In den letzten Wochen ist Bewegung gekommen in die Familienpolitik unseres Landes. Es ist der unermüdlich tätigen Familienministerin Ursula von der Leyen gelungen, viele bisher zögernde Politiker aller Richtungen für die Krippenoffensive zu gewinnen, d.h. bis zu einem bestimmten Datum vor allem für Kinder unter drei Jahren einen Krippenplatz zu besorgen. Diese Überlegungen sind auch in letzter Zeit ausgeweitet worden auf Ideen im Zusammenhang der Kindergärten und ihrer Funktion als eine Vorschule frühkindlicher Bildung.
Die Kirchen tragen nicht nur seit jeher Sorge für die Familie im Allgemeinen, sondern belegen diese auch durch die Trägerschaft sehr vieler Kindergärten. Wenn sie bisher im Blick auf diese neue Familienpolitik wenigstens im öffentlichen Echo eher etwas zurückhaltend waren, so bedeutet dies nicht, dass sie diese Ausbaupläne nicht unterstützen würden. Aber vielleicht sind da und dort noch einige klärende Unterscheidungen notwendig.
Es ist zweifellos für viele Familien eine wichtige Hilfe, wenn sie für die jüngsten Kinder mit einem Krippenplatz rechnen dürfen. In vielen Situationen müssen beide Ehepartner eine vollberufliche Tätigkeit aufnehmen. Unser Land war und ist bisher, verglichen mit seinen ökonomischen Möglichkeiten im internationalen Vergleich ziemlich Mittelmaß. Die gestaffelte Initiative hat darum mit Recht mannigfaltige Zustimmung erhalten, wo man es bisher nicht vermutete.
Mit Recht haben viele darauf hingewiesen, dass es unbedingt bei einer „Wahlfreiheit“ bleiben müsse, dass nämlich die Eltern sich für die Erziehung der Kinder zu Hause entscheiden können und auch entsprechend unterstützt werden müssen, ohne dass diese Entscheidung abgewertet oder benachteiligt wird. Es gibt schließlich viele Erkenntnisse der frühkindlichen Pädagogik, wie wohltuend und fruchtbar die enge Lebensgemeinschaft der Eltern, besonders der Mutter, mit Kleinkindern ist und wie viel dies zu ihrer frühen persönlichen Entfaltung beiträgt. Dabei muss sicher von Problemfamilien abgesehen werden. Dies sagt auch nichts gegen die pädagogischen Fähigkeiten sehr vieler Erzieherinnen in den Kindergärten.
Aber manchmal haben wir zu Unrecht vergessen, dass es noch nicht so lange her ist mit einer fatalen Dominanz des Staates in der Kindererziehung, vor allem marxistischer Gesellschaftssysteme. Es bleibt eine Verführung mancher Politiker, die „Lufthoheit über die Kinderbetten“ zu gewinnen, um an ein bekanntes Schlagwort zu erinnern. Die größere Anzahl von Kinderkrippen in den neuen Bundesländern wird manchmal geradezu verherrlicht, ohne dass man die ideologischen Implikationen im System genügend wahrnimmt. In manchen Köpfen ist eine umfassende staatliche Kindererziehung ziemlich lebendig. Dies wird mit vielen Problemfällen und auch der Unfähigkeit vieler Eltern zur Erziehung begründet. Rasch ist man dann auch dabei, den Kindergarten mit der Aufgabe frühkindlicher Bildung zu verknüpfen.
An dieser Stelle ist höchste Wachsamkeit am Platz, denn gerade wenn die neue Familienpolitik hohe Zustimmung bekommt, die sie auch braucht, muss die Rückkehr unbedachter aber keineswegs harmloser Ideologien sorgfältig und kritisch verfolgt werden. Die neue Familienpolitik muss sich auch bewusst bleiben, dass sie Rahmenbedingungen dieser Art verbessern helfen kann, dass daraus aber noch nicht automatisch eine beträchtliche Vermehrung der Kinderzahl abgeleitet werden darf. Dazu gehören noch die Wiederbelebung und Aktivierung vieler Werte, die der Staat nicht regeln kann. Es kommt auf die Einstellung der Eltern und ermutigende Hilfe der freien gesellschaftlichen Kräfte an, z.B. auch und gerade der Kirchen.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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