Augen zu? Zur Entscheidung des BGH über Eheverträge

Gastkommentar für die Mainzer Allgemeine Zeitung am 14. Januar 2004

Datum:
Mittwoch, 14. Januar 2004

Gastkommentar für die Mainzer Allgemeine Zeitung am 14. Januar 2004

Ehe und Ehevertrag gehören ursprünglich eng zusammen. Auch wenn kein schriftlicher Vertragstext vor allem mit finanziellen Vereinbarungen existierte, hat man die gegenseitige Zusage im Jawort der Eheleute nach dem Bild und Muster eines Vertrags im weiteren Sinne verstanden.

„Vertrag“ hat dabei eine ausgesprochen partnerschaftliche Bedeutung, denn keine Ehe war gültig ohne das ungezwungene, aus voller Freiheit kommende Ja von Mann und Frau – eine im angeblich „finsteren“ Mittelalter und schon früher ausgebildete, bis heute weitgehend unterschätzte Befreiung der Frau. Die Partner, nämlich die künftigen Eheleute, vereinbaren eine Gemeinschaft, die ein Leben lang halten soll. Die Ehe und das ihr zugrunde liegende Jawort, wirklich ein Vertrag, gehören zutiefst zusammen, ein „Bund“ in des Wortes vielfältiger Bedeutung.

Der moderne Ehevertrag hat eine andere Bedeutung. Er hat von Anfang an das mögliche Ende von Ehe im Auge. Dies muss nicht eintreffen, aber es wird schon zu Beginn der neuen Gemeinschaft, die für ein Leben geschlossen wird oder geschlossen werden soll, als real möglich einkalkuliert. Der moderne Ehevertrag bezieht sich bei uns – im Unterschied etwa von den Verhältnissen in der USA – weitgehend auf die wirtschaftlich-finanzielle Interessenlage. Es lässt sich nicht übersehen, dass dadurch schon im Keim ein verborgener Vorbehalt in eine Lebensgemeinschaft, die eigentlich auf Dauer ausgerichtet wird, eingesetzt wird. Deswegen vermuten Soziologen, dass die Existenz eines Ehevertrags die Hemmung vor einer Scheidung senkt, besonders wenn ein Partner von den Vereinbarungen profitiert.

Dies ist noch kein Argument gegen einen modernen Ehevertrag schlechthin, will aber rechtzeitig die Augen aufzumachen helfen für seine inneren Gefährdungen. Es gibt freilich schon längst auch ohne formellen Vertrag gültige Regelungen: Jeder Ehegatte behält das, was er vor der Ehe hatte; alles, was während der Ehe dazugekommen ist, wird geteilt. Der wirtschaftlich Schwächere und die Kinder werden im Scheidungsfall nicht vergessen. Damit ist im Kern schon fast alles geregelt. Für die meisten Ehen ist diese Regelung fair, angemessen und auch ausreichend.

Es gibt im Einzelfall jedoch auch gute Gründe für einen Ehevertrag. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ein Partner ein Unternehmen oder Unternehmensanteile in die eheliche Partnerschaft bringt. Eine Scheidung könnte ohne klare Regelung das Ende der Firma mit sich bringen, was offenbar nicht so ganz selten der Fall ist.

Insofern ist es richtig und konsequent, wenn der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 11. Februar 2004 grundsätzlich die Vertragsfreiheit betont, freilich auch im Kernbereich Unterhaltsansprüche wegen Kinderbetreuung sowie den Alters- und Krankheitsfallunterhalt schützt. Wenn ein Ehepartner bei der Vertrags-Unterschrift benachteiligt wurde, weil der andere seine Unterlegenheit oder Abhängigkeit ausgenutzt hat, sind solche Verträge wegen „Sittenwidrigkeit“, wie die Juristen sagen, unwirksam. Der Bundesgerichtshof hat also versucht, die Balance zu halten zwischen der Wahrung der Vertragsfreiheit und dem Schutz zu Unrecht Benachteiligter.

Leider kommt es immer wieder vor, dass einzelne Partner in ihrer Verliebtheit die Augen zumachen und blind werden. Es ist schon erstaunlich, wie vor allem Frauen – aber nicht nur sie – schamlos in ihrer Situation ausgenützt werden, z.B. wenn sie schwanger sind. Dieser Willkür ist jetzt ein Riegel vorgeschoben. Deswegen ist aber die Vertragsfreiheit nicht preisgegeben worden. Im Ganzen ein Urteil für die Ehe und alle davon Betroffenen.

Mit Eheverträgen wird es künftig schwieriger werden. Die Notare werden sie noch sorgfältiger abfassen müssen. Die Gerichte werden im Konfliktfall genauer prüfen. Aber sie können Wachsamkeit und Geistesgegenwart des Einzelnen nicht ersetzen. „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ gilt auch heute. Eine gute Ehevorbereitung, wie sie auch die Kirchen anbieten, kann viel helfen. Das Gericht kommt mit seiner „Eheberatung“ allemal zu spät. Eine nüchterne Entscheidung lohnt sich bei aller Passion der Liebe auch noch für später. Manchmal müssen wir auf mühsamen und schmerzlichen Umwegen alte Weisheiten wieder neu lernen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz