„Berufen zur Gemeinsamen Hoffnung"

Begrüßung und thematische Einführung durch Bischof Karl Lehmann beim Zentralen Ökumenischen Gottesdienst anläßlich des 93. Deutschen Katholikentages im Mainzer Dom

Datum:
Freitag, 12. Juni 1998

Begrüßung und thematische Einführung durch Bischof Karl Lehmann beim Zentralen Ökumenischen Gottesdienst anläßlich des 93. Deutschen Katholikentages im Mainzer Dom

Es war heute eine harte ökumenische Arbeit bei der Gemeinsamen Veranstaltungsreihe von Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und Deutschem Evangelischen Kirchentag (DEKT). Wie dieser regelrechte Studientag mit dem Morgenlob begann, wollen wir ihn am Abend mit diesem Zentralen Ökumenischen Gottesdienst abschließen. Ich möchte Sie alle aus den einzelnen Kirchen im Mainzer Dom herzlich grüßen und Ihnen - zugleich im Namen aller, die diesen Gottesdienst mitgestalten - für Ihr großes Interesse danken.

Ich begrüße von der Evangelischen Kirche in Deutschland den Vorsitzenden des Rates, Herrn Präses Manfred Kock, aus Düsseldorf, von unserer Nachbarkirche Herrn Kirchenpräsident Prof. Dr. Peter Steinacker von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt, von unserer orthodoxen Schwesterkirche Seine Eminenz, Metropolit Augoustinos Lambardakis von der Griechisch-Orthodoxen Kirchen in Deutschland, Bonn, und mit nicht weniger Freude Herrn Bischof Dr. Walter Klaiber von der Methodistischen Kirche unseres Landes, der zur Zeit jedoch auch Präsident der Vereinigung Evangelischer Freikirchen ist, Frankfurt.

 

Mit ihnen heiße ich willkommen alle Schwestern und Brüder, die von der musikalischen Seite mitwirken, den Bläserkreis Bochum, den Byzantinisch-orthodoxen Chor der Elias-Gemeinde in Frankfurt, den Domchor in Mainz unter Domkapellmeister M. Breitschaft und Herrn Domorganisten A. Schönberger.

 

Mir ist auch noch eine kleine thematische Einführung aufgegeben. Ich staune immer wieder über einen Text im Epheserbrief, der uns vielfach zu einer wesenhaften Einheit der Kirche aufruft und dabei sieben Einheitselemente nennt: ein Leben, ein Geist, eine gemeinsame Hoffnung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller.

 

Ich wähle ein Element aus diesem Spektrum aus, das wohl auch den Titel abgegeben hat für unseren Gottesdienst, nämlich: durch unsere Berufung haben wir auch eine gemeinsame Hoffnung (4.4). Sie ergibt sich aus der einen Taufe und das Wirken des einen Geistes. Dies ergibt eine neue Einheit zwischen uns, nämlich aus Einheit, die dieses Namens würdig ist, ohne daß sie alle in das Prokrustesbett oder dieselbe Uniform hineinzwängt, aber auch eine Vielfalt, die um Zusammengehörigkeit weiß und nicht nur ein Feigenblatt ist für unsere ganz verschiedenen Interessen.

 

Wenn wir uns so in die neue Einheit, die durch Jesus Christus erwirkt ist, begeben, dann spüren wir, daß uns auch in unserer Berufung „eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist" (4,4). Dies ist ein ganz wichtiges Wort für die Spiritualität der Ökumene. Für wen haben wir denn diese Hoffnung? Haben wir sie zuerst heimlich für uns selbst, nur für uns selbst? Es gibt ja in der Suche nach Heil einen schrecklichen Individualismus. Ich finde ihn abstoßend. Als wirklicher Christ suche ich nicht zuerst und gar isoliert mein eigenes Heil. Es geht nicht nur um meine Hoffnung. Ich kann die Hoffnung auch nicht verteilen in kleine und große Portionen. Es gibt nur eine Hoffnung für alle. Für alle - dies sagt sich so leicht, gilt sie wirklich auch für die Hoffnungslosen, für die Abgeschriebenen und für die Verlorenen? Ich glaube, es ist eine der größten Herausforderungen im christlichen Glauben, daß wir keinen Menschen als verloren preisgeben dürfen. Es mag unsäglich schwer sein, zu weinen mit den Weinenden, sich zu freuen mit den Fröhlichen. Aber nur dann erfüllen wir die Hoffnung Jesu Christi, wenn wir keinen zugrunde gehen lassen.

