Der Prozess der Globalisierung braucht eine Antwort

Datum:
Dienstag, 24. Oktober 2006

Vortrag bei der 2. Luftwaffendivision der Bundeswehr am 24. Oktober 2006 in der Heinrich-Hertz-Kaserne in Birkenfeld

I.

In einem atemberaubenden Tempo wächst die Welt zusammen, vernetzt durch Telefon, Telefax und Internet. Alles kann – so scheint es – jederzeit und überall produziert sowie verkauft werden. Die Welt, die manchem ohnehin als ein großes Dorf erscheint, nimmt sich aus wie ein grenzenloses Shopping-Zentrum. Die Beispiele sind schon Routine: „Ein Sportwagen wird von Japan finanziert, in Italien entworfen, im US-Staat Indiana, in Mexiko und Frankreich montiert, wobei moderne elektronische Komponenten Verwendung finden, die im US-Staat New Jersey erfunden und in Japan hergestellt wurden.“ Gesunkene Kommunikations- und Transportkosten und der Abbau mancher Handelsschranken erlauben einen einzigen Weltmarkt, auf dem freilich ein mörderischer Konkurrenzkampf tobt. Und es sind nicht nur die Multis, die diese Chancen nützen. Wir alle kaufen z.B. billigere Elektro-Artikel aus dem Fernen Osten. Dieser selbstverständliche, schnelle Transfer betrifft aber nicht nur die Waren und Dienstleistungen, sondern jede Sekunde wird z.B. im Kapitalverkehr – vermutlich gibt es schon neuere Zahlen – eine halbe Million Dollar zwischen den Finanzmärkten hin- und hergeschoben. Der ganze Globus ist erfasst – und niemand kann das Spiel wirklich kontrollieren.

Es besteht dennoch kein Anlass, Globalisierung schlechthin zu verteufeln. Es ist gut, wenn die Errungenschaften der Industrienationen auch den ärmeren und unterentwickelten Ländern der Welt zugute kommen. Wenn ihre Kräfte und Fähigkeiten angesprochen und ermutigt werden, kann dies ein mächtiger Motor sein für ihre Entfaltung. Nicht selten wird uns gesagt, Globalisierung in diesem Sinne könne vielen Ländern der Dritten Welt mehr helfen als Entwicklungshilfe im bisherigen Sinn. Gewiss kann eine Globalisierung wirtschaftlicher Kräfte damit zu einem gewissen Ausgleich beitragen zwischen den armen und reichen Ländern. Man kann auch einigermaßen ahnen, wie eine vernünftig und ethisch vertretbar gesteuerte Globalisierung dazu helfen kann, immer mehr und wirkungsvoller die Gleichwertigkeit und die gleiche Würde aller Menschen auf diesem Erdball wenigstens langsam zu realisieren. Dies sind Ziele, die man von einer christlichen Anthropologie und Sozialethik her nur unterstützen kann. Die christlichen Kirchen sind darum auch nicht von vornherein Gegner des Globalisierungsprozesses. Dies gilt nicht zuletzt und besonders für die katholische Kirche, die aufgrund der Universalität und weltweiten Ausdehnung immer wieder als „globel-player“ bezeichnet wird.

Gerade bei einer solchen Beurteilung ist große Nüchternheit am Platz. Globalisierung ist ein Wirtschaftsprozess, der seine eigenen Interessen hat. Er setzt eine liberale Marktwirtschaft voraus und überträgt diese im Weltmaßstab auf die ganze Erde. Wir wissen spätestens seit dem 19. Jahrhundert, dass der Markt ungeahnte Kräfte freisetzen kann. Im Falle der Globalisierung kann dies noch stärker werden. Die Interessen steigern sich. Zur Kontrolle des Wettbewerbs gibt es im Grunde keine ausreichende Instanz mehr. Deshalb ist es auch sehr schwierig, die verantwortlichen Kräfte für die Globalisierung eindeutig zu identifizieren. Die technologischen Möglichkeiten der Kommunikation, rasch und weltweit Kontakte zu knüpfen und vor allem auch Entscheidungen zu treffen, erlauben neue Formen einer wenig transparenten Herrschaft.

Es gibt gewiss schon länger Ansätze zu einer solchen Globalisierung. Großkonzerne lenken vermutlich schon lange ihr weltweites Netz nach solchen Maßstäben und Strukturen. Aber die Verflechtung, die jetzt möglich wird, ist vermutlich ausgreifender und intensiver zugleich. Man muss deswegen neben den Errungenschaften auch nüchtern die Gefährdungen erblicken. Es ist nicht automatisch so, dass die Länder der Dritten Welt einen Aufschwung erfahren. Dies gilt jedenfalls nicht für alle. Manchmal kommt der Segen nur den Städten oder manchen Regionen zugute, während das Land noch weiter im Elend bleibt. Die Globalisierung kann Arbeit und Erwerb ermöglichen, wo sie bisher nicht waren, aber das enorme Gefälle zwischen den Industrienationen und den zu fördernden Ländern kann zu großen Ungleichheiten führen. Die Verführung zu sehr niedrigen Löhnen kann groß sein. Oft hört man das Argument, viel weniger zu verdienen sei immerhin besser als keine Einnahmen zu haben. Viele Staaten bieten steuerpolitisch sehr niedrige Sätze an, um Firmen überhaupt anzulocken. Die Versuchung, das Wissen und die Forschung in den Industrienationen zu betreiben, die Produktion vor allem von weniger komplizierten Waren in die Länder der Dritten Welt zu verlagern, ist groß. Durch die Verlagerung von Firmensitzen können in den Industrienationen wenig Steuern und Abgaben entrichtet werden, auch wenn die Beanspruchung der Infrastruktur erheblich ist. Ich will nicht sagen, dass dies alles unerlaubt ist und ethisch verwerflich sein muss, aber es können z.B. rücksichtslos Arbeitsplätze vernichtet werden, die auf die Dauer nicht ersetzt werden können.

Dies muss nicht alles eintreten. Es ist nicht zwangsläufig. Deshalb ist es auch falsch, die Globalisierung einfach als Teufelswerk hinzustellen. Es bleibt aber eine tiefe Ambivalenz. Errungenschaften und Nachteile, Segen und Fluch müssen sorgfältig unterschieden werden. Die Ungleichheit der Partner schafft anfällige Strukturen. Es fehlt vor allem an einem kontrollierten Wettbewerb. Was wir heute für die Marktwirtschaft verlangen, nämlich eine Ordnungspolitik, die faire Rahmenbedingungen für alle am Markt Beteiligten festsetzt und verbindlich macht – und nur so entsteht auch wirklich Soziale Marktwirtschaft –, muss in der globalisierten Wirtschaft weitgehend fehlen. Wenn sie auf die Dauer funktionieren und für alle wirklich die Lebenschancen verbessern möchte, braucht es entsprechende Kontrollmechanismen in der Welthandelsordnung mit ihren Institutionen und Interessen. Dies gilt für eine Neuordnung der internationalen Währungsbeziehungen, die Regelung des Warenverkehrs und die Zoll- und Handelsabkommen. Die Schaffung einer solchen Internationalen Wirtschaftsordnung, nicht zuletzt durch eine entsprechende Berücksichtigung der Wirtschaftsethik, ist eine große Herausforderung für die Zukunft.

In den letzten Jahren gab es eine immer größere Ausdehnung des Globalisierungsbegriffs. Zweifellos stehen wir auch in einem Prozess, der in ein globales Zeitalter führt, auch wenn Globalität schon seit der frühen Neuzeit zu den Tendenzen unserer Welt gehört. Je mehr aber solche Begriffe sich ausweiten, um so weniger werden sie bestimmbar. Ähnliches gilt z.B. für den Begriff Modernisierung. „Strukturbildende Fernverflechtungen gab es schon in vormoderner Zeit. Aber erst die kulturelle Kreativität der europäischen Moderne – Stichworte wären Rationalität, Organisation, Industrie, Kommunikationstechnologie – ermöglichte Verflechtungen von neuartiger Reichweite und Intensität.“ Dies alles bedeutet eine Mahnung, den Begriff der Globalisierung nicht unreflektiert auszuweiten, aber doch auch seine Tendenz hin zu einer immer universaleren Verflechtung unserer Welt zu erkennen, auch wenn dies gar nicht von einem Ort aus steuerbar erscheint und darin auch manche Wirkungen eine Rolle spielen, die sich letztlich unbeabsichtigten Nebenwirkungen verdanken, aber eben im Nachhinein eine eigene Folgerichtigkeit ergeben.

Vieles gehört zu diesem immer umfassenderen Phänomen. Es sind zweifellos auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr, besonders in der so genannten „Dritten Welt“. Aber die Frage erstreckt sich auch in die geistigen und spirituellen Bereiche hinein. Der interreligiöse Dialog steht gewiss auch in diesem Kontext. Es ist aber weniger angezeigt, diesen Begriff unmittelbar im engen Zusammenhang unseres Themas zu verwenden. Wenn man ihn gebraucht, sollte man die verwendeten Dimensionen eigens kennzeichnen.

