Predigt zum Karmelfest in Hirschhorn

Die Spiritualität der Karmeliten: Elija und Maria - zwei geistliche Brennpunkte einer Ellipse

Kloster Karmel in Hirschhorn (c) Stephanie Rieth
Datum:
So. 20. Juli 2025
Von:
Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars

Liebe Brüder des Karmeliterordens, liebe Schwestern und Brüder der Pfarrei Maria Immaculata in Hirschhorn und des Pastoralraums Neckartal, sehr gerne komme ich heute hierher zu Ihnen an diesen wunderschönen Ort am südlichsten Zipfel unseres Bistums, um gemeinsam mit Ihnen das Karmelfest zu feiern. Ich habe mich sehr über die Einladung der Patres gefreut, zusammen mit Pater Joshy zu kommen und die Festpredigt zu diesem besonderen Fest ihres Ordens zu halten.

Stephanie Rieth (c) Bistum Mainz

Ein Fest, das aber schon lange nicht mehr nur ein Ordensfest ist, sondern zu Ihrer aller Fest geworden ist, zum Fest der Pfarrgemeinde, der Menschen hier im Pastoralraum - oder auch kurz Spundekäsfest genannt, wie ich mir habe sagen lassen.
Und wenn ich heute hierher komme und zu diesem Fest predige, dann tue ich das vor allem als Lernende und von der Spiritualität der Karmeliten Faszinierte und als eine, die Ihnen gerne begegnen will, hier in Hirschhorn.

 

Was habe ich verstanden von der Spiritualität der Karmeliten? Mir kommt es so vor, dass sie wie die zwei Brennpunkte einer Ellipse bestimmt ist durch zwei große Figuren unseres Glaubens: durch den alttestamentlichen Propheten Elija und Maria, die Mutter Jesu. Ich möchte Sie heute einladen, mit mir auf diese beiden geistlichen Brennpunkte zu schauen.

Im vergangenen Herbst habe ich mit meinen Töchtern die Familie meines Mannes in Südspanien besucht. Wir kamen samstags spätabends an und meine Schwägerin fragte uns: „Wir gehen morgen auf eine Wallfahrt, geht ihr mit? Es sind auch nur 8 Kilometer.“ Wir hatten schneller „Ja!“ gesagt, als nachgedacht. Und so waren wir am Tag darauf, noch etwas müde von der Reise unterwegs zum Heiligtum der Virgen de la Cabeza de Monteagud - einem Ort der Marienverehrung mit einer Tradition, die bis ins 13. Jahrhundert reicht. Was uns meine Schwägerin nicht verraten hatte: Es waren zwar nur 8 km aber gut 400 Höhenmeter. Und im Oktober ist es dort tagsüber immer noch ganz ordentlich warm. Das war - anstrengend - und ja, ich gebe es zu, während meine Töchter den ganzen Weg gepackt haben, habe ich mich den letzten Kilometer von meinem Schwager mit dem Auto mitnehmen lassen.
Aber dann war auch ich oben und konnte nur noch staunen. Staunen über den grandiosen Ausblick, die Weite und die Stille - fernab vom Trubel der Dörfer und kleinen Städte mitten in der andalusischen Steppe. Nach und nach kamen immer mehr Menschen, aber alle haben sich von der Stille anziehen und einnehmen lassen, haben sie respektvoll gewahrt. Und trotzdem entstand eine Gemeinschaft, die dann gemeinsam Gottesdienst gefeiert hat.

Wenn ich das so erzähle, dann muss ich heute auch an den Berg Karmel denken, diesen besonderen Gebirgszug im Norden Israels, der in verschiedenen biblischen Erzählungen des Alten Testamentes mit seiner Schönheit, seiner Fruchtbarkeit und seiner Erhabenheit eine wichtige Rolle spielt. Dieser Berg wurde auch für den Propheten Elija, der im 9. Jahrhundert vor Christus lebte, zu einem wichtigen und prägenden Ort. Er wurde für ihn, den Eiferer für die Sache Gottes zur Heimat als Ort des Rückzugs, der Gottesbegegnung und der Berufung.
Ein Ort, der auch für die ersten Karmeliten im 13. Jahrhundert - als Einsiedler in Gemeinschaft - zur Heimat wurde. Die ersten Karmeliten waren Menschen, die Ihrer Sehnsucht folgten, einer Sehnsucht, die offenbar auch Elija bewegt hat. Eine Sehnsucht, sich in der Stille durch die Begegnung mit Gott und seiner Liebe verändern zu lassen.
Heute ist der Gedenktag des Propheten Elija und Karmeliten feiern diesen Tag entsprechend als Hochfest.

In der Lesung haben wir eine der Erzählungen über Elija gehört, die am bezeichnendsten für ihn ist.
Der Text aus dem 1. Buch der Könige (1Kön 19) führt uns mitten in die tiefste Krise des Propheten. Elija hat gerade mit großem Eifer gegen die Baalspriester gekämpft. Der König des Nordreichs Israel, Ahab hat Isebel geheiratet. Isebel ist aber Anhängerin des Baalskultes. Für Elija ist dieser Kult leer und mehr noch: er verlockt den Menschen dazu, seine Hoffnung allein auf materielle Werte zu setzen. Elija bekämpft nicht nur die Baalspriester sondern er will den König aufrütteln, ihm deutlich machen, dass das Volk Israel in Gefahr ist, wenn es weiter dem Götzenkult folgt, weil es damit den Bund zwischen Gott und seinem Volk beschädigt. Aber Königin Isebel ist außer sich vor Zorn und droht Elija mit dem Tod. Elija flieht - vom Norden, vom Berg Karmel in den Süden nach Beerscheba in das Südreich Juda. Völlig erschöpft von der Flucht, zweifelnd und resigniert zieht er sich in die Wüste zurück, legt sich unter einen Ginsterstrauch und sagt: „Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben, denn ich bin nicht besser als meine Väter.
Mich beeindruckt diese Situation. Mir ist dieser Elija sehr nahe. Wenn ich mich mal wieder verrannt habe und mich in eine unmögliche Situation gebracht habe. Wenn ich zweifle, ob es richtig ist, wie ich eine Situation einschätze und bewerte. Wenn ich erschöpft bin, weil die Aufgaben so groß und kaum bewältigbar sind. Und wenn ich das Gefühl habe, ich strample mich ab, ohne dass mein Mühen eine Wirkung zeigt.
Und wie reagiert Gott? Er antwortet nicht mit Vorwürfen. Kein „Reiß dich zusammen. Stattdessen: Ein Engel, der ihm Brot und Wasser bringt. Und die Einladung: „Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich.
Gott gibt Elija Raum, zu sich zu kommen, nicht einmal sondern noch ein zweites Mal. Und dann führt er ihn gestärkt über vierzig Tage und Nächte zum Horeb - wieder ein Berg, noch weiter im Süden weit weg vom Karmel auf der Sinaihalbinsel.
Und dort auf dem Berg begegnet ihm Gott – aber nicht in den mächtigen Zeichen: nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer. Sondern in einem „sanften, leisen Säuseln. Im Hebräischen heißt es: „קוֹל דְּמָמָה דַקָּה“ wörtlich übersetzt: Stimme einer feinen Stille. Der jüdische Schriftsteller Martin Buber hat in seiner Übersetzung versucht, die Lautmalerei dieser Worte abzubilden. Er nennt es „Stimme des verschwebenden Schweigens. Was als Gegensatz erscheint, wird in Gott vereint, wird in der Gegenwart Gottes erfahrbar.

Gerade diese Erfahrung - so nehme ich es wahr - ist ein Kern der karmelitischen Spiritualität: Gott begegnet uns nicht immer mit lauter Stimme. Manchmal flüstert er. Und dann müssen wir still werden, damit wir ihn hören.
Elija gilt den Karmeliten als geistlicher Vater, der sie auf ihrem Weg begleitet, als geistliches Vorbild eines entschiedenen, hörenden und betenden Menschen. Ein Mensch, der sich mit dem Feuer des Glaubens mutig und entschieden in die Gegenwart dieser Welt stellt aber gleichzeitig auch Gott in der Stille sucht und auf sein Flüstern hört.

Im Evangelium begegnet uns Maria – unter dem Kreuz. Auch sie spricht nicht. Sie steht einfach da und hält aus. Still. Treu.
Und doch geschieht etwas Entscheidendes: Jesus vertraut ihr seinen Lieblingsjünger an – „Siehe, dein Sohn.“ Und zu ihm: „Siehe, deine Mutter.

Das ist mehr als familiäre Fürsorge. Es ist ein geistliches Vermächtnis: Jesus wird sterben. Aber die Jesusbewegung, das wofür Jesus gelebt hat und sterben wird, hat eine Zukunft. Jesus stellt die Jesusbewegung, aus der später die Kirche werden soll unter den Schutz seiner Mutter. Sie ist die Frau, die das Wort Gottes in sich aufgenommen und bewahrt hat – bis in die tiefste Krise hinein, bis zum Tod Jesu am Kreuz. Durch Maria, durch ihren Schutz wird das Wort Gottes auch eine Zukunft haben. Ihrem Schutz haben sich auch die Karmeliten schon in der Entstehungszeit des Ordens anvertraut, was in der Legende von der Überreichung des charakteristischen Skapuliers durch Maria zum Ausdruck kommt.
Elija und Maria - zwei geistliche Brennpunkte einer Ellipse und beide prägen das Leben der Karmeliten bis heute: In der Suche nach Stille, Innerlichkeit und Gottesbegegnung und zugleich in Ihrem Dasein mitten in der Welt, in ihrer ganzen schonungslosen Realität, in ihrer Schönheit und in ihren Abgründen.

Dass wir das Karmelfest heute hier in Hirschhorn feiern, ist kein Zufall. Dieser Ort war bis 1803 über Jahrhunderte Heimat für Karmeliten. Ein Ort des Gebets, des geistlichen Lebens – aber auch ein Ort, von dem Impulse ausgingen: in die Stadt, die Umgebung und in das Bistum. Ich bin froh und dankbar, dass wir seit 2009 wieder eine stabile Präsenz von Karmeliten einer indischen Provinz hier in Hirschhorn haben und ich bin froh, dass sich die Pfarrei und die Karmeliten offenbar so gut verstehen, dass sie nicht nur aber mindestens gemeinsam ein Spundekäsfest feiern.
Die Geschichte und die Präsenz der Karmeliten in unserem Bistum ist ein Schatz. Und als Mitglied der Bistumsleitung sage ich heute: Danke! Danke für Ihr Zeugnis, für Ihren Dienst, für die Treue zum Wort Gottes hier bei uns im Bistum Mainz. Danke für das Mitwirken an einer Kirche, die sich – heute mehr denn je – als hörende, synodale Kirche versteht.
Denn auch das ist mir aufgegangen: Bei unserer Suche danach, wie unsere Kirche eine synodale Kirche werden kann, dürfen wir auch auf eine Ordensgemeinschaft wie die der Karmeliten schauen.
Die Karmeliten leben in Gemeinschaften, die demokratisch organisiert sind. Leitungsämter werden gewählt, Entscheidungen gemeinsam getragen. Das ist gelebte Synodalität – schon seit Jahrhunderten. Aber es braucht auch die entsprechende Haltung: Denn wer hören will, braucht Stille. Wer mit anderen einen Weg gehen will, muss sich selber kennen. Diese Haltungen – Rückzug und Dialog, Innerlichkeit und Miteinander – sind aktueller denn je für eine Kirche, die nicht von oben herab spricht, sondern als Gemeinschaft unterwegs ist.

Liebe Brüder und Schwestern,
vielleicht müssen wir uns immer wieder einmal aufmachen und uns auf einen Berg zurückziehen, in die Stille, um Abstand zu gewinnen, einen Überblick zu bekommen, um zu hören, wer wir sind und was Gott uns sagt. Und vielleicht sagt Gott dann zu uns: „Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich. Er sagt es in jedem Fall gleich zu uns, wenn wir die Eucharistie miteinander feiern.
Möge das Karmelfest uns stärken auf einem gemeinsamen Weg in die Zukunft mit Elija und Maria als geistlichen Weggefährten.

Amen.