ZUVERSICHT

Grußwort für die Sender der ARD zum Neujahrsfest 2000

Datum:
Samstag, 1. Januar 2000

Grußwort für die Sender der ARD zum Neujahrsfest 2000

Wir haben nicht nur ein neues Jahr, sondern auch ein neues Jahrhundert, sogar den Eintritt in ein neues Jahrtausend begangen. Noch läßt uns die Jahreszahl "2000" erschauern. Wenn der Mensch in die unbekannte Zukunft schaut, erfaßt ihn immer Schrecken. Wir wissen nicht, was alles an Herausforderungen auf uns zukommt. Wir fragen, ob wir den Mut und die Kräfte haben, um sie zu bewältigen.

Gewiß, in unserer künftigen Welt wird es ein manchmal schwer durchdringliches Gemisch von Höhen und Tiefen geben: große Errungenschaften, die den menschlichen Erfindergeist in seiner Genialität bezeugen; Krankheiten, die wir heute noch sehr fürchten, können bezwungen werden; vieles wird rekordmäßig noch schneller, noch höher, noch tiefer gehen. Ob das immer gut ist für uns Menschen? Ob wir dabei menschlicher werden? Dürfen wir alles, was wir können, besonders hinsichtlich des Anfangs und des Endes des menschlichen Lebens? Probleme der Bioethik, wie wir mit dem menschlichen Leben umgehen, werden uns intensiv beschäftigen. Das vergangene Jahrhundert mahnt uns; viele Entdeckungen brachten Segen und Fluch. Sie erlaubten Raumflüge und Atombomben. Wird unsere Seele und unsere Moral unseren künftigen Entdeckungen rechtzeitig folgen können oder werden Menschen immer mehr zu einer Art von seelenlosen Robotern?

 

Ich möchte als Christ auf diese Herausforderungen an der Schwelle der Jahrtausendwende antworten. Wir sind nicht einfach Optimisten mit der Annahme, alles werde schon immer gut gehen. Wir wissen um die Verfehlungen, die nicht nur von außen, sondern auch aus den Abgründen des Menschen selbst kommen. Aber wir lassen uns immer wieder von unserem Gott, der schon so viele Tausende von Jahren Menschen auf ihren Wegen begleitet hat, zurufen: "Sagt den Verzagten: habt Mut, fürchtet euch nicht!" (Jes 35,4). Gott hat uns viele Kräfte, auch noch ungeahnte, geschenkt, die wir entwickeln können, um unsere Aufgaben zu meistern. Er hat uns freilich auch die Fähigkeit gegeben, uns zurückzuhalten und uns nicht immer um jeden Preis durchzusetzen, die Kraft zu verzichten und zu schonen. Wir brauchen eine solche doppelte Verantwortung im schöpferischen Entwerfen und Konstruieren und im Behüten unserer Erde und im Bewahren ihrer Lebensbedingungen.

 

Wir halten uns nicht bloß an dem Grundsatz der Hoffnung im allgemeinen, sondern folgen der begründeten Hoffnung, daß wir auch in dieser noch unbekannten Zukunft die Erde für alle menschlicher gestalten sowie Gewalt und Ungerechtigkeit wenigstens vermindern können. Mit einem Wort: Ich wünsche Ihnen allen mit Gottes Segen viel Zuversicht.

 

(c) Bischof Karl Lehman

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz