"...und Christus wird dein Licht sein"

Predigt von Kardinal Lehmann in der Osternachts-Messe am Karsamstag, 4. April 2015, im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Samstag, 4. April 2015

Predigt von Kardinal Lehmann in der Osternachts-Messe am Karsamstag, 4. April 2015, im Hohen Dom zu Mainz

Das Evangelium der hl. Messe in dieser Osternacht findet sich beim ersten, d.h. ältesten Evangelisten, Markus, der etwa um das Jahr 70 schreibt. Er hat zwar im Zentrum eine klare Auferstehungsbotschaft, aber die ganze Stimmung ist stark auf die Passion und den gekreuzigten Jesus konzentriert. Aber dies ist ja durchaus ähnlich unserer eigenen Stimmung: Wir können das grausame Ende Jesu noch kaum fassen und schauen auf den toten Gekreuzigten.

Dies ist auch so bei den drei Frauen, alle drei voller Verehrung für Jesus. Zwei von ihnen waren beim Begräbnis dabei und kannten den Ort des Grabes (vgl. 15,47). Sie wollten ihrer Verehrung und Liebe Ausdruck geben durch die bei den begüterten Juden übliche Salbung eines Toten mit kostbaren Kräutern und teuren Ölen. Jesus war am Vortag des Sabbats vom Kreuz abgenommen und bestattet worden. Erst am Abend des Sabbats konnten die Frauen die Öle kaufen.

Am anderen Morgen wollten sie schon „in aller Frühe" zum Grab. Die Salbung war die einzige Ehrenbezeugung, die sie aus Pietät Jesus noch verleihen konnten. So waren sie ganz auf den toten Jesus konzentriert.

Aber dann fiel ihnen unterwegs ein, dass das Grab im Felsen, das ein Jude aus der reicheren Oberschicht, Josef von Arimathäa, zur Verfügung stellen konnte (vgl. 15,43-46), mit einem schweren Rollstein verschlossen war. Sie fragen sich: Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen?" (16,3)

Da geschieht in der Erzählung eine Wende. Nebenbei bemerkt Markus, dass der Besuch am Grab erfolgte, „als eben die Sonne aufging" (16,2). Dies ist gewiss nicht nur eine Zeitangabe. Ein Licht erscheint. Es wird heller, auch allmählich in den Herzen der Frauen.

Als sie bald am Grab waren und - wohl lange gebückt vor Trauer und mit den Ölen als Last - sich aufrichteten, zeige sich etwas Ungewöhnliches: „Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß." (16,4) Niemand konnte sich rasch vorstellen, wie dies angesichts der Größe und des Gewichtes des Steins möglich war. Menschlich jedenfalls konnte man sich dieses ganz unerwartete Wunder nicht erklären. War Gott verborgen mit ihm Spiel? Später wird Matthäus erzählen, dass ein Engel des Herrn den Stein wegwälzte und sich darauf setzte (vgl. Mt 28,2).

Eilends gingen die Frauen in das Grab hinein und suchten, immer noch ganz auf den toten Jesus gerichtet, den Gekreuzigten. Da entdeckten sie „auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war: da erschraken sie sehr" (16,5). Es war ein Engel, ein Bote Gottes mit einem leuchtend hellen Gewand (vgl. auch Offb 6,11 u.ö.) und wohl mit einer positiven Botschaft (in der biblischen Sprache: er saß auf der rechten Seite).

Dies ist ein wichtiges Element in der österlichen Botschaft. Sie muss uns durch Gott selbst ober auch einen Boten Gottes („angelus interpres") mitgeteilt werden. Von uns aus allein würden wir aus der Enttäuschung und dem Schmerz nicht herausfinden. Es muss uns „von außen" gesagt werden, durch das Evangelium Gottes. Es geht uns ja oft so im Leben.

So erfolgt durch den Engel eine volle, echte Offenbarung: „Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte." (16,6) In knappster Form verkündigt der Engel die Botschaft von der Auferstehung, so dicht wie auch sonst im urchristlichen Bekenntnis (vgl. 1 Kor 15,3-5). Diese Botschaft ist das Erste und Wichtigste. Das „leere Grab", das wir entdecken und uns oft darauf berufen, stützt gewiss die Botschaft, begründet sie aber nicht. Oft brauchen auch wir das Wort Gottes, um uns aufzurütteln und um Mut zu fassen.

Die Frauen erschrecken. Ihre ganzen Erwartungen werden umgekrempelt. Der tote Jesus, den sie nur als den Gekreuzigten im Grab suchten, ist am Leben. Der Stein ist weggewälzt: die Macht des Todes ist gebrochen. Jesus ist kein Toter mehr, den man salben könnte.

Aber der Engel hat noch nicht ausgeredet. Er geht jedoch - wie es scheint - auf ein ganz anderes Thema über. Wir stocken und empfinden es als einen richtigen Bruch, wenn er fortfährt: „Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat." (16,7)

In Wirklichkeit ist es aber kein Bruch. Durch die Botschaft der Auferstehung werden wir nicht aufgefordert zu rätseln und zu spekulieren, wie sich dies alles genauer ereignet haben könnte. Darüber nachzudenken ist gewiss erlaubt. Wir folgen nicht einem blinden Glauben. Noch wichtiger ist freilich - und darauf spielt der Engel an -, dass wir lebendige Zeugen und Zeuginnen sind, die die Frohbotschaft von Ostern durch unser Leben und zumal durch unser Handeln hinaustragen in alle Welt, besonders auch an ihre Ränder. Zum Offenbarungsempfang gehört immer die Weitergabe des Glaubens. Jesu erscheint immer jemand.

Die Frauen haben bei Markus keine Begegnung mit Jesus und keine Erscheinung, aber sie haben als Botinnen des göttlichen Engel-Boten eine mächtige, eindrucksvolle Aufgabe. In der Mitte des Glaubens haben sie einen bevorzugten Platz. Sie sind keine Randgestalten. Freilich wird dies durch die Selbstbekundung Jesu ergänzt, die sich jedoch an die Frauen richtet, z.B. Maria Magdalena (vgl. Joh 20, 11-18; Mt 28,9f; Mt 16,9ff).

Es fehlt noch ein Satz am Ende, der diese ausführlichere Passionsgeschichte und das erste Evangelium schließt und uns dabei überrascht: „Da verließen sie (die Frauen) das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich." (16,8)

Man darf dies wohl nicht einfach negativ denken. Es gibt auch ein heilsames Zittern und Entsetzen vor dem Ungeheuerlichen und dem überwältigenden Geheimnis. Es beginnt eine neue Zeit, die auch viele Fragen aufwirft und vielleicht auch Zweifel auslöst. Der Sieg der Liebe Jesu am Kreuz ist Realität. Er braucht keine Salbung. Er braucht uns. Wir sind auch heute herausgefordert.

Später war man manchmal nicht zufrieden mit diesem Schluss bei Markus. Im 2. Jahrhundert hat man dem Markus-Evangelium einen anderen, den [Groß-]Evangelien entsprechenden Abschluss gegeben (16,0-20; vgl. Mt 28,9f.16-20; Mk 24,13-51; Joh 20,11-23). Der offene Schluss des Markus-Evangeliums hat, auch wenn der Nachtrag zur verbindlichen Fassung des Evangeliums gehört, einen guten Sinn, gerade am Karsamstag und nimmt uns mit an den Anfang des Osterglaubens.

Vor Gott sind wir alle immer Anfänger. In Jesus ist Gott zu uns in die Welt gekommen, in eine Welt, die auch heute eine Welt voll der Gewalt und des Todes ist. Er lässt uns nicht allein, weder bei den Todesfällen einzelner geliebter Menschen noch bei den schlimmen Katastrophen, bei denen Menschen auf vielfältige Weise - besonders auch in unseren Tagen - zu Tode kommen, auf dem Wasser, in der Luft und auf unserer Erde.

Wir haben am heutigen Abend immer wieder im Licht ein tiefes Gleichnis der Auferstehung Jesu Christi besungen. Ein frühes Lied der jungen Christenheit sagt uns zu diesem Licht: „Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten, und Christus wird dein Licht sein." (Eph 5,14). Amen.

Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

Predigttext: Mk 16,1-8 (Evangelium)

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz