Der Mainzer Dom - tausendjähriger Zeuge einer großen Geschichte und des fortwährenden Gotteslobes

Datum:
Sonntag, 11. Oktober 2009

Geistliches Wort in der Pontifikalvesper aus Anlass des 1000-jährigen Jubiläums des Willigis-Domes  in Anwesenheit von Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler am Sonntag, 11. Oktober 2009, im Hohen Dom zu Mainz 

Der Mainzer Dom, in dem wir diesen Gottesdienst feiern und auch viele Fernsehzuschauer daran teilnehmen lassen, verlangt wenigstens eine kleine Erläuterung seines Entstehens. Als der Bau vollendet wurde, war Mainz am Zusammenfluss von Rhein und Main schon über 1000 Jahre alt. Christen werden hier am Rhein in einer Darstellung des Bischofs Irenäus von Lyon schon um das Jahr 180 n.Chr. erwähnt. Von einem Bischofssitz wissen wir noch nichts, wahrscheinlich haben vor allem Soldaten und Kaufleute, wie auch in anderen Fällen, den christlichen Glauben zuerst in unsere Gegend gebracht. Mainz trat dann besonders in den fol-genden Jahrhunderten durch den englischen Missionserzbischof Bonifatius hervor (ermordet 754), der schließlich am Ende seines Lebens auch Bischof von Mainz wurde. In der Folgezeit wird dieses Erzbistum durch die vielen Bistümer, die zu ihm gehören - es sind in der Blüte-zeit 18 - immer mächtiger. Dazu gehörten z.B. Straßburg und Würzburg, Paderborn und Hildesheim, Augsburg und Chur, Prag und Olmütz. Es war die größte Kirchenprovinz des Abendlandes nach Rom. Der Erzbischof hatte viele kirchliche und politische Aufgaben. Mainz galt mehr und mehr als „Zentrum des Reiches". Mit der Anfangszeit dieser Entwicklung ist auch die Entstehung des Mainzer Doms verbunden.

Wenn man daran denkt, dass Mainz damals vielleicht 5000 Einwohner hatte, dann ist der Bau einer solchen monumentalen Kirche in vieler Hinsicht überraschend. Ein Grund liegt auf der Hand: Als Erzbischof Willigis, der von Hildesheim kam, im Jahr 975 die Verantwortung als Metropolit in Mainz übernahm, hat er im Zusammenhang der Ernennung zum Erzbischof (der Verleihung des Pallium) vom Papst ein mächtiges Privileg erhalten. Willigis - und er allein - darf nämlich nördlich der Alpen in allen Amtshandlungen den Papst vertreten. Dieser Stellung wollte Willigis auch bald Ausdruck geben in einer neuen Kirche, die diesen Anspruch nach außen hin sichtbar macht und seine Ämter unterstreicht: Kanzler des Reiches, Primas des Reiches, Landesherr. Nicht zuletzt deshalb hat er in der Anlage und Architektur des Domes manches von Alt-St. Peter in Rom übernommen, um es hier entsprechend für seine Stellung in Anspruch zu nehmen. Dies erklärt am Ende auch die Größe und die Wucht dieses Dombaus für die damalige Zeit. Wir können dies gut erkennen, weil der Dom hier in Mainz von seinen weiten Plätzen her gut zu sehen ist und auch die dazugehörigen Gebäude erhalten sind und sich heute noch gut erkennen lassen, z.B. der Kreuzgang und die Kellergewölbe. Die Umbauung ist einzigartig bewahrt worden.

Heute gehen wir davon aus, dass der Bau der Kirche entgegen mancher bisheriger Annahmen erst gegen die Jahrtausendwende (vielleicht 997/998) begonnen hat. Auch andere große Kirchen, wie z.B. Bamberg, sind in einer vergleichsweise kurzen Zeit errichtet worden, sodass wir durchaus auch für Mainz mit einer Zeitspanne von 10 bis 12 Jahren rechnen können. Es ist bekannt und auch gesichert, dass der vollendete Dom im Zusammenhang der geplanten Einweihung am 29./30. August 1009 - wir wissen nicht genau, ob vor oder nach der Weihe (es scheint mir aber eher davor zu sein) - einem schrecklichen Brand zum Opfer fiel. Die Quellen berichten, dass das Gebäude bis auf die Grundmauern zerstört wurde. In diesem Sinne haben wir ein gesichertes Datum für die kurzzeitige Vollendung des Willigis-Domes. Der Erzbischof gab sofort den Auftrag, wieder einen neuen Dom zu errichten, der allerdings erst lange nach seinem baldigen Tod (1011) im Jahr 1036 unter Erzbischof Bardo eingeweiht werden konnte.

Der Dom hat eine reiche Geschichte erlebt. Es wird uns allein von sieben Bränden und vielen Zerstörungen berichtet. Kein Geringerer als Goethe beschreibt den Untergang des Alten Rei-ches 1792/93 durch die Zerstörung von Mainz. Große kirchliche und weltliche Versammlun-gen fanden hier statt, nicht zuletzt wichtige Synoden, Friedensschlüsse, Krönungen von Köni-gen, Hochzeiten. Ich will nur die Namen der Kaiser Friedrich I., Barbarossa, und Friedrich II. nennen. Im Übrigen ist der Dom auch ein riesiger Friedhof, wie wir ihn in dieser Art selten haben. Es sind wohl an die hundert bekannte Gräber zu finden. Sie haben eine große Bedeutung in der Kunstgeschichte. Anna Seghers hat in ihrem Roman „Das siebte Kreuz" eine besondere Sicht auf diese Grabdenkmäler verewigt.

Ein solcher Dom ist jedoch nicht nur eine vergangene Wirklichkeit, die wie ein Fremdkörper in unsere Gegenwart hineinreicht. Wir sehen dies schon daran, dass der Dom Spuren vieler Jahrhunderte und fast aller Baustile aus diesen Zeiten aufweist. Manches ist untergegangen, was wir erst wieder mühsam entdecken, z.B. die Lettner- und Chorschranken in diesem riesi-gen Raum. Vieles wird heute wieder positiver bewertet als früher, z.B. die Darstellung des Lebens Jesu im Nazarenerstil hoch oben im Langhaus. Auch unsere jüngste Gegenwart hat ein Echo im tausend Jahre alten Dom. In der Sakramentskapelle zeigen dies die modernen Glasfenster von Johannes Schreiter und das Altarbild von Bernd Zimmer. Eine Dombauhütte, die wir heute noch haben, hat in diesen Jahrhunderten nicht nur immer wieder notwendige Reparaturen und Sanierungen ausgeführt, sondern auch dem Dom den Stempel der jeweiligen Zeit aufgedrückt. In diesem Sinne ist der Dom so etwas wie eine beständige Baustelle im Strom der Geschichte. Der Dom geht wie die Kirche mit den Zeiten und mit den Menschen. Er ist tief eingesenkt in unserer Geschichte, die er auch entscheidend mitgestaltet hat. Wir werden so daran erinnert, dass der „Bau" schon im Neuen Testament ein grundlegendes Bild für die Kirche ist.

Am stärksten wird dies deutlich, wenn wir den letzten Sinn und Zweck des Domes betrachten. Zwar ist er in manchen Zeiten seiner letzten Sinnbestimmung beraubt worden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde er Lazarett und Stall z.B. für Pferde. Man wollte ihn schon abbrechen. Der Einfluss des ersten Bischofs des neuen Bistums Mainz, Joseph Ludwig Colmar, der mit Napoleon bekannt war, hat unseren Dom und den Dom von Speyer vor diesem Schicksal bewahrt.

Im Grunde kann dies alles jedoch nicht verdecken, dass der Dom von vornherein, zuerst und zuletzt der Gottesverehrung dient. Der Dom ist nicht nur ein historischer und musealer Erinnerungsort, in dem wir krampfhaft die frühere Bedeutung erschließen müssen. Das tägliche Gotteslob, die Eucharistiefeiern und die Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen sowie die hohen Feste machen nicht nur den Rhythmus eines Kirchenjahres offenbar, sondern darum dreht sich im Grunde auch die ganze Sorge um den Dom von Anfang bis heute: Hier wird ununterbrochen Gott gerühmt und gefeiert. Die Liturgie am Mainzer Dom hat ihre eigene große Bedeutung in der Geschichte. So sind Gottesdienste, vor allem das Stundengebet, ineins mit der Musik, die dazugehört, so etwas wie eine beständige Brücke über die Jahrhunderte hinweg. Diese Sinnbestimmung des Gotteslobes bildet die tiefste Kontinuität dieses Baus, weshalb man sich letztlich auch immer wieder um eine Instandsetzung und Erneuerung gekümmert hat.

Auch wenn wir heute den Dom als Wahrzeichen für Mainz und die ganze Region vor Augen haben und er auch häufig so dargestellt wird, darf man diese tiefe Wurzel im Blick auf die Identität und Zielsetzung des Domes niemals vergessen. Dies ist auch der tiefste Sinn des Domkapitels um den Bischof, das hauptsächlich in der Sorge um die Gottesdienste und den Erhalt des Domes schon seit dem 10. Jahrhundert diesen Dienst tut.

So lädt der Dom auch heute die stillen Besucher am frühen Morgen und die zahlreichen Tou-risten im Laufe des Tages ein, in unserer hektischen Zeit langsamer, besinnlicher und stiller zu werden. Vor allem die Beter wissen es. Der Dom hat viele solche Orte, ob es die Gotthardkapelle, die Ostkrypta mit dem Schrein der Mainzer Heiligen oder die Memorie ist. Man kann auch gewiss andere Symbole und Zeichen finden, wo man verweilen kann. Ich liebe drei bedeutende Kreuze hier im Dom: eines der ältesten Kreuze jenseits der Alpen in der Gotthardkapelle (11. oder 12. Jahrhundert), sodann das 1975 von dem Speyrer Künstler Georg Zeuner geschaffene, mittelalterlich anmutende große Kreuz über dem Hauptaltar und schließlich das moderne Kreuz von Karlheinz Oswald, das erst zum 150. Jubiläumskatholikentag 1998 geschaffen worden ist. In ihnen begegnen wir auch dem Leid und Leiden dieser zehn Jahrhunderte und nicht zuletzt dem Ende und der Vollendung unseres Lebens. Aber wir wollen auch den Anfang des menschlichen Lebens nicht vergessen, beson-ders im Blick auf den alten Taufbrunnen, der uns etwas vom Christwerden in Glaube und Taufe und von der Treue und Beharrlichkeit des Christseins in dieser Zeit erzählt - im Übri-gen eine Erinnerung aus dem 14. Jahrhundert und an die alte, vor zweihundert Jahren abgerissene Liebfrauen-Pfarrkirche in unmittelbarer Nähe, aus der das Becken stammt.

Im Blick auf diese Kunstwerke sind wir von selbst bis zur Gegenwart vorgedrungen. Wir sind dankbar, dass der Mainzer Dom in diesem Jubiläumsjahr als wichtiger Zeuge unserer Geschichte zum wiederholten Male auf einer Briefmarke Platz gefunden hat und so sein Bild weit verbreitet wird. Wir können im Aufblick zu diesem Dom erfahren, woher wir kommen und wem wir unsere Kultur und Geschichte verdanken. Unsere moderne Welt wird in vielem gschichts- und damit auch gesichtslos. Das Tagesgeschehen, die Dringlichkeiten der Gegenwart, aber auch die Moden und Eintagsfliegen nehmen uns in hohem Maß gefangen. Wir werden deshalb oft recht flach und oberflächlich, erinnerungslos und vergesslich. Darum brauchen wir ganz besonders die lebendige Erinnerung daran, woher wir kommen, auf wel-chen Schultern wir stehen, wie viele Schätze der Geschichte uns geschenkt sind und wie bei-spielhaft die Menschen der vergangenen Jahrhunderte ihre jeweiligen Nöte überwunden, die Gunst der geschichtlichen Stunde ergriffen und Großes, Bleibendes geschaffen haben. In die-sem Sinne ist er ein wahres Denk-Mal, immer wieder Anlass zur Nachdenklichkeit.

Auch wenn der romanische Dom nicht so steil und hoch in den Himmel ragt wie die späteren gotischen Dome, wenn er fest auf der Erde und mitten in der Welt steht und damit auch Zeug-nis gibt von der Gegenwart der Kirche in der Geschichte - mit allen Verwicklungen und Zweideutigkeiten -, so bleibt auch ein romanischer Dom ein Fingerzeig „nach oben". Er durchbricht unsere oft so geschlossene Welt. Sie ist nicht, wie wir oft glauben, über unseren Köpfen dicht und fertig. Wir können uns nicht begnügen mit dem, was wir sind und was wir haben. Wir dürfen die Sehnsucht des Menschen nach einer tieferen Erfüllung seines Lebens nicht verkürzen. Sonst stutzen wir auch die reiche Humanität und den immer wieder frischen Hunger des Menschen nach Sinn, Wahrheit und Gerechtigkeit. Wir leben zwar durchaus im Vorläufigen, aber deshalb gibt es nicht nur die Beliebigkeit im Wechsel, eine grenzenlose Freiheit in allen Bereichen unseres Lebens, auch in Politik und Wirtschaft. Es gibt mitten in der Hetze unseres Lebens unverrückbare Maßstäbe, die sich in am Ende hilfreichen Normen, aber auch in guten Bräuchen und Gewohnheiten darstellen. Bei manchen Dingen sagen wir mit Recht „So etwas tut man nicht". Für viele aber ist dieser Maßstab zutiefst im Gewissen verankert und am Ende in Gott begründet. Auch wenn wir wissen, dass das Wort „Gott" als solches eine gewisse Vieldeutigkeit hat, wovon noch die Präambel unseres Grundgesetzes zeugt, wenn sie damit beginnt: „Im Bewusstsein unserer Verantwortung vor Gott und dem Menschen ...", so weist es doch hin auf eine unverfügbare und nicht manipulierbare Instanz für die Orientierung zu einem guten Leben. Es gibt darum eine Rangordnung der Werte, unüberspringbare Grenzen unseres Tuns und nicht zuletzt darum auch eine wirklich unantastbare Menschenwürde. Dies ist nicht nur ein Element des biblischen Glaubens und theologisch-kirchlicher Lehre, sondern wenn wir diese letzte Grundnorm unseres Zusammenlebens nicht akzeptieren wollten, müssen wir noch im Bestreiten und Verneinen von ihr sprechen. Die Grundwerte, die wir auch in unserer Verfassung nicht einfach abschaf-fen können, haben durchaus etwas mit unseren Domen zu tun. Das „gute Leben", das wir suchen, kommt nicht allein von uns. An die hundert Mal erscheint das Bildnis eines Buches mit dem Wort Gottes in diesem Dom, nicht zuletzt in den Händen der Menschen auf den Grabdenkmälern. Das Wort Gottes gibt uns Geleit, Weisung und Maß - bis in den Tod und in das Gericht.

Gerade der romanische Dom, der einen festen und breiten Platz zwischen unseren Häusern einnimmt, verweist uns dabei immer wieder auf diese konkrete Erde mit unseren Ver-pflichtungen. Wir sind wegen des Glaubens an Gott nicht Hinterweltler. Im Gegenteil: Wir wollen unverrückbare Maßstäbe erkennen, begründen und verteidigen, weil wir mit ihnen ein „gutes Leben" für die Menschen erreichen wollen. Dazu gehört vor allem Gemeinsinn, wie schon der gemeinsame Bau eines solchen Hauses zum Ausdruck bringt. Dazu gehört aber auch die Rücksicht aufeinander, nicht zuletzt auf die Schwachen, die Solidarität mit den Menschen. Ganz in der Nähe unseres Domes ist wie in vielen anderen Städten etwa zur selben Zeit ein Hospitalwesen für die Kranken und Siechen, Alten und Behinderten entstanden. Hospital zum Heiligen Geist lautet der Name. Aber auch die Schönheit des konkreten irdischen Lebens hat im Dom seinen Platz: die Mutter Gottes mit der auch kunstgeschichtlich einzigartigen Beziehung zu ihrem Kind heißt „die schöne Mainzerin", man darf auch nicht die lebensfrohen Engel und die reizenden Putten an den Grabmälern übersehen.

Ein guter Hinweis dafür in der tausendjährigen Geschichte ist die Tatsache, dass wir von der Verborgenheit der Sakristei bis auf das Dach des Domes hinauf über 30 Darstellungen des hl. Martinus, des Patrons des Domes und des Bistums Mainz, finden können. Besonders im Frankenreich bedeutete der Heilige von Tours, der Soldat, Mönch und Bischof war, Rom, Ungarn und Frankreich vereinigt, Schutz und Hilfe für die Menschen. Fast immer steht die große Geste des Teilens des Mantels im Vordergrund, mit dessen Hilfe der nackte, frierende Bettler am Stadttor von Amiens bekleidet wird. Dieser Martin steht auch an anderen Orten unserer Stadt. Die Kinder erinnern uns im November jedes Jahres mit ihren Laternen auf den Umzügen an seinen Namen. Martinus mahnt uns an eine Ur-Gebärde unseres Lebens: das Teilen des Mantels bedeutet zu allen Zeiten das Teilen unserer Lebenschancen. Dies war und bleibt immer eine große Inspiration für das Zusammenleben der Menschen. Wir können es gut beobachten im Zusammenwirken der vielen Handwerker und Zünfte, im Bau des Domes, aber auch von Hospitälern, in den Gebetsgemeinschaften und Bruderschaften über den Tod hinaus, im Beitrag der Klöster und der Kirche zu Bildung und Kultur, nicht zuletzt auch zur Schaf-fung von Schulen. Viele Stifte und Stiftungen geben davon Zeugnis. Aber auch die Bereit-schaft zum Ausgleich in einer wirklich Sozialen Marktwirtschaft hat etwas damit zu tun.

Wenn wir es recht bedenken, hat uns also der Dom gerade mit seiner bis in das Heute rei-chenden Geschichte viel für unsere Gegenwart zu sagen. Man muss es freilich entdecken und selbst aufmerksam, geistesgegenwärtig sein. Vieles gehört noch hierher: das Ineinander von Freiheit und Ordnung, von Gerechtigkeit und Liebe, die Achtung auf die Stimme des Gewis-sens, die Sorge um Ehe und Familie, der Einsatz für das menschliche Leben und die Schöp-fung im Ganzen, das Eintreten für die Armen, Kranken und Schwachen, die Förderung der Künste und der Kultur in allen ihren Sparten und Disziplinen. Sie haben alle ihre Erinnerungen hier im Dom hinterlassen. Manchmal auch durch die Grabmäler als lebendige Erinnerungszeichen, z.B. an den großen Bischof Wilhelm Emanuel von Ketteler und seine Bedeu-tung für die Katholische Soziallehre. Freilich mahnt uns auch manches an Versagen und an Irrwege, auch der Kirche, wenn wir z.B. am Grabmal von Albrecht Kardinal von Brandenburg vorbeigehen, dessen Name unauslöschlich mit dem Ausbruch der Reformation verbunden bleibt, selbst wenn wir heute sein Wirken umfassender sehen.

Beides, die lebendige Erinnerung an eine keineswegs vergangene Geschichte und die Anreize, Fingerzeige, Alternativen und Mahnungen, die wir von dieser Kultur empfangen, können uns nicht direkt helfen, unsere gegenwärtigen Probleme zu lösen, aber sie zeigen uns bleibende Grundhaltungen auf, aus denen heraus wir unsere Fragen von heute beantworten können. Die Dämonen am Bauwerk erinnern uns auch heute an die unheimliche Macht des Bösen in uns und in unserer Welt.

Der Engel, der hoch am Dom über die Stadt und das Land schaut, will uns Schutz gewähren und immer wieder zum wahren Gott führen, nicht zuletzt Michael, der Engel gerade des deut-schen Volkes. Aber auch sein Name ist bezeichnend: „Michael" (im Hebräischen „Mi-ka-el") heißt ja wörtlich: Wer ist wie Gott? Er zeigt uns die Verlockungen und die Götzen auf, mit denen wir auch heute ringen müssen. Der Dom macht uns in ihm und überall Mut für unser Leben in Gegenwart und Zukunft. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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