Schmuckband Kreuzgang

Charlotte †

Plötzlich und unerwartet

Charlottes Foto neben der Urne (c) Fabian Brehm 2024
Datum:
Di. 2. Jan. 2024
Von:
Text: Charlottes Schwester Anne-Marie; Fotos: Fabian Brehm; Redaktion: Henning Stahl
Tief betroffen hat unser Chor die Nachricht aufgenommen, dass unsere Mitsängerin Charlotte Lenz-Niollet kurz vor Weihnachten verstorben ist - nur zwei Tage zuvor hatte sie noch mit uns gemeinsam in der Sonderprobe für die Dvorak-Messe gesungen.

Charlotte  war seit Januar 1996 Mitglied in unserem Kirchenchor und in diesen fast 28 Jahren stets zur Stelle, wenn ihre sichere Alt-Stimme gebraucht wurde.

Wir behalten Charlotte im Herzen und bewahren ihr ein ehrendes Andenken.
Chorleiterin, Vorstand und Chormitglieder

Todesanzeige in der Wetterauer Zeitung (c) Familie Lenz

Abschiedsfeier mit großer Familie und vielen Trauergästen

Zur Ansingprobe für unseren Abschiedsgesang trafen wir uns am Dienstag, dem 02.01.2024, um 12:30 Uhr im Gemeindezentrum St. Bonifatius.
Die bewegende Trauerfeier mit unserem Diakon i. R. Dieter Mackrodt fand anschließend ab 13:20 Uhr in der Totenhalle auf dem Kernstadtfriedhof statt.
Zwanzig Sängerinnen und Sänger wirkten unter der Leitung von Eva-Maria Anton darin mit und brachten die folgende Lieder und Chorsätze zu Gehör:

  • GL 841 „Jesus, le Christ“ in französischer Sprache
  • Meine Zeit steht in deinen Händen
  • GL 483 „Halleluja", Verse 4+5
  • Irische Segenswünsche

Ergreifende Schilderung von Charlottes Lebensweg

Die folgenden Zeilen hat Charlottes Schwester Anne-Marie verfasst - hier die deutsche Übersetzung:

Am 30. Juni 1949 erblickst du in Paris das Licht der Welt, genauer gesagt in der Rue du Docteur Blanche. Im Zimmer rauchen alle, sogar MAMAN! Michel, Alain, Patrick (Jean-Marie ist bereits von uns gegangen), Marie France, Thierry und ich heißen dich Willkommen. Für alle Geschwister ist deine Ankunft ein großes Geschenk.

Die Kolonialverwaltung in Kamerun in Douala und später in Yaoundé zwingt unseren Vater, von zuhause weg zu sein. MAMAN mit den sieben Kindern bleibt in Frankreich. So spielt sich unser Leben zwischen Frankreich und Afrika ab: Wir, die Jüngeren, reisen mit MAMAN zu unserem Vater nach Kamerun. Die Älteren bleiben in Frankreich, wo sie entweder im Internat oder bei Onkeln und Tanten oder bei MAMI untergebracht sind. Die Trennungen sind schmerzhaft. Wir erinnern uns an die Tränen von MAMAN oder die der Brüder, die bleiben. Wir denken gerne zurück an unser Leben in Douala.

Dann Yaoundé mit seiner gemischten öffentlichen Schule, in der Afrikaner und Europäer gemeinsam die gleiche Schulbank teilen. Unsere unbeschwerte Kindheit wird geprägt von der Zeit mit Freunden, Tanzen und der Messe am Sonntagmorgen. Nach der Kirche der Weg zum Bäcker, das Frühstück, die Hausaufgaben, dann das Schwimmbad am späten Vormittag. Die Nachmittags-Gestaltung übernehmen unsere Eltern - nicht nur für uns, sondern auch für die Kinder, die weit entfernt von Yaoundé wohnen und leben. Abends gehen wir ins Kino. Sintflutartige Regenfälle verwandeln gelegentlich das Blechdach in eine laute Trommel und der Film wird zum Stummfilm.

Zu dieser Zeit teilen wir uns ein gemeinsames Zimmer. Während ich durch das Fenster steige, um mit Freunden in den benachbarten Gärten zu spielen, bleibst du artig im Zimmer und machst deinen Mittagsschlaf. Und dann ist da noch das Hauspersonal: Monsieur Louis zaubert köstliche kleine Gerichte, Bernard teilt unser Leben mit Wohlwollen und Geduld, Monsieur Laurent, der Chauffeur, fährt uns überall hin. Unsere Eltern lehren uns einen respektvollen Umgang mit der Welt, die uns umgibt.

1955, du bist 6 Jahre alt: Unruhen zwingen uns nach Frankreich zurück. Die Zeit der politischen Unabhängigkeit beginnt. Wir verlassen Kamerun und unsere Freunde und ziehen nach Montmoreau. Wieder einmal bleibt PAPA allein in Yaoundé zurück. In der Grundschule lernst du eine neue Welt kennen. Freundschaften mit Patrick, Christine, Martine und Dominique entstehen und werden uns unser gesamtes Leben begleiten.

Vier Jahre später erleben wir einen erneuten Einschnitt. Wir kehren 1959 nach Paris zurück und müssen neue Freunde finden. Wir treffen auf alte Bekannte aus Kamerun, denen es ähnlich geht. Glücklicherweise. Auch sie sind zurückgekehrt. Wieder bleibt PAPA vor Ort.

Es ist eine neue Welt, ein neuer Schulanfang in der 6. Klasse, und es stellt sich die schicksalhafte Frage nach der Wahl der ersten Fremdsprache . . . MAMAN, die mit den Engländern im inneren Konflikt steht, meldet dich im Lycée Moliere zum Deutschunterricht an. Dort lernst du Maillard und Lepoivre kennen. Ihr seid von nun an unzertrennlich. Der Alltag ist straff getaktet: Viermal täglich fahren wir mit dem kleinen Zug, dann das schnelle Mittagessen zu Hause - wir haben Glück, unsere Eltern haben uns nie gezwungen, in der Schulkantine zu essen. MAMAN kocht für alle 7 Kinder und es geht turbulent zu. Wenn PAPA in Frankreich zuhause ist, kehrt ein wenig Ordnung in das Chaos ein.

Dein schulischer Werdegang setzt sich fort. Du bist eine gute Schülerin. Mit 19 Jahren im Mai 1968 absolvierst du dein Abitur und schreibst dich für ein Jahr in der Universität in Nanterre ein. Hochmotiviert machst du ein Praktikum in den Niederlanden und es folgt eine Einschreibung an der Ecole Supérieure d'Interprétariat et de Traduction. Du erhältst dein Diplom als Ubersetzerin...

Dein Studium führt dich für ein Jahr nach Deutschland. Das Elternhaus zu verlassen fällt dir schwer, du hast starkes Heimweh. MAMAN ist gleichermaßen traurig, aber sie hält durch.
In Gießen lernst du einen jungen Mann kennen. Johannes lädt dich zu seinen Eltern ein. Hagü, Amu, Sabine, Constanze und Christopher nehmen dich herzlich im Kreis der Familie auf.

Michel und ich ziehen 1972/73 nach Griechenland. Dort verbringen wir mit dir und Johannes unvergessliche Momente. Mit 26 Jahren, 1975, heiratet ihr in Montmoreau und zieht nach Berlin. Die Reise von Frankreich durch die ehemalige DDR nach West-Berlin bleibt mir eine spannende Erinnerung.

Mit verschiedenen Diplomen in der Tasche zieht ihr nach Bochum. Johannes organisiert das internationale Puppentheaterfestival. Pierre kommt 1978 zur Welt und verändert dein Leben. Endlich kannst du dich vom eigenen Elternhaus lösen.

Es dauert eine Weile, bis Anna 1983 in Rheda-Wiedenbrück das Licht der Welt erblickt. Johannes macht eine Umschulung und engagiert sich in der Gemeindeverwaltung, was euch letztendlich nach Bad Nauheim bringt. Johannes wird Kulturamtsleiter, und du kümmerst dich von nun an ausschließlich um deine immer größer werdende Familie. 1985 wird Rémi geboren, dicht gefolgt von Luc im Jahr 1987. Du bist jetzt 38 Jahre alt und fährst - wann immer es dir möglich ist - nach Frankreich - entweder nach Montmoreau oder Paris. Unsere Kinder verbringen viel Zeit miteinander. Das wird sich nie ändern.

Pierre, Anna, Rémi und Luc werden selbstständiger, und du beginnst als Stadtführerin in Bad Nauheim zu arbeiten. Du gibst Nachhilfeunterricht, engagierst dich im Internationalen Club, bist Mitglied der Association des Francais a l'étranger.
Jahrelang hilfst du bei der Kinderbetreuung in der Stadtschule an der Wilhelmskirche. Darüber hinaus bewunderst du Johannes sehr und unterstützt ihn mit großem Interesse: Sinfonie-Orchester, Kunstausstellungen, philosophische Reihe, Konzerte, ... - immer bist du dabei.

Einen Tag vor Heiligabend spaziere ich mit den Hunden am Strand und erhalte einen Anruf von Johannes und Pierre. Das Leben scheint stillzustehen, und ich kann die unendlich traurige Nachricht nicht fassen. Du bist 74 Jahre alt und verlässt uns am 23. Dezember 2023. An diesem Tag hatte auch MAMAN Geburtstag.

Foto von der Trauerfeier für Charlotte (c) Fabian Brehm 2024