Gastkommentar in der Mainzer Allgemeinen Zeitung 17. Mai 2003
Fast jeden Tag gibt es neue Hiobs-Botschaften über die Steuereinnahmen, die Rentenversorgung mit den übrigen Sozialsystemen und die Gesundheitsvorsorge. Es gibt von der schwachen Weltkonjunktur bis zu den steigenden Kosten für die enormen Leistungssteigerungen der Medizin einsichtige und plausible Gründe.
Dennoch überkommt einem immer wieder das Empfinden, die vielen Reformvorschläge kämen an kein Ziel. Sie sind auch nicht genügend durchdacht, oft noch zu unreif und untereinander widersprüchlich. Nicht selten aber hat man den Eindruck, dass man den wahren Ursachen doch nicht genügend auf den Grund geht. Dies geschieht ja auch bei vielen anderen Problemen und Defiziten, wie z.B. im Bildungsbereich, aber auch bei der Arbeitslosigkeit.
Ähnlich dürfte es auch mit den angesprochenen Problemen sein. Ein ganz entscheidender Grund, warum unsere Sozialsysteme nicht mehr ausreichend funktionieren, besteht in den demographischen Problemen unseres Landes, vor allem dem Rückgang unserer Bevölkerungsdynamik. Jeder weiß dies zwar, aber man hat nicht den Eindruck, dass die Reformüberlegungen wirklich auch hier ansetzen.
Natürlich kann man nicht leicht und nicht sofort, schon gar nicht mit einer schnellen Wirkung eine Verbesserung unseres Bevölkerungsschwundes erreichen. Es gibt Grenzen in der Möglichkeit, die Geburtenfreudigkeit junger Eltern und besonders von Frauen zu beeinflussen. Aber wenn der Generationenvertrag auf längere Zeit nicht mehr stimmt und brüchig wird, dann dauert die Reperatur eines ausgewogenen Bevölkerungswachstums um so länger und bleibt im Erfolg auch ungewiss.
Die Bundes- und Länderregierungen haben, zum Teil auf Drängen des Bundesverfassungsgerichtes, in den letzten Jahren gewiss viel für die Familienpolitik getan. Es ist freilich genau so sicher, dass dies, verglichen auch mit manchen Nachbarn, angesichts unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu wenig ist. Aber man wird, ohne die materielle Grundlage gering einzustufen, auch feststellen dürfen, dass die finanziellen Anreize offenbar allein nicht genügen. Wir müssen jungen Menschen mehr Mut zu Kindern machen. Junge Frauen müssen die Überzeugung gewinnen, dass das Muttersein von der Gesellschaft begrüßt und auch eine „Familienpause" in vielfacher Hinsicht unterstützt wird. Aber dafür braucht es auch mehr Mut zu Ehe und Familie als den doch angemessensten Formen der Sorge um Kinder. Schließlich ist es auch der Mut zur Zukunft überhaupt, der hier zum Ausdruck kommt.
Ich weiß, dass dies allein keine Wunder bewirkt. Aber wir dürfen auch nicht die Lösung aller Probleme gerade um unsere Sozialsysteme von der Politik erwarten. In der Gesellschaft selbst braucht es zugunsten unserer gemeinsamen Zukunft ein Umdenken. In diesem Sinne ist jeder zur Nachdenklichkeit aufgerufen.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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