Zum vierten diesjährigen Kirchenkonzert konnte Regionalkantorin Eva-Maria Anton eine größere Anzahl von interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern begrüßen, bevor sie den Barock-Cellisten Ludwig Frankmar aus Berlin als Solisten des Abends willkommen hieß. Dieser außergewöhnliche Künstler musizierte anschließend Kompositionen von Telemann, Ganassi und Bach, welche als besondere Kunstform eine Mehrstimmigkeit durch aufeinanderfolgende Tonreihen kultiviert hatten.
Zunächst klingt es wie ein Widerspruch, dass auf einem Melodieinstrument wie dem Violoncello mehrstimmige Musik möglich sein soll. Doch bereits im 16. Jahrhundert waren Kompositionstechniken der so genannten linearen Kontrapunktik entwickelt und im 17. und 18. Jahrhundert immer weiter vervollkommnet worden, wobei die Töne eines Akkords nicht gleichzeitig, sondern rasch nacheinander erklingen - das so genannte Arpeggieren hebt damit die Trennlinie zwischen Ein- und Mehrstimmigkeit auf. Dies demonstrierte Ludwig Frankmar eindrucksvoll in seinem Bad Nauheimer Programm:
An den Anfang hatte er vier der erst 2015 wiederentdeckten Fantasien von 1735 für Baßgambe des Hamburger Kirchenmusikdirektors Georg Philipp Telemann gestellt, der mit mehr als 6000 überlieferten Kompositionen aller Gattungen und Stilrichtungen der produktivste Komponist der Musikgeschichte war. In seiner Interpretation legte Frankmar diesen Werken eine dezent filigrane Tongestaltung zugrunde. Die in allen vier Fantasien verlangten Arpeggien meisterte er bravourös mit exquisiten Doppelgriffen, wobei sein zierlicher Barockbogen federleicht über die fünf Saiten seines Cellos tanzte. Auch die rasend schnellen Läufe und Verzierungen in der Fantasie Nr. 4 und die überraschende Pizzicato-Passage in der Fantasie Nr. 5 gelangen ihm hervorragend.
Archaische Zurückhaltung dominierte die drei frühbarocken Ricercare von 1542/43 des venezianischen Hofmusikers Silvestro Ganassi, welche Ludwig Frankmar als Nächstes musizierte. In diesen fugenartigen Kompositionen kam eine Besonderheit seines wertvollen Barockcellos wunderschön zum Tragen: Der Pariser Instrumentenbaumeister Louis Guersan hatte es 1756 mit einer zusätzlichen fünften Saite ausgestattet, und in Ganassis langen Kantilenen erzeugte der Cellist auf dieser Saite in der hohen Lage nahezu sphärisch schwebende Töne, die an den Klang einer Glasharfe erinnerten.
Welche überragende Qualität dieses Barockcello hat, wurde im Übrigen an dessen tragendem Klang deutlich, der während des ganzen Konzertes auch in den leisen Passagen mühelos den großen Kirchenraum füllte.
Ganz in seinem Element erwies sich Frankmar in der abschließenden Suite Nr. 5 des Großmeisters Johann Sebastian Bach, welche er auswendig vortrug: „Man muss sie auswendig spielen, denn sie ist zu schnell, um gleichzeitig noch die Noten lesen zu können“, antwortete er nach dem Konzert auf die Frage eines Konzertbesuchers.
Eine Suite ist ja eine Folge von Tanzsätzen, wie sie ursprünglich tatsächlich an den Höfen der Könige und Aristokraten getanzt worden waren; die Komponisten des Barockzeitalters entwickelten diese dann künstlerisch weiter und stilisierten sie zu Konzertstücken.
Den französischen Duktus der ausgewählten Bach-Suite zeichnete Frankmar in feingliedriger Manier nach und gestaltete die jeweils eigenen Charaktere der unterschiedlichen Tanzsätze in pointierter Rhythmik und Gestik:
Das die Suite eröffnende Präludium mit seinen virtuosen Tonsprüngen ließ er mit Größe und Anmut erklingen und gelangte über Allemande und Courante zum ausdrucksstarken Lamento der Sarabande.
Die tänzerischen Sätze Gavotte I und II mit ihren rasanten Läufen führten ihn in mitreißender Verve in die abschließende Gigue.
Verständlich, dass sich das Publikum danach mit begeistertem Applaus eine Zugabe erbat - mit zwei zauberhaften Ricercare aus dem Jahre 1553 von Diego Ortiz kam Ludwig Frankmar diesem Wunsch nach.