Gastkommentar für die Mainzer Allgemeine Zeitung am 3. April 1999
Noch vor der Sommerpause soll der Bundestag endgültig über das Holocaust-Denkmal entscheiden. Die Debatte geht gerade darum jetzt weiter. Hier geht es nicht gegen jemand, sondern ich möchte die Idee von Richard Schröder noch besser erhellen, „Du sollst nicht morden!" zur Inschrift des Mahnmals zu machen.
Haupteinwand: Das Tötungsverbot ist zu allgemein, es verharmlost, in seiner Allgemeinheit beseitigt es das Unerbittliche und Unausdenkbare des Holocaust. Es konnte auch die SS-Schergen nicht am Morden hindern. Mit Verletzungen dieses Gebotes mußte man immer schon leben, es erreicht nicht das Himmelschreiende des Holocaust.
Der Einwand besticht, aber er trifft nicht die Pointe Richard Schröders. Es ist das jüdische Volk, dem die Menschheit dieses Gebot verdankt. Auch wenn es in seiner Geschichte immer wieder mit Blut besudelt worden ist, so hält es unbedingt für jedermann seinen Anspruch aufrecht. Es ist keine Allerwelts-Weisheit, sondern durch den uneingeschränkten, kompromißlosen Imperativ wird jeder unübersehbar von der verborgenen Stimme Gottes angesprochen, der die Mahnung unerbittlich ausspricht, auch wenn er sich hier mit dem Namen zurückhält und verbirgt.
Da ist keine unspezifische Allgemeinheit. Hier verbinden sich auf einzigartige Weise eine geschichtliche Partikularität, die immer wieder Stachel zur Herausforderung ist: die Erwählung Israels, mit einem universalen Menschheitsethos, ohne das wir im Ernst nicht leben könnten. Auf eben dieses jüdische Volk, dem die Menschheit diese dichte Aussage verdankt, zielten sehr bewußt der Ausrottungswille Hitlers und seine Todesmaschinerie. Ein in der Tat universales Menschheitsgebot hat einen sehr partikularen, genau benennbaren Ursprung.
Richard Schröders Vorschlag trifft damit die unerträgliche Spannung, ja den Skandal im Holocaust sehr präzis. Die Abwandlung des Tötungsverbots in den Landessprachen ist kein falscher Zusatz, sondern gehört dazu.
Dieses Mahnmal wäre überzeugend vor allem ethisch konzipiert. Ich habe immer noch die Sorge, man könnte am Ende - auch noch durch den Trick bloßen Schweigens - ästhetisch an die Sache herangehen. Auch dies wäre fataler Glanz. Richard Schröders Vorschlag schließt uns aber auch nicht mit intellektueller Finesse in den Käfig eines absolut einmaligen Ereignisses ein, denn dessen nicht mehr zu überbietende Ungeheuerlichkeit darf nicht die Mahnung für das Heute und Morgen verdecken. Der Kosovo ist ein solcher Ernstfall, den man nicht beiseite schieben kann.
In Richard Schröders Vorschlag wird die unüberbietbare Kriminalität des Holocaust nicht verschwiegen. Es wird aber auch jede jetzt und künftig lebende Generation im Gewissen gestellt. Dazu paßt das einzigartige Wort der Bibel, das zugleich das Menschheitsethos radikalisiert. Bloße „Erinnerungskultur" ist zu wenig.
© Bischof Karl Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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