Was, liebe Schwestern und Brüder, antwortet man am besten auf die Frage „Wie geht es dir“? Selbst, wenn diese Frage nicht als Floskel gemeint ist, sondern jemand sich ernsthaft nach meinem Befinden erkundigt, weiß ich oft nicht, wie ich antworten soll. Einerseits will ich mein Gegenüber vielleicht nicht mit meinen Sorgen und Befindlichkeiten belasten; nicht immer habe ich auch das Gefühl, dass diese jemand anderes etwas angehen. Andererseits geht es mir selten einfach gut oder schlecht. Meist gibt es doch gleichzeitig Dinge, die mich freuen, und Dinge, die mich belasten. Vielleicht eine Binsenweisheit, aber eine, die einen Sachverhalt beschreibt, der mein Leben sehr prägt.
„Ein gutes Neues Jahr!“, werden wir uns wieder wünschen. Meint das, dass es uns immer gut gehen soll? Wäre das nicht vermessen und am Ende auch gar nicht so wünschenswert?
Die eine oder der andere werden vielleicht auch noch „Ein gesegnetes Jahr!“ wünschen. Mal abgesehen davon, dass das für viele etwas altmodisch klingen mag: Die Frage, was wir einander da eigentlich wünschen, wird wohl kaum leichter durch diese Variante. Das Gute, das Glück, der Segen – Konzepte, Ideen, Begriffe für das Gelingen menschlichen Lebens, die durchaus mit sehr unterschiedlichem Inhalt befüllt werden können.
am 18. Dezember hat das Dikasterium für die Glaubenslehre die „Erklärung Fiducia supplicans über die pastorale Sinngebung von Segnungen“ veröffentlicht1. Im Hinblick auf die Debatten rund um die Frage nach Segnungen von wiederverheiratet Geschiedenen und gleichgeschlechtlichen Paaren denkt dieser Text über die theologische Bedeutung von Segen nach. Der sogenannte Aaronitische Segen, den wir gerade als Lesung aus dem Buch Numeri gehört haben2, dient der Erklärung als Ausgangspunkt ihres theologischen Nachdenkens3.
Im biblischen Sprachgebrauch ist mit dem Segen sowohl der Lobpreis der Gottheit durch den Menschen als auch die besondere Begünstigung eines Menschen durch Gott gemeint4. Es gibt also einen aufsteigenden und einen absteigenden Sinn des Segens. Segen ist dann keine Einbahnstraße. Es geht um Beziehung – um die Beziehung zwischen dem Geschöpf und seinem Schöpfer. Sowie die schöpfende Macht Gottes dem Menschen Segen mitteilt, so beantwortet der Mensch dieses göttliche Tun mit seinem Lobpreis.
Dabei kann der Segen Gottes aus sehr konkreten Gaben an den Menschen bestehen, wie etwa langes Leben oder sogar Reichtum. So heißt es etwa im Kapitel 28 des Buches Deuteronomium:
„Alle diese Segnungen werden über dich kommen und dich erreichen, wenn du auf die Stimme des HERRN, deines Gottes, hörst: Gesegnet bist du in der Stadt, gesegnet bist du auf dem Land. Gesegnet ist die Frucht deines Leibes, die Frucht deines Ackers und die Frucht deines Viehs, der Wurf deiner Rinder und der Zuwachs an Lämmern und Zicklein. Gesegnet ist dein Korb und dein Backtrog.“5
Der Mensch hört auf Gottes Stimme und Gott belohnt ihn dafür. Der Gedanke, dass der Segen Gottes ein Lohn für gute Taten sei und aus innerweltlichem Wohl bestehen könnte, wird mit der Zeit fraglich. Denn ganz offenbar gibt es Menschen, die Gutes tun, denen es aber nicht gut ergeht. Genauso wie der sogenannte Tun-Ergehen-Zusammenhang aufgebrochen wird, wird auch der Inhalt des Segens weiter gefasst.
Im Aaronitischen Segen werden noch der Schutz („Behüte dich“) und der Frieden als innerweltliche Werte genannt. Wenn es dann heißt: „Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig.“6, wird deutlich, dass es im Segnen in erster Linie nicht um fassbare Güter, sondern um die Gegenwart Gottes geht; bildlich ausgedrückt im Leuchten des Angesichts. Diese Gegenwart selbst ist das Geschenk, das der Schöpfer seinen Geschöpfen macht.
Ob wir das meinen, liebe Schwestern und Brüder, wenn wir einander ein „gesegnetes Neues Jahr“ wünschen? Dass wir Gottes Gegenwart in den Höhen und Tiefen des Jahres spüren können?
Die Geschichte meines Lebens bekommt mit dem Jahr 2024 ein neues Kapitel. So sehr ich plane und vorausschauend handele, so sehr bleibt es doch eine Überraschung. Das gilt auch für die Frage, wie es mir damit geht. Immerhin könnte es doch sein, dass Situationen, die ich heute fürchte, am Ende gute Erfahrungen mit sich bringen. Wobei natürlich auch das Umgekehrte gilt.
Als glaubender Mensch verstehe ich diese Unverfügbarkeit meines eigenen Lebens als Teil meines Geschaffen-Seins. Ich empfange jeden Tag aus der Hand Gottes. Nur wenn ich darin auch seine Gegenwart spüren darf, kann ich die Herausforderungen, die in diesen Geschenken der göttlichen Vorsehung stecken, meistern. Umgekehrt hängt das Gelingen meines Lebens aber gerade nicht daran, ob ich erfolgreich bin oder nicht. Gottes Gegenwart mag mich motivieren, ermutigen und stärken – am Ende ist sie selbst das Ziel meines Lebens.
Wenn wir über das Segnen nachdenken, dann steckt die große Aufgabe vielleicht weniger in der Frage, wer, wann und wie gesegnet wird – ohne dass diese Frage gänzlich nebensächlich wäre. Segen zu erbitten und Segen zu spenden, bedeutet immer, die eigene Abhängigkeit von Gott anzuerkennen. Die Erklärung Fiducia supplicans sagt: „Wer um den Segen bittet, zeigt, dass er der heilbringenden Gegenwart Gottes in seiner Geschichte bedarf, und wer die Kirche um den Segen bittet, erkennt die Kirche als ein Sakrament jenes Heils, das Gott darbietet. Das Verlangen nach einem Segen seitens der Kirche bedeutet anzuerkennen, dass das kirchliche Leben dem Schoß der Barmherzigkeit Gottes entspringt und uns hilft, vorwärts zu gehen, besser zu leben, und um dem Willen des Herrn zu entsprechen.“7
Ich weiß noch nicht, wie es mir 2024 gehen wird. Wenn wir gleich in der Anbetung das alte Jahr vor Jesus Christus in der Gestalt des eucharistischen Brotes bringen und dann in festlicher Weise um seinen Segen bitten, dann glaube ich, dass mein Leben von der Gegenwart Gottes abhängt, und hoffe, dass sie durch alle Höhen und Tiefen hindurch mir Stärkung und Orientierung geben wird.
Dikasterium für die Glaubenslehre, Fiducia supplicans. Erklärung über die pastorale Sinngebung von Segnungen, 18.12.2023 – https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_ddf_doc_20231218_fiducia-supplicans_ge.html # (27.12.2023)
Vgl. Num 6,22-27.
Vgl. ebd., Nr. 15.
Vgl. ebd.
Dtn 28,2-5.
Num 6,25.
Fiducia supplicans, Nr. 20.