Alles hängt am Segen Gottes

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt anlässlich der Verabschiedung der Benediktiner von St. Ottilien und der Benediktinerinnen vom Eucharistischen König vom Jakobsberg am Hochfest Heiligstes Herz Jesu Kloster Jakobsberg, Sonntag, 18. Juni 2023, 9.30 Uhr

Kloster Jakobsberg, 18. Juni 2023: Bischof Peter Kohlgraf bei seiner Predigt. (c) Bistum Mainz / Blum
Datum:
Mo. 19. Juni 2023
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Nicht wir Menschen sind die Heilsbringer, aber wir dürfen Segen weitergeben. Möge hier etwas von diesem Vertrauen und dieser Bescheidenheit gelebt werden und für Menschen erfahrbar sein.

Menschen prägen geistliche Orte, und Gemeinschaften prägen geistliche Orte. Hier auf dem Jakobsberg waren es die Trappisten, die Jesuiten und seit 1961 die Missionsbenediktiner von
St. Ottilien, zusätzlich seit Jahren auch die Benediktinerinnen vom Eucharistischen König von den Philippinen. Der Weggang dieser Gemeinschaften hat auch mich als Bischof wirklich getroffen, sowie das Bistum und die Menschen in dieser Region. Denn diese Gemeinschaften und viele geistliche Persönlichkeiten haben diesen Ort geprägt, Menschen in der Suche nach Gott begleitet und mit seiner Gegenwart in Berührung gebracht. Zunächst einmal herrscht Dankbarkeit für das segensreiche Wirken über Jahre und Jahrzehnte. Für die Lebenden und die Verstorbenen beten wir in Dankbarkeit, viele Menschen könnten gute Erinnerungen miteinander teilen. Sie werden uns auch weiter begleiten.

An diesem Tag schauen wir auch in die Zukunft und bitten um Gottes Segen für die Angebote in der Exerzitienarbeit und geistlichen Begleitung durch das neuaufgestellte Zentrum für Glaubensvertiefung und Spiritualität unter der Federführung von Dr. Bernhard Deister; in diesem Rahmen wird auch der Ort des Jakobsbergs eine wichtige Rolle spielen.

Der Blick auf die Geschichte dieses Ortes zeigt bei aller Trauer über die Veränderungen auch: Es gab immer wieder Veränderungen, und neue Gemeinschaften haben eigene Akzente gesetzt. Wir müssen nun in dieser Zeit dafür sorgen, dass es geistliche Angebote gibt, denn selbstverständlich gehören sie zum Kernangebot unserer Kirche.

Der Name „Jakobsberg“ an sich ist schon ein geistliches Programm. Sicher ist zunächst der Apostel Jakobus der Namensgeber. Er ist der erste Apostel, der durch das Martyrium seine Treue zu Christus bezeugt hat. Wege durch Europa zu seiner Grabstätte in Santiago di Compostela haben Menschen in Bewegung gebracht, gerade heute erleben das Pilgerwesen und die Wallfahrt eine neue Blüte. Menschen wollen zu sich finden, zur Ruhe kommen, und oft genug erwacht in ihnen die Frage nach dem größeren Leben, die Frage nach Gott. Allein hier zum Jakobsberg führen verschiedene traditionelle Wallfahrten: vor allem die heutige Herz-Jesu-Wallfahrt, die Wallfahrt zu den Vierzehn Nothelfern, die Margaretenwallfahrt und die Wallfahrt zu Ehren des heiligen Dionysius. Das zeigt die Bedeutung dieses Ortes für viele Menschen auf dem Weg. Sie suchen Gemeinschaft und Glaubenserfahrung, sie erbitten Hilfe und Stärkung.

Jakobsberg: Der Apostel ist für viele Menschen der Heilige schlechthin, der auf den Weg bringt, und gleichzeitig auch Orientierung und Ziel auf diesem Weg des Glaubens gibt. Der Jakobsberg möge uns in unseren Zeiten mit dem Pastoralen Weg, den Synodalen Wegen in Deutschland und auf der Ebene der Weltkirche den Blick freihalten für denjenigen, der das Ziel und die Orientierung aller unserer Wege sein muss: Jesus Christus selbst. Kirche ist eine Gemeinschaft auf einem Pilgerweg, daran erinnert uns ein Ort wie der Jakobsberg.

Dass dies auch immer Veränderung und die Suche nach neuen Perspektiven erfordert, erleben wir am heutigen Tag hautnah. Kirche ist nicht dazu da, sich in Räumen einzuschließen, sondern sich auf den Weg zu machen. Sie ist die pilgernde Kirche, die Kirche, die in der Nachfolge Jesu Christi versucht, ihn in Berührung mit suchenden Menschen zu bringen. Nicht zuletzt ist Jesus selbst der Weg, die Wahrheit und das Leben, das wir suchen und dem wir folgen. Diesen Glaubenskern sollten wir gerade in unseren bewegten Zeiten nicht vergessen.

Beim Namen „Jakobsberg“ musste ich jedoch an den großen Patriarchen Jakob denken, den Wanderer durch die Wüste. Er gehört zu den drei großen Vätern des Glaubens, Abraham, Isaak und Jakob, in deren Glaubenstradition Jesus selbst stand. Allein die Deutung seines Namens gibt an diesem Tag Hoffnung. Es mag manche Deutung geben, eine ist die Übersetzung: „Gott möge beschützen“. Jakob hat ein bewegtes Leben. Die Bibel erzählt davon, wie er gegen seinen Bruder Esau das Erstgeburtsrecht erschleicht, wie er jahrelang ausgenutzt wird von seinem Onkel Laban, Immer wieder ist vom Aufbruch und von Wüstenwanderungen die Rede. Bei allen Höhen und Tiefen macht Jakob die Erfahrung der Führung und Begleitung Gottes, obwohl er keineswegs ohne Schuld oder gar perfekt ist. Egal, wo er hingeht, Gott geht mit. Gott erweist sich als Gott der Wege, nicht der Räume. Er ist kein Lokalgott, sondern ein Gott, der sich in Liebe an Menschen bindet und sie nie verlässt. Es ist diesem geistlichen Ort, dem Jakobsberg zu wünschen, dass hier Menschen diese Erfahrung machen, auch in Zukunft.

Die Geschichte Jakobs ist auch eine Schuldgeschichte und eine Geschichte von Versöhnung. Jakob hat seinen Bruder Esau um sein Erstgeburtsrecht betrogen. Der zornige Esau will Jakob umbringen, was nur dadurch verhindert werden kann, dass sich Jakob zu seinem Onkel Laban flüchtet. Rebekka hofft, dass sich der Konflikt durch Vergessen von alleine löst. Diese Hoffnung erweist sich als trügerisch. Verdrängung und das Ignorieren von Schuld lösen einen Konflikt nicht. Nachdem Jakob in der Fremde geheiratet und Besitz angehäuft hat, traut er sich zurückzukehren. Jakob ahnt, dass er dem Bruder mit seinen 400 Männern hoffnungslos unterlegen sein wird, auch daher eine wirkliche Versöhnung unumgänglich ist. Jakob weiß, dass Versöhnung nicht von ungefähr und zufällig geschieht, sondern durch Haltungen befördert werden muss. Durch die Flucht hatte Jakob seinem Bruder den Rücken zugewandt, nun wird er ihm ins Angesicht schauen müssen. Das Ziel der Begegnung besteht in der Veränderung des Angesichts seines Bruders. Aus Hass und Groll soll Wohlwollen werden. Er will Esau versöhnlich stimmen, so dass dieser seine Rachegelüste zu beherrschen lernt. Als die beiden Brüder sich begegnen, verneigt sich Jakob sieben Mal tief zur Erde, d.h. er unterwirft sich dem Bruder und erkennt seine Schuld an. Indem der Bruder ihn aufrichtet, verzichtet er auf Rache. Beide können sich wieder anschauen. Gerade auf den krummen Wegen der Konflikte und Neuanfänge wird Gottes Heilsgeschichte konkret. Möge der Jakobsberg ein Ort sein, an dem Menschen mit den Brüchen ihres Lebens neu leben lernen.

Jakob träumt in der Wüste von der Himmelsleiter. Engel steigen auf und nieder und berühren die Erde. Er bekennt: Hier ist das Haus Gottes und das Tor zum Himmel. (Gen 28,17). Mitten in der Wüste berührt Gott den Jakob und erneuert das Versprechen seiner Gegenwart. Mit diesem Traum kann Jakob weiterziehen. Er weiß, dass Gott mit ihm ist. Das wird ihm helfen, weitere Durststrecken zu bewältigen. Ich wünsche den Menschen auf dem Jakobsberg, dass hier ein Ort gestaltet wird, an dem sich der Himmel ein Stück öffnet. Menschen mögen befähigt werden, ihren Weg, der nicht immer einfach sein mag, mit dem Traum des offenen Himmels zu gehen. Derartige Erfahrungen können mitgehen. Und sie verändern das Leben und die Art und Weise, den Alltag zu leben und zu bewältigen.

Eine eindrückliche Geschichte ist der Kampf des Jakob mit einem Unbekannten an der Furt des Jabbok (Gen 32,23-33). Ein Mann ringt mit ihm und verletzt ihn an der Hüfte. Seitdem hinkt Jakob. In einem Rätselwort erklärt ihm sein Gegner, er habe mit Gott gerungen. Daher bekommt er den neuen Namen „Israel“: Gottesstreiter. Gott segnet ihn, aber eine Verwundung bleibt. Die Begegnung mit Gott kann oft ein Ringen sein, Gott lässt sich nicht für menschliche Interessen einbinden. Gottsuche kann Ringen bedeuten. Ich stelle mir vor, dass hier an diesem Ort mancher Mensch mit Gott gerungen hat und keine einfachen Antworten erhalten konnte. Dafür braucht es Begleitung, auch wenn Glaube immer etwas ganz Persönliches bleibt. Gerne bieten wir im Bistum Mainz derartige Begleitung an, auch hier auf dem Jakobsberg. Viele Jahrzehnte ist dies hier geschehen. Zum Glauben gehören die Suche, der Zweifel, das Ringen. Vielleicht hat aber auch mancher, der sich mit Gott schwertat, hier den ersten Zweifel an der eigenen Verweigerung gegenüber Gottes Willen gespürt und daraus Konsequenzen gezogen. Ich wünsche diesen Mut auch den kommenden Generationen, auch hier auf dem Jakobsberg.

Am Ende seines Lebens will Jakob den Segen weitergeben, den er erfahren durfte. Im Sterben nimmt er sich ganz zurück, alles hängt am Segen Gottes. Nicht wir Menschen sind die Heilsbringer, aber wir dürfen Segen weitergeben. Möge hier etwas von diesem Vertrauen und dieser Bescheidenheit gelebt werden und für Menschen erfahrbar sein.

Noch einmal danke ich allen für das, was geschehen ist. Und ich will in die Zukunft schauen. Am Segen Gottes hängt das Gelingen der Begegnungen hier. Sein Segen leuchte über diesem Ort, den Menschen, die hier arbeiten und Orientierung suchen. Der Name Jakob heißt „Gott möge beschützen“. Das wünsche ich von ganzem Herzen.