Was der Euro von uns verlangt
Am 1. Januar 2002 wird im Bereich der Europäischen Union der Euro auch im Bargeldverkehr eingeführt. In diesen Tagen konnten wir wenigstens das Hartgeld schon genauer kennenlernen. Dies bringt nicht nur eine große Umstellung in den Formen des gewohnten Umgangs mit dem Geld, sondern auch ein neues Umdenken. Im letzten Jahrhundert haben wir in Deutschland mehrere Geldentwertungen und Währungswechsel erlebt. Nicht wenige haben dies noch aus den 20er Jahren bis zu den Folgen der Weltwirtschaftskrise in Erinnerung.
Nach dem verlorenen II. Weltkrieg mit allen schlimmen Erfahrungen war es das Zeichen für einen neuen Start, als im Jahr 1948, also noch vor der offiziellen Gründung der Bundesrepublik, die Deutsche Mark eingeführt wurde. In mehr als 50 Jahren haben wir uns an dieses ungewöhnlich solide Geldmittel gewöhnt, das auch in vielen Teilen der Welt begehrt und ein Maßstab einer stabilen Währung war. Viele beneideten uns darum. "San Marco" heißt die DM augenzwinkernd bei vielen im Ausland. In nicht wenigen Ländern, wie z.B. auf dem Balkan, ist die DM das wichtigste Zahlungsmittel.
Kein Wunder, dass viele Menschen etwas wehmütig werden beim Abschied von einer Währung, die ihnen Solidität und Verlässlichkeit, Ansehen - vor allem auch im Ausland - und Sicherheit versprach. Dies ist mehr als verständlich, gerade wenn man einen größeren Teil des 20. Jahrhunderts noch unmittelbar erfahren hatte.
Aber wir müssen uns nicht nur an neues Geld gewöhnen. Bald werden wir die Vorzüge der neuen Währung deutlich verspüren. Das lästige Wechseln entfällt. Die Preise im Ausland sind leichter kalkulierbar. Wir haben vor allem aber auch eine gemeinsame Währung innerhalb der Europäischen Union. Andere werden ebenso ihre liebgewordene eigene Währung aufgeben, selbst wenn sie vielleicht nicht so stabil gewesen ist. Aber ein Stück weit vertraten der Franc, die Lire, die Pesete, der Gulden, der Schilling und wie sie alle heißen die Farbe des Vaterlandes, aus dem man kam.
Das Geld wird jetzt zu einem wichtigen Zeichen dafür, dass wir zwar Deutsche bleiben, aber auch immer mehr Europäer werden. Vielleicht geht uns der Euro sogar dabei in manchem voraus und schafft dadurch auch eine Steigerung des gemeinsamen Bewusstseins. Dies ist notwendig, nicht zuletzt auch darum, weil ja in den nächsten Jahren zehn neue europäische Länder hinzukommen sollen.
Das neue Geld kann dafür eine wichtige Hilfe darstellen. Die Wirtschafts- und Finanzwelt hat eine eigene Dynamik und kommt bei Wandlungen oft den anderen Lebensbereichen zuvor. Manchmal haben wir dies in Europa geradezu beklagt, weil die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten in ihrer Dominanz ganz erheblich auf das Zusammenwachsen Einfluss genommen haben. Manches andere, wie die Kultur, blieb eher im Hintergrund. Darum kommt es darauf an, dass wir nun auch mit dem Euro in unserem europäischen Bewusstsein mitwachsen. Eine so tägliche und in unser ganzes Leben einwirkende Maßnahme wird nicht ohne Folgen bleiben. Aber die gesamteuropäische Verantwortung kommt nicht allein vom Geld. Deshalb müssen alle Verantwortlichen sich mühen, dass wir einen neuen Schwung in Europa erzeugen.
Es gibt viel Europamüdigkeit. Wir brauchen jedoch eine neue Europa-Begeisterung. Wir müssen auf eine gemeinsame Verfassung hinsteuern. Wir müssen uns nicht nur unserer gemeinsamen Werte, sondern auch unserer gemeinsamen Kultur bewusster werden. Dieses zu Ende gehende Jahr hat auch gezeigt, dass die Europäer künftig eine größere weltpolitische Rolle übernehmen müssen, wenn es darum geht, Konflikte auf unserem Globus zu mildern oder zu bereinigen und noch intensiver gemeinsam die Armut mit ihren Ursachen zu bekämpfen, sonst entsteht noch mehr Gewalt.
Es geht also um mehr als bloß um das Geld. So sollten wir von Anfang an sachgerecht und zeitgerecht mit dem Euro umgehen. Er ist ein Zeichen für eine neue Gemeinsamkeit. Aber weil es so sehr überall in Europa in unseren Alltag einschneidet, darum hat der Euro auch ein großes Gewicht.
Es genügt also nicht, dass wir bloß die Münzen und die Scheine tauschen und Euro-Parties feiern. Es kommt darauf an, dass wir in die neue europäische Dimension hineinwachsen und nicht zuletzt in diesem Zusammenhang uns unserer christlichen und katholischen Verantwortung bewusst werden in einem Europa, das auch heute und morgen das Christentum braucht und ihm auch künftig viel verdanken wird, wenn es sich wieder stärker auf es einlässt.
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, Dezember 2001)
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz