Auf dem Weg zur Demokratie. Die Katholiken in Mainz und Frankfurt 1848"

Datum:
Donnerstag, 11. Juni 1998

Schlußwort von Bischof Karl Lehmann bei der Festveranstaltung in der Paulskirche zu Frankfurt am Main anläßlich des 93. Deutschen Katholikentags am Donnerstag (Fronleichnam)

Diese Festveranstaltung in der Paulskirche, die in diesen Monaten ganz besondere Beachtung erfährt, erinnert an den mit der Frankfurter Nationalversammlung eng verbundenen Katholikentag und an 150 Jahre deutsche Katholikentagsgeschichte. Es war eine gute Stunde, ja eine Sternstunde der Besinnung für uns alle. Darum darf ich allen Beteiligten, zugleich im Namen von Herrn Staatsminister Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, des Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, ein herzliches Wort des Dankes sagen.

 

Ihnen, Frau Oberbürgermeisterin Petra Roth, danken wir nicht nur dafür, daß wir hier sein durften, sondern auch für Ihre freundliche, ermutigende Eröffnung. Ebenso danke ich dem Ortsbischof, Bischof Franz Kamphaus von Limburg, für seine aufrüttelnden Worte. Besonderer Dank aber gebührt den beiden Hauptvortragenden. Staatsminister a.D. Prof. Dr. Hans Maier, langjähriger Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, immer noch einer der dienstältesten Kultusminister der Nachkriegszeit und ein großer Kenner der Geschichte des Katholizismus, hat uns in die spannende Geschichte des Jahres 1848 hineingenommen und uns von den Ursprüngen her zu unserer heutigen Verpflichtung geführt. Verehrter Herr Bundespräsident, Sie haben nach Ihrem wegweisenden Vortrag am 18. Mai hier in der Paulskirche und heute uns nochmals eine magistrale Reflexion geschenkt, diesmal über das heutige Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Man spürte in einem den Wissenschaftler und Politiker, den Verfassungsjuristen und erfahrenen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, den evangelischen Christen und das Staatsoberhaupt. In der Geschichte der Katholikentage wird diese weit über den hier versammelten Kreis hinausgehende Besinnung ihre Spuren zurücklassen. Ich sage Ihnen beiden im Namen aller einen sehr herzlichen Dank.

 

Erlauben Sie mir zum Schluß einige wenige Bemerkungen. Es war erstaunlich, wie sich ab dem Vormärz 1848 die katholischen Kräfte sammelten. Allein in Baden gab es bis zum Herbst, also dem ersten Katholikentag im Oktober, rund 400 „Pius-Vereine für religiöse Freiheit" mit rund 100.000 Mitgliedern. Es war ein unglaublicher Aufbruch, mit der die katholischen Laien aus der Defensivhaltung heraus sich in die Reihe des Kampfes um liberale Freiheits- und demokratische Gleichheitsrechte stellten. 1.142 Petitionen mit über 273.000 Unterschriften gingen für die Freiheitsrechte der Kirche an die Paulskirche. Vieles davon ging in die Grundrechte der Paulskirche ein. Überhaupt gehörten die katholischen Christen über 1848 hinaus ein Stück weit zu den Gewinnern der Paulskirchen-Versammlung. Daran konnte auch später der Kulturkampf nichts ändern. In diesem Sinne gingen von der Nationalversammlung und der Generalversammlung in Mainz vom 3. -6. Oktober weitreichende Impulse aus, denn die katholischen Laien gingen nun vom Boden des Verfassungsstaates aus und haben - immer noch Minorität - mehr und mehr den modernen Staat unterstützt. Man denke nur an die Bedeutung des Zentrums, das aus dem Schoß der Katholikentage entstanden ist, und an die Beiträge zur sozialen Gesetzgebung bis in die Weimarer Republik hinein. War der Weg zur Anerkennung des demokratischen Gemeinwesens auch lange, so war die Unterstützung nachhaltig. Dies hat sich wiederum auch nach 1948 und an den folgenden Katholikentagen gezeigt, die zum Aufbau des schwer darniederliegenden Deutschlands viel Mut und Zuversicht beigetragen haben.

 

Es bleiben noch viele Aufgaben. Herr Professor Hans Maier und Herr Bundespräsident Herzog haben von ihnen gesprochen. Unser Staat-Kirche-Verhältnis ruht auf zwei Pfeilern,die freilich immer wieder der Anerkennung durch die Gesellschaft ausgesetzt sind. Die Freiheit beider Partner braucht eine Unabhängigkeit des einen vom anderen. Dies ist das Ergebnis eines langen Kampfes in der europäischen Geschichte. Aber es bleibt nicht bei einem gleichgültigen Neben- oder Gegeneinander, sondern es gibt im Interesse des einen und ganzen Menschen, der Bürger und Christ zugleich ist, eine immer wieder neu vereinbarte punktuelle Kooperation auf vielen Feldern des gesellschaftlichen Lebens. Wir wissen heute besser um unsere gegenseitige Verwiesenheit und auch um die Armut des einen ohne den anderen.

 

Äußere Nähe besagt aber noch nicht innere Nähe. Gemeint ist damit nicht ein durchsichtiges Sicheinmischen in die inneren Angelegenheiten des Staates seitens der Kirche. Gemeint ist vielmehr ein inneres Mitgehen der Kirche mit der konstitutiven Labilität des modernen Staates, der auf ein Ethos angewiesen ist, das er selbst nicht erzeugen oder verordnen kann. Diese innere Nähe ist nicht eine hinterhältige Art, aus der Not eines anderen Kapital zu schlagen, sondern ist ein solidarischer, aufrichtiger Dienst am Gemeinwesen. Ich bin fest überzeugt, daß dies einer der wichtigen Aufträge der Kirche im Blick auf den Staat für heute ist. Es wird viel davon abhängen, wie weit beiden, Staat und Kirche, diese Nachbarschaft ohne falsche Verbrüderung, aber auch ohne verachtende Gleichgültigkeit gelingt. In einer Zeit, in der die Nation und erst recht der Nationalismus nicht mehr die feste einigende Klammer des Staates sind, ist dieses Eintreten für Grundwerte und verbindliche Maßstäbe viel wichtiger. Im übrigen ist die Begründung eines vereinten Europas ein Stück Einlösung der großen Visionen einer freiheitlichen Neuordnung Europas von 1848. Dies ist der heutige Auftrag, der uns mit den Frauen und Männern in der Paulskirche und auf dem ersten Katholikentag verbindet.

II.

 


Predigt von Bischof Karl Lehmann anläßlich des 93. Deutschen Katholikentags in der Eucharistiefeier an Fronleichnam, auf dem Markt in Mainz

"Das Brot des Lebens"

Wir katholischen Christen feiern zwar weltweit täglich Eucharistie, aber zweimal im Jahr wird sie in besonderer Weise hervorgehoben: Am Gründonnerstag in der Karwoche gedenken wir des Ursprungs der Eucharistie aus der Lebenshingabe Jesu, eng verbunden mit seinem Leiden und Sterben für alle. An Fronleichnam wird dieses tiefe Geheimnis des Lebens Jesu, gegenwärtig in den Zeichen von Brot und Wein, hinausgetragen in die Öffentlichkeit unseres Lebens. Fronleichnam hing deshalb immer wieder eng mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus zusammen.

 

Es ist nicht zufällig, daß wir an diesem Tag den Herrn der Welt mitführen auf den Straßen unserer Städte und Dörfer. Fronleichnam ist so etwas wie eine äußerste Möglichkeit und Konsequenz der Menschwerdung Jesu Christi. Jesus kam aus der Tiefe des göttlichen Lebens, als Sohn und Erbe des Vaters, zu uns in die Enge und Bedrängnis unserer Welt. Er spielt dabei nicht nur ein wenig Welttheater, sondern hat sich ganz konkret in unsere Welt begeben. Er streifte nicht nur gleichsam mit dem Mantel göttlicher Hoheit den Saum unserer Erde, sondern wurde einer von uns und nahm die konkrete menschliche Natur mit dem Schicksal der Menschenwesen an. Er hat wirklich alles angenommen, was Menschen geschehen kann. Als sein Leben durch die Gewalt anderer vollendet wurde, sammelte er die ganze Essenz, das, worauf es ankommt, im Geheimnis des Mahles mit seinen Jüngern. Es wurde das leibhaftige Zeichen für seine ganze Lebensrichtung: Hingabe und Drangabe der eigenen Existenz für die vielen, für alle. Dies war nicht nur ein einmaliges Ereignis, sondern damit hat er über das persönliche Vermächtnis hinaus den neuen, ewigen Bund mit der Menschheit geschlossen. Der Kirche, die wie die Sakramente aus seiner Seitenwunde entspringen als Früchte seiner Lebenshingabe und seines Todes, erhielt von ihm den Auftrag: „Tut dies zu meinem Gedächtnis." Seither wird die Eucharistie als zentraler kostbarer Schatz der Kirche aufbewahrt und vergegenwärtigt.

 

Damit hat sich das Lebensgeheimnis Jesu ganz tief in unsere Geschichte eingesenkt. Jesus Christus ist leibhaftig und zugleich geistlich unter uns in den elementaren Symbolen menschlicher Nahrung gegenwärtig, den uralten Gaben von Brot und Wein. Es ist der testamentarische Wille des Herrn, daß der Herr in der Eucharistie, besonders in der Eucharistiefeier, seiner Kirche stets besonders nahe ist. Er geht mit uns und erfüllt damit in besonderer Weise den Gottesnamen, nämlich als Immanuel seinem Volk vorauszugehen. In ganz neuer Weise ist Gott bei den Menschen, wie in einem heiligen Zelt, das mitwandert.

 

Die Eucharistie vergegenwärtigt den Herrn bei uns auf besonders dichte Weise in den geschöpflichen Zeichen von Brot und Wein. So unmittelbar und sinnlich greifbar, aber zugleich so verhüllt und verborgen ist Gott bei uns. Er begleitet die Kirche auf dem Weg durch die Zeiten. Darum ist die Eucharistie in tiefer Weise das Sakrament zwischen den Zeiten. Es entspringt der Vollendung des Lebens und dem Tod Jesu und geht mit uns als unauslöschlicher Bund bis an die Ufer der Ewigkeit. Die Eucharistie ist ein tiefreichendes, geschichtliches, irdisches Zeichen. Um so mehr ist es Geheimnis, Sakrament.

 

Dies hat viel mit der Hoffnung zu tun, über die wir in diesen Tagen immer wieder sprechen. Der Mensch ist ja von Hause aus ein Wanderer zwischen zwei Welten. Er ist ständig unterwegs von einem Aufenthalt zu einem anderen. Er kann müde werden auf dieser Wanderschaft, weil er dabei auch viel Vorläufiges, Fragmentarisches, Zerbrechliches, Endliches, Scheiterndes und auch Sündiges erfährt. Aber die Eucharistie ist uns gegeben, damit wir unterwegs nicht allein sind. Da sie in so dichter Weise Jesus Christus unter uns gegenwärtig hält wie in keinem anderen Zeichen, darum ist sie nicht einfach nur rückwärtsgewandte Erinnerung, sondern kräftige Gegenwart und immer schon ein realer Vorgeschmack auf die letzte Vollendung. Unser Glaube sagt darum auch, daß die Eucharistie ein „Angeld", so etwas wie eine erste Anzahlung und erste Rate, auf die Vollendung ist, die wir in dieser Zeit nicht erfahren.

 

Dies sagt viel über unsere Hoffnung. Denn diese ist nicht vage und unbestimmt, keine leere Phantasie, nicht nur ein „Prinzip" Hoffnung. Vielmehr hat diese Hoffnung sich eigentlich schon bewährt. Sie hat auch einen Namen. Es ist eine begründete Hoffnung, weil Jesus durch seinen Sieg über die widrigen Mächte der Sünde und des Todes, der Eigensucht und des ewigen Kreisens um sich selbst bereits einen neuen realen Anfang begonnen hat. Der Keim der Hoffnung lebt schon in unserer Welt. Es ist zwar „nur" ein Vorgeschmack, aber ein solcher kann ja besonders gut schmecken und uns erfreuen. Darum ist die Eucharistie für alle Wanderer zwischen den zwei Welten Unterpfand einer Hoffnung, die uns nicht enttäuscht.

 

Darum nennen wir von alters her Eucharistie auch die Wegzehrung, das viaticum. So wie es dem Einzelnen, der sein Leben vollendet, als letzte Hilfe dieser Welt übereignet wird, ähnlich geht die Eucharistie auch Tag für Tag mit der Kirche durch alle Zeiten. Dies zeigt, wie tief die Eucharistie täglich erfahrbare Gewähr der christlich begründeten Hoffnung ist. Deshalb wird sie auch mit Recht Brot des Lebens genannt. Wieviele Menschen holen sich immer wieder aus der Tiefe dieses Sakramentes Mut und Kraft für den Alltag! Hier ist Hoffnung nicht nur ein großes, aber fernes Versprechen am unerreichbaren Firnament, sondern kleine Signale und Zeichen sind wie eine Abschlagszahlung auf die große Verheißung, wie Kleingeld im Verhältnis zu den großen Scheinen, die man nicht wechseln kann.

 

Darum feiern wir auch in der Öffentlichkeit unseres Lebens Eucharistie, sind uns als Pilger auf den staubigen Straßen dieser Welt unserer Endlichkeit und Sterblichkeit bewußt, ziehen vorbei an den armen und reichen Wohnstätten der Menschen, an Krankenhäusern und Friedhöfen, an Kirchen und Schulen, Gefängnissen und Vergnügungsstätten. Es ist das reale Leben. Wir spüren dabei, daß die Hoffnung unseres Glaubens uns als Zeugen in Anspruch nimmt. Der Glaube ist zwar im Herzen des Menschen verankert, aber er drängt von sich aus zum Zeugnis und Bekenntnis in den Strukturen unseres Lebens. Überall wo wir uns verzehren und abarbeiten, wo wir Vergeblichkeit und Scheitern erfahren, ist der Herr ganz nahe, auch auf den vielfach gefährlichen Straßen unserer Welt, in Mainz und in Eschede, in Afghanistan und im Kosovo, im Operationssaal und bei der Geburt eines neuen Menschen.

 

Die Eucharistie ist wirklich die Nahrung und das Brot für die Wüstenwanderung des Volkes Gottes, die Erfüllung des Hungers nach dem wahren Manna, das nie mehr verdirbt.

 

Liebe Schwestern und Brüder, in diese Eucharistiefeier hier in der Nähe unseres Domes, aber auch bei den beiden anderen Eucharistiefeiern, vor allem der Jugend am Fort Gonsenheim und mit besonderer Betonung der ganzen Weltkirche in der Nähe von Parlament und Regierung, können wir alle unsere Sehnsucht und unsere Wünsche, unsere Pläne und Träume, unsere Enttäuschungen und unser Scheitern einbringen. Hier sind wir untereinander und besonders mit Jesus Christus verbunden, der uns in der Eucharistie an eine Hoffnung erinnert, die immer noch unabgegolten ist, die uns letzte Erfüllung verspricht. Darum lassen wir uns von dieser Hoffnung um nichts in der Welt abbringen: Wenn wir dieses Eine, das Brot des Lebens, immer wieder suchen und finden, wird uns alles übrige dazugegeben. Amen.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz