ADVENIAT REGNUM TUUM – DEIN REICH KOMME

Predigt im Pontifikalamt zur Verabschiedung des Geschäftsführers von Adveniat, Prälat Dr. Dieter Spelthahn, und zur Einführung seines Nachfolgers, Pfarrer Bernd Klaschka, am Freitag, 28. Mai 2004, in der Münsterkirche zu Essen

Datum:
Freitag, 28. Mai 2004

Predigt im Pontifikalamt zur Verabschiedung des Geschäftsführers von Adveniat, Prälat Dr. Dieter Spelthahn, und zur Einführung seines Nachfolgers, Pfarrer Bernd Klaschka, am Freitag, 28. Mai 2004, in der Münsterkirche zu Essen

Biblische Texte: Apg 11, 27-30; Lk 12,15 – 21.

Vor wenigen Jahren haben wir die Gründung der Bischöflichen Aktion ADVENIAT, Hilfswerk der deutschen Katholiken für die Kirche in Lateinamerika, begangen. Vorrangiges Ziel ist und bleibt die Unterstützung der Pastoral unter der armen Bevölkerung Lateinamerikas. dabei geht es vor allem auch um die partnerschaftlichen Beziehungen der deutschen Katholiken zu den lateinamerikanischen Ortskirchen. Immerhin sind weit über 700 Bistümer in Mittel- und Südamerika im Horizont dieser Hilfe.

Dadurch, dass ADVENIAT immer schon auf eine ganzheitliche Konzeption von Seelsorge und Hilfe hin verstanden worden ist, konnte man den Eindruck einer weitgehend materiellen Unterstützung der Entwicklung vermeiden, auch wenn dies nicht immer leicht war. Der Name ADVENIAT, eine Bitte des Vaterunsers, hat dieses Programm von Anfang an zum Ausdruck gebracht. Dennoch ist es immer wieder notwendig, gerade auch von der heiligen Schrift her diese Absicht erneut ins Bewusstsein zu rufen und unser Verständnis davon zu überprüfen.

Dies kann vielfach geschehen. Ich wähle heute dafür ganz besonders das Evangelium dieser Eucharistiefeier. Es ist einem größeren Zusammenhang beim dritten Evangelisten entnommen, der im 12. Kapitel (13-34) vom Thema „Habsucht-Geld-Almosen“ handelt. Dabei geht es zuerst um einen Erbstreit (13b – 14), um ein herausragendes Wort gegen alle Habsucht (15b), um die Beispielerzählung vom törichten Reichen (16b – 20), um ein zusammenfassendes Urteil über die Besitzbesessenen, die sich um die Werte der Ewigkeit nicht kümmern. Schließlich mündet alles in einen Aufruf zur Sorglosigkeit an die Jünger, wodurch sich die Christen von den Heiden unterscheiden (22-32). Schließlich endet der Teil mit der Aufforderung, den Besitz zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben (33-34). Hier gibt es auch einen engeren Zusammenhang mit der Lesung aus der Apostelgeschichte: Jeder von den Jüngern soll nach seinem Vermögen den Brüdern in Judäa etwas zur Unterstützung senden (vgl. 11,27-30).

Es ist bekannt, dass vor allem Lukas, den wir immer mehr als einen großen Theologen verstehen, sich auch sehr um das Zeugnis des Christen in unserer Welt kümmert. Heil und Geschichte werden zueinander in Beziehung gesetzt. Das vielfältige Phänomen der Armut lässt den Evangelisten nicht los. Er weiß auch genau, dass zwar die Jesus-Zeit mit Christi Himmelfahrt vollendet und abgeschlossen ist (vgl. Lk 24), dass aber nun zugleich die „Zeit der Kirche“ beginnt (Apg 1), sodass das Verhältnis des Christen zu den irdischen Wirklichkeiten reflektiert werden muss. Lukas weiß, dass die Kirche mit einer längeren Zeitspanne bis zur Vollendung der Welt rechnen muss. Sie verbrennt nicht einfach im eschatologischen Feuer einer Naherwartung. Aber die Kirche darf sich auch nicht in dieser Zeit an die Bedürfnisse und Strukturen der Welt anpassen und ihre Botschaft dabei ausdünnen oder gar verlieren. Dazwischen verläuft der schmale Weg wirklich vom Evangelium her verantworteter Seelsorge.

Es geht dabei um ganz vernünftige, notwendige und praktische Belange. So ist Planung für die Zukunft an sich nichts Verwerfliches, das Beispiel der klugen Hausfrau (vgl. Spr 31,10- 31) macht deutlich, dass Vorsorgen durchaus eine religiöse Tugend sein kann. Aber die Zukunftssicherung, die ja auch ein wichtiges Stichwort unserer Tage ist, kann auch fehlgehen. Was macht der törichte Reiche im Evangelium in den Augen Jesu falsch? Ein reicher Mann hat gute Ernteerträge. Zu bereits vorhandenem Wohlstand kommt neuer hinzu. Deswegen ist auch gegen das Erbauen von neuen und größeren Vorratsräumen an sich noch nichts einzuwenden. Aber die Gesinnung, aus der heraus er dies alles tut, ist verwerflich. Er ist nur auf die „vielen Güter“ und die „vielen Jahre“ fixiert. Drastisch wird das verweltlichte Leben dargestellt: „ruhe aus, iss, trink, sei fröhlich“ (12, 19, vgl. Koh 8,15; Tob 7,10). Das Besitzstreben soll nicht zum Lebensinhalt schlechthin werden. In einem reichlich vorhandenen irdischen Vermögen darf man nicht das Lebensziel sehen, es kann das Leben auch nicht sichern, erhalten, schenken oder verlängern. Das griechische Wort für Habsucht, vor der die Bibel auch sonst warnt (vgl. Mk 7,22; 10,23. 25; Röm 1,29; 2 Kor 9,5; Eph 4,19; 5,3; 1 Thess 2,5; 2 Petr 2,3. 14 und Kol 3,5; Eph 5,5), nämlich „pleonexia“, weist von sich aus auf eine Vergötzung des irdischen Besitzes. Sonst verliert der Mensch die wahren Lebenswerte. Wenn das Gottvertrauen fehlt, führt dies zu innerweltlichen Lebenssicherungen, die dann einfachhin falsch werden. Der Reiche handelt kurzsichtig und darum töricht: Die Zukunft, die er sichern möchte, ist ihm nicht verfügbar. Er versucht die Zukunft wie er sie sieht, allein für sich zu sichern. Wenn er geteilt hätte, so wie es der Text in der Lesung empfiehlt, und den fehlenden Reichtum bei anderen gesehen und ausgeglichen hätte, wäre er reich geworden vor Gott.

Hier zerreißt das Gotteswort die Nebelwand der menschlichen Träume und Illusionen. Er kündigt das Ende, das in weite Ferne gerückt zu sein schien, noch für diese Nacht an. Angesichts des Todes wird die Torheit aller materiellen Lebenssicherungen offenkundig. Unwillkürlich wird man an ein nicht minder eindeutiges Psalmwort erinnert: „Nur wie ein Schatten geht der Mensch einher, um ein Nichts macht er Lärm. Er rafft zusammen und weiß nicht, wer es einheimst.“ (Ps 39,7) Durch diese Gedanken wird eine rein innerweltliche Lebensplanung bloßgestellt: Wofür das alles?

So kann die Sorge um das Lebensnotwendige, die den Menschen von Gott aufgegeben ist, schnell umschlagen in ängstliche Raffgier und Habsucht. Die Worte von der Sorglosigkeit (vgl. Lk 12,22 – 32) liegen auf dieser Linie. Es ist ein herausforderndes Wort, denn wir haben auch bittere Lebenserfahrungen, z.B. vom Hungertod von Millionen von Kindern. Aber dies alles hält den Evangelisten nicht davon ab, die ängstliche Vorsorge des reichen Mannes massiv zu verurteilen und Habgier als ein gefährliches Laster zu brandmarken. Im Evangelium geht es jedoch nicht um eine bloße Warnung und Drohrede. Es will den Blick öffnen für eine positive Einstellung zu den Dingen dieser Welt, auch zu Geld, Besitz und allem, was dazugehört.

Lukas fordert zu sozialem Verhalten auf. Wer seine Habe verkauft und den Erlös den Armen gibt, ist reich vor Gott. Wir können reich werden vor Gott, wenn wir unsere Güter den Bedürftigen schenken (vgl. 14,33) und wenn wir uns selbst hin- und weggeben (vgl. 9,23). Dies ist jedoch eine täglich von neuem einzunehmende Haltung (vgl. dazu Lk 9,23 und Apg 2,46). Es wäre absurd, sich die Zukunft durch Kapital sichern zu wollen. Die Tage sind nicht käuflich. Die Überfülle der Güter kann die Knappheit der Zeit nicht ersetzen. Das Evangelium schlägt einen Lebensstil vor, in dem zwar durchaus für die Zukunft geplant und das Glück gelebt wird, das Geben aber eben nicht Verlust ist, sondern die beste Art des Gewinnens. Die Güter, über die wir verfügen können, gehören letztlich nicht uns. Dieser Sinn für das Teilen soll die menschliche Freude über die Frucht der Arbeit nicht bremsen. Das Leben ist ein Darlehen, das Gott gab. Wer die Begrenztheit seines eigenen Daseins nicht wahr- und ernst nimmt, ist wirklich ein Narr (vgl. Ps 14; 39,5 ff; 49; Ijob, 5,3-5). Reich wird ein Mensch dadurch, dass er seinen irdischen Besitz mit anderen teilt (vgl. 12,33 f; 16,9). Allein dies ist am Ende wirklich klug. Wer jetzt den Notleidenden hilft, legt sein Geld richtig und im besten Sinne gewinnbringend an.

Es ist erstaunlich, wie präzise, gezielt und treffend Lukas von der falschen Selbstsicherheit spricht und wie er das menschliche Verhalten seziert. So können wir auch gut ermessen, wie sehr bei ihm auch schon unsere „Werke“ und „Aktionen“ im Horizont stehen; dabei sind ihre Namen wichtig, weil sie das Zuvorkommen Gottes selbst zum Ausdruck bringen. Unser Teilen ist nur ein Ausdruck dieser vorangehenden Zuwendung Gottes zu uns. Nicht zufällig sagen wir: Misereor, Missio, Renovabis, Adveniat.

Wir danken am heutigen Tag den Frauen und Männern, die in den letzten vierzig Jahren ADVENIAT geschaffen und ausgebaut haben, den Bischöfen von Essen, aber nicht zuletzt auch den Geschäftsführern, besonders heute Prälat Dr. Dieter Spelthahn. Um so dankbarer sind wir, dass wir die Verantwortung heute an Pfarrer Bernd Klaschka als seinen Nachfolger weitergeben dürfen. Eine ausführliche Würdigung und Begründung wird beim Festakt gegeben. ADVENIAT wird jedoch nur hier stellvertretend für alle, die den christlichen Namen tragen, genannt. So wie wir es in der Anwendung der Apostelgeschichte kennengelernt haben: „Man beschloss, jeder von den Jüngern solle nach seinem Vermögen den Brüdern in Judäa etwas zur Unterstützung senden. Das taten sie auch und schickten ihre Gaben durch Barnabas und Saulus an die Ältesten.“ (Apg 11, 29f) Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

es gilt das gesprochene Wort!

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz