Es gibt nicht viele Schlagworte, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine so große Karriere gemacht haben wie der zuerst vom ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff in die Debatte geworfene Slogan „Der Islam gehört zu Deutschland". Man hat dieses Schlagwort vor allem dadurch außer Kraft zu setzen versucht, indem man meinte, „die Muslime gehören zu Deutschland", wenigstens diejenigen, die bei uns wohnen und arbeiten.
Mit gutem Willen konnte man gewiss entdecken, was mit dem verkürzten Wort „Der Islam gehört zu Deutschland" gemeint war, dass nämlich der Islam in der Zwischenzeit zu den größeren Religionen unseres Landes gehört, wir allen seinen Mitgliedern Respekt entgegenbringen und wir auch im Rahmen der Religionsfreiheit Achtung für seine Anhänger haben. Es ist unbestreitbar, dass dies auch zu den Menschenrechten und zur Verfassung unseres Landes gehört.
Wenn Menschen sich gegen dieses Wort wandten, dann waren es sehr verschiedene Gründe. Man wollte zunächst mehr auf den bekennenden und gläubigen Muslim als einzelnen Menschen schauen, nicht auf eine uniforme Institution, die es ja auch gar nicht gibt. Man erblickte freilich hinter dem Stichwort „Islam" vieles, was sich in manchen Strömungen, die sich auf den Islam berufen, gewiss oft in kritikwürdiger Form zeigt: religiöse Intoleranz, mangelnde Gleichberechtigung der Frau, Rolle der Gewalt in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung usw.
Das Schlagwort „Der Islam gehört zu Deutschland" passt im Übrigen schlecht zur gesellschaftlich-öffentlichen Organisationsform und zum Erscheinungsbild dieser Religion. Es gibt nicht „den" Islam, sondern viele Spielarten, Ausdrucksformen und Facetten. Dies gilt nicht nur für die immer schon bekannten Gruppierungen der Sunniten, Schiiten und Aleviten, sondern auch besonders in unseren Tagen z.B. für die Ahmadiyya-Bewegung, die Muslimbrüder verschiedener Prägung, Salafisten, radikalere Gruppen, die eine gewisse Nähe zum Terrorismus haben usw. Man darf aber die verschiedenen Richtungen eines wiederum sehr pluralen Reformislams nicht übersehen (vgl. K. Amipur, Den Islam neu denken, München 2013), wie es bei uns leider sehr oft der Fall ist. Der Islam hat auch als Religion keine einheitliche Organisationsform. Wer also vom „Islam" redet, muss bald präzisieren, was er damit meint, zumal schon seit den terroristischen Angriffen auf New York 2001 bis zu den abschreckenden Taten des „Islamischen Staates" heute Gewalt und Grausamkeit sich als Grundelemente in unser Islam-Bild fest eingeprägt haben. Manchmal ist es schon als Feindbild fixiert.
Aber es gibt wohl noch eine wichtige andere Perspektive. Leicht denkt man an eine Abfolge der Schlagworte: das Christentum gehört zu Deutschland, das Judentum gehört zu Deutschland, der Islam gehört zu Deutschland. Es wird besonders schwierig, wenn man den Islam und das Christentum gegeneinander ausspielt und z.B. im Islam eine fundamentale Gefährdung besonders für das abendländische Christentum sieht. Das Feindbild mit der regelrechten Beschwörung einer „Islamisierung" des Abendlandes wird dadurch zu einer elementaren Herausforderung. Viele Menschen, die bisher nicht in islamkritischen und national überbetonten Kreisen organisiert waren, werden durch Ängste, die natürlich durch das Verhalten bestimmter Gruppierungen, die sich auf den Islam berufen, hervorgerufen werden, voll bestätigt. Nur so kann man sich die zahlreichen Teilnehmer von islamkritischen Demonstrationen in unserem Land erklären.
Noch in einer anderen Hinsicht wird man beim Stichwort „Der Islam gehört zu Deutschland" nachdenklich. Das Wort stimmt natürlich insofern, weil der Islam und vor allem die arabische Kultur in der langen Geschichte Europas einen großen positiven Anteil hat, der mit der Übersetzung und Bewahrung großer philosophischer Schriften der Antike beginnt, über die Geschichte der Architektur und auch der Technik führt und bei uns viel zu wenig gesehen wird. In diesem Sinne gibt es immer schon auch einen Anteil islamischer Kultur an den vielfältigen Errungenschaften Europas.
Im Kern lässt sich aber nicht bestreiten, dass der Islam bei allem Austausch nicht so zu Europa und Deutschland gehört wie Judentum und Christentum vor allem auch in ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Ausprägung. Dies ist nicht nur eine Beschreibung maßgeblicher früherer Wirkungen, die in der heutigen Gesellschaft aus vielen Gründen anders bewertet werden müssen, sondern Europa ist bis in viele geistige und gesellschaftliche Eigenheiten hinein tief und nachhaltig bis heute vom Judentum-Christentum imprägniert. Dies ist z.B. bis in viele Rechtsstrukturen hinein zu spüren. Insofern ist eine simple Gleichung der Zugehörigkeit historisch und im Blick auf unsere aktuelle geistig-gesellschaftliche Situation unzureichend und sogar falsch, was gewiss ein Heimatrecht von Muslimen in Deutschland und eine schon von der Religionsfreiheit her gebotene Existenz und Tätigkeit des Islam bei uns nicht hindert.
Der Slogan „Der Islam gehört zu Deutschland" ist also viel zu unbestimmt. Man muss genau erklären, was man damit genauer meint. Auf keinen Fall darf das Schlagwort uns zu einem Feindbild verführen. Stattdessen muss dieses Stichwort uns anspornen, uns besser kennenzulernen. Darin fehlt es, aber nicht nur bei den Muslimen, sondern auch bei uns Deutschen und Europäern. Aufklärung tut not, auch wenn sie allein noch nicht heilt.
(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
Diese Gastkolumne lesen Sie auch in der Ausgabe der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 8.Februar 2015
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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