Schon in der Bibel werden große Feste dadurch eröffnet, daß der Einladende spricht: „Alles ist bereitet. Kommt und feiert mit uns." So geht es uns auch hier in Mainz am Tag der Eröffnung des 93. Deutschen Katholikentags. Wir verdanken dies vielen treuen Helferinnen und Helfern, die in den letzten Wochen manchmal Tag und Nacht gearbeitet haben, aber auch den vielen Tausenden von Besuchern aus nah und fern.
Was haben wir selbst in Mainz für Erwartungen? Was erhoffen wir auch als Bischöfe von diesem Katholikentag?
Wir feiern einen Jubiläums-Katholikentag. Wir wollen nicht aus unserer Gegenwart flüchten und eine längst gewesene Geschichte, nämlich des Jahres 1848, verklären. Die Einmaligkeit der Geschichte erlaubt uns keine Wiederholung. Aber wir wollen auch nicht außer acht lassen, was uns in der lebendigen Erinnerung auf unserem Boden für heute eine Hilfe sein kann. Gerade wir katholischen Christen leben nicht nur in der aktuellen Stunde, so geistesgegenwärtig wir auch sein wollen und müssen. Wir leben nie in der puren Gegenwart, sondern reichen zurück in gewesene Zeiten, aus denen wir herkommen, strecken uns nach vorn in die Zukunft der Geschichte. Wer so denkt und so sich verhält, ist etwas langsamer in der Anpassung an die jeweiligen Verhältnisse, er ist aufgrund seiner Erfahrung auch nicht so vorschnell und willig gegenüber dem Zeitgeist, daß er morgen schnell wieder von gestern ist. Einige Orientierungslichter wollen wir uns von 1848 gerne vorgeben lassen. Da ist vor allem die rasche Entschlossenheit der katholischen Laien, im revolutionären Klima des Jahres 1848 sich zusammenzuschließen, die Stunde entschlossen zu nützen und für Unabhängigkeit und Freiheit der Kirche zu kämpfen, damit sie ihre Sendung besser erfüllen kann. Einen solchen entschlossenen Mut, sich in einer geschichtlichen Situation rasch zu finden und zu handeln, brauchen wir auch heute. Dabei haben die katholischen Christen gewiß damals auch an die Chancen gedacht, die sich für die eigene Kirche bieten, dennoch ging der Blick weit hinaus bis zur universalen Gültigkeit der Menschenrechte, besonders im Blick auf die Glaubens-, Meinungs- und Pressefreiheit. Dieser Einsatz für eine inzwischen noch vertiefte Menschenrechtstradition steht uns auch heute gut an. Die Laien haben damals mutig ihre Stunde genützt. Sie waren in der Mehrzahl, aber auch bedeutende Priester, Theologen und Bischöfe waren z.B. in der Paulskirche, um nur den westfälischen Pfarrer Friedrich Wilhelm Emmanuel von Ketteler, den Münchener Professor Johann Joseph Ignaz Döllinger und den Bischof Johann Georg Müller aus Münster zu nennen. Der Mainzer Domkapitular Lennig war wohl der entscheidende Anreger für den ersten Katholikentag. Es war ein wenig auffälliges, unverkrampftes Miteinander von Laien und Bischöfen, Priestern und Ordensangehörigen. Solche ungekünstelte Kirchlichkeit tut uns auch heute not.
Wir stehen an einem wichtigen Meilenstein der gesellschaftlichen Entwicklung. Wenn nicht alle Zeichen trügen, brauchen wir ein hohes Augenmaß, um mutig in eine neue Zeit hineinzugehen, ohne unsere wertvollen Errungenschaften zu opfern. Arbeit ist schnell und überraschend selten geworden. Wir müssen neu lernen, sie zu teilen. Arbeit ist nicht nur Erwerbsarbeit. Wir müssen die nicht-bezahlte Arbeit in unsere Gesellschaft ganz anders anerkennen. Wir brauchen auch mehr Eigenverantwortlichkeit und Mut zum Wettbewerb, ohne daß wir den, der unter die Räder gekommen ist, aufgeben. Erfolg an der Börse darf den ökonomischen Wert des sozialen Friedens nicht verachten. Schöpferische Fähigkeiten müssen anerkannt und besser belohnt werden. Gerade wenn unsere Wettbewerbsfähigkeit und die schöpferischen Kräfte in Forschung und Anwendung wachsen, müssen wir uns allerdings auch fragen, ob wir alles tun dürfen, was wir machen können. Immer mehr bedrängt uns die Frage, woher wir soviel ethische und spirituelle Gemeinsamkeiten nehmen wollen, die wir brauchen, um gemeinsam solche Entscheidungen zu treffen. Wir sind diesen säkularen Herausforderungen noch nicht genügend gewachsen.
Wir haben aber nicht mehr viel Zeit. Die Jahrtausendwende ist eine gute Gelegenheit zur Sammlung der Kräfte. Wie ein Athlet vor dem Sprung oder der Endphase seines Laufes alle Energien sammelt, sollten auch wir die Kräfte messen für den Sprung in das dritte Jahrtausend. Wir sind noch nicht so weit, aber wir haben Grund zur Hoffnung. Es ist eine Hoffnung nicht bloß unbestimmter Visionen und ferner Utopien, sondern eine Hoffnung, die auch die Vergeblichkeit und das Scheitern so vieler Pläne kennt, sich aber trotzdem nicht den Schneid abkaufen läßt, ungewohntes, noch erst zu erprobendes Neuland zu betreten. Auch wir haben nicht für alles Rezepte, auch wir brauchen Experten, auch wir müssen in vielem streiten, um zur Gemeinsamkeit zu kommen, aber es ist uns eine Hoffnung geschenkt, die sich nicht irre machen läßt, die auch nicht verbissen Vorletztes für Letztes hält und die ihre Kraft zu Zuversicht und Geduld gegen alle Hoffnungslosigkeiten unserer Welt behält. Aber solche Hoffnung ist kein Naturereignis. Sie wird uns nur dann als Gabe Gottes lebendig und wirksam bleiben, wenn wir sie als Chance und Aufgabe ergreifen. Deshalb ist an erster Stelle der unersetzliche Mut des Einzelnen zum Zeugnis für die Kraft des Evangeliums notwendig.
Das Leitwort und das Logo, der Delphin im Sprung, sagen uns dies auf je eigene Weise. Das Kreuz macht nüchtern, schwierige Wirklichkeit zu sehen, zu ertragen und mit ihr zu kämpfen, es macht uns aber bei aller Skepsis auch mutig und sogar siegesgewiß. Um dies fruchtbar werden zu lassen, brauchen wir die vielen Gottesdienste, das Stille Gebet, die Erfahrungen unserer Gemeinschaft, die Feier, die Tiefe der Kunst, das Aufeinanderhören im Gespräch. Dies sollen nichts anderes als Zugänge sein, um das Leitwort in die Tat unseres Lebens umzusetzen: Gebt Zeugnis von Eurer Hoffnung.
Geistliches Wort und Segen von Bischof Karl Lehmann in der Eröffnungsveranstaltung des 93. Deutschen Katholikentages am Markt in Mainz
In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist viel Hoffnung zerronnen. Wir wollten in vielem höher hinaus, als es gut war. Unser Können hat die Erde beschädigt. Wir sind zum Mond und tief in das Weltall geflogen, haben aber z.B. die Lepra noch nicht ausgerottet. Die ärmsten Länder der Welt rüsten atomar auf und führen unbegreifliche Bruderkriege. Europa ist dabei, wie der Kosovo zeigt, nicht verschont. Naturkatastrophen kommen hinzu. Das entsetzliche ICE-Unglück in Eschede hat uns aus dem verborgenen Traum absoluter Sicherheit gerissen und gezeigt, daß trotz aller Perfektion in unserem Leben immer noch Einbruchgefahr und Bodenlosigkeit drohen und herrschen.
Vieles hat die Menschen in aller Welt und auch bei uns mutlos gemacht. Sie haben oft keine Utopien und nicht selten auch keinen Glauben mehr. Die Hoffnung ist auf ihren Lippen erstorben. Es ist schwerer geworden, von ihr zu reden.
Aber es gibt das Evangelium der Hoffnung, von dem wir uns nicht abbringen lassen wollen. Es gibt immer wieder Menschen, die in der Traurigkeit unserer geschichtlichen Erfahrung Signale der Hoffnung setzen: für den Erhalt der Erde, für Solidarität mit den Armen, für Treue unter den Menschen, für die Anbetung Gottes. Wir brauchen nicht zu verzweifeln. Wir haben in allem und für alles eindrucksvolle Zeugen der großen Hoffnung, Frauen und Männer. In der Mitte steht Jesus Christus, der treue Zeuge Gottes in unserer Welt, der uns durch das Leiden und den Sieg am Kreuz eine Hoffnung geschenkt hat, die im Leben und auch noch im Sterben Halt gibt. Sie wird auch in den kommenden Tagen Quelle der Kraft und der Ermutigung sein, wenn wir miteinander um die besten Wege ringen, wie wir glaubwürdig und wirksam je an unserem Platz Zeugen dieser Hoffnung werden können.
In diesem Sinne wollen wir miteinander um den Segen Gottes für diese vier Tage beten:
„Laß die Gläubigen die Zeichen der Zeit verstehen und sich mit ganzer Kraft für das Evangelium einsetzen. Mache uns offen für das, was die Menschen bewegt, daß wir ihre Trauer und Angst, ihre Freude und Hoffnung teilen und als treue Zeugen der Frohen Botschaft mit ihnen dir entgegengehen."
Dazu segne uns alle der allmächtige und barmherzige Gott,
der + Vater, der + Sohn und der + Heilige Geist. Amen
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz