Ansprache bei der Gedenkfeier zur 60. Wiederkehr des Jahrestages der Bombadierung der Stadt Mainz

am 27. Februar 1945/2005 am Mahnmal St. Christoph in Mainz

Datum:
Sonntag, 27. Februar 2005

am 27. Februar 1945/2005 am Mahnmal St. Christoph in Mainz

Es trifft sich gut, dass wir heute, genau 60 Jahre nach der schrecklichen Zerstörung der Stadt Mainz, das Weltjugendtagskreuz auf seinem „Weg der Versöhnung“ durch die ganze Welt, durch Europa, durch Deutschland und auch durch das Bistum Mainz hier als Gast haben und an diesen Ort der Erinnerung bringen durften.

Wir haben soeben durch den Oberbürgermeister dieser Stadt, Herrn Jens Beutel, in schwindelerregenden Zahlen die fast unvorstellbare Größe der Verwüstung wieder nachvollzogen. Nach vielen Angriffen in den Jahren zuvor wurde der 27. Februar 1945 in 20 Minuten zum schwärzesten Tag, an dem 80 % der Innenstadt vollkommen zerstört wurde. Ähnlich wie bei Dresden wenige Tage vorher muss man sich fragen, welchen Sinn eine solche Zerstörung angesichts des nahen Kriegsendes haben sollte.

Bei uns steht das Kreuz, das uns an die Unbegreiflichkeiten unseres Lebens erinnert. Auch heute wollen wir nicht zu viele Worte machen. Wir neigen uns vor den über 1200 Menschen, die ihr Leben verloren haben. Wir denken an die vielen, die ein Leben lang an Verletzungen an Leib und Seele gelitten haben. Wir gedenken der Toten und ihrer Angehörigen. Viele leiden und trauern noch heute.

Wenn wir an die Zerstörung einer so traditionsreichen, blühenden Stadt denken, wollen wir das unfassbare Leid, das der Zweite Weltkrieg über zahllose Menschen gebracht hat, nicht vergessen. Aber auch heute erinnert uns das Kreuz an die vielen Opfer in den Kriegen und Auseinandersetzungen unserer Tage. Der grausame und oft hinterhältige Terrorismus hat die Tür zu neuen Verbrechen aufgetan. Dabei wollen wir in dieser Stunde nicht nur an die Opfer menschlicher Gewaltanwendung denken, sondern auch an die vielen Menschen, die gerade in den letzten Wochen durch Gewalten der Natur, seien es die Tsunamis in Südasien, seien es die wiederholten Erdbeben z.B. im Iran, jäh hinweggerafft wurden. Das Kreuz erinnert uns daran, dass wir immer wieder ziemlich hilflos solchen Gewalten einer übermächtigen Natur, gegenüber der wir wieder – ein schon vergessenes Wort taucht wieder auf - Demut empfinden, und grausamer Unmenschlichkeit ausgeliefert sind.

Um so dankbarer sind wir gerade auch an einem solchen Tag, dass aus den Ruinen über den Massengräbern wieder Kräfte der Versöhnung wuchsen und auch trotz dieser bitteren Erfahrung ihre Hoffnung nicht besiegen ließen, sondern diese Stadt wieder aufgebaut haben. Es ist das noch größere Wunder, dass diese Menschen, die oft nur das nackte Leben retteten, dem Tod und der Hoffnungslosigkeit trotzten und mutig wieder daran gingen, ihre Häuser wieder aufzubauen und Kindern wieder das Leben zu schenken. Auch das Kreuz ist nicht einfach das Zeichen des Schmerzes und des Leids, sondern am Ende ist es mit den ausgestreckten beiden Balken, die in alle Himmelsrichtungen weisen, das Symbol des Sieges und der menschlichen Kräfte, die trotz so großer Rückschläge nicht einfach aufgeben.

Es bleiben viele Erinnerungen an jene Tage, die Gott sei Dank in den letzten Jahrzehnten auch einen vielfachen Niederschlag gefunden haben. Manche Gebäude wie hier St. Christoph sind ein lebendiges Mahnmal. Das Kloster der Klarissen-Kapuzinerinnen von der Ewigen Anbetung in der Gymnasiumstraße erinnert uns heute noch erschütternd an den Tod der 41 Schwestern im Keller, aber auch an das unverdrossene Weiterleben danach, gerade auch in der Fürbitte und in der Anbetung. Auch haben in diesen schlimmen Tagen, Wochen und Jahren die Hilfen so vieler Menschen füreinander nicht gefehlt. Nicht selten beschämt uns die Solidarität in der Armut und im Eintreten füreinander. Ich brauche nur - gerade an dieser Stelle- den Namen von Pfarrer Franz Adam Landvogt zu nennen, dessen Geist auch heute noch in dem nach ihm benannten Werk in unserer Stadt weiterlebt.

So wollen wir an diesem Tag auch für die Aufgaben und Sorgen unserer Tage Mut fassen. Es gab damals viele Menschen, die mit unvorstellbarer Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit, Rachelust und Ungerechtigkeit hingemordet worden sind. Ich brauche nur Dietrich Bonhoeffer, die Geschwister Scholl mit Prof. Huber und Alfred Delp zu nennen. Sie zeigen uns, welche Kraft mitten in aller Zerstörung im Kreuz verborgen ist. Gott steht auf der Seite der Opfer. Ich schließe damit auch die vielen Frauen und Männer ein, die aus unserer Heimat stammen und ihr Leben eingebüßt haben.

Auch bei uns in Mainz ging damals und heute das Leben weiter. Auch das Kreuz geht den Weg der Versöhnung weiter. Es kann keine andere Botschaft bringen als den Frieden und die Versöhnung. Diese Versöhnung ist aber unteilbar. Sie gilt immer, überall und allen Menschen. Wir haben eine große Chance, dieses Holz des Kreuzes, das gleichsam das Kreuz der Hoffnung geworden ist, mehr in unser Leben hineinzustellen. Not, Hoffnungslosigkeit, Unfriede, Streit, Krieg, menschliches Versagen und Schuld dürfen nicht das letzte Wort haben. Von dieser Hoffnung müssen wir noch mehr in Wort und Tat, vor allem durch unser Leben erzählen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz