hrsg. von O. Heinrich-Tamaska, N. Krohn, S. Ristow, Regensburg 2012, Verlag Schnell + Steiner
Das umfangreiche Buch mit fast 520 Seiten geht auf eine Internationale Tagung vom Dezember 2010 in Bergisch-Gladbach zurück, die genauer im Vorwort (9f.) skizziert wird. Außerordentlich viele Fotos, Bauzeichnungen und Skizzen erhalten die 28 Beiträge über die frühen Christianisierungsprozesse in fast ganz Europa. Zusammenfassungen, bzw. Summaries schaffen Überblick.
I.
Es kann nicht meine Aufgabe sein, eine fachwissenschaftliche Einführung in das Buch zu geben, was die Herausgeber nachher selbst unternehmen werden. Ich will viel allgemeiner ein Interesse an diesem Buch wecken helfen, das freilich schon mit dem Titel selbst gegeben ist: Europa wird christlich. Wie? „Als grundsätzlich bedeutsames Ereignis erscheint die Tatsache, dass sich zu ganz unterschiedlichen Zeiten unter ähnlichen Voraussetzungen dieselben Muster der Ausbreitung des christlichen Glaubens abgespielt haben, sei es durch Mission Einzelner, gewissermaßen durch langsames Einsickern, durch die gezielt beeinflusste Konversion ganzer Bevölkerungsteile oder durch die politisch gezielt und manchmal auch mit Waffengewalt durchgeführte Mission." (9)
Auch in der Geschichte der Kirche hat dieses Thema schon früh ein denkwürdiges Zeugnis hinterlassen, als nämlich das Evangelium nach Europa kam. Paulus hatte in einer Nacht folgende Vision: „Ein Mazedonier stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien, und hilf uns! Auf diese Vision hin wollten wir sofort nach Mazedonien abfahren; denn wir waren überzeugt, dass uns Gott dazu berufen hatte, dort das Evangelium zu verkünden." (Apg 16,9-10). Bald wird Paulus in Athen sein und dort auf den Areopag auftreten (vgl. Apg 17,16-34).
Vor diesem Hintergrund ist es gut, der Ausbreitung des neuen Glaubens in Europa genauer nachzugehen. Vor 110 Jahren hat dies kein Geringerer als Adolf von Harnack in seinem großen Werk „Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten" (Leipzig 1902 u.ö.) eindrucksvoll und mit einer bis heute inspirierenden Wirkungsgeschichte getan. Andere folgten später, z.B. die auf mehrere Bände geplante „Kirchengeschichte als Missionsgeschichte" (I. Band, Die Alte Kirche, hrsg. von H. Frohnes/U.W. Knorr, München 1974, dort auch der wichtige einführende Essay von H. Frohnes: Missionsgeschichte und Kirchengeschichte, IX-LXXIV; II. Band, Die Kirche des früheren Mittelalters, erster Halbband, hrsg. von K. Schäferdiek, München 1978, dazu auch die mehr kurz gefasste Darstellung von M. Sievernich, Die christliche Mission. Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2009).
II.
Das hier vorliegende Buch ist jedoch viel weiter gespannt. Es umfasst zunächst viele Disziplinen. Auch wenn nicht alle Länder und Religionen dargestellt werden, so entsteht doch ein einzigartiges Panorama: von Irland bis Livland, von Schweden bis zur iberischen Halbinsel, besondere Kultur- und Geschichtsbereiche eingeschlossen, z.B. Dalmatien und Böhmen, die Inseln Krim und Zypern. Auch über Rom erfährt man noch Neues. Die Berücksichtigung der Slawen und Osteuropas dürfte einzigartig sein.
Vor allem aber auch in methodischer Hinsicht zeigt der Band in vieler Hinsicht neue Wege auf. Es entsteht ein komplexes Bild, weil neben den bekannten schriftlichen Quellen der archäologische Befund im Vordergrund steht. Bestattungswesen, Grabhügel, Bauprogramme, Alltagsgegenstände und Topographien führen zu neuen Erkenntnissen. Schriftliche Quellen werden bestätigt und stützen einander, Lücken im bisherigen Traditionsbild werden aufgefüllt, Unterschiede werden deutlich vor Augen geführt. Vergleichbare und unterschiedliche Szenarien des Christianisierungsprozesses in den einzelnen Regionen Europas werden eindringlich bewusst.
III.
Das Thema des Buches und seine Ergebnisse sagen uns aber auch einiges für die Gegenwart Europas und der christlichen Religion in ihm. Der Prozess der Christianisierung zog sich über weit mehr als ein Jahrtausend hin. Es gibt dabei viele Kontinuitäten und Identitätsmerkmale, aber auch Abbrüche und Neuaufbrüche. „Keinesfalls ist es ein glatter Weg, den die Ausbreitung des neuen Glaubens ging." (9) Wir wissen besser, woher wir kommen, wie wir zueinander gehören und wo authentische Unterschiede sind.
Dann können wir auch heute vielleicht besser Einheit und Vielfalt Europas erkennen und leben. Wenn die Ursprünge der christlichen Religion uns bis heute erkennbar prägen, dann können wir auch diese Herkunft verantwortungsvoll bejahen und uns tatkräftig dazu bekennen. Denn wir werden ja auf Schritt und Tritt heute nach der gegenwärtigen und künftigen Gestalt Europas gefragt: Grundlagen einer Verfassung (Hat Gott in der Präambel einen Platz?), Staatenbund oder Bundesstaat?, Ist die Ökonomie oder eher die Kultur das einigende Band?, Schicksal des Euro!
Blicken wir auf den Anfang zurück. Paulus hat in der Nacht eine Vision: „Ein Mazedonier - also ein Europäer - stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien, und hilf uns!" Man kann das Buch auch vor diesem Hintergrund lesen. Dann ist vieles, was zunächst eher antiquiert erscheinen mag, verborgen aktuell.
Irgendwo fand ich eine Aussage von Rudolf Bultmann, die zu dieser Thematik in Verbindung steht: „Die Verantwortung der Gegenwart ist im Grunde immer die Verantwortung für das Erbe der Vergangenheit angesichts der Zukunft."
Ich danke allen, die am Zustandekommen dieses Buches beteiligt sind: den Herausgebern mit ihren Autoren, den fördernden Institutionen und dem mutigen Verleger, Dr. Albrecht Weiland, selbst - mit seiner Frau - Archäologe, vom Schnell + Steiner-Verlag. Ich wünsche dem Buch viele interessierte Leserinnen und Leser. Nicht zuletzt ist das Buch aber ein Aufruf an die Wissenschaftler und besonders an die Förderinstitutionen, auch in Zukunft dieses Forschungsgebiet zu fördern. Es lohnt sich.
(c) Karl Kardinal Lehmann
Zu den Seiten des Verlages mit weiteren Angaben zum Buch (Link)
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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