„AUFSTEHN“

Gastkommentar für die Mainzer Allgemeine Zeitung - Ostern 2004

Datum:
Samstag, 10. April 2004

Gastkommentar für die Mainzer Allgemeine Zeitung - Ostern 2004

Am letzten Sonntag konnte man viele Transparente sehen mit der Aufschrift „‘Aufstehn‘, damit es endlich besser wird!“. Hat dieses Motto etwas mit der Auferstehung Jesu Christi und dem Osterfest zu tun?

„Aufstehen“ ist ein sehr vieldeutiges Wort, das aber auch eine innere Dynamik enthält. Sie fängt an, wenn wir vom Aufstehen in dem Sinne reden, dass wir uns am Morgen vom Bett erheben können. Dies ist ein alltäglicher Vorgang, aber dass wir jeden Tag aus eigener Kraft aufstehen können, ist keineswegs selbstverständlich. Wir spüren dies, wenn wir krank sind oder wenn eben jemand nie mehr das Krankenlager verlassen kann. Aufstehen spiegelt hier die vitalen Kräfte des Menschen für sein alltägliches Leben. Sie können für eine gewisse Zeit wie gelähmt sein, wie z.B. ein niedergeschlagener Boxer einige Zeit zum Aufstehen braucht.

Das Sicherheben des Menschen gilt jedoch auch noch in einem anderen Sinne. Er will sich nicht alles gefallen lassen. Dies gilt nicht nur für einige Unverschämtheiten, die uns zugemutet werden, sondern vor allem wenn es um Gerechtigkeit geht. Wenn es dabei um grundlegende Bedingungen für ein menschliches Leben geht, z.B.Verlust der Freiheit, gibt es geradezu Aufstände, mit denen wir uns wehren, vor allem gegen Ungerechtigkeit. In verschiedenen Situationen der Niedrigkeit oder der Ohnmacht des Menschen paart sich ein solches „Aufstehen“ mit Aggressivität und Wut. Nicht wenige Kenner des Menschen meinen, er sei von Hause aus überhaupt ein „aufständisches“ Wesen.

Es gibt jedoch für den Menschen Feinde, mit denen er oft umsonst kämpft. Friedlosigkeit und Hass lassen sich oft z.B. nur durch das Ende von Gewalt und ein Stück Bereitschaft zur Aussöhnung gewinnen. Gegen den Tod ist jedoch nach aller menschlichen Erfahrung kein Kraut gewachsen. Gerade deshalb besteht im Menschen ein tiefer Hunger nach einem Leben, das nicht einfach mit dem Sterben zu Ende ist. Hier begegnen wir in vielen Religionen dem uralten Bildwort von der „Auferstehung“. Sie wäre für den Menschen ein ganz unbekanntes und von keinem Menschen erfahrenes Geschick. Ähnlich wie wenn man aufgeweckt wird und aufsteht, soll es sich einmal bei denen ereignen, die den Tod erleiden müssen. In diesem Sinne ist die Auferstehung von den Toten die tiefste Hoffnung im Ringen mit dem mächtigsten Feind desMenschen, dem Tod. Aber es gilt auch für die Aufhebung aller Ungerechtigkeit und des Hasses unter den Menschen, denn Auferstehung bedeutet immer auch Unterscheidung der Geister im Gericht, Sieg über das Böse und Glückseligkeit ohne Ende.

Ostern bezeugt uns in der Feier der Auferstehung Jesu Christi, dass es diese äußerste Hoffnung für den Menschen gibt. Er muss nicht in Hass und Ungerechtigkeit, Leid und Tod untergehen. Von da aus hat er eine begründete Hoffnung auch in seinem Einsatz für mehr Gerechtigkeit in dieser Welt. Er lässt sich durch Niederlagen und Scheitern nicht abbringen von seiner Hoffnung. Er glaubt auch an die Veränderungsbereitschaft des Menschen.

„Aufstehn“ ist vor diesem Hintergrund ein zwar am Ende frohmachendes und ermutigendes, aber auch ein ernstes und nüchternes Wort. Es hat immer auch zu tun mit dem, was uns meist schwerfällt: Kampf gegen Widrigkeiten, Starrheiten und Resignation, Mut zu einem schöpferischen Neubeginn, Hoffnung gegen alle Hoffnung, manchmal auch Verzicht, in jedem Fall Glaube an ein Gelingen über alle Hemmnisse und Schwierigkeiten hinweg. Nur so kann auch das Kreuz noch in der Finsternis leuchten.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz