Zwischen den Mühlsteinen - Politik und Kirche

Kommentar in der Kirchenzeitung

Datum:
Sonntag, 21. April 2002

Kommentar in der Kirchenzeitung

Der Streit um das Einwanderungsgesetz ist in vieler Hinsicht lehrreich. Dies gilt nicht nur für den Umgang der Parteien miteinander, vor allem aber mit der Verfassung und den Verfassungsorganen, sondern auch mit der Öffentlichkeit. Schließlich ist es aber auch ein gutes Beispiel, worauf die Kirchen im Umgang mit den Parteien zu achten haben, ganz besonders in Wahlkampfzeiten.

Beide großen Kirchen haben von Anfang an in den Fachgesprächen und besonders auch in der Süssmuth-Kommission mitgewirkt. Als die Gesetzesentwürfe vorlagen, haben wir in ökumenischer Gemeinsamkeit Fortschritte in der Klärung des Ausländerrechtes anerkannt, aber auch auf unerfüllte Forderungen hingewiesen. Dies ist in umfangreichen Schriftsätzen und in verschiedenen Stellungnahmen und Gesprächen geschehen. Dabei waren wir in ganz hohem Maß von humanitären Aspekten geleitet, während die wirtschaftlichen und demographischen Gesichtspunkte sowie andere Perspektiven zwar gegenwärtig blieben, aber nicht unser Hauptthema sein konnten.

Es war in diesen Phasen schon nicht leicht, diesen eigenen Weg zu markieren, ihn einzuhalten und zu verteidigen. Man suchte von verschiedener Seite im Grunde nur Hilfstruppen für die eigenen Interessen und Positionen. Gelegentlich kam es auch geradezu zu Beleidigungen, wenn etwa erklärt wurde, die Kirchen würden das Gesetz überhaupt nicht kennen.

Wir haben in den verschiedenen Beratungsphasen anerkannt, wo nach unserer Überzeugung der Text verbessert wurde, aber auch wo er zum Teil schlechter ausfiel. Darum hatten die Kirchen sich stets dafür eingesetzt, dass sich die Parteien mit allen Kräften bemühen sollten, an einem Tisch zu bleiben, um doch noch zu einem für alle tragfähigen Kompromiss zu kommen. Dies schien uns wichtig: weil die Vorbereitung sich nun über viele Jahr hinzog; die Parteien waren sich in den Grundfragen sehr nahegekommen; es schien besser nach Möglichkeit das Gesetz vor den Wahlen zu verabschieden, um den Streit nicht auf dem Rücken der Ausländer auszutragen und endlich ein klareres Ausländerrecht zu schaffen, das uns schon lange fehlt.

Schließlich haben wir versucht – natürlich mit vielen anderen Stimmen in der Öffentlichkeit wie z.B. Arbeitgeber und Gewerkschaften sowie das Handwerk – dass man nach einem evtl. Scheitern im Bundesrat den Vermittlungsausschuss anruft, um dort – wie in vielen Beispielen – am Ende doch noch einen Kompromiss zu erzielen. Man durfte die Hoffnung nicht aufgeben, durch alle Wirren hindurch im Interesse der betroffenen Menschen (dies sind nicht nur die Ausländer!) doch noch zu einem Einvernehmen zu kommen.

Dies war jedoch letztlich, wie sich schließlich herausstellte, eine Täuschung. Es gelang nicht, die Regierung zu überzeugen, man sollte im Vermittlungsausschuss doch eine letzte Einigung versuchen. Die Devise „Vogel friss oder stirb" war nicht gerade geeignet weiterzukommen. Die Opposition wollte offenbar – zunächst mit einer ähnlichen Weigerung, den Vermittlungsausschuss anzurufen – nicht den Schwarzen Peter in der Hand behalten und wollte dem Vermittlungsausschuss eine praktisch unlösbare Aufgabe übertragen, nämlich das gesamte Gesetz ohne Einschränkung neu zur Verhandlung zu stellen.

Wie die Sache gescheitert ist, braucht nicht nochmals erzählt zu werden. Auf einmal spielten Sachgesichtspunkte eine ziemlich untergeordnete Rolle. Die Logik der Macht beherrschte die Debatte auf beiden Seiten. Selten konnte man dies so deutlich beobachten. Es hatte keinen Zweck mehr, in irgendeiner Weise intervenieren zu wollen. Man wäre zwischen die Mühlsteine der Parteipolitik geraten. Es ist gut, wenn die Kirchen sorgfältig überlegen, ob und bis zu welcher Grenze sie bei politischen Vorgängen mitwirken. In Wahlkampfzeiten wird dies noch dringender. Haben jedoch alle Akteure ausreichend bedacht, was für einen Eindruck diese Schlacht bei all denen hinterlassen hat, die ohnehin politikverdrossen sind? Auch hier ist Umkehr angesagt.

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, April 2002)

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz