Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Mitbrüder im Bischofs-, Priester- und Diakonen-Dienst,
liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Die Ernennung zum Kardinal durch den Heiligen Vater war und ist eine noble, herausragende Geste, für die ich dankbar bin. Über das große Echo bin ich aber auch ein wenig erschrocken. Das Kardinalat ist – jedenfalls für einen Diözesanbischof – kein eigenes Amt, schon gar nicht ein Sakrament. Tu ich ab morgen eigentlich etwas anderes als in den vergangenen 18 Jahren meines bischöflichen Dienstes? Mit den Fragen und Feiern der letzten Wochen wurde ich selbst wieder einmal zu den Quellen meines geistlichen Dienstes geführt. Diese Quellen verbinden mich auch am tiefsten mit allen Schwestern und Brüdern im Glauben. Das Wort des hl. Augustinus ist mir besonders kostbar: "Für euch bin ich nämlich Bischof, mit euch bin ich Christ."
Am Anfang steht das kleine Wort, das wir bei der Priesterweihe damals lateinisch "Adsum" - heute deutsch: Ich bin bereit - gesprochen haben. Darauf haben wir uns vorbereitet. Wir haben uns trotz einiger Fragen und Bedenken dazu entschlossen. Wir wollten unser Leben in den Dienst des Evangeliums Jesu Christi stellen und ihm auf dem Weg der Nachfolge unseres Herrn folgen. Wir sind überzeugt, dass das Evangelium Gottes es wert ist, sein eigenes Leben dafür einzusetzen. Es geht darum, Gott zu suchen und zu finden in allen Dingen, um die unbesiegbare Kraft des Glaubens, die Versöhnung mit Gott und den Menschen allein in Jesus Christus, die Macht der Liebe Gottes am Kreuz Jesu Christi gegen alle Gewalt, die Rettung eines letzten Sinnes des Menschen und der Welt mitten in Leid und Tod. Man kann dies leben. Dieses Lebensprogramm trägt und erfüllt. Viele heilige Menschen, von der Gottesmutter bis zu unseren Namenspatronen, vielleicht auch unsere Vorfahren und Eltern bezeugen es uns. Es ist nicht nur ein Anfang im Sinne eines zeitlichen Beginns. Es ist eine bleibende Gründung für das ganze Leben. Darum genügt das kleine Wort Adsum: Ich bin für immer in Gott geborgen, komme was da wolle. Nur mit Gott selbst kann man in die unbekannte Zukunft eines ganzen Lebens hineingehen.
Liebe Schwestern und Brüder, dies gilt für uns alle. Gott gibt uns in Glaube, Taufe und Firmung sein Jawort, schenkt uns die Versöhnung mit ihm und allen Menschen und ruft uns zugleich zum Zeugnis für sein Evangelium auf. Dies geschieht vielfältig und situationsbezogen in unserem Leben, in Ehe und Familie, bei jung und alt, in weltlichen Berufen und geistlichen Berufungen. In einem vollen Dienst für die Kirche wird diese geistliche Berufung in besonderer Weise zum Beruf. Wir stellen unser Leben für das Zeugnis vom Evangelium zur Verfügung. Dies ist keineswegs selbstverständlich. Im Gegenteil, das herausfordernde, alle Alternativen überragende Evangelium nimmt ganz in Anspruch – und macht zugleich einen Beruf daraus. Augustinus erschrickt darüber: "Wo er mich schreckt, was ich für euch bin, tröstet er mich dort, wo ich mit euch bin.... Jener ist der Name des empfangenen Amtes (Bischof), dieser der Gnade (Christ); jener der Gefahr, dieser des Heiles."
Wenn diese Bereitschaft gegeben ist, ist es nicht schwer, diesen Weg zu gehen. Geht man ihn ganz, mit vollem Herzen und in aller Bereitschaft, dann ist es leichter, als es von außen aussehen mag. Wir brauchen dafür den Geist der Nachfolge des Herrn. "Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig.... Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht." (Mt 11,29f.)
Dies schließt die Bereitschaft ein, einen Weg zu gehen, den man im einzelnen noch nicht kennt. Aber im Vertrauen auf Gottes Führung schlagen wir den Weg in die Zukunft ja nicht ein ohne Richtung und auch ohne Gewissheit, unser Ziel zu erreichen. Er ist Anfang, Mitte und Ende. Er verheißt uns: "Ich bin immer bei Dir." Wir haben nicht nur eine vage Hoffnung, sondern aus der Erfahrung der Gegenwart und der Hilfe des mitwandernden Gottes dürfen wir Zuversicht, begründete Hoffnung, haben. Darum hat mich schon früh ein Wort aus den Nachfolge-Szenen des Johannesevangeliums beeindruckt, das unser unvergesslicher Direktor des Theologischen Konvikts in Freiburg i.Br., der spätere Generalvikar Dr. Robert Schlund, uns beim Beginn des theologischen Studiums als Einladung geschickt hat: "Komm und seht!", "Komm und sieh!" (Joh 1,39.46) Manches kann man erst verstehen, wenn man sich auf den Weg macht, sich auf den Ruf und die Einladung einlässt und die Dinge von innen schmeckt. Vieles geht einem nur auf, wenn man es wenigstens einmal probiert und anfänglich wagt. Schon Plato und Augustinus wussten, dass man am Ende etwas oder jemand nur dann voll erkennt, wenn man es mit den Augen der Liebe versucht.
Zu diesem Unterwegssein gehört freilich auch die Bereitschaft, sich senden zu lassen. Wir haben zwar auch einige Möglichkeiten der eigenen Wahl, aber es kommt darauf an, dass man sich die konkreten Einsätze nicht nur beliebig aussucht, sondern auch über sich verfügen lässt und sich dorthin senden lässt, wo man am ehesten gebraucht wird. Sendung ist ein Schlüsselwort des christlichen Lebens. In ihr kann man die eigenen Gaben und Fähigkeiten gut entwickeln. Man kommt nicht zu kurz, auch wenn es einmal der letzte Platz sein sollte. Gerade wenn es schwierig wird, kann die Sendung in eine konkrete Situation hinein befreiend wirken. Wir sind nicht die besten Schmiede unseres Glücks, wie wir manchmal denken. ".... und ein anderer wird dich ... führen, wohin du nicht willst." (Joh 21,18) – dies gehört zum christlichen Lebensentwurf.
Dies alles gibt es auf jedem christlichen Glaubensweg und in jeder Lebensgeschichte. So kam ich zum Priestertum, zur Tätigkeit als theologischer Lehrer, zum Bischofsamt, zur Aufgabe als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und nun auch zur Berufung in das Kardinalskollegium. Ich habe es mir nicht immer ausgesucht, auch wenn es anders aussehen konnte. Ich selbst von mir aus hätte manches anders geplant und entschieden. Auch gab es Rückschläge und Niederlagen, Beleidigungen und Intrigen. Aber ich vertraue darauf, dass Gott gerade schreibt auch auf krummen Zeilen, den Unvollkommenheiten und Fehlern meines Lebens. Darum bin ich zuversichtlich und danke mit Ihnen für das, was Gott mir geschenkt und aufgetragen hat.
So bitte ich, dass Sie immer wieder zu dem Gebet auf dem Erinnerungsbildchen greifen, das schon auf dem Gedenkzettel meiner Bischofsweihe vom 2. Oktober 1983 stand. Es ist mir jetzt noch kostbarer, weil es von dem hl. Papst Leo dem Großen stammt, dessen Kirche mir als Titelkirche in Rom zugewiesen worden ist:
Betet zu unserem gütigen Gott,
dass er in unseren Tagen
den Glauben festigen,
die Liebe vervielfältigen
und den Frieden mehren wolle.
Mich, seinen armseligen Knecht,
möge er zulänglich machen
für meine Aufgabe
sowie nützlich für eure Auferbauung
und die Spanne meines Dienstes
so gewähren, dass mit der
geschenkten Zeit die Hingabe wächst.
Amen.