Fast mechanisch wurde einem vor dem Besuch von Papst Benedikt von vielen Journalisten die Frage gestellt: Was erwarten Sie vom deutschen Papst in Auschwitz?
Zuerst sollten wir die Rede vom „deutschen Papst“ vorsichtiger gebrauchen. Der Papst kommt aus Deutschland, aber der Papst gehört nicht einfach seinem Heimatland. Er ist der Papst der ganzen Kirche und für die ganze Welt. Dies gehört ganz wesentlich zum Petrusdienst. Die Sprache ist hier sensibel und verräterisch.
Was soll man vom Papst erwarten? Jeder, der in Auschwitz oder auch in anderen Vernichtungslagern war, weiß, dass allein das Betreten dieses Ortes des Grauens und einer schier unvorstellbaren Anhäufung von Verbrechen einem regelrecht den Atem nimmt. Da ist zunächst einmal erschüttertes Schweigen das Beste. Wortreiche Erklärungen zu erwarten, die heute leicht von der Zunge gehen, verbietet sich darum von selbst.
Der Papst hat die Situation in hervorragender Weise bestanden. Er hat allen klar gemacht, wie unmöglich es ist, die Vergangenheit so zu bewältigen, dass man gerne den berühmten „Schlussstrich“ zieht. Es war ein starkes Zeichen, als er schweigend und geradezu mit versteinertem Gesichtsausdruck, im Abstand von seiner Begleitung durch das Lagertor mit der zynischen Aufschrift „Arbeit macht frei“ schritt.
Viele wollten nicht, dass der Papst aus Deutschland nach Auschwitz geht, aus recht unterschiedlichen Gründen. Er hat sich durchgesetzt. Immer wieder hat er den Satz wiederholt: „Ich konnte unmöglich nicht hierher kommen. Ich musste kommen.“ Und er hat mit großer Klarheit und mutiger Scham immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass er gerade „als Sohn des deutschen Volkes“ gekommen ist. Stärker konnte er nicht solidarisch unserer Geschichte beitreten und sich so neben uns stellen.
Ein Satz hat Aufsehen erregt und ist unbedacht sofort als Beschwichtigung und Absolution für das „Volk der Täter“ gedeutet worden. Was hat der Papst in Wirklichkeit gesagt? Wörtlich: „Es war und ist eine Pflicht der Wahrheit, dem Recht derer gegenüber, die gelitten haben, eine Pflicht vor Gott, als Nachfolger von Johannes Paul II. und als Kind des deutschen Volkes hier zu stehen – als Sohn des Volkes, über das eine Schar von Verbrechern mit lügnerischen Versprechungen, mit der Verheißung der Größe, des Wiedererstehens der Ehre der Nation und ihrer Bedeutung, mit der Verheißung des Wohlergehens und auch mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, sodass unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und des Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte. Ja, ich konnte unmöglich nicht hierher kommen...“ Ist da nicht jedes Wort sorgfältig bedacht?
Schließlich hat Papst Benedikt XVI. auch die Worte der Klage gewagt, auf die zuerst die Opfer ein Anrecht haben. „Warum hast du geschwiegen? Warum konntest du dies alles dulden? In solchem Schweigen verbeugen wir uns inwendig vor der ungezählten Schar derer, die hier gelitten haben und zu Tode gebracht worden sind; dieses Schweigen wird dann doch zur lauten Bitte um Vergebung und Versöhnung, zu einem Ruf an den lebendigen Gott, dass er solches nie wieder geschehen lasse.“ Was soll angesichts solcher Aussagen der törichte Vorwurf, man hätte vom Papst ein Schuldbekenntnis erwartet!
Die Rede des Papstes in Auschwitz ist ein Dokument, dass zu den großen Zeugnissen der Kirche und unserer Gegenwart gehört. Kein Religionsunterricht darf es den jungen Christen in unserem Land vorenthalten.
Was fehlt da noch? Wohl nur der Dank für diese eindringliche, demütige Rede. Sie wird über Jahre hinaus das Ansehen von Papst Benedikt XVI. ungemein stärken.
© Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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