens" (1981) zweimal der Unternehmer genannt wird. Man wird jedoch zugleich festhalten müssen, dass diese Texte noch sehr stark auf die Arbeitgeberfunktion ausgerichtet sind und dass man so „dem Unternehmer als der Schlüsselfigur einer dynamisch-expansiven Wirtschaft nicht gerecht (wird) und ... sich damit selbst den Zugang zum unbefangenen Verständnis dieser Wirtschaftsweise (verschließt) oder ... ihn sich ganz unnötig schwer (macht)."

Angesichts dieses Befundes ist es nun erfreulich, dass die Sozialenzyklika „Sollicitudo rei socialis", die 20 Jahre nach der Enzyklika „Populorum progressio" erschien (30.12.1987), einen bedeutenden Schritt weitergeht und damit die von Pius XI. geprägte Formel „intellectus, res, opera" (unternehmerische Initiative, Kapital, Arbeit) gegenüber der unglückseligen Dichotomie „Kapital und Arbeit" weiter entwickelt. In dieser Enzyklika wird im Blick auf die Entwicklungsländer als eine der wichtigsten Ursachen der Rückständigkeit hervorgehoben, „dass in der heutigen Welt unter den anderen Rechten oft auch das Recht auf unternehmerische Initiative (ius ad propria incepta oeconomica) unterdrückt wird. Und doch handelt es sich um ein wichtiges Recht nicht nur für den einzelnen, sondern auch für das Gemeinwohl. Die Erfahrung lehrt uns, dass die Leugnung eines solchen Rechtes oder seine Einschränkung im Namen einer angeblichen ‚Gleichheit‘ aller in der Gesellschaft tatsächlich den Unternehmungsgeist, d.h. die Kreativität des Bürgers als eines aktiven Subjektes lähmt oder sogar zerstört. Als Folge entsteht auf diese Weise nicht so sehr eine echte Gleichheit als vielmehr eine ‚Nivellierung nach unten‘. Anstelle von schöpferischer Eigeninitiative kommt es zu Passivität, Abhängigkeit und Unterwerfung unter den bürokratischen Apparat, der als einziges ‚verfügendes‘ und ‚entscheidendes‘ wenn nicht sogar ‚besitzendes‘ Organ der gesamten Güter- und Produktionsmittel alle in eine Stellung fast völliger Abhängigkeit bringt, die der traditionellen Abhängigkeit des Arbeiterproletariats im Kapitalismus gleichkommt. Das ruft ein Gefühl von Frustration oder Resignation hervor und bringt die Menschen dazu, sich aus dem Leben der Nation zurückzuziehen, indem viele zur Auswanderung gedrängt werden und ebenso eine Form von ‚innerer Emigration‘ gefördert wird." Zum Abschluss der Enzyklika wird in Fortführung dieser Aussagen das Recht auf freie wirtschaftliche Initiative zusammen mit der Religionsfreiheit zu den „Grundrechten der Person" gezählt, wobei selbstverständlich auf die Sozialbindung des Privateigentums aufmerksam gemacht wird.

Damit sind frühere Defizite wenigstens im Prinzip ausgeglichen. Eine Reihe von Vertretern der Katholischen Soziallehre und der Gesellschaftslehre hatten immer schon auf diese schließlich in der Enzyklika „Sollicitudo rei socialis" aufgegriffenen Aspekte hingewiesen, wie z.B. J. Höffner, J. Messner, W. Weber. Es wird darauf ankommen, die skizzierten Dimensionen zu vertiefen, wobei gerade die Kreativität des unternehmerischen Handelns und seine Innovationskraft besondere Aufmerksamkeit verdienen sollten.

In der Sozialenzyklika von Benedikt XVI. „Caritas in veritate" (29. Juni 2009) gibt es nun eine Weiterentwicklung, vor allem im Sinne einer Erweiterung des Kontextes. Die schöpferische Stellung des Unternehmers wird zwar nicht vertieft, aber festgehalten (vgl. z.B. Art. 25, 40f., 48). Angesichts der wirtschaftlichen Veränderungen wird die heute weiterreichende „soziale Verantwortung des Unternehmens" (Art. 40) betont, die sich nicht nur auf die Interessen der Eigentümer beziehen darf, sondern z.B. Arbeitnehmer, Kunden, Zulieferer usw. betrifft. Investition haben auch eine moralische Bedeutung. Deshalb gewinnt die unternehmerische Tätigkeit eine größere mehrwertige, menschliche Bedeutung. Neue Unternehmensformen suchen diesem Wandel Rechnung zu tragen (vgl. Art. 46). Gerade eine menschliche Entwicklung fordert damit auch das Gemeinwohl (Art. 71). In einer international stark verflochtenen, globalisierten Wirtschaft wird diese transnationale moralische Verantwortung gefordert. Diese „menschenfreundliche Ethik" (Art. 45) muss auch das Marktgeschehen verändern. Die exklusive Kombination Markt-Staat kann den notwendigen Gemeinschaftssinn nicht bewahren.

V. Die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung im Blick auf neue Herausforderungen
Die Funktion und Selbstständigkeit des Unternehmers muss in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein gestärkt werden. Der Raum für die Kreativität des Unternehmers droht zu schwinden, bedingt durch das Gewicht von Marktmechanismen und die Verteilung von Führungsbefugnissen. Darüber hinaus ist trotz aller Bemühungen das Bild des Unternehmers noch immer zu einseitig von seiner Bedeutung als Arbeitgeber bzw. von der negativen Kategorie des „Kapitalisten" bestimmt, ja diese Vorstellung schiebt sich im Zuge des hohen Verlustes, den das Ansehen der Wirtschaftsleute in jüngster Zeit hinnehmen musste, wieder in den Vordergrund. Beispielsweise wird für Amerika behauptet, dass im Vergleich zum Glaubwürdigkeitsschwund, der alle Institutionen getroffen hat, das Image der Geschäftswelt am meisten gelitten hat. Dies spiegelt sich zum Teil im Bild des Unternehmers und Managers in der jüngeren Literatur und in der Unterhaltungsbranche, wo sich das Klischeebild des skrupellosen, herrschsüchtigen, neidischen, gierigen und moralisch fragwürdigen Unternehmers zur mittlerweile fast fraglos verfestigten Schablone entwickelt hat. Hinzu kommt die journalistische Vermarktung einiger skandalöser Seiten der Wirtschaftswelt, die in einer überproportionalen Weise gewertet und übersteigert werden, so dass solche Vorfälle als die Regel erscheinen mögen. Mit wirtschaftlichem Handeln wird oft ein Menschenbild verbunden, das von Kälte und Eigennutz, Gefühllosigkeit und Mechanik geprägt ist. Die Sympathien der Menschen scheinen aber eher jenem heroischen Gegentyp zu gelten, der um seiner Ideale willen nicht auf den Nutzen schaut und sich selbst opfert. Selbstverständlich trifft das Stereotyp des ökonomischen Menschen nicht in gleicher Weise auf Unternehmer und Manager zu. Er ist jedoch gut, wenn die Unternehmer die z.B. auch unter Teilen der Jugend grassierende Wirtschaftsfeindlichkeit ins Auge fassen und sich den Einwänden stellen, wie es in letzter Zeit öfter getan worden ist (vgl. z.B. die wiederholte Selbstdarstellung der Wirtschaft auf den Deutschen Evangelischen Kirchentagen ab 1987). Die Unternehmer müssen ihren Blick über den engeren Bereich von Betrieb und Markt hinaus weiten und die Technik-Kritik und Wirtschaftsfeindlichkeit des gesellschaftlichen Umfeldes überhaupt stärker wahrnehmen.

Die Bestimmung von Akzenten, die in einem verantwortlichen unternehmerischen Handeln heute gesetzt werden müssen, erfolgt nach dem bisher Gesagten zum einen auf der Voraussetzung, dass die Wirtschaft nicht nur von ökonomischen Gesetzen regiert wird, sondern durch den Menschen bestimmt wird. Das ist auch in Anschlag zu bringen gegenüber einem sehr mechanistisch und deterministisch denkenden Liberalismus, bei dem der Mensch mit seiner Freiheit genau betrachtet unter den zwingenden Marktgesetzen untergeht. Zum anderen sollte in vertiefter Weise nachgedacht werden über das Spektrum der Zielsetzungen und Verpflichtungen eines freien unternehmerischen Handelns, das sich den kritischen und vielfach nicht unberechtigten Anfragen der Öffentlichkeit stellt. Hierzu können aus dem Fundus der Katholischen Soziallehre und der Christlichen Gesellschaftslehre einige Anregungen und Orientierungshilfen beigetragen werden, die den Spielraum wie die Schranken in wirtschaftlichen Gestaltungsfragen zu berücksichtigen suchen:

1. Der Erwerbstrieb und der Eigennutz des Menschen sind mächtige und nicht zu unterschätzende Faktoren; sie müssen jedoch auf ihre Weise dem Gemeinwohl des Unternehmens und der Gesamtgesellschaft dienen. Trotz der außerordentlichen Steigerung der Produktivkräfte wurde die Verteilungsfrage, die große soziale Frage des 19.Jahrhunderts, nicht gelöst; auch wenn wir kein Elend im traditionellen Sinne mehr haben, so zeigt sich Armut in neuen Formen. Die Unternehmer sind bei der Wahrung des Gemeinwohls sowohl Partner wie Kontrahenten der Gewerkschaften. Auf die Unternehmer fällt jedoch immer wieder die konkrete Verantwortung zurück, denn sie sind die Adressaten der Forderungen, müssen Löhne und Gehälter zahlen und können - wenn auch in Grenzen - die Preise beeinflussen. Aber gerade hier darf man ihre Möglichkeiten auch nicht überschätzen. G. Briefs spricht im Blick auf die öffentliche Meinung von der Gewohnheit, „ständig steigende Erwartungen in Forderungen an den Arbeitgeber umzusetzen, aber dabei vergisst (man), dass er meistens nur der Mittelsmann zwischen Produktion und Verbrauch ist."

2. Jedes Unternehmen dient nicht bloß dem Kapital, dem Erwerb oder Gewinn, sondern ist von einem vielfältigen Interessenverbund bestimmt. Wenn es gut „am Markt liegt", dient es z.B. zugleich der Befriedigung der Verbraucherwünsche und allen am Unternehmen irgendwie Beteiligten. Ein Unternehmen darf nicht moralisch diskreditiert werden, weil es Gewinne macht, die im Übrigen weitgehend Maßstab für richtiges Handeln geworden sind. Allerdings ist die Verwendung der Rendite eine eminent ethische Frage. Dieses Thema wird intensiv von der heutigen Wirtschaftsethik und der kirchlichen Soziallehre erörtert.

3. Es ist gut, wenn die Grundprobleme des Wirtschaftens und der unternehmerischen Entscheidungen immer mehr zu Aufgaben einer menschenwürdigen und persongerechten Organisation als zu solchen des Kapitals werden. So ist eine ethisch motivierte Sozialpolitik, richtig eingesetzt, durchaus unternehmerisch positiv zu beurteilen. Die Katholische Soziallehre betont den Vorrang der Person vor der Technik und den Vorrang der Subjektwerdung und der Wahrnehmung von Verantwortung durch den Einzelnen gegenüber allen anonym auferlegten Prozessen. In diesem Sinne ist auch die Mitbestimmung die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf Betriebsebene. Aber gerade hier ist wiederum deutlich zwischen unternehmerischer Betriebsführung und Arbeitgeberfunktion zu unterscheiden, was die Konzilsaussagen von „Gaudium et spes" nicht ausreichend tun.

4. Was wir „Arbeit" nennen, ändert sich in seinen realen Erscheinungsformen. Sie ist nicht länger in den eng gefassten ökonomischen Kategorien des Arbeitsvertrages allein, der Entlohnung und Produktivität zu verstehen. Erwerbsarbeit ist nicht die einzige Form sinnvoller und von der Gesellschaft anzuerkennender Betätigung. Es sollte in Zukunft nicht mehr wie bisher die Arbeitslosigkeit finanziert werden, sondern endlich sollte neue, noch nicht marktfähige Arbeit, vor allem in Umwelt und Sozialwelt, erschlossen werden. Hier gibt es wohl noch schöpferischen Spielraum für Unternehmer.

5. Gerade heute wird man die Gemeinwohlverpflichtung des Unternehmers auch im Blick auf die Bewahrung der natürlichen Lebensbedingungen für die Gegenwart und für die Zukunft erblicken. Die Beziehung zwischen Ökonomie und Ökologie lässt sich nicht ohne mindestens implizite Werturteile genauer und wirkungsvoll beschreiben. Die ständige Aufgabe, zwischen diesen Bereichen und ihren jeweiligen Erfordernissen einen Ausgleich zu finden, ist ein entscheidender Zug im Bild des Unternehmers, der hier stets um eine glaubwürdige Vermittlung zwischen Eigenwohl und Gemeinwohl bemüht bleiben muss.

6. Technik ist keine Kategorie, die sich am Ende nur in der Steigerung der Produktivität und der Erzeugung neuer Güter hinreichend erfassen lässt. Ihre Schattenseiten, die gerade auch in Bezug auf das Menschenbild sichtbar werden, lassen sich auf die Dauer nicht einfach ausklammern.

7. Die in die Unabhängigkeit entlassenen ehemaligen Kolonialstaaten und andere wirtschaftlich weniger entwickelte Länder entfalten sich nicht geradlinig mit gewissen zeitlichen Abständen zu den Industrienationen. Bei der Sozialfunktion des Unternehmers muss stets auch die Verpflichtung zur Hilfe in unterentwickelten Ländern eingeschlossen sein. Eine hohe volkswirtschaftliche Produktivität steht dazu nicht im Gegensatz, denn nur so lässt sich ein befriedigendes Einkommen für breite Schichten ermöglichen. In diesem Horizont muss auch die Globalisierung betrachtet werden.

8. Mit den Gesetzen des Marktes hat man zwar große Erfolge erzielt, hat darüber manchmal aber die Grenzen dieser Erfolge vergessen. Heute wird immer deutlicher, dass die Entwicklung der Weltwirtschaft auch mit der Förderung der weltweiten Familie der Menschen zu tun hat und dass für die Entwicklung einer Weltgemeinschaft die Entfaltung und Pflege der seelischen Kräfte des Menschen von wesentlicher Bedeutung ist. Auch die psychischen, kulturellen und ethischen Kräfte sind ein Wirtschaftsfaktor. Marktregeln funktionieren auf die Dauer nur dann, wenn sie von einem moralischen Grundkonsens getragen werden.

Man könnte das Gesagte in vieler Hinsicht erweitern. Es gibt eine Reihe von ganz schlichten, aber auf die Dauer lebensnotwendigen Verhaltensweisen, die ein implizites Wertverhalten erfordern: Der Unternehmer hat Verantwortung gegenüber dem Verbraucher seiner Produkte. Eine unsinnige Bedürfnisweckung geht oft auch wirtschaftlich daneben. Ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis zu den Kunden ist wichtiger als ein kurzfristiger Erfolg. Mitarbeiter müssen ihren Fähigkeiten entsprechend richtig eingesetzt werden. Die Verantwortung für die Allgemeinheit schließt von selbst eine hohe Verantwortung für die Sicherung der Arbeitsplätze und für allgemeinen Wohlstand ein.

Viele der genannten Perspektiven sind gerade auch in den jüngsten Enzykliken angesprochen worden. Die Kirche sieht in der Wirtschaft nicht einen Bereich, der abseits von Geist und Kultur angesiedelt ist, sondern eine eminent schöpferische und verantwortungsvolle Gestaltungskraft unseres Lebens. Wirtschaft ist ein Kultursachbereich. Theologisch gesprochen gehört die „Entwicklung" aller menschlichen Fähigkeiten zur Berufung des Menschen.

 

VI. Ökonomie und Ethik
Es ist nicht zufällig, dass gerade auch die neuere Wirtschaftsethik zu ähnlichen Aussagen kommt, wenn sie z.B. die schöpferischen Leistungen des Unternehmers mit künstlerischen Fähigkeiten in Bezug setzt. In der Betriebswirtschaftslehre haben überhaupt Gedanken über eine Kultur und Philosophie des Unternehmens Hochkonjunktur. Die intensiven Diskussionen der letzten Jahre über Arbeit, Umwelt und Technik haben von innen her zu einer Wiederbelebung normativer und ethischer Fragen in den Wirtschaftswissenschaften selbst geführt. Die oben genannten Aspekte haben gezeigt, wie sehr ökonomische Rationalität unter heutigen Bedingungen ethische Gesichtspunkte einschließt. Diese Gesichtspunkte werden nicht nachträglich moralisierend von außen herangetragen, sondern sind der Sache selbst immanent und zugeordnet.

Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass der Unternehmer bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten und gesellschaftlichen Problemen den Nachweis der größeren Lösungskompetenz bringen und dadurch überzeugend belegen muss, dass der mit der marktwirtschaftlichen Freiheit den Unternehmern verliehene wirtschaftliche Handlungsspielraum in gesellschaftlicher Verantwortung genutzt wird. Wenn die Marktwirtschaft dabei nicht selbst auch ihre Grenze und Korrekturbedürftigkeit entdeckt, gerät sie immer in den Verdacht, ideologisch motiviert zu sein. Dann werden gerade die unterentwickelten Nationen auf eine Zentralverwaltungswirtschaft setzen, von der sie - gewiss irrtümlich - annehmen, dass man hier Moral und Effektivität gesellschaftlich besser miteinander versöhnen kann. Letztlich ist hier der Determinismus natürlich noch weit radikaler und grundsätzlicher als im Liberalismus. Jeder Determinismus ist eine Absage an die Ethik als eine selbstständige Dimension auch und gerade für die Wirtschaft. In diesem Licht müssen wir auch die Anfragen der Dritten Welt dem marktwirtschaftlichen System gegenüber sehen. Sie sind sicher einseitig, aber sie sind nicht unbegründet. Gerade der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe der USA von 1987 „Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle" bringt auch heute noch viele unerledigte Anregungen, nicht zuletzt auch für internationale Konzerne.

Damit sollte sichtbar werden, wie sehr ethische Fragestellungen und wirtschaftliche Probleme einander rufen und herausfordern. Dies wird gewiss nicht einfach eine neue Einheit von Ökonomie und Ethik bedeuten. Aber der Fortschritt besteht darin, dass ethische Fragestellungen von den Wirtschaftswissenschaftlern selbst auf die Tagesordnung gesetzt werden. Damit lässt sich auch anknüpfen an klassische Traditionen von Aristoteles bis in das 19.Jahrhundert hinein, die zwar immer an einer Differenz zwischen Ökonomie und Ethik festhielten, zugleich aber mannigfache Beziehungen zwischen beiden Bereichen knüpften.

Eine Wirtschaftspolitik, die nicht nur dem Gruppenwohl, ja nicht nur dem Gemeinwohl eines bestimmten Staates, sondern dem Allgemeinwohl der Menschheitsfamilie zugeordnet ist, verlangt ein Höchstmaß an ethischer Disziplin. Eine Moral, die ihrerseits die Sachkenntnis der Wirtschaftsgesetze überspringen zu können meint, ist nicht Ethos und Ethik, sondern ein realitätsferner Moralismus, der nicht verantwortungsvoll genannt werden kann. Eine Sachlichkeit, die ohne das Ethos auszukommen meint, ist wiederum eine Verkennung der Realität des Menschlichen. Wir brauchen also beides: ein Höchstmaß an wirtschaftlichem Sachverstand, aber auch ein Höchstmaß an Ethos. Nur durch ein neues Zueinander von Ethik und Wirtschaft kommen wir auch zu mehr Frieden, zu mehr Freiheit und zu einer größeren Einheit der Menschheitsfamilie. Vielleicht ist eine Ethik mit rein humaner Begründung damit beinahe oder bereits in der Tat überfordert. Sie bliebe so als Forderung, erfüllbar aber nur durch die religiöse Praxis, die auch so etwas wie Versöhnung und Neuanfang, Erkenntnis von Sünde und Anerkennung der Unvollkommenheit, Rücksicht auf sich selbst und Liebe zum Nächsten kennt.

VII. Der Christ und die Wirtschaft
Vieles vom Gesagten gilt auch für das Verhältnis des Christen zur Wirtschaft. Eine lange Tradition hat dazu geführt, dass die Christen vielfach ihre Überzeugungen als einen subjektiven Faktor ansehen, während die Wirtschaftler objektiven Gesetzen der Ökonomie zu folgen wähnen. Beide Bereiche erscheinen dann als indifferent gegeneinander und berührungsfrei.

Ein kurzer Blick in die Evangelien zeigt indes, dass Jesus von Nazareth in seiner Verkündigung weit weniger Berührungsängste mit dem Bereich der Wirtschaft der damaligen Zeit an der Tag legte, als es bei manchen Ausprägungen eines für die Gegebenheiten der Welt blinden Christentums der Fall ist. Jesus hebt gewisse Züge des Kaufmanns und vergleichbarer Berufe hervor, die für das Mensch- und Christsein vorbildlich seien. Es sind dies muss zugegeben werden besonders jene Gleichnisse, die uns immer etwas Schwierigkeiten bereiten. So wird z.B. der „betrügerische Verwalter", der die Schuldscheine heruntersetzt, gelobt, weil er sich in seiner Notsituation zwar skrupellos, aber entschlossen, klug und zielbewusst die Zukunft sichert. Der schelmenhafte Schurke wird wegen seiner stark entwickelten praktischen Intelligenz erwähnt, da er einen ausgeprägten Erfindungsgeist für „Erfolg" um jeden Preis hat. Er riskiert alles und setzt auf eine Karte, während andere nur am Konto „Sicherheit" hängen. Nur diese Eigenschaften werden zum Vergleich herangezogen. Die Christen sollten solche Reaktionsweisen von den klugen Weltkindern lernen freilich nicht, indem sie die erwähnten Betrugspraktiken selbst kopieren, sondern indem sie in ihrer eigenen Situation eine analoge Geistesgegenwart und Risikobereitschaft an den Tag legen. In einem Wort Jesu, das uns außerhalb der Bibel begegnet und in der Alten Kirche hoch im Kurs war, heißt es: „Werdet tüchtige Wechsler!" Damit ist nicht gemeint, wir sollten alle diesen heute für uns kaum mehr vertrauten Beruf ausüben, sondern wir könnten von den Wechslern, die im Nu die verschiedenen Münzen zu unterscheiden wissen, den scharfen Blick zur Entlarvung des Falschen lernen.

Jesus hat sein und seiner Jünger Verhalten immer wieder symbolisch im Blick auf verschiedene Berufe und ihre Motive plausibel gemacht; er zieht z.B. den Hirten, Arzt, Lehrer, Boten, Hausherrn, Diener, Fischer, Baumeister, Erntearbeiter, Richter und König zum Vergleich heran. Aber auch der Kaufmann, Wechsler und Verwalter, also damalige „Unternehmer" treten mit ganz bestimmten Fähigkeiten ihres Berufes positiv und beispielhaft in den Horizont von Jesu Botschaft. Warum sollte darum nicht auch die heutige Kirche etwas von der Kraft zur schöpferischen Initiative und von der praktischen Geistesgegenwart dieser Berufe lernen ohne sich dabei hurtig der „Welt" anzupassen, denn es geht zweifellos um jeweils ganz verschiedene Berufungen. Wenn man genauer in die Bibel hineinschaut, gibt es hier noch sehr viel mehr Anregungen.

VIII. Gemeinsame Aufgaben von Wirtschaft und Kirche
Im Hinblick auf die zu Beginn gestellte Frage nach dem Verhältnis zwischen Wirtschaft und Kirche möchte ich noch eine besonders wichtige gemeinsame Aufgabe nennen. Unternehmen und Kirche, aber auch Gewerkschaften leben bei uns in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Es gibt innere Zusammenhänge zwischen freier Gesellschaft, leistungsfähigem Unternehmertum, unabhängigen Tarifparteien und garantierter Glaubens- und Religionsfreiheit. Wir haben allen Grund, die uns jeweils offenstehenden gesellschaftlichen Freiheitsräume zu nützen und gegen mannigfache Bedrohungen zu schützen. Hier sitzen wir alle in einem Boot. Vielleicht haben wir diese gemeinsame Herausforderung noch nicht genügend aufgenommen.

Die Kirche mag nicht über jene blitzschnelle Anpassungsfähigkeit verfügen wie viele Unternehmen. Das Gesetz des Fortschrittes ist in der Kirche ein anderes. Sie kommt von weit her und hat viele Erfahrungen der Menschheitsgeschichte und des Glaubens in ihrem lebendigen Gedächtnis, die noch längst nicht abgegolten sind, auch wenn sie manchmal verstaubt aussehen mögen. Im Blick auf das Gespräch zwischen Kirche und Wirtschaft möchte ich am Ende thesenhaft folgendes nennen:

1. Wir verwirklichen technologisch-organisatorisch viel, ohne es bereits auf längerfristige Folgen überprüft zu haben. Es gibt aber kein menschliches Tun, das nicht ethisch verantwortet werden müsste. Hier sollte unser Wahrnehmungsvermögen geschärft werden. Wenn die Ethik der Technik immer hinterherlaufen muss, hat sie und mit ihr der Mensch selbst auf die Dauer das Nachsehen.

2. Die Wirtschaft lebt und wirkt inmitten der Kultur und der alltäglichen Lebenswelt. Ihre Veränderungen bewirken oft unbeabsichtigte Nebeneffekte, die bei genauerem Zusehen die Schatten- und gar Nachtseiten des Fortschritts offenbaren. Rücksicht allein auf Marktmechanismen und Wettbewerbsvorteile können partiell blind machen. Die Wirtschaft dient dem Humanum auch in der Sorge um bewahrenswerte Überlieferungen und grundlegende Spielregeln menschlichen Lebens. Pflege im Museum durch Mäzene kommt allemal zu spät. Wie soll ein neuer Begriff von Verantwortung in der Sorge um die Zukunft beschaffen sein? Hans Jonas hat uns hier wichtige Perspektiven für die Zukunft eröffnet.

3. „Die große Revolution der Denkungsart, welche die Neuzeit mit sich brachte, hat ... zwar die Fähigkeiten von Homo faber ungeheuer erweitert, hat ihn gelehrt, Apparate herzustellen und Instrumente zu erfinden, mit denen man das unendliche Kleine und das unendliche Große messen und handhaben kann, sie hat ihn aber zugleich der festen Maßstäbe beraubt, die ihrerseits, weil sie jenseits des Herstellungsprozesses selbst liegen, ihm einen echten, aus seiner Tätigkeit selbst stammenden Zugang zu etwas Absolutem und unbedingt Verlässlichem verschafften." Die Arbeit und die total auf sie bezogene Freizeit sind kein Letztes. Sonst verkommt der Mensch und ähnelt auf Dauer einem schlauen, aber angepassten Tier.

Dies ist nur der Anfang des Anfangs. Über diese und viele andere Dinge sollten Menschen aus der Kirche und aus der Wirtschaft miteinander reden , mehr als bisher. Am Schluss stehe ein Ausruf aus der Bibel, der in seiner Sprache der Geistesart der Wirtschaft nahe steht: „Kauft die Zeit, den günstigen Augenblick, den Kairos aus!"

(c) Karl Kardinal Lehmann

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Im Original sind eine Reihe von Fußnoten und Hinweisen enthalten, auch auch frühere Texte zum Thema.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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