Gastkommentar für die Allgemeine Zeitung Mainz, 5. August 2006
Wenn man die Bilder der kriegerischen Auseinandersetzungen aus dem Nahen Osten betrachtet, könnte man am Menschen verzweifeln. Hochtrabende Aufklärung wird ganz still. Die Friedensforscher ziehen sich zurück. Die Politik erscheint ohnmächtig.
Trotzdem gibt es zu allen diesen Instanzen keine Alternativen. Aber wir müssen alle lernbereiter werden, wenn es anders kommen soll.
Seit Jahrzehnten, als die britische Macht viele Teile des heutigen Nahen Ostens befehligte und es zu den Gründungen der heutigen Konfliktparteien kam, hat man in dieser Region viele Fehler gemacht, die sich immer wieder rächen; Gebietsannektierungen und Siedlungen in diesem Bereich gehören ebenso dazu wie die Verweigerung eines Existenzrechtes für Israel, die Unterstützung revolutionärer bzw. terroristischer Gruppen und das Flüchtlingswesen.
Die Konflikte schwelen schon lange. Dadurch wurde manche Position auf allen Seiten verhärtet. Dies ist auch ein Grund, warum die Politik immer schwächer wurde. Die Vereinten Nationen sind zu schwach, um die 2004 beschlossene Entwaffnung der Hisbollah zu verwirklichen. Es war eine Illusion zu glauben, dass ein neues Libanon dies könnte, wenn die Hisbollah mit am Kabinettstisch sitzt. Die Europäische Union ist in der Außenpolitik ein zahnloser Tiger, dem dazu die gemeinsamen Wertüberzeugungen fehlen; nationale Interessen überwiegen immer noch.
So hat man Israel lange allein gelassen im doppelten Sinn: Man ist ihm bei allen Hilfen in der Entflechtung des Konfliktes nicht wirklich beigestanden. Die Weltöffentlichkeit hat sich kaum dafür interessiert, dass immer wieder Raketen aus dem Libanon das tägliche Leben der Israelis im Norden in Grenznähe bedrohten. So ist Israel gerade auch in diesen Tagen versucht, sich mit allen Mitteln durchzusetzen. Dies ist die Folge, wenn man jemanden bald 60 Jahre nach der Staatsgründung immer wieder und immer noch das Existenzrecht abspricht. Man darf Israel bei diesen Versuchungen zur Überreaktion nicht allein lassen.
Was in diesen Tagen geschieht, ist von Seiten Israels nicht nur, was eine Standardformel von Diplomatie und Politik ist, eine Verletzung der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel. Es ist unerträglich, wenn das Blut unschuldiger Menschen, besonders von Zivilisten und vor allem von Kindern, vergossen wird. Solche Dinge kann man nicht in Kauf nehmen.
Der Krieg hat sich verändert. Es gibt keine schnellen Siege der hochaufgerüsteten und technisch massiv überlegenen Truppen mehr. Der Partisanenkampf lebt in neuer Form wieder auf. Viele Dinge sind die Folge: die Geiselnahme der eigenen Bevölkerung als Schutzschild, die bewusste Gefährdung ungeschützter und wehrloser Ziele in der Bevölkerung auf beiden Seiten, die Vermengung von irregulären Kämpfern mit den Einwohnern usw. Auf der Strecke bleiben die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung – elementare Grenzen kriegerischer Barbarei.
Ohne eine große regionale Konferenz zur Befriedung eines „neuen Nahen Ostens“, die größte internationale Unterstützung braucht, und an der auch die heimlichen Drahtzieher der Konflikte nicht fehlen dürfen, kann es wohl kaum eine friedvolle Zukunft geben. Die Welt aber muss im Gegenüber zum Irak, Afghanistan, Palästina und Libanon unablässig lernen, präventiv Konflikte, vor allem aber auch Armut, zu entschärfen und zu mildern, um so möglichst Kriege von vornherein zu verhindern. Es fehlt nicht an Instrumenten dafür.
© Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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