BONIFATIUS-NACHFOLGE HEUTE

Beitrag des Kardinals für die Juni-Ausgabe 2004

Datum:
Freitag, 11. Juni 2004

Beitrag des Kardinals für die Juni-Ausgabe 2004

Es hat sich gezeigt, dass die Vermutung, man könne historische Kenntnisse, die es sonst schwer haben, besser vermitteln, wenn man größere Jubiläumsdaten nützt, eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Es gibt landauf landab in vielen Diözesen und auch in Gemeinden Erinnerungsveranstaltungen. Auch die Wissenschaft ist froh, wenn sie ihre Kongresse ein wenig mehr im Scheinwerferlicht einer größeren Öffentlichkeit abhalten kann. Ähnliches gilt fast noch mehr für Ausstellunen und musikalische Darbietungen.

Ich darf die Veranstaltungen im Bistum und bei unseren Nachbarn, besonders in Fulda, voraussetzen, da hierüber schon öfter ausreichend berichtet worden ist. Aber es wird gut sein, von der Vergangenheit her etwas stärker auf unsere Gegenwart und Zukunft zu schauen. Wir müssen solche Jubiläen auch in unsere aktuelle Situation einpflanzen.

Heute ist sich die Forschung trotz unterschiedlicher Ansätze einig, dass Bonifatius mit die Grundlagen des christlichen Europa geschaffen hat. Damit ist nicht geleugnet, dass viele andere daran mitgearbeitet haben und viele Elemente, vor allem auch der antiken Kultur, maßgebend eingeflossen sind. Europa wäre nicht das, was es geworden ist, ohne die Missionierung und Christianisierung, die das Germanien von damals über die Schaffung des Frankenreiches zu einem zentralen Baustein Europas gemacht haben.

Ich habe in meinem öffentlichen Domvortrag während des Bonifatius-Kongresses am 3. Juni in dieser Festwoche aufzuzeigen versucht, wie sich unter diesem Einfluss Europa verwandelt hat. Es geht aber nicht einfach um bloße Historie gewordene Erinnerung der Vergangenheit. Große Herkunft hat immer auch etwas mit der Gestaltung von Zukunft zu tun. Diese Grundlegung Europas hat zwar bis heute die europäische Kultur in vielen Spielarten nachhaltig bestimmt. Aber eine bloße Imprägnierung genügt nicht. Wenn wir die geistigen und spirituellen Grundlagen aus Antike und Christentum nicht pflegen und möglichst auch leben, entschwindet uns zwar nicht einfach das Erbe, aber es büßt seine motivierende Kraft ein, die schal und fremd wird. Wir sehen es heute manchmal in bestürzender Weise, wie wenig Schule und Bildung heute - schon allein wissensmäßig - die Substanz von Antike und Christentum weiterzugeben imstande sind.

Wir müssen die Gefahr abwenden, dass wir deshalb solche Jubiläen jammernd und klagend nur rückwärtsgewandt feiern und damit auch die Vergangenheit selbst vergoldet sehen könnten. Die Tage nach Pfingsten können uns dabei helfen, nicht nur eine große, verehrungswürdige Tradition feierlich zu begehen, was in der Geschichtsvergessenheit unserer Tage gewiss auch schon einen wichtigen Wert darstellt, sondern dass Gottes Geist, der in der Geschichte wirkt, uns hilft, die manchmal auch verborgenen Tiefen der Geschichte der Kirche frisch als wirkliche lebendig sprudelnde Quellen für heute und morgen zu entdecken. Dabei muss die missionarische Dimension des christlichen Glaubens wieder grundlegend neu entdeckt und fruchtbar gemacht werden. (vgl. dazu meinen Hirtenbrief zur Österlichen Bußzeit 2004).

Diesen Impuls erwarte ich von den Bonifatius-Feierlichkeiten der nächsten Tage und Wochen. Wir sind nur wirklich seine und seiner Gefährten Nachfolger, wenn wir diese Chance für heute tatkräftig ergreifen und das Evangelium wieder neu unter die Leute bringen – ansteckend und vielleicht manchmal auch heilsam aneckend.

 

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz