"Die gute alte Zeit wird nicht wiederkommen."

Statement zum Beitrag von Staatsministerin Puttrich

RT8A0067-RHG-01 (c) Bistum Mainz
Datum:
Fr. 4. Feb. 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

In den Zeitungen der VRM ist heute ein Beitrag von Ministerin Lucia Puttrich erschienen: "Was ist mit ,meiner' Kirche los?". Bischof Peter Kohlgraf hat dazu Stellung bezogen.

Stellungnahme von Bischof Peter Kohlgraf im Wortlaut

In der Allgemeinen Zeitung vom 4. Februar 2022 fragt Ministerin Lucia Puttrich danach: „Was ist mit ,meiner‘ Kirche los?“ Dabei spricht sie unterschiedliche Themen an, die sie auch mir gegenüber bei einem Gemeindejubiläum in Nidda vor kurzem zusammengefasst hat. Neu ist, dass sie die Krisenfelder mit der Forderung nach einer anderen Form der Kirchenfinanzierung verbindet. 

Zwischen den Tagen der Vollversammlung des „Synodalen Weges“ in Frankfurt darf ich kurz darauf reagieren. Ich vermute stark, dass ähnliche Gedanken derzeit vielen Menschen durch den Kopf gehen. Allerdings gebe ich zu, dass dieser Artikel eine bisher ungewohnte Art der Kommunikation zwischen Vertreterinnen und Vertretern einer Landesregierung mit den Bischöfen darstellt. Ministerin Puttrich erinnert an ihre durchweg positiven Erfahrungen mit der katholischen Kirche in ihrer Kindheit und Jugend und beklagt den derzeitigen Zustand. 

Allerdings muss ich als Bischof feststellen, dass ein Großteil der Verbrechen und anderer nicht bearbeiteter „Baustellen“ genau aus dieser scheinbar unbeschwerten „goldenen Zeit“ heute auf meinem Schreibtisch liegen und unserer Bischofsgeneration angelastet werden. Das sage ich ohne Selbstmitleid, denn ich halte es für richtig, dass wir heute hinter den Goldlack der früheren Jahre schauen – mit all den Konsequenzen, die wir heute erleben. Menschen sind erschüttert und das zu Recht. Vielleicht auch, so erlebe ich es bei mir, weil eigene Illusionen brutal entlarvt werden. Es erstaunt, gerade an diesem Tag über die Reformunwilligkeit der Kirche zu lesen, nachdem in Frankfurt, auch mit deutlicher Mehrheit der Bischöfe, zwei folgenreiche Texte in zweiter Lesung beschlossen wurden. Auch der Synodale Weg selbst ist Folge der sogenannten MHG-Studie, die 2018 die systemischen Ursachen für sexualisierte Gewalt durch Kleriker dargelegt hat.

Seitdem sind nicht nur im Bistum Mainz große Schritte gegangen worden: eine verbindliche und transparente Aktenführung, die Errichtung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission unter Beteiligung der Betroffenen, die Installierung eines Betroffenenbeirats, die Errichtung einer Interventionsstelle, das Nachholen kirchlicher Verfahren nach Abschluss staatsanwaltlicher Ermittlungen, eine qualifizierte und verbindliche Prävention, die Beauftragung von Rechtsanwalt Ulrich Weber zur Erstellung einer Aufklärungsstudie u.v.a.m. Dass die von Ministerin Puttrich genannten Reformen die Bewegung der Säkularisierung aufhalten können, wird von seriösen Forschern in Zweifel gezogen. Und dennoch werden genau diese Themen derzeit intensiv behandelt. Die Kirche wird sich keineswegs aus der Fläche zurückziehen, wie sie befürchtet, aber natürlich haben die vielen Kirchenaustritte Konsequenzen. Man kann darüber diskutieren, was „Henne“ und was „Ei“ ist. Bedingt die sich verändernde Sozialgestalt den Rückzug vieler, oder ist die Veränderung Folge des Abschieds vieler Menschen? Die gute alte Zeit, von der Ministerin Puttrich spricht, wird meines Erachtens nicht wiederkommen. Nach dem, was heute meine Themen sind, wird meine Sehnsucht nach ihr erheblich schwächer.

Und die derzeitige Kirchenfinanzierung, die sie in Frage stellt, ist eine wichtige Grundlage, in dieser Zeit gute Arbeit leisten zu können. Gleichzeitig zu fordern, finanzielle Ressourcen deutlich zu reduzieren - das wäre natürlich die Folge - und eine lebendige flächendeckende Präsenz zu verlangen, erscheint mir nicht schlüssig. Der Verweis auf die Kirche in anderen Ländern hinkt, denn dort finden sich andere Traditionen und ein anderes Staat-Kirche-Verhältnis. Wer von der Kirche in Frankreich schwärmt, sollte sich einmal die pastorale Situation dort genau und ehrlich anschauen und etwa auch den Zustand der Kirchengebäude in Stadt und Land. Natürlich mag sich die Form der Kirchenfinanzierung ändern, aber dann zu meinen, dadurch werde die Kirche lebendiger, lässt sich historisch jedenfalls nicht belegen.