II.

Ein anderes Grundwort befindet sich in der Nähe unseres Themas und hat Einfluss auf die Art und Weise der Fragestellung nach der Globalisierung und auch nach dem interreligiösen Dialog. Es ist der Begriff der „multikulturellen Gesellschaft“. Für viele ist dies ein Reizwort und eine Zumutung. Sie sehen darin eine Relativierung der eigenen Kultur, ein gleichgültiges Nebeneinander und problematische Folgerungen in Richtung einer ebenbürtigen Anerkennung.

Nun hat der Begriff einer multikulturellen Gesellschaft gewiss mehrere Dimensionen, die oft ungeschieden nebeneinander stehen. Die Vermischung der einzelnen Bedeutungsnuancen bringt manche Verwirrung. Es gibt zunächst eine zeitdiagnostische Bedeutung, wenn zur Analyse auf das Phänomen aufmerksam gemacht wird. Zugleich versucht der Begriff einen empirisch-analytischen Befund festzuhalten, der zeitdiagnostische Annahmen genauer überprüfen lässt. Schließlich aber geht es nicht nur um das faktische Feststellen, sondern „multikulturelle Gesellschaft“ wird auch als Norm-Aussage gebraucht, um einen Zustand zu umreißen, der aufgrund einiger Optionen vorherrschend sein soll. Wenn man eine generelle Umschreibung multikultureller Gesellschaft versucht, könnte man formulieren: Es sind Gesellschaften gemeint, in denen Menschen unterschiedlicher sozio-kultureller Prägung und Staatsangehörigkeit zusammenleben. Die soziokulturelle Prägung erstreckt sich zunächst einmal auf die volksmäßige, ethnische Zugehörigkeit, Sprache, moralische Anschauungen, Religion und Lebensstil. Die normative Verwendung zielt auf eine Sozialordnung, die auf der Grundlage der Menschenrechte und gemäß dem Toleranzgebot auf der wechselseitigen Anerkennung verschiedener sozio-kultureller Eigenheiten besteht. Damit ist zugleich auch die Forderung enthalten, dass man in dieser Sicht jede Form von zwanghafter Anpassung der unterschiedlichen kulturellen Prägungen an eine bisher vorherrschende Tradition grundlegend ablehnt.

Man hat darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Begriff vor allem aus dem nordamerikanischen Kontext stammt und gewiss auch eine Prägung erfahren hat, die mit den historischen Entwicklungen dieses Raumes zusammenhängt. Der Begriff ist auf weite Strecken der deutschen sozialwissenschaftlichen Begrifflichkeit fremd geblieben, wie ein Blick in soziologische Lexika und Wörterbücher bezeugt. In Kanada wurde der Begriff für das Miteinander der englischen und französischen Bevölkerungsgruppen verwendet. Dort sprach man eher von „Bikulturalismus“. Die amerikanische Tendenz zu einem Relativismus der Kulturen und die Diskussion in den klassischen Einwanderungsländern haben den Begriff ausgeweitet. Nach 1980 ist „multikulturelle Gesellschaft“ eine Leitkategorie der politischen Debatte um die Verschiedenheit des sozialen Lebens geworden, wobei Modernisierung und besonders Globalisierung hier eine eigene und besondere Schubkraft entwickelt haben. Dabei geht es besonders um die Frage, wie komplexe Gesellschaften mit ihren sozial-kulturellen Ungleichheiten zu einer Integration und zu einer Identität kommen können.

An diesem immer stärkeren Vordringen des Begriffs „multikulturelle Gesellschaft“ ist vor allem die internationale Migration beteiligt. Dies sind einerseits die Wanderungen, die durch Armut und Suche nach Arbeit bedingt sind. Hinzu kommen politische Flüchtlinge und Asylbewerber. Es geht aber anderseits auch um eine zunehmende internationale Verflechtung von Politik und Wirtschaft. Nicht zufällig hat man das vergangene Jahrhundert als ein Jahrhundert der Flüchtlinge bezeichnet. Es gibt nicht wenige Prognosen, die uns ein noch stärkeres Aufbrechen verarmter Völker ankündigen.

