Viele werden angesichts des Titels „Der Mensch als Treuhänder der Schöpfung" das Lachen nicht verkneifen können. Ist der Mensch nicht eher ein Raubtier, der sich über die Schöpfung erhebt und rücksichtslos mit ihr umgeht? Soll damit der Bock zum Gärtner gemacht werden, der letztlich doch nur nach seinen eigenen Vorteilen strebt? Aber kann man den Menschen in seinen Anlagen und Tendenzen wirklich ändern? „Die ich rief, die Geister, werd ich nicht mehr los", klagt der Zauberlehrling in Goethes Symbolgedicht. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt nichts anderes: "Wer auf dem Tiger reitet, kann nicht mehr herunter". Aber muß man angesichts der verheerenden Folgen rücksichtsloser menschlicher Herrschaft nicht eine andere Grundstellung in der Schöpfung einnehmen? In welchem Sinne ist der Mensch wirklich „Herr" der Schöpfung? In welchem Sinne ist der Mensch schon aufgrund seiner Zugehörigkeit zur geschaffenen Welt Geschöpf, Mitkreatur? Was heißt es, daß der Mensch „Bild des unsichtbaren Gottes ist" im Verhältnis zu seiner Mit- und Umwelt?
Es gibt heute eine ziemlich eindeutige Antwort in der alttestamentlichen Wissenschaft. Für das Verständnis des Satzes, daß Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen habe, folgern nicht wenige Ausleger, daß das Bild Gottes im Sinne der Statthalterschaft oder Repräsentation zu verstehen sei. Der Mensch ist Gottes Repräsentant. Es gibt nur ein legitimes Bild, durch das Gott sich in der Welt manifestiert, und das ist der Mensch. Der Mensch repräsentiert, bezeugt Gott auf Erden. Wie immer man dies näher deutet, so ist der Zusammenhang zwischen dem Geschaffensein und der Menschenwürde offenkundig. Im Geschaffensein ist die Würde des Menschen begründet.
Damit ist auch etwas zur Stellung des Menschen im Kosmos ausgesagt. Er ist ein Wesen der Mitte, wie schon die Alten sagten. Der Mensch lebt im Grenzbereich zwischen Engel und Tier. Auch in seiner herrschaftlichen Stellung gehört er noch auf die Seite der Geschöpfe.
Gewiß darf man die biblische Aufforderung nicht eliminieren, daß Menschen sich die Erde untertan machen sollen (Gen 1,28). Menschen sollen freilich über Gottes Schöpfung herrschen, indem sie schaffen, nicht aber ausbeuten oder zerstören. Dieser Gedanke ist in einer Epoche gefaßt worden, als die Möglichkeiten des Menschen gering waren und die Natur über ihn herrschte. Erst seit der wissenschaftlichen Aufklärung der Natur und der technischen Herrschaft kommen Menschen in eine Situation hinein, die wirklich fast unbegrenzte Macht hervorbringt. In der Zwischenzeit ist längst klar, daß diese Expansion an Grenzen gekommen ist und nicht exponentiell einfach fortgesetzt werden kann. Vielmehr zeigt es sich, daß die Menschheit eine radikale Kehrtwendung vollziehen muß. Grundlegende Wertmaßstäbe müssen geändert werden. Viele fordern eine geistige Umwälzung kopernikanischen Ausmaßes für die Umsetzung unserer Vorstellungen in praktische Handlungen. Nicht nur ein Bewußtseinswandel für partikuläre Bereiche, sondern ein grundlegendes „neues Denken" wird gefordert.
Dabei ist nicht sicher, wie der Mensch reagieren wird. Die Expansion von Wissenschaft und Technik stößt um so rascher an unüberschreitbare Grenzen, je schneller sie vorangetrieben wird. Wir können nicht mehr einen unerschöpflichen Vorrat unbegrenzter Schätze vor uns sehen, sondern erobern gleichsam die eigene Endlichkeit und müssen lernen, unsere Armut und unseren Mangel zu verwalten. Bisherige Antworten werden nicht einfach genügen. Ein Erfolgsdenken, das die Qualität der Geschichte nach dem Zuwachs von Herrschaft und Macht kalkuliert, hat ebenso abgedankt wie naive Fortschrittsgläubigkeit.
Was geschieht, ist aber auch zugleich eine Krise des aufklärerischen Bewußtseins. Die Frage läßt sich nicht vermeiden, ob unsere Probleme eine Folge der Aufklärung sind, weil der Herrschaftszuwachs vielleicht unserer menschlichen Natur nicht mehr angemessen ist oder weil dahinter eine falsche Idee von Wirklichkeit und Zeit steckt. Es trügt wohl auch die Erwartung, die Gesamtproblematik werde sich gleichsam von selbst regulieren und irgendwie zu Ausgleichsmechanismen kommen. Dies wäre nur eine Variante jenes eindimensionalen Optimismus, der nicht mehr erlaubt ist. Niemand weiß auch, wie der Mensch diesen „ungeheuren Umschlag in seinem Selbstverständnis" (G. Picht) verkraften wird. Die zwangsläufige Umorientierung seines Denkens kann nämlich auch zu Trotzreaktionen führen. In zynischer Weise könnte er dadurch gegen die ihm auferlegten Grenzen protestieren, indem er in einem Anflug höllischen Lachens und in einer letzten Steigerung alle Reserven verbraucht, um sich nachher gleichsam in die Luft zu sprengen. Nach uns die Sintflut ... Nach unseren Erfahrungen über das Ausmaß des menschlichen Willens zu Aggressivität und Destruktion können wir jedenfalls solche Möglichkeiten nicht von vornherein in das Reich der Gruselmärchen abschieben.
Die Grundthese meines Beitrages lautet: Der Christ ist in besonderer Weise dazu berufen, der menschlichen Gesellschaft bei der Einübung des notwendigen neuen Denkens beizustehen. Dies wird nur gelingen, wenn er von der Mitte des Schöpfungsglaubens her einen neuen Sinn für die Kreatürlichkeit der Welt im ganzen und für seine eigene Position in der Schöpfung gewinnt. Ohne diese erneuerte Verantwortung für die Erde gibt es in Zukunft kein menschliches Wohnen auf unserem Planeten. Schrittweise soll diese These genauer entfaltet werden. Ich beginne mit dem Begriff Kreatürlichkeit.
Kreatürlichkeit ist bei aller äußeren Nähe nicht einfach gleichzusetzen mit Kontingenz oder mit Endlichkeit in einem neutralen Sinn, auch nicht mit Profanität oder Weltlichkeit. Diese Begriffe erscheinen heute in einer säkularisierten Gestalt, die ihre theologische Herkunft eher verbirgt. Sie sind weitgehend indifferent geworden und erlauben viele Deutungsmöglichkeiten. Sie können zum Beispiel pure Faktizität und Geworfensein in die Einsamkeit der Welt bedeuten. Überdruß und Ekel sind bekannte Antworten darauf. Unwillkürlich wird man an die Gnosis des 2. Jahrhunderts erinnert. Kreatürlichkeit als theologischer Begriff hat jedoch von vornherein eine andere Struktur.
Das Geschöpf weiß, daß es nicht sein muß und doch ist. Dazwischen liegt sozusagen das Glück der Schöpfung. Die Kreatur grenzt an das Nichts, ohne einfach nichtig zu sein. Dennoch darf die Kreatur nicht allein aus dieser Unähnlichkeit zu Gott gedacht werden. Wirklichkeit ohne Ähnlichkeit mit dem Schöpfer wäre ein Gegen-Gott. Obgleich kein größerer Unterschied in der Wirklichkeit als der zwischen Gott und Kreatur waltet, gibt es dennoch kein Geschöpf, welches nicht selbst noch in der unendlichen Andersartigkeit Gott ähnlich wäre. Die Kreatur ist nicht ein Gegenpol, sondern ein frei von Gott ins Sein gerufenes Gegenüber. Dies ergibt ein Verständnis der Kreatur jenseits eines heimlichen Monismus, der Gott und die Welt in eins setzt, und eines Dualismus, der das Ganze der Wirklichkeit in zwei total verschiedene Seinsblöcke zerklüftet. Das geschöpfliche Gegenüber gewährt Distanz und Intimität zugleich, Zusammenhang in der Unähnlichkeit und Nähe bei aller Differenz. Alle menschlichen Modelle des Produzierens und Schaffens versagen vor diesem Geheimnis. Darum wählte die Schöpfungserzählung der Priesterschrift in dem hebräischen Wort „bara" (= schaffen) auch ein singuläres Wort, das den Schöpfungsprozeß allen Analogien und Vorstellungen entzieht, die etwas mit dem Machen und Bilden aus vorgegebener Materie zu tun haben. Der Schöpfungsvorgang erscheint am angemessensten im Bild der Sprache und als Sprache. Gottes Wort schafft voraussetzungslos, völlig frei, ungebunden und mühelos. Kein einziges Motiv führt zur Erklärung der Schöpfung. Schon der hl. Augustinus sagt: „Ubi nulla indigentia, nulla necessitas; ubi nullus defectus, nulla indigentia". „Wo kein Bedürfnis, da ist auch keine Notwendigkeit; wo kein Mangel ist, da ist auch kein Bedürfnis". Weil Gott unüberbietbar frei ist, ist er auch unüberbietbar freigebig. Die Freiheit zur Welt wurzelt im grundlosen Spiel der Liebe Gottes.
Von diesem Verständnis des Geschaffenen her genügt es auch nicht, die Kreatur nur in ihrem simplen „Vorhandensein", in ihrer bloßen Abhängigkeit und gleichsam in ihrer nackten Existenz zu begreifen. Darum sollen im folgenden einige elementare Strukturen des geschöpflichen Seins angesprochen werden:
Die uralte Frage, warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr nichts (z.B. von Schelling und Heidegger wieder gestellt), entstammt zuletzt dem Staunen, daß es die Welt gibt. Darin liegt zugleich die Erfahrung der Grundlosigkeit der Schöpfung: Sie ist uns unverdient zugekommen, geschenkt. Wir kennen diese elementare und fundamentale Erfahrung vielleicht am ehesten noch in der Freude bei der Geburt eines Menschen, in der Liebe zwischen Menschen, wo man uneingeschränkt bekennen kann: Es ist gut, daß es dich gibt.
Das Geschöpf ist nicht nichts. Es kann gar nicht so reine Kontingenz sein, daß es nicht ein Moment von Unbedingtheit aus der Macht des Schöpfers in sich bergen würde. Es nimmt gerade dadurch an der Absolutheit Gottes teil, indem es ist. Gott ist nicht das Subjekt der Kreatur, und das Geschöpf ist nicht nur eine Modalität Gottes. Die Güte Gottes selbst geht ein in das Sein, Haben und Wirken des Geschöpfes. Die Herrlichkeit Gottes wird also nicht größer, wenn man die Kreatur erniedrigt. Die Kreatur ist nicht einfach der Spielplatz von Gottes eigener Tätigkeit. Das Geschöpf kann sich freilich, wie die Ursünde des Menschen zeigt, in sich verschließen. Aber dies muß nicht zwangsläufig so sein. Die Kreatürlichkeit ist zwar eine Bedingung der Sünde, aber diese ist nicht einfach schon durch das Ungenügen des kreatürlichen Seins verursacht oder konstituiert. Von seinem Ursprung her ist das Geschöpf nicht opak, dunkel und in sich gekehrt. Es hat Eigenwert und Selbständigkeit nur dadurch, daß es von seinem Grund her innerlich aufgehellt und offen zu seinem Urheber ist. Das Geschaffene ist zwar nicht Gott: Dadurch kann es auch verhüllen, verführen und behexen (vgl. Röm 1-2). Aber von der Schöpfung her ist es licht, symbolisch und transparent. Es ist so Bild und Gleichnis der Güte Gottes. Wegen dieser Luzidität und Durchsichtigkeit kann die geschaffene Welt auch ganz und gar - unbeschadet ihrer relativen Selbständigkeit - in den Dienst Gottes genommen werden, wenn sie in den Sakramenten zum wirksamen und erfüllten Zeichen für Gott und sein Heil wird. Besonders sinnenfällig ist dies zum Beispiel in den eucharistischen Gaben von Brot und Wein.
Das Geschöpf verkapselt sich nicht in sich selbst. Auch in seiner eigenen Positivität ist es nicht sich selbst genügend. Die Kreatur ist durch jede Schicht hindurch auf Gott angewiesen. Sie kommt mehr zu ihrer Vollkommenheit, wenn sie ihre „Armut" annimmt, nämlich alles von Gott empfangen zu haben und in ihm sich zu vollenden. Je mehr sie offen und aufnahmefähig wird auf ihren Urheber hin, um so vollkommener ist sie. Diese Bedürftigkeit, erst in der Ausrichtung auf Gott zur Vollendung zu kommen, ist keine Unvollkommenheit. Bezogensein auf Gott ist kein Defekt, sondern die höchste Möglichkeit. In dem Augenblick, wo die Kreatur diese ihre seinsmäßige Demut verkennt und sich ganz auf sich selbst stellt, wird sie anmaßend. In der Verweigerung der Annahme kreatürlicher Armut liegt der Ursprung von so etwas wie Sünde: Non serviam! - "Ich will nicht dienen!"
Wenn dies so ist, dann strahlt die Kreatur nicht bloß in ihrer Schönheit wider, sondern sie wird auch auf ihren Urheber transparent und weiß um ihre Vollendung gerade aus ihrer Armut heraus. In diesem Sinne gibt es keine schlechthin stumme Kreatur. Der Mensch jedoch ist aufgerufen, dieses Gutsein der Schöpfung zu sagen, die Dinge sich öffnen zu lassen und ihnen durch das Wort zu dieser beredten Transzendenz zu helfen. Zu den Werken Gottes gehört darum der Widerhall einer Antwort. Deshalb gibt es auch nichts, was nicht seinen Schöpfer loben könnte, bis hin zu den sprachlosen Steinen. Es ist die besondere Auszeichnung der Kunst, daß sie sozusagen stellvertretend für die sprachlose Kreatur dieses ganze Leben zum Leuchten und Klingen bringen kann.
Eine Zusammenfassung der Theologie der Schöpfung findet sich in der sogenannten »Billigungsformel« in der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung. Besonders am Schluß wird zum siebtenmal unterstrichen: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut" (Gen 1, 3 1). Von Gott her ist in der Welt nichts Störendes. Nach seiner Absicht ist die Schöpfung gut. Im letzten gibt es eine vorbehaltlose Zustimmung Gottes zur Welt.
Dieses Ja zur Welt kann allerdings von uns beinahe zerstört werden. Der Mensch kann die Schöpfung verwüsten und tödliche Kräfte in ihr entfalten. Das Gutsein der Kreatur läßt sich so verhüllen, daß es dem Menschen entzogen wird und er es vielleicht sogar auf längere Zeit nicht mehr erkennt.
Diese Grundstruktur verlangt vom Menschen Zustimmung zur Welt und Bejahung der Geschöpflichkeit. Gegenfiguren sind die Weigerung, die Verneinung, der Widerwille und gar die Revolte. Das ursprüngliche Gutsein der Geschöpfe, auch wenn dies jetzt verdunkelt ist, lädt immer wieder den Menschen ein, in einem vorgreifenden Akt seine Zustimmung zur Welt zu geben und für die Sinnhaftigkeit des Seins zu optieren. Urvertrauen und Zuversicht, „ontologische Affirmation" (Helmut Kuhn) und „Mut zum Sein" (Paul Tillich) gehören zum Grundverhältnis des Menschen zur geschaffenen Welt. Die Schöpfung lebt geradezu von dieser ursprünglichen Einheit zwischen dem Sein und dem Guten. Daß alles sehr gut war, was Gott geschaffen hat, dies hat der Welt zutiefst einen unzerstörbaren Sinn gegeben, weil es ein Gutsein in den Augen Gottes war und ist. Nie ist es so zertört, daß es nicht - vor allem mit den Augen des Glaubens - wieder geschaut werden könnte. Das Staunen ist der menschlichste Widerschein von alledem.
Der Blick auf eine mögliche und wirkliche Verhülltheit des Gutseins der Schöpfung hat uns vor einem gefährlichen Optimismus bewahrt. Der Realismus wird noch gesteigert, wenn wir nun die konkrete Verantwortung des Menschen für die ihm anvertraute Schöpfung beachten.
Es ist bekannt, daß die Schöpfungserzählung, besonders der Jahwist, dem Menschen eine besondere Verantwortung für die gesamte Kreatur zuspricht. Am deutlichsten wird dies etwa bei der Erschaffung der Tiere (vgl. Gen 2,18 ff). Sie sollen ihm eine Hilfe sein und sind ihm zur Gemeinschaft gegeben. Zugleich soll er jedoch über die Tiere herrschen. Dies kommt am deutlichsten in der Namensgebung zum Vorschein. Ganz so, wie der Mensch die Tiere benennen würde, so sollte ihr Name sein. Der Mensch muß zwar die Tiere so annehmen, wie sie geschaffen sind, aber durch die Namensgebung gibt er den Tieren auch ihren Ort in seiner Welt und verleiht ihnen darin eine Bestimmung. „Die Tiere als Geschöpfe haben keinen Namen; Namen erhalten erst die der Welt des Menschen zugeordneten Tiere, und darum kann auch der Mensch selbst ihnen Namen geben. In der Benennung entdeckt, bestimmt und ordnet der Mensch seine Welt, die Sprache erst macht die Welt menschlich; in der Benennung der Tiere werden sie der Menschenwelt zugehörig".(Cl. Westermann)
Eine besondere Zuspitzung erfährt die Stellung des Menschen zur Erde durch die Formulierungen von Gen 1, 26 ff : „Und Gott sprach: Laßt uns Menschen machen als unser Bild, zu unserem Abbild, so daß sie herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über alles ‘Wildgetier’ der Erde und über alles Kriechgetier, das auf der Erde kriecht! Und Gott schuf den Menschen als sein Bild: als Bild Gottes schuf er ihn, Mann und Frau (so) schuf er sie; und es segnete sie Gott, und es sprach zu ihnen Gott: ‘Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt die Erde und unterwerft sie und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über jedes Tier, das sich auf der Erde regt!’" (Übersetzung nach O.H. Steck).
Die Vorwürfe an die Wirkungsgeschichte dieser Aussagen im Zusammenhang der neueren Diskussion über ökologische Probleme sind bekannt. Im deutschen Sprachgebiet kann an das Buch von Carl Amery „Das Ende der Vorsehung" erinnert werden. Die christliche Religion hat nach ihm entscheidend zur Anmaßung des Menschen beigetragen, daß die Welt nach dem Bild des Menschen umgeformt werden müsse. „Jedem möglichen Zweifel über diese absolute und totale Überlegenheit steht Gottes Auftrag entgegen. Es ist der ausdrückliche Auftrag der totalen Herrschaft. Der Mensch wird gerufen, diese Erde zu erfüllen, sie sich untertan zu machen. Magische Auflagen sind nicht damit verbunden, das heißt, es ist ihm völlig freigestellt, wie er diesen Auftrag vollzieht. Sonne und Mond sind Beleuchtungskörper, sonst nichts; Rohstoffe, Flora, Fauna sind ein Arsenal, über das er frei verfügt, sind Jagdterrain und Ernteacker". Das Christentum habe einen Wertekodex geschaffen, der die Ausbeutung der Natur und damit auch die menschliche Verschwendungssucht steigere. Anders formuliert: Das Christentum ist eine Religion des exponentiellen Wachstums. Auch Dennis L. Meadows, einer der maßgeblichen Verfasser des ersten Berichtes des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums", glaubt, daß der Geist schrankenloser und kurzfristiger Ausbeutung „fest in der jüdisch-christlichen Tradition verankert" sei. So neu ist die These jedoch nicht. Sie findet sich schon früher bei dem amerikanischen Historiker Lynn White Jr., bei A. Toynbee, K. Löwith, F. Nietzsche und M. Heidegger.
Es besteht sicher ein Zusammenhang zwischen dem biblischen Herrschaftsauftrag über die Erde und der intensiven technisch-wissenschaftlichen Ausübung der Überlegenheit des Menschen über die Natur. Der Herrschaftsauftrag mag in früheren Zeiten oft auch problemlos aufgefaßt worden sein. Es kann auch nicht geleugnet werden, daß wir manche Nuancen des biblischen Textes erst heute sehen können, belehrt durch die Möglichkeiten der modernen Schriftauslegung und durch das offenkundig gewordene Ausmaß an Zerstörung der Schöpfung.
„Macht euch die Erde untertan und herrscht über alle Tiere" - so läßt sich die zweite Hälfte von Gen 1,28 in verknappter Form wiedergeben. Die hebräischen Ausdrücke „untertan machen/unterwerfen" (kabas) und „herrschen" (radah) wollen genauer betrachtet sein. Etymologisch sind beide Worte in ihrer Bildkräftigkeit massiv: „Kabas" bedeutet „die Füße auf etwas setzen", wie zum Beispiel der Pharao seinen Fuß auf einen Fußschemel setzte, in dem symbolisch die von ihm beherrschten Länder eingeschnitzt waren. „Radah" kann bedeuten »niedertrampeln, etwas in den Boden stampfen«. Das Wort erinnert auch an das Treten der Kelter (vgl. Joel 4,13). Man darf freilich den Bedeutungssinn dieser Worte nicht aufgrund unseres modernen Weltverständnisses übersteigern.
Beide Worte können auch einfach heißen: „Etwas in Besitz nehmen" oder „weiden/führen". Dennoch sind es »starke Ausdrücke« (H. Gunkel). In ihnen wird zum Beispiel die Würde absoluten, ja königlichen Herrschens und unbedingte Überlegenheit zum Ausdruck gebracht (vgl. Ps 72, 8; 110, 2; Jes 14,6; Ez 34,4). Elemente eines schonungslosen und gewalttätigen Unterjochens fehlen nicht (vgl. Jer 34,11.16; Gen 9,7). Zweifellos ist auch die massive Durchsetzung eines Willens gemeint (vgl. Lev 25,43.46.53). Es scheint eine Herrschaft zu sein, der gegenüber es keinen Widerstand gibt und die an keine Grenzen stößt.
Der moderne Leser darf jedoch nicht von seinem Erfahrungshorizont her heutige Verstehens-elemente naiv in den Text hineintragen. Man darf zum Beispiel das Ganze nicht von den vulgärmarxistischen Kategorien „Unterdrückung" und „Ausbeutung" her deuten. Der Herrschaftsauftrag ist durchaus positiv aufgefaßt (vgl. auch Gen 1, 31). Wird der Mensch mit einem „königlichen" Herrn in Vergleich gebracht, so darf nicht zuerst oder gar ausschließlich das Bild des orientalischen Despoten vor uns stehen. Der König ist für das Ganze und für die Zukunft des von ihm beherrschten Raumes verantwortlich. Er muß dafür sorgen, daß das Ganze heil bleibt. Herrschaft bedeutet nicht Vollmacht zum gewalttätigen Treiben, sondern ist zuerst Dienst und Sorge für die Bewahrung des Lebensraumes. Es ist nicht zufällig, daß Hirten im alten Orient als Bild des Herrschers dienten (vgl. auch 2 Sam5,2 = l Chr 11,2; 2 Sam 7,7 = 2 Chr 17,6; Ps 78,71f; Jer 23,4; Ez 34,23f; 37,24; Mi 5,3).
Wie differenziert die Texte zu lesen sind, kann wiederum am Verhältnis zu den Tieren beobachtet werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß im Auftrag des Menschen zur Herrschaft über die Tiere die Erinnerung an eine Zeit mitschwingt, als das Tier ein Todfeind des Menschen war und die Überwindung dieser Gefahren schlechthin zum Menschsein gehörte. Die Weltbeherrschung vollzog sich für die Alten jedoch zunächst einmal im Züchten und Zähmen. Das erste Chorlied aus der „Antigone" des Sophokles (v.332-375) bringt diesen Grundzug des Menschen meisterhaft zur Sprache:
„Vielfältig das Unheimliche, nichts doch
über den Menschen hinaus Unheimlicheres ragend sich regt.
Der fährt aus auf die schäumende Flut
beim Südsturm des Winters
und kreuzt im Gebirg der wütiggeklüfteten Wogen.
Der Götter auch die erhabenste, die Erde,
abmüdet er die unzerstörlich Mühelose,
umstürzend sie von Jahr zu Jahr,
hintreibend und her mit den Rossen die Pflüge.
Auch den leichtschwebenden Vogelschwarm
umgarnt er und jagt
das Tiervolk der Wildnis
und des Meeres einheimisch Gerege
der umher sinnende Mann.
Er überwältigt mit Listen das Tier,
das nächtigt auf Bergen und wandert
den raumähnigen Nacken des Rosses
und den niebezwungenen Stier
mit dem Holze umhalsend
zwingt er ins Joch."
(Übersetzung von Martin Heidegger)
Dieser Kampf des Menschen mit der Erde und besonders mit den Tieren muß nicht zwangsläufig mit Ausbeutung und Zerstörung enden. „Es hat einmal einen Kampf auf Tod und Leben zwischen Mensch und Tier gegeben, aber er endete nicht mit der Ausrottung der Tiere, sondern im Zusammenleben mit ihnen. In diesem Zusammenleben lernte der Mensch, was Herrschaft ist. Sie bedeutete einerseits, daß nach wie vor Tiere getötet werden mußten, damit der Mensch leben kann. Es bedeutete aber gleichzeitig, daß der Mensch in eine neue Beziehung zu den Tieren trat, die er zähmte" (Cl. Westermann). Unter- und Überordnung haben in dieser Herrschaftsform nicht von vornherein einen negativen Beiklang.
Eine weitere Dimension im Herrschaftsauftrag Gottes darf nicht übersehen werden: Der Mensch ist als Gottes Ebenbild nicht schlechthin das letzte Maß; er ist Abbild, nicht Urbild. Es ist ihm eine ursprünglich göttliche Verfügungsgewalt gegeben. Er ist vornehmlich Repräsentant, Geschäftsträger sowie Mandatar Gottes und verwaltet die Schöpfung als ein ihm anvertrautes Lehen. So wird zwar der Herrschaftsauftrag des Menschen in seiner Ausdehnung nicht begrenzt, aber er ist darum nicht mit irgendeiner Form von barer Willkür und totaler Unterdrückung zu verwechseln. Was in der Bibel „herrschen" heißt, ist für den Menschen eben nicht identisch mit unbegrenzter Souveränität. Es ist eine im Rahmen der Schöpfung verliehene und damit je und je zu verantwortende Macht, die den Menschen nie zum letzten Souverän macht. Darum kann er auch nicht einfach über Leben beliebig verfügen. Für den Christen und den Leser des Alten Testamentes ist es ganz selbstverständlich, daß er um seine Grenzen weiß. Darum hat die „Furcht Gottes" auch eine so große Bedeutung.
Man muß also den jeweiligen kulturgeschichtlichen Standort mitreflektieren, wenn man den Text der biblischen Schöpfungserzählung voll verstehen will. „Im Sinn der Bibel führt der Abbildgedanke also keineswegs, wie Amery meint, zu einem tiefen Graben zwischen dem Menschen und dem Rest der Schöpfung, sondern dient dazu, Mensch und Schöpfung als große Einheit und großen Zusammenhang zu konzipieren" (N. Lohfink). Die Schrift hat natürlich in einer mehr als zweitausend Jahre umspannenden Zeit ihre vielverzweigte Wirkungsgeschichte gehabt. Die Bibel ist zwar selbst durch ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Phasen der menschlichen Kulturgeschichte bestimmt, sie verwahrt jedoch auch Vergessenes, Noch-nicht-Gehörtes und Unbedachtes in sich, wie eben gezeigt wurde. Dieses Spektrum ist sehr breit: „Damals konnte man sich nicht vorstellen, daß der Mensch jemals so stark werden würde, daß er die Erde aufbrauchen könnte. Das kann man gerechterweise dem Text nicht vorwerfen. Wir aber sollten uns vorwerfen, daß wir das nicht in Betracht ziehen, wenn wir den Text lesen. Damals ging es darum, die Befreiung des Menschen aus der Übermacht der Natur zu fördern. Heute geht es nahezu um das Entgegengesetzte" (O. Jensen).
Die Bibel gibt aber noch einen weiteren Hinweis, der zumeist nicht näher beachtet wird. In der sogenannten jahwistischen Schöpfungserzählung (Gen 2, 4b ff), die um ein halbes Jahrtausend älter ist als die der eben besprochenen „Priesterschrift", ist die Rede vom Garten Eden, dem Paradies. Gott gab dem Menschen diesen Garten, „damit er ihn bebaue und bewahre (bewache)" (2,15). Hier kann es nicht um schwierige Einzelprobleme des Textes und seines Zusammenhanges gehen. Es bedeutet wohl eine falsche Alternative, zu fragen, ob hier der Beruf des Gärtners oder des Bauern im Spiel ist. Man darf nämlich den Sinn des „Bebauen und Bewahren (Bewachen)" nicht auf eine bestimmte Tätigkeit oder einen einzelnen Beruf einschränken. Es geht um die Aufgabe, die dem Menschen in dem ihm von Gott zugewiesenen Lebensraum aufgetragen und anvertraut wird. Jede menschliche Arbeit nimmt in irgendeiner Weise teil an dem „Bebauen" und „Bewachen/Bewahren". Der Erzähler will mit diesen beiden Zeitwörtern eine Grundbestimmung des menschlichen Wirkens geben. Der Doppelsinn dieser beiden Verben zeigt sich auch noch im ursprünglichen Wortsinn von „Kultur", denn „colere" bedeutet zugleich bebauen und hegen. Beide Ausdrücke sind komplementär zu verstehen. „Bebauen" (colere entspricht dem hebräischen „abad") bedeutet die schöpferische, rodende Tätigkeit des Menschen, heißt Eroberung der Welt, was selbstverständlich nicht einfach mit Raubbau und Ausbeutung identifiziert werden darf. Einer solchen Auslegung steht nämlich der spannungsvolle Bezug zum „Bewahren/Bewachen" (samar) entgegen. Der Boden darf nicht nur bearbeitet, er muß auch vor Schädigungen bewahrt werden. „Dazu gehört das Bewachen, das Zerstörung verhindert, aber auch das Bewahren der Ertragsfähigkeit für die kommenden Generationen. Hier also hat das conservare seinen Ort und seinen Sinn. Es hat keinen Sinn um seiner selbst willen, sondern nur als Bewahren von etwas dem Menschen Anvertrautem." (Cl. Westermann) Hier zeigt sich wiederum das Bewachen als ein Hirtendienst und als Einheit von Dienen und Herrschen. Die Grenzen der Herrschaft des Menschen über die Erde treten nicht erst an den Rändern und bei seinen Höchstleistungen ein, vielmehr steht alles Tun unter der Spannung von Bebauen und Bewahren.
Im Grunde geschieht hier ein Doppeltes, nämlich die „Entmythisierung" der menschlichen Kultur und eine Grundaussage über den Menschen überhaupt. Die Menschen sind nicht geschaffen, um den Göttern die Arbeit abzunehmen und diese zu entlasten wie in den sumerischen und babylonischen Schöpfungsdarstellungen. Die Arbeit des Menschen ist ein Mandat Gottes, aber es ist nicht ein Auftrag zur Zwangsarbeit für die Götter. „Die Arbeit gehört zum Menschsein, weil der Lebensraum, den der Schöpfer seinem Geschöpf zugewiesen hat, diese Arbeit erfordert. Die Arbeit des Menschen ist entmythisiert; die Kultur, zu der das Bebauen und Bewahren des Ackers als Grundvorgang gehört, erhält damit ihre selbständige Bedeutung" (Cl. Westermann).
Die Geschichte der Ausbeutung und des Raubbaus der Natur durch den Menschen kann sich also im strengen Sinn weder auf die Bibel noch auf die kirchliche Schriftauslegung berufen. Daß der biblische Schöpfungsglaube für eine Bewältigung des menschlichen Daseins positiv auslösend gewirkt hat, darf nicht mit jenen Extremformen der Zerstörung der Natur verwechselt werden, die sich aus diesem Prozeß herausgelöst und durch fragwürdig gewordene Steigerungen der Säkularisierung sowie der Rationalisierung eine Gestalt gewonnen haben, die nicht identisch ist mit dem Herrschaftsauftrag der Schrift. Hier muß man alle einfachen - darum vielleicht eindrucksvollen - Erklärungsversuche abweisen, weil komplexe Prozesse dieser Art nie monokausal begriffen werden können. Es wäre auch töricht, die befreiende Wirkung und die heilenden Erfolge zu verdecken, die mit der Ausübung des Herrschaftsauftrages gegeben sind. Eine genaue geistesgeschichtliche Analyse kann es sich auch bei jenen Epochen nicht so einfach machen, die zweifellos programmatischen Charakter für die neuzeitliche Naturbemächtigung haben. Dies könnte zum Beispiel gezeigt werden durch eine Interpretation des bekannten Satzes von René Descartes aus dem „Discours de la Méthode" (1637): „Wir könnten sie (die Techniken der Handwerker) in der gleichen Weise anwenden für jeden Nutzen, für den sie geeignet sind und uns so zu Herren und Besitzern der Natur („maitres et possesseurs de la nature") machen." Das Ziel des cartesianischen Denkens ist nämlich nicht einfach technische Bemächtigung, sondern klare Erkenntnis.
Wichtiger als philosophisch-theologische Vertiefungen des bisher Gesagten und als Erweiterungen geistesgeschichtlicher oder ökologischer Art ist eine weitere Dimension im Verständnis des biblischen Herrschaftsauftrages. Was bisher gesagt worden ist, blieb weitgehend auf dem Boden einer Schöpfungstheologie. Es ist in der Tat wichtig zu sehen, daß der Mensch gerade als Mitte der Schöpfung zur Solidarität mit seiner ihn umgebenden kreatürlichen Welt angehalten ist („Mitkreatürlichkeit"). Jedoch muß eine wichtige Voraussetzung der biblischen Rede vom Herrschaftsauftrag noch angesprochen werden, nämlich die Gottesebenbildlichkeit. Wir haben schon davon gesprochen. Aber nun muß noch einmal von ihr die Rede sein.
Die Schöpfungserzählungen wissen sehr genau, daß dieser Herrschaftsauftrag und seine sachgemäße Ausübung mit der Gottesebenbildlichkeit des Menschen stehen und fallen. Nur wenn der Mensch nach der Weise Gottes seine „Herrschaft" ausübt, bleibt diese im Lot. Die Ordnung des kreatürlichen Lebensraumes ist eng mit der Annahme der Geschöpflichkeit durch den Menschen verbunden. Auch wenn wir hier nicht ausführlicher die Ursünde betrachten können, so besteht doch kein Zweifel, daß das Ereignis der Urverfehlung des Menschen zutiefst etwas mit der Störung der kreatürlichen Lebenswelt zu tun hat. Die Ur-Emanzipation von Gott und die Verweigerung der kreatürlichen „Armut" ist mit Minderungen, Einbußen und Beschwernissen des Daseins verbunden. Gen 3 will diesen unbegreiflichen Widerstreit zwischen Gottes guter Ausstattung der Schöpfung und der Erfahrung des gestörten Daseins aufzeigen. Aufschlußreich ist, daß bei dieser Urverfehlung des Menschen in den Gestalten der Frau und der Schlange gleichsam die ganze Schöpfung beteiligt ist. Der Mensch möchte autonom sein Leben bestimmen und selbst festlegen, was seinem Dasein förderlich oder schädlich ist (die Bedeutung des Ausdrucks „Erkenntnis von Gut und Böse"). Gen 3 und die ganze Urgeschichte zeigen, daß das vom Menschen in seiner Selbständigkeit bestimmte Förderliche vielmehr das für ihn Abträgliche ist. „Die Frau nimmt von den Früchten des verbotenen Baumes, sie ißt, gibt ihrem Manne bei ihr, und er ißt - welches Zerrbild der Gemeinschaft, in die Gottes Fürsorge den Menschen bei der Schöpfung gebettet hat; gestört sind das Vertrauen zu Jahwe, das Verhältnis Tier-Mensch, die Verbundenheit des Mannes mit der Frau!" (O.H. Steck). Die Folgen der versuchten Selbstorientierung (vgl. Gen 3,7-24) zeigen, wie alle kreatürlichen Beziehungen von diesem Fluch getroffen werden. Die ursprüngliche Bestimmung der Kreatur, wie wir sie früher analysiert haben, ist dabei nicht vollkommen entstellt oder gar vernichtet. Das menschliche Dasein verliert nicht einfach seine ursprüngliche Wesensausstattung, wohl wird diese gemindert. Der Mensch erreicht in der Ver-messenheit autonomer Selbstbestimmung (vgl. dazu auch Abschnitt VII) nicht das seinem Leben wirklich Förderliche. Gott weiß in seiner Sorge mehr um die wahre Natur des Menschen. Die für ihn bestimmte Grenze ist, wird sie überschritten, wirklich eine Form der Selbstschädigung.
Die Steigerung dieses Fluches kann hier nicht weiter verfolgt werden. Sonst müßte die theologische Bedeutung der ganzen Urgeschichte dargelegt werden. „Der Herr sah, daß auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und daß alle Gedanken seines Herzens den ganzen Tag nur böse waren" (Gen 6,5). Jedenfalls rechnet auch das Neue Testament mit der Verfluchung der ganzen Kreatur wegen der menschlichen Urverfehlung; diese Verfehlung des Menschen als Treuhänder der Schöpfung verletzt auch die nichtmenschliche Kreatur. In diesem Zusammenhang ist die einzigartige Formulierung von Röm 8,19-22 zu beachten: „Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt." Die Schöpfung wurde also durch die Schuld des Menschen der Nichtigkeit unterworfen. Die Spannungen kulminieren im Menschen als einem Teil dieser Schöpfung. Durch die Ur-Emanzipation des Menschen ist die gesamte Schöpfung in die Gottesferne geraten. Dennoch bleibt die Schöpfung Gottes Werk. »Sie unterliegt jetzt durch die Schuld des Menschen der Nichtigkeit, ist aber nicht mit ihr identisch. Deshalb kommt sie in der Hoffnung auf das Heil zu sich selbst. War aber die gegenwärtige Nichtigkeit durch den Menschen verschuldet, so muß auch das künftige Heil mit der Geschichte des Menschen zusammenhängen." (H.R. Balz) Die nichtmenschliche Schöpfung kann nicht für sich und von sich aus Freiheit und Herrlichkeit erlangen, jedoch kann sie durch den Menschen, der ihr ja mit seiner irdischen Existenz angehört, an der endzeitlichen Freiheit Gottes teilhaben. „Mußte sie die Pervertierung durch den sündigen Menschen ertragen, so ist sie doch jetzt schon durch den glaubenden und geistbegabten Menschen in den Prozeß der Heilung und Gesundung hineingezogen." (H.R. Balz) Diese Bewegung ist seit Jesus Christus im Gang. Wenn die Christen durch die Wiederaufrichtung der Schöpfung in Jesus Christus ihr gebrochenes Verhältnis zur Kreatur korrigieren, können sie die Welt wieder aus der Gottferne zurückholen. Paulus hat ein ganz seltenes Wort („apokaradokia") verwendet, um dieses gespannte Abwarten zum Ausdruck bringen zu können. Möglicherweise schwingt sogar bei Paulus das Moment des ängstlichen Wartens mit, das den Ausgang der Hoffnung nicht sicher kennt. So trifft der letztlich eschatologische Begriff „neue Schöpfung" die endgültige Erfüllung und Rettung.
Es kann nicht mehr Aufgabe des vorliegenden Beitrages sein, die christologische Dimension der Kreatürlichkeit voll zu entfalten. Es wäre freilich nichts anderes als eine „relecture" dessen, was früher über die Strukturen der Geschöpflichkeit gesagt worden ist. Statt weiterer Überlegungen dieser Art soll am Schluß nochmals der Horizont der Frage erweitert werden.
Die Aufgabe des Christen besteht also darin, ein neues Denken einzuüben, das zu einer sensiblen Verantwortung des Menschen zwischen Gott und Welt, Geschichte und Natur führt. Es kommt darauf an, die Kreatur so zu „regieren", daß sie nicht zerstört wird. Es sind alte, aber im Grunde nie erreichte Fähigkeiten. Der Mensch ist in einem viel höheren Maße ein „Sohn der Erde" (vgl. auch die mögliche Verwandtschaft von Mensch = „Adam" mit dem hebräischen Wort für „Erde" = adama), als die Theologie bisher zum Ausdruck gebracht hat. Die untergründigen gnostischen und dualistischen Tendenzen des abendländischen Denkens haben es der Philosophie und Theologie immer schwer gemacht, die Positivität des kreatürlichen Seins ungemindert und authentisch zur Sprache zu bringen (freilich ohne jede Blut- und Boden-Mystik!). So steht uns die volle Entdeckung der Welt als Kreatur im Grunde erst noch bevor.
Vielleicht kommt es bei diesem Bemühen zu einer Begegnung mit dem Denken des späten Martin Heidegger. Auch er sieht den Menschen nämlich in der Gefahr, sein Wesen zu verlieren. Heidegger hat dies in seinem 1951 gehaltenen Vortrag „Bauen, Wohnen, Denken" gezeigt. Das Wohnen - nun ganz grundlegend genommen - ist die Weise, wie die Sterblichen sich auf der Erde aufhalten und einrichten. Das Bauen entfaltet sich doppelt: Bauen, das pflegt, und Bauen, das Errichten und Herstellen bedeutet. „Beide Weisen des Bauens - bauen als pflegen, lateinisch colere, cultura, und bauen als errichten von Bauten, aedificare - sind in das eigentliche Bauen, das Wohnen, einbehalten." Menschsein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: bei den Dingen sein. „Wir sind im strengen Sinn des Wortes - die Be-Dingten. Wir haben die Anmaßung alles Unbedingten hinter uns gelassen." Darum gehört zum Bauen - was wir oft kaum mehr wissen - ein Hüten, Schonen, Verwahren und Pflegen. Wir setzen die Kreatur und die Dinge zu nieder und zu dürftig an. Darum kann Martin Heidegger sagen: „Die Sterblichen wohnen, insofern sie die Erde retten - das Wort in dem alten Sinne genommen, den Lessing noch kannte. Die Rettung entreißt nicht nur einer Gefahr, retten bedeutet eigentlich: etwas in sein Wesen freilassen. Die Erde retten ist mehr, als sie ausnutzen oder gar abmühen. Das Retten der Erde meistert die Erde nicht und macht sich die Erde nicht untertan, von wo aus nur ein Schritt ist zur schrankenlosen Ausbeutung" (M.Heidegger).
Der Mensch wohnt nur wahr, wenn er alle Dimensionen seines Daseins im Lot hält und sich nicht ver-mißt. Dazu gehört für Martin Heidegger ein Einfach-Vierfältiges: die Erde zu retten, den Himmel zu empfangen, die Göttlichen zu erwarten, die Sterblichen zu geleiten. Dies ist das Maß für den Aufenthalt des Menschen auf der Erde. Der Mensch kann seine Welt nur menschlich gestalten, wenn er richtig Maß nimmt. Dazu gehört für Heidegger - in Hölderlins Worten - „die Freundlichkeit", die ihm geschenkt werden muß. Dies ist kein harmloses Wort, denn Hölderlin und Heidegger übersetzen damit das griechische Wort „Charis", was wir - oft ein wenig zu eilfertig und gedankenlos - mit Gnade übersetzen.
Dies ist alles in dem Wort „Treuhänder", „Mandatar" ausgesagt. Der Mensch empfängt die Erde nur als Lehen, zu treuer Verwaltung. Sie ist ihm auf Zeit ausgeliehen. Sie gehört nicht einfach ihm. Darum kann er auch nicht willkürlich darüber verfügen. Es ist nicht zufällig, daß gerade jüdisch orientierte Philosophen, die auf der einen Seite in säkularisierter Form das Pathos des Produzierens steigerten (z.B. Marx, Feuerbach) und auf der anderen Seite stärker die Bibel respektierten, sich intensiver mit unserem Problem befassen. So verlangt mit Recht Hans Jonas einen neuen Begriff der Verantwortung des Menschen, der sich nun nicht mehr an der Bemächtigung orientiert, sondern an der Bewahrung des Anvertrauten, am Schonen. Das Buch von Hans Jonas über das "Prinzip Verantwortung" ist hier ein Meilenstein. Auch von Lévinas können wir lernen, daß Verantwortung immer auch Schonung und Bewahrung des Geschöpflichen bedeutet, nicht zuletzt im Blick auf die begrenzten Güter dieser Erde und die Zukunft kommender Generationen.
Erst auf diesem Fundament entscheidet sich, ob wir zu neuen Grundhaltungen fähig sind. Vieles kündigt sich in den Postulaten grüner Bewegungen an, aber sie sind vielfach mit dem Traum totaler Verfügbarkeit durchmischt. An keinem anderen Beispiel wird dies so deutlich wie an der Haltung zum Lebensrecht des ungeborenen Kindes. Nicht zufällig ist darum an diesem Punkt ein Unterscheidungsmerkmal von einer besonderen Bedeutung. Aber dies ist ein anderes Thema, das freilich sehr naheliegt.
Wir brauchen in diesem Sinne eine „Kehre" (M. Heidegger). Ohne eine solche „Umkehr" - im Hebräischen heißt dies ja Umdenken - kommen wir zu keiner Lösung. Unsere Gegenwart wäre dann in einem vielfachen Sinne eine gnadenlose Zeit, gnadenlos der Kreatur gegenüber, unter fast gnadenlose Zwänge gestellt und darum letztlich selbst bar der Gnade. Sobald der Mensch dies jedoch bedenkt, besteht wenigstens ein bißchen Hoffnung auf eine Wende, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Copyright: Bischöfliches Sekretariat Mainz 1998
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz