Lesungen: Apg 10,34 a. 37-43; Kol 3,1-4; Joh 20,1-9 |
Eine der ersten Bekundungen des Auferstandenen ist der Friedensgruß. Damit geht auch die Aufforderung Jesu einher, Angst und Schrecken zu lassen. Besonders Johannes läßt Jesus vor die Jünger treten mit den Worten: „Friede sei mit Euch!" (Joh 20,19) In der Eucharistiefeier sind mehrfach und sehr zentral diese Segenswünsche erhalten, weitergegeben und uns anvertraut. Was Jesus damals den Jüngern zuwandte, teilt er uns auch heute mit.
Jesus stellt zuerst den Frieden der Jünger wieder her. Sie haben ihn ja verraten, sind davongelaufen und waren von Angst und Schrecken gekennzeichnet. Die Frauen waren tapfer. Nun gibt er ihnen ihren Frieden zurück, indem er ihnen Verwirrung und Angst wegnimmt. So steckt freilich im Friedensgruß auch die Vergebung von Jüngerflucht und Verleugnung Jesu. Sie dürfen neu anfangen. Ja, so erst entsteht eine erneuerte Gemeinschaft der Jünger mit dem Herrn. Der Gruß des Auferstandenen schafft einen neuen Raum des Friedens und der Versöhnung. So wird bereits an Ostern Kirche gestiftet.
Die Jünger bleiben bei Jesus, um ihn besser zu verstehen. Aber dies ist kein Selbstzweck. Sie erhalten den Auftrag, hinauszugehen in alle Welt, um das „Evangelium des Friedens" (Eph 6,15) zu verkünden. Er stiftete am Kreuz durch die Hingabe seines Lebens Frieden unter verfeindeten Menschen. Ohne den Einsatz seiner selbst und auch den Verzicht auf Macht und Sichdurchsetzen, kann es keinen Friedensschluß geben. Man kann sich nicht aufsparen und bloß die Vorteile ernten wollen. „Er ist unser Friede." (Eph 2,14) Der Name „Christ" schließt die Aufgabe, Frieden zu schaffen, ganz grundlegend ein: „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden." (Mt 5,9) Gemeint sind die Friedensstifter in unseren Lebenskreisen, in Ehe und Familie, in Freundeskreisen, überall wo mitten im Streit Versöhnung das Ziel ist. Aber auch die Friedensschaffenden aller Arten sind gemeint: Seelsorger und Berater, Richter, die auf Ausgleich und Vergleich setzen, alle die zu Konfliktlösungen in Theorie und Praxis beitragen. Wir verstehen heute auch die Soldaten als Boten des Friedens. Dies mag paradox erscheinen. Gewiß, jede Form der Gewaltanwendung ist zerstörerisch und erzeugt meist Gegengewalt. Aber es gibt offenbar Situationen, wo die Würde und die Rechte der Menschen mit Gegenwehr verteidigt werden müssen. Man kann dies nur hinnehmen, wenn man es als eine verzweifelte Form der Beendigung von Gewalt und des Schutzes ohnmächtiger Menschen versteht. Deshalb kann man sich in einer solchen Situation nur wünschen, daß die Waffen bald schweigen, Gegner aufeinander zugehen und einander die Hände reichen. Wir erleben dies hautnah und tief bewegt in diesen Tagen. Ostern deckt den Kontrast noch viel mehr auf als sonst.
Die Passion und die Auferstehung Jesu zeigen uns, wie aller Unfriede zuerst aus dem Herzen der Menschen kommt, langsam Abneigung und Haß verbreitet und zur Gewaltanwendung geneigt macht. Wir müssen die Wurzeln des Unfriedens viel früher in unserem Denken und in unseren Gefühlen aufdecken. Dann können wir auch früher einschreiten, und zwar mit noch friedlichen Mitteln.
Wir spüren aber auch, daß die Weltgeschichte nicht das Weltgericht ist. Vieles bleibt ungesühnt. Verbrecher kommen eher in die Geschichtsbücher als die Opfer. Nur Gott selbst kann hier durch sein unbestechliches Gericht ausgleichende Gerechtigkeit schaffen. Der Sieg Jesu am Holz des Kreuzes ist trotz der Niederlage und des Triumphes seiner Feinde eine Entmachtung der destruktiven und tödlichen Mächte. Sie haben nicht mehr das letzte Wort, auch wenn es so scheint.
Wir Christen müssen noch viel mehr Friedenschaffende werden. Der Sieg Jesu über die Mächte des Bösen gibt uns ungeahnte Kräfte und eine unbesiegliche Hoffnung, und zwar mitten in aller Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit. Die Frucht des Geistes, die aus der Auferstehung Jesu hervorgeht ist Liebe, Freude und Friede (vgl. Gal 5,22). Aber dies ist nicht einfach eine vom Himmel herabfallende Tugend, auch nicht nur einfach machbare Strategie, sondern sie muß als Fähigkeit zur Auseinandersetzung und zur Klärung, zur Annahme und Lösung von Konflikten gelernt werden. Darin fehlt es noch oft. Dies gilt für den privaten und den öffentlich-politischen Raum.
Nach dem Johannesevangelium zeigt Jesus dem zweifelnden Thomas seine Wundmale (vgl. 20,25-29). Die Kunst hat den auferstandenen Herrn auch fast immer mit diesen Symbolen des Leidens und des Sterbens dargestellt. Der Auferstandene ist der Gekreuzigte. Es ist nicht einfach ein Geist. Er kennt unsere Welt. Er kennt auch die Friedlosigkeit und die Unfertigkeit, ja die eigene Verwundbarkeit. Dies macht nüchtern im Einsatz für den Frieden, aber Jesus hat uns auch grundlegend die Nähe des Friedens gebracht. Er ist nicht nur eine Utopie. Er ist real möglich. Darum müssen wir ihm vertrauen: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: ich habe die Welt besiegt." (Joh 16,33)
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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