„150 Jahre Deutsche Katholikentage"

Grußwort des Bischofs von Mainz, Bischof Karl Lehmann, zur Eröffnung der Ausstellung in Mainz (Erbacher Hof).

Datum:
Dienstag, 9. Juni 1998

Grußwort des Bischofs von Mainz, Bischof Karl Lehmann, zur Eröffnung der Ausstellung in Mainz (Erbacher Hof).

Die Serie der 93 Katholikentage ist nicht leicht auf einen Nenner zu bringen. Die Form der Versammlungen von den relativ kleinen Delegierten-Treffen am Anfang bis zu den großen Massenveranstaltungen der letzten Jahrzehnte zeigt schnell einen wesentlichen Unterschied auf. Natürlich gibt es gewisse Konstanten, die die Katholikentage als Ereignis und als Institution prägten. Die großen Gottesdienste, repräsentative Vorträge, intensive Diskussionen und manchmal auch Resolutionen bildeten den Rahmen. Bald war der Katholikentag auch ein Stelldichein aller Vereine und Verbände, die hier eine Plattform zur Selbstdarstellung fanden. Die Katholikentage waren gewiß immer auch von außen her stark beeinflußt. Das Revolutionsjahr 1848 bestimmt die erste Versammlung in Mainz. Kriege verhinderten oft eine reguläre Fortsetzung. Der Nationalsozialismus führte zu einer langen Zwangspause. Der Wiederaufbau Deutschlands nach 1945 prägte die ersten Katholikentage in der neuen Freiheit. Die römische Frage und der Kulturkampf bestimmten über Jahrzehnte das Hauptthema.

Es ist also nicht so leicht, einen eindeutigen roten Faden zu finden, der durch die 150 Jahre alle Katholikentage versammeln kann. Dennoch gibt es einige wichtige durchgängige Perspektiven, die sich in allem Wandel durchgehalten haben. Katholikentage sind vor allem durch die freien Kräfte des Laienapostolats und der Laien, der Vereine und der Verbände bestimmt. Es ist ein gewaltiger Aufbruch, daß die Laien selbst die Entwicklung in die Hand nehmen und relativ unabhängig vom Episkopat über den Ort der Kirche in der Gesellschaft und gegenüber dem Staat verhandeln. Längst bevor es zu Aussagen über die relative Autonomie der irdischen und geschichtlichen Lebensbereiche im Zweiten Vatikanischen Konzil kommt, setzt sich hier ein seiner Eigenständigkeit bewußtes Laientum öffentlich für die Belange der Kirche ein. Wenn auch einzelne Priester und Bischöfe hier maßgeblich mitbestimmten, schon bei der Gründung der Piusvereine, so hatten die Laien doch eine große Freiheit. Gerade diese relativ große Selbständigkeit erzeugte auch eine eigene kirchliche Prägung. Weil ein hohes Maß an Freiheit vorgegeben war, gab es auch einen ungezwungenen Zusammenhalt von Laien und Klerus. So herrschte über Jahrzehnte eine ungekünstelte Kirchlichkeit vor, die sicher da und dort auch vor einzelnen Konfliktsituationen nicht bewahren konnte (vgl. die Konfrontation von Kard. Faulhaber und Oberbürgermeister Adenauer im Jahr 1923 in München). Dies war ein gutes Fundament.

 

Man tut wohl niemand Unrecht an, wenn man der Meinung ist, diese lebendige und herausfordernde Geschichte der Katholikentage sei zu wenig bekannt. Darum ist es eine gute Idee, die 150jährige Geschichte der deutschen Katholikentage überzeugend zu gliedern und in großen Ausstellungstafeln in einer guten Mischung von Bild und Text einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Liebfrauenplatz eignet sich in ganz besonderer Weise dafür. Wenn diese Ausstellung nicht in einem Museum erfolgt, sondern in der Öffentlichkeit der Dom- und Marktplätze, dann entspricht sie nur dem, was die Katholikentage immer schon sein wollten: ein jeweils kraftvolles Eintreten für die Gestaltung des öffentlichen Lebens aus christlichem Geist.

 

Wenn man gelegentlich den Eindruck hat, man könne wegen der Vielfalt und des Gestaltenreichtums der Katholikentage kaum eine Geschichte desselben Phänomens schreiben, so steckt dahinter eine zunächst einmal doppelte Wahrheit. Jeder Katholikentag sammelt auf seine Weise die Kräfte einer bestimmten Zeit und präsentiert sie im öffentlichen Bewußtsein einer Gesellschaft. Diese Sammlung von Stimmen und Tendenzen verdichtet sich wie in einem Brennpunkt, zeigt die Lagebestimmung der Kirche an und neigt natürlich von hier aus nicht ohne weiteres zu einem direkten Vergleich. Eher wird eine singuläre Situation angezeigt. Aber dies wäre doch nur die halbe Wahrheit. Mein erster Eindruck bei der Ausstellung liegt auf der anderen Seite nahe, daß es in sehr unterschiedlichen Situationen eine Geschichte der Aufbrüche des Katholizismus gibt, der jeweils die Bewegungen und Stimmungen einer Gegenwart abwägt und geistesgegenwärtig in die Geschichte hineinzusprechen versucht. Die Zeugniskraft und der Mut zu den Aufbrüchen verbindet diese Geschichte. Auf dem dichten und gedrängten Tafeln wird dies gut erkennbar.

 

Die deutschen Bischöfe, die sich auch auf den Tafeln vermerkt befinden, treffen sich einige Wochen nach dem ersten Katholikentag im November in Würzburg 1848 zur ersten Deutschen Bischofskonferenz. Also haben die Katholikentage in gewisser Weise auch die Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz angestoßen oder wenigstens ihre Errichtung gefördert. Überhaupt kann die Kirche Deutschlands sowohl auf Seiten des Laientums als auch des kirchlichen Amtes nur dankbar auf diese Sammlung der Kräfte des Laientums in der Kirche zurückblicken und die Wahrung der Einheit trotz vielfältiger Ansätze in den Vereinen und Verbänden über Jahrzehnte hinaus als ein Geschenk betrachten. Die Bischofskonferenz nimmt darum an dieser Ausstellung dankbar Anteil. Es ist eine echte Erfolgsgeschichte. Wenn gelegentlich Spannungen und Differenzen auftreten, sind sie, gemessen an dieser 150jährigen Geschichte, wirklich sekundär.

 

In diesem Sinne sage ich dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken besonders dem Ausstellungsbeirat, speziell aber Herrn Dr. Martin Stauch, einen herzlichen Dank für die Dokumentation einer abwechslungsreichen Geschichte, die hier in Mainz nicht endet, sondern vor der Jahrtausendwende neue Kraft schöpft, um ihre Grundfunktion, Schnittpunkt zwischen Kirche und Welt zu sein mit den entsprechenden Impulsen, auch im 21. Jahrhundert zu bewähren. Ich wünsche daher der Ausstellung viele Besucher, nicht zuletzt auch aus der jüngeren Generation.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz