„Alles wird gut?“

Predigt zur Osternacht 2021 / Mainzer Dom, 03.04.2021, 21.30 Uhr

Kirchenfenster Schweinheim (c) Udo Bentz
Kirchenfenster Schweinheim
Datum:
Sa. 3. Apr. 2021
Von:
Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz, Mainz

Schwestern und Brüder,

„Alles wird gut?“ – „Alles wird gut!“: Nina Ruges persönliches Markenzeichen am Ende des Boulevardmagazins „Leute heute“. In den vergangenen Wochen höre ich das Wort häufiger: „Alles wird gut!“ - Manchmal zynisch und sarkastisch aus Frust gesprochen, manchmal wie ein billiges Trostwort über die Verunsicherung der Menschen gegossen. Ich glaube nicht, dass in ein paar Monaten alles gut wird. Hoffentlich können wir sagen: Vieles wird gut! 

Heißt auch die Botschaft dieser Osternacht: „Alles wird gut?“ oder „Am Ende wird alles gut?“ So wie Oscar Wilde es einmal formuliert hat: „Am Ende wird alles gut werden. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“ So banal ist Ostern nicht. Ostererzählungen sind keine „happy-End Geschichten“. Wer von den Jüngerinnen und den Jüngern von der Auferstehung hört, gar dem Auferstandenen begegnet, der ist zunächst verstört und verwirrt – vor allem aber überfordert! Das Evangelium hat uns den letzten Satz, nämlich die Reaktion der Frauen, vorenthalten – da heißt es: „Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt.“ (Mk 16,8) 

Ostern taugt nicht, inmitten der Pandemie als Zweckoptimismus instrumentalisiert zu werden. Die Botschaft „Jesus ist auferstanden!“  - „Er lebt!“ „Freut euch, das Leben ist stärker als der Tod!“ hatte bei den Jüngern und heute bei vielen von uns innere Barrieren und Widerstände zu überwinden. Angst, Trauer, Abwehr, Verunsicherung, Zermürbung und eine latente Aggression – diese Psychodynamiken beherrschen alles bei den Jüngerinnen und Jüngern nach der Katastrophe von Golgotha. Und auch uns haben diese Psychodynamiken im Griff seit den vielen Monaten der Pandemie.

Jemand hat einmal formuliert: Hoffnung ist die leise Stimme, die „vielleicht“ flüstert, während die Welt „nein“ schreit. Für mich ist das ein stimmiger Zugang zur Botschaft vom leeren Grab in diesem Jahr: Das Evangelium beschreibt es nüchtern: Die Botschaft des Engels hat die Osterzeugen nicht überwältigt und nicht überzeugt, sondern erschreckt, ungläubig zurückgelassen, zweifelnd und fragend. Was das heißt, „Er ist auferstanden!“ – das liegt nicht offen zu tage. Es braucht Zeit. Der Auferstandene muss sich mehrfach zeigen. Die verschreckte Gruppe der Jüngerinnen und Jünger macht auch ganz unterschiedliche und sogar widersprüchliche Erfahrungen mit dem Auferstandenen. Das alles zeigt: Erst allmählich kann sich die Hoffnung ihren Weg bahnen. Nur langsam kommt da etwas in Bewegung – dann aber umso wirkungsvoller.

Ostern ist wirklich die Hoffnung schlechthin. Wie Paulus es sagt: Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch unser Glaube. (1 Kor 15,14). Der Glaube, dass Gott in Jesus den Tod besiegt und überwunden hat, dass die Liebe stärker ist als alle rohe Gewalt des Menschen, dass das Leiden nicht aus der Welt genommen aber im Tod gewandelt wird, dass Gott sinnlosem Leiden Sinn geben kann – diese Osterbotschaft ist der Dreh- und Angelpunkt und der Grund, warum wir glauben und hoffen und woher wir unsere Kraft bekommen, mit allen Zumutungen des Lebens umzugehen. Und wenn wir Christen als Zeugen der Auferstehung – wozu wir alle durch die Taufe berufen sind – diese Botschaft in dieser Osternacht wieder neu hören und an uns heranlassen – dann bahnt sich hoffentlich die Hoffnung einen Weg in unser Herz und wir können auch in den jetzigen Zumutungen, die uns das Leben schwermachen, ein „Vielleicht doch!“ flüstern, während die Welt „Nein“ schreit! Paulus ruft uns in der Lesung zu: „Ihr sollt euch als Menschen begreifen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Jesus Christus!“

In der Osternacht erneuern wir unser Taufversprechen. Durch die Taufe sind wir hineingenommen in die österliche Lebensgemeinschaft mit Christus. Die Jüngerinnen und Jünger brauchten einander, um der Botschaft der Auferstehung glauben zu können. Es braucht die Gemeinschaft der Glaubenden. Die Kirche ist gewissermaßen das Substrat, in dem diese Hoffnung der Auferstehung keimen, wachsen und stark werden kann. Deshalb ist die Taufe nicht Club- oder Vereinsmitgliedschaft, nicht Parteizugehörigkeit. Kirche als Organismus aller Getauften ist Lebens- Beziehungs- und Schicksalsgemeinschaft mit dem Auferstandenen von Anfang an. 

Jeder und jede der Jünger damals hatte eigene Erfahrungen mit dem Auferstandenen gemacht. Die einen brauchten länger um zu begreifen, andere waren sofort ergriffen.  Die Ostererfahrungen sind verschieden und sogar widersprüchlich. Alle, denen sich der Auferstandene zeigte, waren herausgefordert, sich in Bewegung zu setzen, aufzubrechen, alte Vorstellungen zu lassen und neu zu denken, sich treffen zu lassen, sich ansprechen zu lassen, den Sprung zu wagen, dem zu  trauen, was sich da ereignete. Unter den Osterzeugen gab es ein Ringen und regelrechte Auseinandersetzungen. Die Osterzeugen bestärkten sich aber auch gegenseitig, hörten einander zu, vertrauten schließlich einander, bis sie glauben konnten: Es ist doch derselbe Jesus, mit dem wir vor der Katastrophe beisammen waren. Es ist doch derselbe Jesus, der sich uns so verschieden zeigt. Es ist derselbe Geist, der uns zusammenhält. Dieses Ringen begleitet den Weg der Kirche von Anfang an durch alle Zeit. Das bleibt auch uns heute nicht erspart, wenn wir wirklich eine österliche Kirche sein wollen. Bleiben wir nicht wie die Wächter am leeren Grab hocken und schlafen ein verpassen damit das Eigentliche!

Hoffnung ist die leise Stimme, die „Vielleicht“ flüstert, während die Welt „Nein“ schreit. Wer aber so hofft, der hofft nicht allein für sich. Wenn ich für mich das österliche Leben erhoffe, dann geht das nur, wenn ich das, was mir verheißen ist, auch für die anderen erhoffe – man hofft nur gemeinsam und füreinander. Wenn wir in dieser Nacht unser Taufversprechen erneuern, dann versprechen wir auch, miteinander und vor allem auch füreinander Zeugen der Hoffnung sein zu wollen! Das posaunen wir nicht vor uns her. Damit brauchen wir uns nicht gegenseitig zu überfordern – es ist schon viel, wenn wir tun, was die ersten Zeugen der Auferstehung getan haben: einander erzählen, was uns Hoffnung macht, einander zuhören, was dem anderen zusetzt und worauf er und sie deshalb hoffen… miteinander ringen, einander vertrauen und einander darin bestärken, worauf wir hoffen, was wir erwarten, was uns trägt.

Wie die Frauen am Grab, wie die Jünger auf dem Weg nach Emmaus, wie die beim Fischen erfolglosen Jünger auf dem See Tiberias, wie der zweifelnde Thomas – einander erzählen, was uns Hoffnung macht. So knüpft sich ein Netz, so entstehen Keimzellen der Hoffnung inmitten all dessen, was uns derzeit so zusetzt… So entstehen Orte und kleine Gemeinschaften, an denen Menschen aufgrund ihres Glaubens ein „vielleicht doch“ flüstern, während die Welt „nein“ schreit. Nichts Anderes sind hoffentlich unsere Kirchorte, unsere kirchlichen Einrichtungen, unsere kirchlichen Beziehungsnetze: Orte und Beziehungen, an denen die Hoffnung bezeugt wird. 

Das ist eine Systemrelevanz, die es braucht, die aber von manchem derzeit unterschätzt wird: Alles wird gut? Ostern sagt uns – mit einem Wort von Vàclav Havel:

 „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht.“