- Joh 20,19.21.26; Lk 24,36 - |
Es gibt wenig Wörter, die in diesen Tagen so oft gebraucht werden wie Frieden. Die Kirche kann mit ihrer Botschaft von Ostern gut daran anschließen, ohne sich in irgendeiner Weise anzupassen. Zu jeder Eucharistiefeier rund um die Welt gehört das tägliche Gebet um Frieden. In der ganzen österlichen Bußzeit beten wir dabei: „Jesus Christus ist unser Friede und unsere Versöhnung." Überall eröffnet besonders der Bischof die heilige Messe mit dem Friedensgruß.
„Der Friede sei mich euch" oder wörtlicher: „Friede (für) euch" ist zunächst einmal ein ganz alltäglicher Gruß, den wir auch heute noch in der hebräischen Sprache und – leicht abgewandelt – in den anderen semitischen Sprachen kennen: schalom alechäm. Es ist ein Segenswunsch für den Alltag, der aber nicht weniger beim Abschied verwendet wird, wie wir ihn auch bei der Entlassung am Ende der Messe kennen: „Gehet hin in Frieden" (vgl. Mk 5,34; Lk 8.48; Ri 18,6).
Es ist nicht zufällig, dass wir gerne das hebräische Wort „schalom" benützen. Es bezeichnet im umfassenden Sinn das Heil- und Ganzsein einer Gemeinschaft oder eines Einzelnen: das Wohlergehen einer Stadt (Jer 38,4), die intakte Solidarität einer Gesellschaft (Jer 6,14), eine gute Freundschaftsbeziehung und die Gesundheit (Jer 20,10; Ps 38,4). Schalom umschließt den gesellschaftlichen Bereich, z.B. soziale Gerechtigkeit, aber auch die Natur im Sinne des Gedeihens und der Fruchtbarkeit (vgl. Ps 72,3 ff; 85, 9 ff). Dieser Friede kann durch Bosheit, Streit und Unrecht gefährdet werden (vgl. Jes 59,8; Jer 9,2 ff), er kann aber auch durch das Tun des Guten (Ps 34,15) und das Schlichten von Streit wieder hergestellt werden. Der biblische Mensch ist fest davon überzeugt, dass Friede nicht machbar ist, auch wenn der Mensch –ihm stets „nachjagen" muss (vgl. Mt 5,9; Röm 14,19; Eph 4,3 ff; Kol 3,8 ff; Hebr 12,14). Darum hat der Friede, seine Stiftung und Bewahrung, ganz eng mit Gott zu tun. Er hat sogar den Namen „Gott des Friedens" (Röm 15,33; 16,22; 1 Kor 14,33; Phil 1,2; Kol 1,20). Man kann sich also nur im Blick auf Friedensbereitschaft und Förderung des Friedens auf Gott beziehen. Niemls darf man sich bei Gewaltanwendung auf ihn berufen.
Aber diese Ausführungen genügen noch nicht, um den österlichen Friedensgruß des auferstandenen Herrn und damit auch der Kirche ausreichend zu verstehen. Es ist nicht nur die übliche Grußformel. Der Gruß ist eine besondere Gabe des österlichen Herrn an die Gemeinschaft der Jünger und über ihr Zeugnis an die Welt. Dies kann man nur recht verstehen, wenn man die Furcht und die Verwirrung der Jünger ins Auge fasst. Darum gehört das Geschenk des Friedens zu den Verheißungen Jesu in seinen sogenannten Abschiedsreden: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht." (Joh 14,27) In der Tat sind die Jünger durch die Erfahrungen des Leidens und Sterbens Jesu total verstört. Sie hatten auch noch im Zusammenhang der Erscheinungen des auferstandenen Herrn Furcht. Sie waren enttäuscht und resigniert. Viele glaubten, wieder einmal hereingefallen zu sein. Sie liefen auseinander und trennten sich. Die Gemeinschaft war zerbrochen. Die Jüngerflucht ist kein Märchen. Die Gemeinschaft mit Jesus und auch untereinander war zerrüttet.
Dies hat durchaus auch etwas mit unseren Gemeinschaften und den Friedlosigkeiten unserer Welt zu tun, und zwar im Blick auf die Gesellschaft, aber auch hinsichtlich des einzelnen Menschen. Wenn die Verhältnisse der Menschen aus dem Lot gekommen sind, die sozialen Beziehungen nicht mehr stimmen und Zwietracht sowie Rücksichtslosigkeit das Miteinander gefährden oder gar zerstören, dann ist diese Friedlosigkeit auch heute unter uns. Und manchmal glauben wir, dass wir durch vermehrten Streit und gar durch einen Krieg Klarheit und angeblich auch Frieden schaffen. Der Unfriede ist ein tiefes und weitreichendes Zeichen unserer Heillosigkeit.
So wird auch neu verständlich, warum der Friedensgruß des auferstandenen Herrn nicht dem alltäglichen Segensgruß gleichgestellt werden kann. Das Leiden und Sterben des Herrn, besonders seine Kreuzigung, hat die Macht der Gewalt nicht nur der Waffen, sondern auch des Verrats, der Verleumdung und der Verspottung an den Tag gebracht. Jesus überwindet diese Friedlosigkeit. Und er tut dies, indem er aus der Nacht des Hasses und des Todes in das Licht des Ostermorgens tritt und uns mitten in alle Friedlosigkeit hinein das erlösende und befreiende Wort spricht: „Friede sei mit euch" (vgl. Lk 24,36; Joh 20,19.21.26). Die zerstörte Gemeinschaft, zunächst der Jünger, wird wieder heil. Durch das Erscheinen des auferstandenen Herrn wird unter uns mitten in allen Spannungen ein Raum des Friedens eröffnet. Damit fängt Kirche an. Aus der verschlossenen Welt wird eine offene Welt. Die Verweigerung, miteinander menschlich und christlich umzugehen, weicht der Bereitschaft zum Gespräch. Der Hass verwandelt sich in Verständnis und Solidarität, Zuneigung und Liebe zueinander. Eine neue Welt wird durch diesen Friedensgruß eröffnet. Dies ist die Freude von Ostern. Darum sind Friede und Freude die kostbarsten Gaben des auferstandenen Herrn an seine Kirche. Es sind wirklich Gaben des Geistes, der unsere alte, verschlossene Welt durchbrechen und uns in eine neue Freiheit der Wahrheit und Liebe führen kann. (Zu den Früchten des Geistes: Gal 5,22).
Freilich ist dieser Friede kein Naturereignis, wie der Regen vom Himmel fällt, und auch kein mechanischer Automatismus, wie Steine durch die Schwerkraft auf die Erde prallen. Dies ist wohl das Schwerste im Verständnis und im Verwirklichen des Friedens. Denn der Frieden Jesu Christi ist nur entstanden durch die Bereitschaft Jesu, sein Leben, eben sich selbst für die Menschen einzusetzen. „Alles im Himmel und auf Erden wollte er (Gott) zu Jesus Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut." (Kol 1,20; vgl. Eph 1,10) Dieser Friede im Sinne einer neuen Gemeinschaft des Geistes kommt nur zustande, wenn wir Menschen bereit sind zur Zurücknahme unserer oft einseitigen Ansprüche, zur Verständigung und zur Versöhnung. Aber dies ist nicht möglich ohne Verzicht und auch Opfer. So ist erst der gekreuzigte und auferstandene Herr, der auch noch an Ostern die Wundmale an seinem Leib erkennen lässt, der Grund des Friedens (vgl. Eph 2,14; Kol 3,15; Hebr 7,2; Ofb 1,4). Die eindrucksvolle Theologie des Epheserbriefes kann darum zusammenfassend sagen: „ Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder... Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet." (2, 14 ff)
Dieser Friede kommt deshalb auch nur durch unseren Einsatz und unser Zeugnis in die Welt. Es ist deshalb wichtig, dass Jesus die Jünger, denen er den Frieden zuspricht, sofort in die Welt sendet. Er schickt sie zur Weitergabe dieses Friedens in die ganze Welt (vgl. schon Lk 10,5 f; Mt 10,12 f). Darum gehört die vielfältige Mission zu Ostern, wie wir dies am Schluss des Matthäus-Evangeliums erkennen, in dem dieser Auftrag des Auferstandenen besonders offenkundig wird: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." (28, 19f) Gnade und Sendung gehören zusammen. Dies gilt erst recht für den Frieden. Niemand kann denFrieden einfach für sich behalten. Ostern gibt auch den Mut, in der Hoffnung auf Versöhnung den ersten Schritt zu tun. Dies ist immer ein Wagnis. Aber ohne ein Minimum an Vertrauensvorschuss kann es keinen Frieden geben. Dies kann Verwundungen einbringen. Aber nur so gelingt Frieden im Geist Jesu Christi. Darum kann man jetzt die Verheißung Jesu in ihrem ganzen Gewicht verstehen: „Selig die Frieden stiften; denn sie werden Söhne (und Töchter) Gottes genannt werden." (Mt 5,9).
Der auferstandene Herr möchte uns in eine neue Welt versetzen, die zwar immer noch die Spuren des Unfriedens an sich trägt, uns aber fähig macht zu Frieden und Versöhnung, den kostbarsten Gaben des auferstandenen Herrn. Amen.
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz
Es gilt das gesprochene Wort
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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