Worum es geht

Vor der bioethischen Debatte des Bundestages

Datum:
Samstag, 26. Januar 2002

Vor der bioethischen Debatte des Bundestages

Gastkommentar in der Mainzer Allgemeinen Zeitung vom 26. Januar 2002

Seit Wochen werden in der Presse die Positionen zu Import, Herstellung und Forschung von embryonalen Stammzellen hin und her gewogen. Die Parteien legen den Abgeordneten vor der Bundestagsdebatte keinen Fraktionszwang auf, entlassen sie vielmehr in eine schwierige Gewissensentscheidung. Drei Grundrichtungen haben sich herauskristallisiert: grundsätzlich kein Import; Import und Forschung an „überzähligen" Embryonen unter strengen Auflagen; Ja zum Import und im Grunde auch zu einer vielleicht späteren Herstellung von Embryonen im eigenen Land. Noch geht es nicht um eine Gesetzgebung. Aber die abschließende Meinungsbildung am 30. Januar wird dadurch, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft am Tag darauf entsprechende Anträge bescheiden möchte, großes Gewicht haben für die künftige Praxis.

Die Kirchenleitungen raten dringend vom Import von embryonalen Stammzellen ab. Jede Herstellung von embryonalen Stammzellen setzt die Tötung von Embryonen voraus. Dies wird oft nicht gesagt, manchmal bewusst verschwiegen, es ist vielen jedenfalls nicht bewusst. Für alle Embryonen ist die Tötung zu bedenken: egal, ob sie im Ausland hervorgebracht wurden, ob sie „überzählig" sind oder ob sie noch so noblen Zielen des Helfens und Heilens dienen sollen.

Gewicht bekommt diese Tatsache, wenn man fragt, wie der Embryo im Blick auf das Menschsein bewertet wird. Die Human- und Naturwissenschaften liefern Anhaltspunkte hierfür, können aber nicht allein entscheiden. Humanwissenschaften, Philosophie und Theologie müssen zweifellos auch die Ergebnisse der empirischen Wissenschaften beachten. Vorbeimogeln kann sich an dieser Frage keiner. Die heute weithin anzutreffende Antwort ist die gut begründete Überzeugung, dass das menschliche Leben mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle, also der Befruchtung beginnt. Gewiss gibt es beschreibbare Phasen in der embryonalen Entwicklung; aber sie sind auch an gewichtigeren Einschnitten (z.B. der Nidation) nicht so geschaffen, dass sie einen grundsätzlich anderen menschlichen Status und eine veränderte Schutzwürdigkeit des Embryo rechtfertigen könnten.

Wer einer anderen Meinung zuneigt, muss mindestens einräumen, dass die Annahme des Menschseins von Anfang an viele gute Gründe für sich hat. Wenn es aber auch nur wahrscheinlich erscheint, dass der Embryo schon in der frühesten Phase in uneingeschränkter Weise ein Menschenwesen ist, dann dürfte es ethisch gefordert sein, ihn wegen der ihm dann zukommenden Menschenwürde zu schonen und zu schützen.

Natürlich ist die Hoffnung auf Hilfe bei schweren, unheilbaren Krankheiten verständlich. Aber keiner weiß, ob dies der Grundlagenforschung wirklich gelingt. Der Preis dieses Vorgehens wäre der Tod unzähliger Embryonen – die Schätzung von einer Million für eine Krankheitsart ist meines Wissens unwidersprochen geblieben. Die „überzähligen" Embryonen, die man hier gerne als ethischen Sonderfall heranzieht, würden niemals ausreichen.

Aus diesen und anderen Gründen sind die Kirchen gegen einen Import von embryonalen Stammzellen. Sie verlangen diesen Verzicht im Namen des Lebens. Vielleicht wäre ein Abwarten (Moratorium) sinnvoll. Dies bedeutet keinen Ausstieg aus der Forschung. Eine größere Konzentration auf Stammzellen Erwachsener könnte eine Alternative sein, zumal manche Forscher sie auch für potenter halten. Mit einem Verzicht ist also längst nicht alles verloren, wie man uns immer wieder vormachen möchte.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz