Schmuckband Kreuzgang

Wort zur Woche

Stärke zeigen

Wort zur Woche (c) D. Thiel
Wort zur Woche
Datum:
Do. 19. Nov. 2020
Von:
Dietmar Thiel

In jeder StadtPost Neu-Isenburg gibt es ein „Wort der Woche". Pfarrerinnen, Pfarrer und Vertreter der Kirchengemeinden aus Neu-Isenburg teilen ihre Gedanken zur Jahreszeit, zu Entwicklungen in unserer Gesellschaft oder zu Dingen, die sie aus christlicher Sicht bewerten, mit.

In der Ausgabe: Jahrgang 36, Ausgabe Nr. 47, Donnerstag, 19. November 2020, veröffentlichte die StadtPost folgenden Artikel:

Stärke zeigen

Woran denken Sie, wenn Sie diese Überschrift lesen – Stärke zeigen?

An einen trainierten Sportler, der enorme Gewichte heben kann? An Menschen, die sich selbstlos für andere einsetzen? An Menschen, die schwierige Situationen meistern? Oder vielleicht an eine ganz bestimmte Person?

Am Sonntag hatte ich zusammen mit anderen eine Videokonferenz mit einer Frau, die für mich besonders stark ist: Henriette Kretz. Sie ist 86 Jahre alt, wohnt mittlerweile in Antwerpen und war Lehrerin für Französisch und Kunst. Henriette ist Jüdin und hat den Holocaust überlebt. Sie ist eine der letzten Zeitzeugen.

Im Rahmen der Zeitzeugenprojekte des Bistums Mainz, in Kooperation mit dem Maximilian-Kolbe-Werk, habe ich Henriette kennengelernt und sie mit anderen Ehrenamtlichen begleitet. Sie erzählt Menschen, vor allem Schulklassen, ihre persönliche Geschichte und kommt dafür mehrmals im Jahr nach Deutschland.

Ihre Geschichte ist geprägt von einer unbeschwerten Kindheit und deren abruptem Abbruch durch den Krieg und die unsagbaren Schrecken des Nationalsozialismus. Angst, Hunger, Flucht waren ständige Begleiter der Familie. Mehrmals konnte Henriettes Vater die Familie retten, bis zu dem Tag, an dem Henriettes Eltern vor ihren Augen erschossen wurden. Sie selbst konnte fliehen, fand Zuflucht in einem Kloster und überlebte. Ihre Erfahrungen berühren tief und es kommt die Frage auf: „Wie schafft man es, so etwas zu verarbeiten und weiterzuleben?“

Henriette erzählt ihre Geschichte, um vor allem die Jugend zu erreichen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein derartiges Verbrechen nie wieder passieren darf. Es ist ihr auch wichtig, dass die Menschen, die Opfer geworden sind, nicht umsonst ihr Leben gelassen haben.

Diese Stärke beeindruckt und bewegt. Vielleicht kann sie uns für unser eigenes Leben einige Impulse geben: Einstehen für Dinge und Personen, die einem am Herzen liegen, Durchhaltevermögen, Gerechtigkeitssinn, Lebenswillen, Mut und nicht zuletzt: Niemals aufzugeben.

Stefanie Bitz-Künster, Pastoralassistentin St. Josef