Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer,
in knapp drei Wochen geht es hier für die Kirche in Deutschland wieder auf den Synodalen Weg. Das ist der große Reformprozess, den das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und die Deutsche Bischofskonferenz nach den Enthüllungen von Missbrauch und Vertuschung in Gang gebracht haben.
Für mich ist das die letzte Chance für die katholische Volkskirche in Deutschland, und deshalb bin ich mit Leib und Seele dabei. Corona hat uns bald nach dem Start im Januar 2020 große Steine in den Synodalen Weg gelegt, und wir kamen nur schwer voran. Jetzt geht es wieder, und wir können eine Vollversammlung abhalten, allerdings in den Frankfurter Messehallen.
D. h. wir haben den Dom nicht mehr als Sammelpunkt für die Synodalen. Aber hier wird Tag und Nacht eine Kerze brennen. Ich bitte die Domgemeinde und alle, die mich jetzt hören, um ihr begleitendes Gebet.
Wofür wir beten sollen - das Evangelium von heute stößt uns mit der Nase darauf. Der Synodale Weg führt nur weiter, wenn es der Weg Jesu ist: den er gebahnt hat, auf dem er vorangegangen ist, den er mit uns geht bis zum Ende der Welt. Die Wege, von denen Jesus sich fern hielt; von denen er sagte, dass sie ins Verderben führen, auf denen können wir ihm nicht begegnen und ihm nicht folgen.
Es sind Irrwege - und wenn es Prachtstraßen wären, auf denen alle Welt unterwegs ist oder solche, auf denen wir selber schon lange Zeit gehen.
Das Volk Gottes wird vom heiligen Geist geleitet. Das heißt aber nicht, dass wir immer unfehlbar richtig liegen; dass wir uns nicht manchmal verrennen; dass wir nicht in Sackgassen landen, aus denen uns nur Bekehrung befreien kann.
Das ist wirklich eine Herausforderung. In der Sackgasse gibt es nämlich keine unauffällige Kurskorrektur. Da ist die 180-Grad-Kehre gefragt, und die ist bei der katholischen Kirche in Deutschland unweigerlich ein öffentliches Ereignis, von der Weltkirche gar nicht zu reden.
Da kommen Fragen auf, Kritik wird laut, Häme vielleicht auch, und Leute werden sagen:
„Also, wenn das nicht gestimmt hat und korrigiert werden muss - stimmt dann vielleicht alles andere auch nicht?“
Es kann einem angst und bange werden, dass diese kritischen Fragen immer weiter gehen und am Ende vom Glauben nichts mehr übrig bleibt. Aber lähmen darf uns diese Angst nicht. Leben ist Bewegung. Wir müssen in die Umkehr hinein, davon bin ich fest überzeugt.
Auch wenn unsere Fehler und Sünden schon sehr alt sind. Tradition ist wichtig, aber sie ist kein Selbstzweck. Unsere Einrichtungen müssen allesamt Christum treiben, so hat es Martin Luther ausgedrückt. Unser Handeln muss den Seelen helfen, das war für Ignatius von Loyola das Kriterium.
Das sind für mich die Wegmarken auf dem Synodalen Weg. Was immer die Synodalen sonst voneinander unterscheidet und trennt, darauf, glaube ich, können wir uns verständigen.
Der Synodale Weg verläuft über vier Themen-Felder. Ich nenne ein Beispiel aus jedem Feld:
Erstes Feld: Macht
Manch einer zuckt immer noch zusammen, wenn in der Kirche von „Macht“ die Rede ist. Dass wir darüber endlich offen sprechen können, ist ein großer Schritt nach vorn. Bei uns geht die Macht bekanntlich nicht vom Volke aus. Wir haben eine hierarchische Organisation mit dem Papst und den Bischöfen an der Spitze. An allen Schaltstellen sitzen Kleriker.
Das hat eine lange Tradition und auch eine Basis in der Heiligen Schrift. Einfach umstoßen kann man das nicht. Aber vielleicht kriegen wir es hin, der heillosen Überforderung, die mit unumschränkter Macht einhergeht, durch Gewaltenteilung abzuhelfen. Jesus hätten wir da für uns.
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Er wollte in seiner Kirche keine Herrschaft von Menschen über Menschen. Ein guter Anfang wäre es, das Kirchenvolk an der Besetzung von Leitungsämtern zu beteiligen. Die Gläubigen kriegen das schon hin. Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.
Zweites Feld: Priesterliche Lebensformen
Die generelle Verpflichtung der Priester zum Zölibat hängt an vielen Haken - nicht zuletzt an Vorstellungen von kultischer Reinheit, die im Evangelium keine Stütze haben. Auch aus anderen Gründen ist der Zölibat heute stark in der Kritik. Deshalb fordern viele, ihn einfach abzuschaffen. Aber ich glaube, dann würde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches Willen war die Lebensweise Jesu.
Viele Menschen leben ohne eigene Familie, aus freien Stücken oder weil es halt so gekommen ist. Ihre Lebensweise zu würdigen und im Inneren der Kirche abzubilden, das ist ein Akt der Solidarität. Ich hoffe, dass es immer Menschen geben wird, die das Wagnis des Zölibates auf sich nehmen, auch Priester. Wenn jemand diesem Ruf in Freiheit folgt und das hinter Jesus her menschenfreundlich zur Reife bringt, ist das ein Segen.
Drittes Feld: Frauen
Nachfolge Christi heute ist mehr als nur die Nachahmung dessen, was Jesus vorgemacht hat. Mit dem heiligen Geist kommt dermaßen Schwung in die Sache, dass wir sogar über Jesus hinauskommen, mit seiner vollen Billigung. Er hat gesagt:
„Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere als diese vollbringen, denn ich gehe zum Vater.“
(Joh 14,12)
Von dort, vom Vater, kommt die Geistkraft. Mit ihr sind Sprünge über Mauern möglich.
Sie hebt Einschränkungen auf, die Jesu Wirken in Raum und Zeit begrenzt haben. Das gilt nicht nur geographisch. Das gilt in allen Lebensbereichen, auch in der Beziehung der Geschlechter.
Die Pastoralreferentin am Dom, Andrea Kortus, hat mir von Frauen erzählt, die die Beichte nicht bei einem Mann ablegen würden, wohl aber bei einer Frau. Für mich ist das ein Grund, Frauen, die dazu berufen sind, die Weiheämter zugänglich zu machen.
Viertes Feld: Sexualität
Die Amtskirche hat bekanntlich ein Problem mit Homosexualität. Die Veranlagung nennt sie objektiv ungeordnet und die Praxis in sich schlecht. Das widerspricht dem moralischen Empfinden vieler Menschen und lässt Erkenntnisse der Humanwissenschaften unberücksichtigt. Die haben sich aber längst im Bewusstsein unserer Gesellschaft niedergeschlagen und prägen mittlerweile auch die Gesetzgebung.
Klar - das ist für eine Offenbarungsreligion noch kein Wahrheitskriterium. Aber es ist ein Zeichen der Zeit. Die Wahrheit muss in der Liebe wirksam sein. Liebe ist die Bejahung des anderen, die tiefer ansetzt und weiter geht als die Kritik an ihm. Nur wenn uns queere Menschen das abnehmen, ist unser Glaube für sie glaubwürdig.
Also, alles nicht so einfach mit dem Synodalen Weg. Es ist nicht ausgeschlossen, dass uns unterwegs die Puste ausgeht. Oder dass auf einmal neue Hindernisse auftauchen. Es gibt hier keine Garantie des Gelingens und keine Versicherung gegen das Scheitern.
So verstehe ich die Aufforderung im Evangelium, sich selbst zu verleugnen. Sie gilt der ganzen Kirche, nicht nur einzelnen Christenmenschen. Wenn wir mit aller Macht an unseren Errungenschaften festhalten und unsere Bestände sichern wollen, dann haben wir die Hände nicht frei, um Christum zu treiben, und wir haben das Herz nicht offen, um den Seelen zu helfen.
„Wer sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.“
(Mk 8, 35)
Amen.