Bestattungskultur

Datum:
Dienstag, 9. März 2004

Gastkommentar für die Mainzer AZ von März

Wir sind an bestimmte Formen der Bestattung gewöhnt, vor allem an die Beerdigung, die nicht zufällig mit der Rückkehr des Menschen zur Erde zu tun hat. Die Katholiken haben sich etwas schwerer an die Feuerbestattung gewöhnt, zumal sie lange verboten war.

Die Erforscher der Frühgeschichte der Menschheit haben nicht selten die These vertreten, das kulturelle Reifen der Menschheit habe entscheidend mit der Kultur der Bestattung zu tun, die volle Menschwerdung hänge also von der Einführung einer Kultur der Bestattung ab. Dass Menschen würdig umgehen mit ihren Toten und nicht nur das Grab, sondern auch die Erinnerung pflegen, ist offenbar ein wichtiger Einschnitt in der Menschheitsgeschichte.

Die Bestattungskultur und die Welt der Trauer haben - wie so manches in unseren Gesellschaften während der letzten Jahre - erhebliche Veränderungen erfahren. Die Beerdigungsrituale verlieren an Bedeutung. Die Trauerzeiten sind denkbar kurz oder fehlen ganz. Trauerkleidung für eine bestimmte Zeit entfällt meist. Die Unfähigkeit, mit Schmerz und Trauer umzugehen, ist gewachsen. Immer mehr Beisetzungen werden anonym vollzogen. So gibt es z.B. das Ausstreuen der Asche Verstorbener auf namenlosen Grabfeldern (Aschestreuwiesen). Die Konzeption des „Friedwaldes“ fasst manche Elemente zusammen: naturbelassenes Waldstück, Unsichtbarkeit des Urnenfeldes, Anonymität, Baumsymbolik usw. Die Bestatter übernehmen oft das Bereitstellen religiöser oder auch profaner Rituale, wenn die Angehörigen dies wünschen, die keinen kirchlichen Bezug haben. Säkulare Leichenredner lassen sich hoch bezahlen.

Gewiss sind extremere Formen heute noch weitgehend eine Sache bestimmter Milieus, die sich eher auf die Städte beschränken. Aber es ist kein Zweifel, dass Säkularisierung, Liberalisierung und Individualisierung – ich gebrauche diese Schlagworte einmal zur Verknappung – die Auflösung der klassischen Bestattungskultur verstärken und zu den genannten und anderen Formen verführen.

Sehr oft geschieht dieser Wandel aus Gründen der Kostenersparnis oder auch ohne viele Überlegungen. Jedoch kann man auch unschwer feststellen, dass sich im Hintergrund mancher Wandlungen weltanschauliche oder dem christlichen Glauben fremde religiöse Vorstellungen verbergen. Es herrschen z.B. Überzeugungen vor, dass der Mensch sich wieder in ein Nichts auflöst, dass darum auch seine Asche in alle Winde zerstreut werden kann. Die Individualität und Personalität des einzelnen Menschen streift alle Reste vom Glauben an ein ewiges Leben oder eine Unsterblichkeit der Seele ab und glaubt eher an eine Rückkehr des Verstorbenen in die All-Natur oder in den ewigen Kreislauf der Welt. Der Mensch gehört in dieses Werden und Vergehen hinein. So gibt es hinter der Anonymisierung oft eine Verdunkelung der ganzen menschlichen Würde.

Die Kirche geht mit der Zeit, freilich ohne sich anzupassen. Darum ist es wichtig, mit einem feinen Gespür die Geister zu unterscheiden, die hinter manchen Wandlungen stehen. Gerade in der Situation der Trauer bedarf es kluger Einfühlnahme. Die Kirche muss aber auch darauf aufmerksam machen, dass jene Formen der Bestattung, die mit der Anonymisierung ein Auslöschen der menschlichen Person überhaupt nahelegen oder eng damit verbunden sind, nicht gebilligt werden können und im Widerspruch stehen zum Bekenntnis des ewigen Lebens, das zum Credo aller christlichen Kirchen gehört.

Man darf freilich nicht übersehen, dass nicht wenige Menschen, darunter auch aktive Christen, zu solchen Bestattungsformen (auch z.B. der Seebestattung), neigen, weil sie – oft allein und in größerer geografischer Entfernung von ihren Familien lebend – die Verwandten nicht mit der Bestattung und der Grabpflege belasten wollen, unter Umständen auch keine Familienangehörigen mehr haben und überhaupt die relativ hohen Kosten für eine klassische Bestattung scheuen oder eben auch nicht aufbringen können (ca. € 3.000 bis 15.000).

Hier müssen sich die Christen noch mehr einfallen lassen. Wir haben einen großen Reichtum in der Bestattungskultur, müssen jedoch mit viel größerer Sorgfalt und Eindringlichkeit im Rahmen unserer Verkündigung und in der Einzelseelsorge darüber sprechen. Wir müssen eine gefährdete Erinnerungskultur pflegen und stärken. Dies geht gewiss bis zu einer vertieften pastoralen und theologischen Sorge um das Bekenntnis zum ewigen Leben. Wir dürfen uns aber auch zurückbesinnen, z.B. bis in das Mittelalter, wo sich viele Bruderschaften gebildet haben, die nicht zuletzt auch um ein würdiges Begräbnis und eine gute Erinnerungspflege besorgt waren. Hier gibt es gewiss neue Aufgaben für eine christliche Gemeinde. Viele sehen noch nicht die Wichtigkeit dieses Dienstes.

Die deutschen Bischöfe, die sich schon seit längerer Zeit um diesen Wandel kümmern und auch mit den Bestattungsunternehmen – vor allem auch durch ökumenisch veranstaltete Kongresse - in gutem Kontakt stehen, die oft über viele Generationen hinweg durch Familientradition sich dieser Aufgabe widmen, haben auf ihrer jetzigen Frühjahrs-Vollversammlung dazu einen Text mit Anregungen veröffentlicht mit dem Titel „Christliche Bestattungskultur – Orientierungen und Informationen“. [Acht Seiten, erhältlich beim Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonner Talweg 177, 53129 Bonn, www.dbk.de oder beim Bischöflichen Ordinariat, Bischofplatz 2, 55116 Mainz.]

Es gibt freilich auch Bereiche, in denen bei nicht wenigen Menschen die Sensibilität für eine würdige Beerdigung zugenommen hat und die Bestattungskultur eher gewachsen ist, z.B. bei totgeborenen Kindern, Frühgeburten und Föten. So werden die Bischöfe in den nächsten Monaten ihre bereits jetzt schon existierenden Hilfen besonders für betroffene Eltern nochmals überarbeiten und in erweiterter Form bis zum Sommer neu vorlegen. Die Bestattungskultur bedarf größter Aufmerksamkeit.

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz