Die Überschrift dieser Besinnung ist allgegenwärtig in der heutigen Jugendsprache. Dies kommt natürlich - wie könnte es anders sein - von der Allgegenwart, die zur Kommunikation mit dem Internet und den sogenannten Sozialen Medien gehört. Wir kennen dies aus dem Alltag unseres Lebens. Menschen gehen über die Straße, auch über die Zebrastreifen, ohne nach links und nach rechts zu sehen. Sie sind immer „auf Empfang".
Es gehört zu unserer modernen Lebenswelt, dass wir immer auf Draht sind und alles in der Welt mitbekommen wollen, Erfreuliches und Schlimmes. Im Nu hören wir von Mordanschlägen weit von uns weg; in wenigen Minuten geht z.B. die Nachricht von dem Flugzeugabsturz in den französischen Alpen um die Welt. Diese Allgegenwart der Welt an allen Orten scheint die „Modernität" unserer Gegenwart auszumachen. Kein Wunder, dass die Jugend unserer Tage unter allen Umständen hier dabei sein will. Ja nichts versäumen!
Man soll nicht leugnen, dass dadurch auch in der Welt eine größere Solidarität, ja sogar ein Mitfühlen mit den Menschen anderer Kontinente entstehen kann. Zwei Dinge können dabei zusammenkommen, die sich oft auseinanderentwickeln und entfremden, nämlich die Globalisierung, die unsere Welt in besonderer Weise auszeichnet, und ein echtes Mitfühlen mit der Situation anderer Menschen, das man oft international in verschiedenen Sprachen „Compassion" nennt. Aber leider ist statt dieser Nähe sehr oft Gleichgültigkeit entstanden: Wir werden immer wieder durch neue Schreckensnachrichten überhäuft, ja geradezu überfallen, und werden dabei gefühllos, unsensibel. Wenn noch der Faktor „Sensation" hinzukommt, dann entsteht statt tieferer Anteilnahme größere Distanz, ja manchmal regelrechtes Desinteresse.
So schön es also sein kann, immer auf Empfang zu sein, so sehr muss man aufpassen, dass man durch diese unaufhörliche Offenheit nicht unfähig wird z.B. für fremdes Leid. Permanente Empfangsbereitschaft kann abstumpfen. Alles wird gleich-gültig. Dies kann eine regelrechte emotionale Krankheit werden, weil wir wirklich den Schmerz und das Leid, vielleicht auch einmal die Freude und das Glück anderer, gar nicht mehr wahrnehmen.
In solchen Situationen muss man eigentlich immer ganz bewusst gegensteuern. Man muss eben nicht immer bis zur Gedanken- und Seelenlosigkeit „auf Empfang" sein. Man muss auch einmal abschalten können. Nicht um sich nur in seine eigene Innerlichkeit oder gar seine Traumwelt zurückzuziehen und sich in seiner eigenen Welt zu vergraben, sondern um sich in der Stille vom Lärm der Welt und der Nachrichten zu erholen und frisch zu bleiben für jenen Anruf, der gerade mich erreichen soll und den ich nicht überhören darf.
Dazu gehört auch, dass man das Gesehene und Gehörte bedenkt. Dazu braucht man Abstand vom Dauergerede. Dafür braucht man auch Ruhe und Stille. Dann wird man auch wieder feinfühliger. Man hört dann im Getöse der Welt, wenn einer uns - vielleicht sogar leise und wimmernd - sucht und am Ende nach uns schreit. Diese Stille muss man aber einüben. Sie ist in unserer Welt nicht mehr selbstverständlich. Besinnung und Nachdenklichkeit und das Ertragen von Einsamkeit gehören dazu. Und vielleicht auch einmal ein Gebet, ein kurzes Stoßgebet, wo uns nicht so viel zum Plappern einfällt. Aber wichtiger ist dann, dass wir in Gedanken und in der Tat bei jemand bleiben und nicht zum nächsten „Empfang" davonstolpern.
Die richtige Mischung zu finden zwischen immerwährender Empfangsbereitschaft und Abschaltenkönnen, um sensibel zu bleiben, das brauchen wir heute, um menschlich zu sein und zu bleiben. Auf Dauerberieselung zu verzichten und besinnlich zu werden, dies gehört zu einem modernen Fasten.
(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
Diese Gastkolumne lesen Sie auch in der aktuellen Ausgabe der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 5. April 2015
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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