 

Dies ist eine radikale Kehrtwendung gegen alle Versuche des alten, natürlichen Menschen, der immer wieder ausgrenzt und ausschließt. Dabei denke ich nicht zuerst an manchmal notwendige Unterscheidungen der Geister, wenn es z.B. darum geht, Grenzziehungen im Verständnis des Evangeliums vorzunehmen, damit die explosive Substanz der Heilsbotschaft nicht einfach der Zeit angepaßt wird. Ich denke nur an unser Credo. Freilich verkenne ich nicht, daß es auch hier vorschnelle Verurteilungen geben kann. Es geht jedoch zunächst um unser alltägliches Verhalten, wo wir sehr oft praktische ausgrenzende Zensuren austeilen. Diese Hoffnung ist offenbar nicht authentisch, wenn sie nicht gemeinsam ist. Vielleicht haben wir manchmal zu wenig Eifer in der mutigen Vertretung der Wahrheit. Dies ist etwas völlig anderes als Fanatismus und Fundamentalismus. Entschiedenheit gehört zum Bekenntnis des Glaubens. Aber wenn wir unsere Heilsbotschaft gegeneinander stellen, dann versündigen wir uns auch gegen die Gemeinsamkeit unserer Hoffnung. Dann strafen wir uns selbst Lügen und zeugen gegen uns. Wegen der Reinheit der Leere muß es manchmal Streit geben. Aber wehe, wenn es eine kleinkarierte Rechthaberei wird! Wir müssen uns echt fragen, ob dies bei dem Streit um das gemeinsame Rechtfertigungsdokument nicht manchmal der Fall war und ist. Sind wir nicht in der Gefahr, eine große gemeinsame Hoffnung zu verraten, wir Fachtheologen, wir Kirchenmänner? Schauen wir hier wirklich auf die Hoffnung aller und die Hoffnung für alle?

 

Wir sind nicht von Hause aus bereit für eine solche gemeinsame Hoffnung. Wir sind eher Eigenbrödler. Deshalb bedarf es einer echten Berufung zu dieser gemeinsamen Hoffnung. Wir müssen uns vom Herrn rufen lassen, uns selbst immer wieder überwinden und umkehren auf den Pfad des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.

 

Und es gibt noch eine Probe auf diese Hoffnung. Haben wir wirklich Hoffnung für alle, auch die Juden, die Muslime, die Angehörigen der Naturreligionen, die sogenannten Atheisten und die Skeptiker? Sind wir hier bereit, in einem anstrengenden Dialog, der nicht nur Unterhaltung ist, sondern ein Ziel hat, auf alle zuzugehen, ursprünglich auf sie zu hören und ihre Hoffnung zu begreifen? Ich habe meine, unsere Hoffnung immer mehr verstanden, wenn ich sie vor anderen bezeugen und deuten mußte. Dann erst ging mir ihre wahre Grenzenlosigkeit auf.

 

Wir sind oft müde und resigniert im ökumenischen Dialog. Manchmal trauen wir auch einander nicht. Der Aufruf zur einen gemeinsamen Hoffnung ist das einzige Wunder, das uns radikal erneuern und wieder zuversichtlich machen kann. Darum bitten wir und dafür loben wir den dreifaltigen Gott.

 

II.

 

Beitrag zur Veranstaltung „Geheimnis der Hoffnung: Ein Mosaik aus Literatur, Theologie, Musik und Fotografie. Rezitationen aus Charles Péguy, Das Tor zum Mysterium der Hoffnung" im Dom St. Martin in Mainz

 

Meditation über die Hoffnung

 

Das Wort von der Hoffnung hat notwendigerweise auf diesem Katholikentag Hochkonjunktur. So etwas ist immer riskant, weil die Gefahr besteht, daß man einer Sache hinterherläuft, die man für ganz selbstverständlich hält. Deshalb mag es besonders angebracht sein, in dieser besinnlichen Abendstunde einen Schritt zurückzugehen. Dieser Schritt zurück ist nicht rückschrittlich im Sinne des Reaktionären, sondern es ist ein Gang zu den Quellen. Dabei ist es ein großer Vorteil, daß wir an diesem Abend einen vielfachen, durch mehrere Erfahrungsweisen und Perspektiven eröffneten Zugang erhalten zu einem komplexen Phänomen. Dichtung und Musik, Bilder und Besinnung helfen dabei. Die Atmosphäre des Domes macht uns vielleicht langsamer und ruhiger im Denken. Ich will dabei nichts anderes tun, als näher zum Verständnis der Dichtung von Charles Péguy hinführen, der an diesem Abend in der Mitte stehen soll. Dann geht uns auch manches auf über die Hoffnung.

 

Schaut man in philosophische Wörterbücher, so fällt einem auf, daß das Wort Hoffnung oft gar nicht erscheint und, wenn es behandelt wird, zögerlich erörtert wird. In der Tat wendet sich erst die neuere Philosophie dem Phänomen Hoffnung zu. In der Antike sind Hoffnung und Furcht sehr eng beieinander. Sie zählen eher zu den Leidenschaften, die man zu beherrschen lernen muß. Hoffnung ist etwas Vages und kann den guten wie den schlechten Ausgang einer Entwicklung bezeichnen. Darum ist es wichtig, daß z.B. für die Stoa Vernunft vorherrscht und durch ihr strenges Regiment dem Menschen zur Unerschütterlichkeit verhilft. Am unverbrüchlichen Gang des Schicksals ändert sich ohnedies nichts.

 

Diese Einschätzung der Hoffnung wurde durch den biblischen Glauben gründlich verändert, besonders Paulus hat die Trias Glaube-Liebe-Hoffnung als einprägsame Zusammenfassung dessen, was das Wesen des christlichen Lebens ausmacht, betont. Frühjüdische Tradition taucht im Hintergrund auf. Es gibt trotz aller christologischen Konzentration viele gemeinsame Merkmale mit dem alttestamentlichen Glauben. Glaube, Hoffnung und Liebe sind auf diese Weise zu grundlegenden Kennzeichen des Christlichen geworden.

 

So ist es nicht erstaunlich, daß das Motiv Hoffnung in der Philosophie vor allem bei jenen Denkern mehr Beachtung findet, die eine enge Verwandtschaft zum jüdisch-christlichen Glauben bezeugen. Dafür gibt es mindestens zwei Varianten. Es gibt eine Spielart des Philsophierens, das sich enger an die Erschließung der religiösen Wahrheit des biblischen Glaubensanschließt. Dies geschieht in besonderer Weise bei vom jüdischen Glaubens-Denken inspirierten Philosophen. Hier muß man Franz Rosenzweig, Martin Buber und Emmanuel Lévinas genannt werden, die besonders das Ausständige der messianischen Hoffnung hervorheben. In anderen Konzeptionen geschieht die Aufnahme des biblischen Hoffnungs-Motivs oft allerdings so, daß die Ausrichtung auf eine Erfüllung der Hoffnung jenseits des Todes ersetzt wird durch eine geschichtliche Zuwendung zur Zukunft. Auch noch in säkularisierter Form wird der Gedanke an ein mögliches, qualitativ Neues in der Zukunft aufrechterhalten. Ernst Bloch, der mit seinem großen Werk „Das Prinzip Hoffnung" (3 Bände, Berlin 1954ff) hier Epoche und Schule gemacht hat, spricht in diesem Zusammenhang von einem Transzendieren ohne Transzendenz. Bei Karl Marx realisiert sich die Hoffnung, die allem revolutionärem Handeln zugrundeliegt, in der Herstellung der „klassenlosen Gesellschaft". Ernst Bloch ist - wie schon gesagt - in unserem Jahrhundert gewiß der größte Denker dieser Gestalt von Hoffnung und hat auch viel Einfluß genommen auf die neuere theologische Beschäftigung mit der Hoffnung (J. Moltmann, G. Sauter, W.-D. Marsch, J. B. Metz, u.a.). Alles mündet in eine Ontologie des Noch-nicht-Seins. Der offene Prozeßcharakter hat viele tief beeindruckt. Andere Namen wären noch zu nennen (E. Fromm, M.Hochheimer, O.F. Bollnow). Aber es gibt auch einen Strang originärer christlicher Denker, die auf ihre Weise die biblische Hoffnung anthropologisch und metaphysisch weiterbedachten (J. Pieper, G. Marcel, R. Schaeffler). Dies alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein großer Teil der Philosophen gegenüber dem Phänomen der Hoffnung zurückhaltend und skeptisch bleibt. Hoffnung wird ansonsten anthropologisch und moralisch funktionalisiert. So wird Hoffnung z.B. eine Voraussetzung der sinnvollen Beziehungen zwischen Natur- und Sittengesetz, Glück und Pflicht. Die sonst divergierenden Interessen des theoretischen und des praktischen Vernunftsgebrauchs vereinen sich in der Frage: „Was darf ich hoffen?" Für Kant gehört die Hoffnung zu den sogenannten Postulaten, deren Annahme praktisch notwendig, aber theoretisch nicht zwingend aufweisbar ist. Die Beantwortung dieser Frage „Was darf ich hoffen?" überläßt Kant ganz und gar der Religion, die er im Blick auf ihre intellektuelle Fundierung jedoch zwielichtig betrachtet. So hat die Hoffnung - wenigstens in vielen Spielarten des Denkens - am Ende doch kaum einen angemessenen Platz.

 

In diesem Zusammenhang möchte ich gerne einen Brief anführen, den Walter Benjamin in seiner bekannten Briefsammlung „Deutsche Menschen" (zuerst 1936 in der Schweiz erschienen, später mehrere Auflagen, so z.B. Frankfurt 1972, 1977 u.ö.) neu zugänglich gemacht hat. Es ist der Brief eines Arztes aus Wuppertal, Dr. Samuel Collenbusch, der ein bedeutender Führer des Pietismus war. Collenbusch hat in diesem Sinne am 23. Januar 1795 an Kant folgenden Brief über den Ort der Hoffnung in Kants Denken geschrieben:

 

„Mein lieber Herr Professor!
Die Hoffnung erfreut das Herz.
Ich verkaufe meine Hoffnung nicht für tausend Tonnen Goldes.

Mein Glaube hofft erstaunlich viel Gutes von Gott.
Ich bin ein alter, 70jähriger Mann, ich bin beinahe blind,
als Arzt urteile ich, daß ich in kurzer Zeit völlig blind sein werde.
ich bin auch nicht reich, aber meine Hoffnung ist so groß,
daß ich mit keinem Kaiser tauschen mag.

Diese Hoffnung erfreut mein Herz!

Ich habe mir diesen Sommer Ihre Moral und Religion ein paarmal vorlesen lassen, ich kann mich nicht überreden, daß es Ihnen ein Ernst sein sollte, was Sie da geschrieben haben. Ein von aller Hoffnung ganz reiner Glaube und eine von aller Liebe ganz reine Moral, das ist eine seltsame Erscheinung in der Republik der Gelehrten... Ich halte es mit einem hoffnungsreicheren Glauben, der durch die sich selbst und den Nächsten bessernde Liebe tätig ist..... Diesen hoffnungsreichen Glauben kann meine Vernunft und mein Wille unmöglich vertauschen mit einem von aller Hoffnung ganz reinen Glauben.

Es tut mir leid, daß I. Kant nichts Gutes von Gott hofft, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt, ich hoffe viel Gutes von Gott. Ich wünsche Ihnen eine gleiche Gesinnung und verharre mit Hochachtung und Liebe zu sein

Ihr Freund und Diener Samuel Collenbusch." (Deutsche Menschen, S. 26f)

 

Eine Antwort Kants auf diesen Brief ist uns nicht bekannt.

 

Wie soll man nun von der Hoffnung reden? Haben wir die richtige Sprachform gefunden, in der dies geschehen kann?

 

Der christliche Glaube hat eine eigene Hoffnungsstruktur. Er kündet von einer Hoffnung, die schon Wirklichkeit geworden ist, auch wenn diese noch unvollendet ist. Wir sagen im Blick auf Jesus Christus, daß das Heil schon jetzt in ihm erschienen ist, aber noch nicht vollends geoffenbart ist. Diese Hoffnung ist schon angekommen. Sie muß sich aber noch durchsetzen. Dies gibt ein eigentümliches Zwischen, in dem die Hoffnung angesiedelt ist.

 

Dies ist die Stunde des französischen Schriftstellers Charles Péguy. Er war ein entschiedener, aber kein naiver Glaubender. Er hat sich gegen alle traditionellen Glaubensannahmen das leibliche und geistliche Wohl des Menschen, einschließlich gleicher Lebensrechte von einem harmonischen Gemeinwesen („Cite hármonieuse") erwartet. Die Verwirklichung dieser Utopie, die Not und Elend beseitigen sollte, erwartete er früh von einem revolutionären Sozialismus. Viele Enttäuschungen und ein radikales, ehrliches Suchen haben Charles Péguy unter großem Einfluß des Philosophen Henri Bergson wieder zum Glauben geführt. Péguy hat versucht, die Hoffnung von ihrer genuin christlichen Gestalt her zu interpretieren. Er bezeichnet sie als „Gegengewohnheit" und „Gegen-Tod":

 

„Sie (die Hoffnung) ist der Quell und der Keim. Sie ist der Springborn und die Gnade, sie ist das Herz der Freiheit. Die Tugend des Neuen und die Tugend des Jungen... Sie ist der Quell des Lebens, denn sie ist es, die ständig entwöhnt. Sie ist der Keim einer jeden geistigen Geburt... Sie ist damit betraut, überall Anfänge von Anfängen, Anfänge von Dasein einzuführen.. Durch die Hoffnung bleibt alles Übrige bereit, wieder zu beginnen. Bei der Taufe der Welt haben die Engel und der Mensch ihre Vornamen und ihre Anteile empfangen, haben die Kardinaltugenden und die göttlichen Tugenden die Welt unter sich aufgeteilt. Eine einzige hat nichts empfangen; sie sollte nur die sein, die über alle anderen wacht.

Eine einzige hat nichts empfangen. Sie sollte nur die sein, ohne die alle anderen nichts wären.

Eine einzige hat nichts empfangen. Sie sollte nur die sein, ohne die alle anderen absterben und vermodern würden.

Eine einzige hat nichts empfangen. Sie sollte nur die sein, ohne welche die Gnade in der Welt altern würde."

(Note conjointe, in: Oeuvres en Prose 1909 - 1914, S. 1349 - 1352)

 

Die Hoffnung ist die geheime Triebfeder, die der beständigen Erneuerung der Schöpfung dient. Darum erscheint die Hoffnung als ein kleines Mädchen, das immer wieder Neues und Ungewöhnliches erschafft und erlaubt. Diese Hoffnung hält die Welt in Gang.

 

So entsteht auch die eigentümliche Stellung der Hoffnung zwischen Glaube und Liebe. Der Glaube kann eigentlich nicht verwundern, die Liebe auch nicht. Aber die Hoffnung. Sie ist verwunderlich. „Was mich wundert, sagt Gott, das ist die Hoffnung. Da komme ich nicht mit. Diese kleine Hoffnung, die nach gar nichts aussieht, dies kleine Mägdlein Hoffnung. Unsterblich." (Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung, Einsiedeln 1980, 2.Aufl., S. 10) „Und doch wird dieses Mädchen die Welten durchwandern. Dieses kleine Mädchen von gar nichts. Ganz allein und die anderen tragend, wird sie die versinkenden Welten durchschreiten." (S.11) Die Hoffnung sei die angenehmste Tugend vor Gott, wenngleich auch ohne Zweifel die schwierigste. „Aber die Hoffnung geht nicht von selbst. Die Hoffnung versteht sich nicht von allein. Um zu hoffen, mein Kind, muß man sehr glücklich sein, muß eine große Gnade erhalten, eine große Gnade empfangen haben." (S. 13) Die Christen sehen zu wenig die Hoffnung in der Mitte zwischen Glauben und Liebe. „Sie ist es, die Kleine, die alles mit sich reißt, denn Glaube sieht nur, was ist. Sie aber sieht, was sein wird. Und Liebe liebt nur, was ist. Sie aber liebt was sein wird. - Glaube sieht, was ist. In Zeit und Ewigkeit. Hoffnung sieht, was sein wird. Für Zeit und Ewigkeit." (S. 15)

 

Dies ist die bezaubernde Sprache des kleinen Mädchens Hoffnung. Die Poesie mit ihrer Leichtigkeit und Treffsicherheit zugleich kann sie wohl besser erfassen als der bloße Begriff. Dies gilt erst recht, wenn man die Gehalte von „Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung" noch weiter entfaltet.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz