Beachtliche Dritte Kraft

Zur Präsenz des orthodoxen Christentums in der Europäischen Union

Datum:
Donnerstag, 11. Oktober 2007

Zur Präsenz des orthodoxen Christentums in der Europäischen Union

Gastkommentar für die Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" Oktober 2007

Wir haben immer gewusst, dass es neben den Protestanten und Katholiken vor allem in Osteuropa viele orthodoxe Christen gibt. Dies gilt für alle Länder, die vom Osten nach Mitteleuropa hineinreichen: in Ostpolen, Ungarn und Tschechien. Hier sind überall, was man zu wenig weiß, auch katholische Ostkirchen lebendig.

In Rumänien haben wir jedoch innerhalb der Europäischen Union einen Staat, in dem bei insgesamt gegen 25 Millionen Menschen weit mehr als Zweidrittel rumänisch-orthodox sind. Die Katholiken werden mit einem Anteil von sechs Prozent angegeben. Die Zahlenangaben schwanken. Jedenfalls ist Rumänien in der Europäischen Union das Land, das quantitativ und im Verhältnis zu den anderen Religionen mit Abstand die meisten orthodoxen Christen hat.

Diese Kirche hat wie auch die anderen Glaubensgemeinschaften in der kommunistischen Zeit viel leiden müssen. Aber es ist erstaunlich, wie viel innere Kraft, vor allem gestärkt durch den Gottesdienst und die Frömmigkeit, erhalten geblieben ist und seit Jahren wieder zum Leben kam. Die erwähnten Zahlen stehen nicht nur auf dem Papier.

Die rumänische Orthodoxie hat dabei eine ganz besondere Stellung. Es gibt schon sehr früh Berichte über die Verbreitung des Christentums, vor allem in der römischen Provinz Dacia. Die enge Beziehung zu der römischen Welt zeigt sich auch noch in der Zugehörigkeit der Rumänen zur romanischen Sprachfamilie. Durch das lateinische Erbe, das in der rumänischen Sprache sehr hoch ist, sind die Rumänen an den Westen gebunden und nehmen teil an der abendländischen Kultur. Zugleich aber gab es auch schon in früher Zeit ein Zusammenwirken mit der byzantinischen und slawischen Welt. Dies bringt eine einzigartige Mittlerstellung mit sich. Die rumänisch-orthodoxe Kirche ist die einzige, die innerhalb einer lateinisch geprägten Kultur existiert. Im 16. Jahrhundert setzt sich die rumänische Sprache auch für den Gottesdienst durch.

Es ist also ein besonderes Land mit einer Brückenfunktion zwischen Ost und West, zwischen dem abendländischen und dem byzantinischen Kulturbereich, aber auch zwischen dem byzantinischen und dem slawischen Denken. Dies hat der rumänisch-orthodoxen Kirche in Verbindung mit ihrer Nation ein sehr eigenes Gepräge gegeben. Im Übrigen haben die orthodoxen Christen dieses Landes – sie sind die drittgrößte orthodoxe Kirche – immer schon mit römisch-katholischen, lutherischen und reformierten Christen zusammengelebt.

Bis jetzt konnte diese Brückenfunktion der rumänischen Orthodoxie nicht so fruchtbringend benutzt werden. In den Diktaturen waren die Kräfte sehr gelähmt. Der letzte verehrungswürdige Patriarch Theoktist, der vor kurzem mit über 92 Jahren starb, konnte schon aufgrund seines hohen Alters seine Stellung nicht in ausreichendem Maß einsetzen und nutzen.

Dies ist jetzt anders geworden. Am vergangenen Sonntag, 30. September, wurde in Bukarest der 56-jährige Metropolit Daniel Ilie Ciobotea, bisher in Iasi (Moldau und Bukovina), als neuer Patriarch in sein Amt eingeführt. Er ist seit langem in der Ökumene in Ost und West bekannt. Er hat in Rumänien und in Westeuropa, vor allem in Straßburg, studiert. Zwei Jahre (1978-1980) wollte er während meiner Freiburger Zeit dort auch die deutsche katholische Theologie näher kennen lernen. Er ist ein sehr guter Theologe und tief geprägt von dem großen rumänischen Theologen des 20. Jahrhunderts Dumitru Staniloae.

Patriarch Daniel wurde in seinem neuen Amt sowohl vom Volk als auch von den rumänischen Priestern und Bischöfen sehr gut aufgenommen und geradezu gefeiert. Er wird gewiss auch in der europäischen Ökumene und darüber hinaus eine noch gewichtigere Stimme bekommen als bisher. Mit Rumänien als einer wichtigen orthodoxen Kirche und seiner Brückenfunktion darf man in Zukunft mehr rechnen und auf seine Kräfte hoffen. Selbstverständlich gilt dies zusammen mit allen anderen orthodoxen Kirchen in Europa, zumal viele im Westen schon lange leben und die Ostkirchen selbst viele Kontakte haben.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz