Gastkommentar in der Mainzer Kirchenzeitung Glaube und Leben für Februar 2009
Schon seit vielen Monaten bereiten wir das Willigis-Domjubiläum vor, das am 1. Februar eröffnet wird. Warum wir feiern, habe ich oft in vielen Äußerungen erklärt und begründet. Dies will ich nicht wiederholen.
Aber bei den vielen Planungen habe ich gelegentlich die Sorge, dass wir viel organisieren, aber manchmal auch in Gefahr sind, das wirkliche Ziel aus dem Auge zu verlieren. Dabei will ich nicht undankbar sein. Denn wir haben viele Mitchristen, die sich bei der Vorbereitung eindrucksvoll engagieren. Aber immer wieder kommt mir hier und in manchen Aktivitäten im Leben der Kirche das Jesuswort aus dem Gespräch mit Maria und Marta in den Sinn: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen, aber nur eines ist notwendig." (Lk 10,41)
Nicht zuletzt deshalb habe ich ein Wort des heiligen Paulus ausgewählt, das uns - immer ein wenig korrigierend - den Sinn eines solchen Jubiläums vor Augen stellt: „Denn der Tempel Gottes ist heilig - und das seid ihr!" (1 Kor 3,17) Der Dom ist ähnlich wie der Tempel kostbar, und wir dürfen ihn als das Haus Gottes auch heilig nennen. Dies steht nicht im Widerspruch zu vielem, was wir planen und wozu wir einladen. Aber wir dürfen nicht den Blick nur hinwenden auf unsere Programme und unsere einzelnen Vorhaben.
Da schreckt uns Paulus mit der zweiten Satzhälfte auf „... und das seid ihr!" und sagt uns etwas, was uns mitten ins Herz trifft: Es ist gut, dass ihr die Erhabenheit, die Kostbarkeit und den Reichtum dieses so wichtigen Gotteshauses über 1000 Jahre zur Erinnerung bringt und auch feiert, vergesst aber nicht das Ziel. Es geht nicht um edle Steine und eine gelungene Architektur für sich, sondern Gott braucht gerade in dieser Zeit Menschen als lebendige Steine, die seine Botschaft in unserer Welt bezeugen, uns braucht er.
Es ist ja oft so, dass wir auch im Bereich des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe vor dem, worauf es ankommt, flüchten. Es gibt auch im Herzen der Frömmigkeit die Gefahr zur Geschäftigkeit und Umtriebigkeit. Deshalb brauchen wir immer wieder die Besinnung, ja auch die Ermahnung, dass wir den wahren Kompass auch einer solchen Feier nicht verfehlen. Gerade wenn wir nicht zuerst für uns, sondern für die Sache des Domes vielbeschäftigt sind, können wir, da wir ja gerade so etwas Gutes tun, am Ende in die Irre laufen. Dann tun wir alles, klammern aber am Ende uns selber aus. Wir dürfen gerade bei solchen Feiern die innerste Mitte des Glaubens nicht hintanstellen. Diese Botschaft Jesu ist, wie der Anfang des Markus-Evangeliums zeigt, sehr eindeutig: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!" (1,15)
Der Gewinn des Domjubiläums ist also besonders auch darin zu suchen und zu finden, dass wir in diesem Jahr im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe, in der Einheit von Gottes- und Nächstenliebe wachsen, jeder einzelne Mensch und wir zusammen in Gemeinschaft.
Unsere gegenwärtige kirchliche Situation ist immer wieder von der Forderung nach einem missionarischen Aufbruch bestimmt. Dies gilt nicht nur für die katholische Kirche, sondern es ist unser gemeinsames Thema auch in der Ökumene. Im Jahr, in dem wir katholische Christen uns besonders um das Verständnis des hl. Paulus neu bemühen, wird dieses Thema noch dringlicher. Er ist der Apostel, der immer mit der Botschaft des Evangeliums unterwegs ist und unentwegt Menschen dafür begeistern möchte. Dies bedeutet aber auch, dass wir über uns hinauswachsen müssen, an die Hecken und Zäune gehen, um dort den Mühseligen und Beladenen Hoffnung anzusagen und ihnen auch konkrete Hilfe zu bringen. Diese Aufgabe ist gerade für uns als katholische Kirche nie zu Ende und erstreckt sich wirklich auf die ganze Welt. Darum gehört auch der beständige Blick auf die Weltkirche zu den wichtigsten Akzenten dieses Jubiläums.
Wenn uns gesagt wird „Denn der Tempel Gottes ist heilig - und das seid ihr!", dann ist die Betonung „... und das seid ihr!" nicht ein Hinweis, dass wir uns immer wieder bloß um uns selbst drehen, um unsere Selbstverwirklichung. Wir dürfen uns freilich auch deshalb nicht einfach ausklammern, weil die Botschaft des Evangeliums eine lebendige Stimme braucht. Die Botschaft muss ja Schwestern und Brüdern bei uns und in aller Welt überbracht werden. Es geht ja nicht nur um die Bibel als ein Buch zum bloßen Weitergeben, auch nicht um das bloße Heruntersagen von Bekenntnissen. Es geht wirklich am Schnittpunkt von Seele und Leib, Kirche und Welt um unser lebendiges Zeugnis.
Dies ist die Chance unserer Jubiläumsfeier - „... und das seid ihr!"
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz