Sehr geehrter Herr Rabbiner Prof. Dr. Nachama,
sehr geehrte Frau stellvertretende Kirchenpräsidentin Scherf,
liebe Schwestern und Brüder jüdischen und christlichen Glaubens,
liebe Damen und Herren,
ich heiße Sie sehr herzlich willkommen, hier im Forstersaal im Kurfürstlichen Schloss in Mainz, wo wir mit der Christlich-Jüdischen Gemeinschaftsfeier die Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2024 – 5784/85 eröffnen. Seien Sie begrüßt auch im Namen derer, die diese Feier heute Abend vorbereitet haben und gestalten.
Ein neuer Name erregt Aufmerksamkeit, vor allem dann, wenn er den Namen „Woche der Brüderlichkeit“ und damit eine über 70-jährige Tradition ablöst. Mit der Feier heute Abend und der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille morgen beginnen wir in Deutschland die Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2024 – 5784/85. Nicht mehr nur eine Woche, sondern ein ganzes Jahr mit unterschiedlichen Akzenten und Veranstaltungen sollen Gemeinschaft, Dialog und Frieden zwischen der jüdischen und der christlichen Religion stärken.
Wie auch immer man zu dieser Entscheidung steht: Ein neuer Name ist immer auch eine Chance, sich auf gemeinsam vereinbarte Werte noch einmal neu zu besinnen, sich noch einmal neu daran auszurichten.
„The sound of dialogue – Gemeinsam Zukunft bauen“ – das ist das Thema, das sich der Deutsche Koordinierungsrat für dieses Jahr der Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit gegeben hat – ein Titel, in dem viel anklingt.
Ich denke zunächst an Dialog trotz Sprachlosigkeit und möchte Ihnen dazu kurz ein Ereignis aus meiner Jugend erzählen.
Eine Mitschülerin, eine begabte Musikerin in meinem Musik-Leistungskurs hat damals – es ist jetzt 30 Jahre her – zwei Wochen vor unserer Abiturprüfung durch eine Viruserkrankung ihr Gehör verloren. Sie ist von einem auf den anderen Tag komplett und irreversibel ertaubt. Eine traumatische Erfahrung war das für sie, uns, ihre Mitschülerinnen und Mitschüler hat es sehr beschäftigt. Sehr schnell hat sich ihr Sprechen verändert. Als sie sich wieder etwas erholt hatte, durfte sie nach einem halben Jahr mit einer Sondergenehmigung die Abiturprüfung nachholen. Sie hat in ihrer Abiturprüfung im Fach Musik Klavier gespielt. Während sich ihre Sprache so verändert hat, dass sie im Sprechen immer weniger verständlich wurde, war das mit der Musik anders. Sie sagte damals: „Ich spüre den Klang, auch wenn ich ihn nicht hören kann. Aber andere können ihn hören und wir spüren das gleiche.“
Diese Begebenheit ist für mich zum Sinnbild für wortlose Verständigung geworden.
Sprachlosigkeit herrscht derzeit an vielen Orten und angesichts vieler Erfahrungen: ob es der lang andauernde Krieg in der Ukraine ist, die heillose Zuspitzung von Gewalt und Terror im Heiligen Land, der erstarkende Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Deutschland. Es sind Situationen und Zustände, die uns sprachlos machen wollen. Oder aber, die geprägt sind von gewaltvoller, zerstörerischer Sprache, deren Sprache selbst Gewalt ist.
Sound of Dialogue – für mich steckt da die Aufforderung und die Ermutigung drin, ein Auftrag an unsere gesamte Gesellschaft: Wenn Sprachlosigkeit herrscht, wenn Sprache Gewalt transportiert, dann lasst uns andere Wege der Verständigung, des Dialogs finden und gehen. Aber lasst uns nicht resignieren, lasst uns keineswegs ablassen von dem Bemühen, Sprachlosigkeit und gewaltvolle Sprache zu überwinden.
Sound of Dialogue zeigt einen Weg auf, Sprachlosigkeit zu überwinden: Musik kann ein solcher Weg sein, ist ein solcher Weg der Verständigung, für den auch der diesjährige Preisträger der Buber-Rosenzweig-Medaille Igor Levit steht.
Wir haben als Eingangsmusik die Vertonung von Psalm 57 Vers 8 gehört – wunderbar dargeboten von Esther Lorenz und Peter Kuhz. Es ist die Vertonung eines Gebetes, das uns jüdische und christliche Geschwister verbindet, heute und durch die Zeiten hindurch. „Fest ist mein Herz, Gott, fest ist mein Herz, singen will ich, harfen will ich.“, so heißt es in der bildhaften Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig. In der Bedrohung, in der Bedrängnis, in einer Situation, in der für König David alles auf dem Spiel steht, findet er Zuflucht und Bestärkung in der Musik und darüber auch in Gott, die Musik gibt ihm Halt und verbindet ihn mit Gott.
Für mich bedeutet das: Musik ist eine Sprache, die uns nicht nur wortlos untereinander, sondern auch mit Gott verbindet.
Der Titel, das Thema für die Christlich-Jüdische Zusammenarbeit dieses Jahres hat noch einen zweiten, ganz wesentlichen Aspekt: Gemeinsam Zukunft bauen.
Im Grunde genommen steckt darin eine ganz elementare Erkenntnis: Ohne Dialog haben wir keine gemeinsame Zukunft. Ohne Dialog haben wir eigentlich gar keine Zukunft. Um unserer Zukunft willen und die unserer Kinder und Kindeskinder dürfen wir niemals ablassen, immer wieder neue Wege des Dialogs zu suchen – auch und gerade mit denen, die sich dem Dialog verweigern. Hier können wir als Geschwister im Glauben einen Weg weisen und so in unsere Gesellschaft hineinwirken.
Stellen wir uns gemeinsam in die Gegenwart Gottes und beten wir, dass er uns stärke, uns immer wieder neu Wege des Dialogs aufzeige, die uns helfen, einander zu verständigen, selbst dann, wenn Worte fehlen. Er möge uns immer wieder zurückführen auf den Weg der Verständigung, dass wir so zum Zeichen werden für seine Gegenwart.