Dabei handelt es sich nicht einfach um ein allgemeines gesellschaftliches Problem. Vielmehr entsteht die Frage, wie sich die einzelnen sozio-kulturellen Prägungen zueinander verhalten. Bei der schiedlich-friedlichen Koexistenz oder auch bei einer am anderen grundsätzlich uninteressierten Gleichgültigkeit oder einer unterdrückten Distanzierung und Feindseligkeit wird es nicht bleiben. Darum ist für die Zukunft der Menschheit immer wieder ein Krieg der Kulturen prognostiziert worden. Jedenfalls ist die Bewegung von Menschen über Grenzen, von Grenzen über Menschen und die Begegnung der Kulturen ein Kernproblem unserer Gegenwart. Der größer gewordene Anteil an Freizeit und Tourismus hat zusätzlich die Voraussetzungen geschaffen, dass eine solche „multikulturelle Gesellschaft“ im Blick steht und von vielen akzeptiert wird.

Meist bleibt es bei einer relativ oberflächlichen Verwendung des Begriffs. Dennoch wird ein Grundproblem erkennbar, nämlich welche Grundorientierungen des Zusammenlebens in einer Gesellschaft gültig sind. Denn die verschiedenen Lebensmuster einzelner Kulturen stehen ja nicht selten auch in Spannung zueinander. Gerade bei der Freiheit von Religion und Weltanschauung entsteht die Frage, ob es gemeinsame Überzeugungen gibt, oder ob eine solche Gesellschaft durch die auseinanderstrebenden Kräfte wie auf einem Pulverfass sitzt. Dabei konnten wir z.B. vor allem in Bosnien feststellen, wie rasch ein erstaunlich geglücktes, lange Zeit funktionierendes Zusammenwohnen etwa von Muslimen und Christen einerseits möglich war, anderseits aber bei den geringsten Störungen eines gewiss nicht sehr stabilen Gleichgewichts aus den Fugen kam und rasch verletzt werden konnte. Man darf sich also über die „Friedlichkeit“ multikultureller Erscheinungen nicht täuschen. In der Zwischenzeit haben wir entsprechende Erfahrungen.

III.

Die Historiker machen uns darauf aufmerksam, dass der Begriff „Globalisierung“ nicht zu kurzsichtig verwendet werden dürfe. Es habe in der Geschichte gerade auch der Wirtschaft immer wieder Phasen gegeben, in denen Entwicklungen von weltweiter Bedeutung stattgefunden hätten, so in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des ersten Weltkrieges. Die Völkerrechtler weisen darauf hin, dass der Begriff Globalisierung schon länger zur Kennzeichnung des Prozesses weltweiter Ausdehnung der Geltung völkerrechtlicher Prinzipien verwendet werde, spätestens seit den 60er Jahren. Der Beginn von Globalisierung wird dabei vor allem im Zusammenhang mit dem Prozess der Errichtung einer nicht mehr auf Europa beschränkten Völkerrechtsgemeinschaft gesehen. Bald danach scheint in den Beratungen des „Club of Rome“ zu Beginn der 70er Jahre der Begriff der Globalisierung aufzutauchen. Auch in diesem Kontext erscheinen die „Schrumpfung“ der Welt infolge der technischen Fortschritte und die darauf beruhende wirtschaftliche und soziale Globalisierung, die allmählich zur Schaffung einer Weltgesellschaft führe, als wichtige Triebkraft.

So scheint sich seit ungefähr 30 Jahren intensiver eine Entwicklung anzubahnen, die vor allem in den letzten zehn Jahren immer mehr eine weltumfassende theoretische und praktische Bedeutung erlangt hat. „Globalisierung“ betrifft zwar vor allem und zuerst die Wirtschaft. Aber die Voraussetzungen dafür liegen zugleich in sehr verschiedenen Sektoren unseres Lebens. Fortschreitend sich verbessernde internationale Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen, aber auch die Bereitschaft der Menschen verschiedener Nationen, engere Kontakte zu pflegen, haben die Regionen der Welt in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zusammenwachsen lassen. Die Medien berichten regelmäßig und rasch über die wichtigsten Ereignisse in allen Ländern der Erde. Auch die Wissenschaft beschäftigt sich, z.B. in der Klimaforschung und bei der Bekämpfung von Krankheiten, mehr und mehr mit weltweiten Problemen. Die Politik bezieht die Ereignisse in anderen Staaten viel stärker in ihre Überlegung ein. Weltweite Koordination erscheint immer mehr als eine zentrale Aufgabe. Internationale Entwicklungen haben eine überragende Bedeutung bekommen. Dass in letzter Zeit die Ausdehnung unserer Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten durch die neuesten Entwicklungen im elektronischen Bereich und besonders im Internet diese Entwicklung gefördert haben, steht außer Frage.

In der Wirtschaft vollzieht sich dieser Prozess intensiv. Zwischen 1965 und 1990 hat sich der Welthandel mit Gütern verdreifacht. Der Handel mit Dienstleistungen stieg sogar um mehr als das Vierzehnfache. An die 500.000 US $ pro Sekunde werden – wie schon gesagt – zwischen den Finanzplätzen hin- und hergeschoben. Dies ist weit mehr, als für die Warenströme selbst notwendig ist. „Der Prozess der fortschreitenden Globalisierung basiert auf der weltweiten Integration von Märkten sowie dem Abbau von Handelsschranken und Mobilitätsbarrieren. Er wäre nicht möglich ohne die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Globalisierung bedeutet: weltweite Öffnung der Märkte für Waren und Dienstleistungen, zunehmende Freizügigkeit für unternehmerisches Handeln und weltweite Verfügbarkeit technischen Wissens und Könnens sowie qualifizierte Arbeitskräfte. Hinzu kommt eine wachsende Mobilität des Kapitals. Zunehmend werden finanzielle Mittel nicht im eigenen Land reinvestiert, sondern auf den internationalen Kapitalmärkten angelegt, sodass sie für Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen im eigenen Land nicht verfügbar und der Aufgabe, im nationalen Rahmen Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten, entzogen sind. Mehr und mehr verselbstständigt sich damit der Kapitalverkehr.“

Dieser Prozess bedeutet, dass die nationalen Grenzen bei Investitions-, Produktions-, Angebots-, Nachfrage- und Finanzierungsentscheidungen zunehmend an Bedeutung verlieren, wenngleich sie noch durchaus ihre Wirkkraft haben. Die Konsequenzen sind ein enger werdendes Netz von Verknüpfungen der einzelnen Volkswirtschaften, eine stärkere Internationalisierung der Produktion: die verschiedenen Komponenten eines Endprodukts werden in mehreren Ländern hergestellt. Es gibt integrierte Weltmärkte für zahlreiche Waren, Dienstleistungen und Finanzprodukte. Aber auch die Arbeitsmärkte sind davon mehr und mehr bestimmt. Grenzüberschreitende Wanderungen von Arbeitskräften, nicht zuletzt zur Erzielung von Einkommen überhaupt oder von höheren Einkommen, haben zugenommen. Weitere Migrationstendenzen zeichnen sich ab. Unsere Diskussion über die leichteren Zuwanderungsmöglichkeiten für Spezialisten im elektronischen Bereich („Greencard“) ist nur ein Beispiel. Die Weiterungen gehen bis zu Überlegungen, ob vor diesem Hintergrund nicht neue Überlegungen für die Regulierung von Einwanderung überhaupt notwendig werden. Alles macht die einzelnen Völker ökonomisch voneinander abhängig und auch wechselseitig verletzbar. Heute kann sich kein Land aus dieser vernetzten Weltwirtschaft zurückziehen, ohne für sich selbst und andere Staaten – mindestens zeitweise – Verluste zu verursachen. Bei kleineren Staaten gibt es hier freilich oft eine einseitige Abhängigkeit. Die unterschiedlichen Größen der am internationalen Austausch beteiligten Länder schaffen oft eine deutliche Asymmetrie der Abhängigkeiten. Immerhin sind Führungsstellungen nicht mehr relativ leicht zu schaffen und zu bewahren wie in den 50er Jahren. Dadurch werden reine Alleingänge z.B. der amerikanischen Wirtschaftspolitik weitgehend unmöglich. Es gibt jedoch auch neue Entwicklungen zugunsten vor allem der Entwicklungsländer. Entwicklungsländer sind seit einiger Zeit nicht mehr nur Lieferanten unverzichtbarer Rohstoffe, sondern gleichzeitig wichtige Abnehmer von Industriewaren und Dienstleistungen aus den Industriestaaten. Zum anderen haben nicht wenige Länder erhebliche Fortschritte beim Aufbau moderner und konkurrenzfähiger Verarbeitungssektoren gemacht. Darum werden erfolgreiche südostasiatische Gesellschaften und Staaten wie Hong Kong, Taiwan, Südkorea und Singapur häufig schon als junge Industrieländer bezeichnet.

Dies hat gewaltige Auswirkungen, die wir täglich spüren. Wissensströme, Technikentwicklungen, Produktionsverfahren und Managementstrategien werden weltweit optimal komponiert und integriert. Produktionsstandorte, Produkte, Dienstleistungen, Kapitalanlagen und Arbeitskräfteangebote aus allen Teilen der Welt treten miteinander in eine direkte Konkurrenz. Die klassische Arbeitsteilung zwischen „Erster“ und „Dritter“ Welt (Austausch von Rohstoffen gegen Fertigwaren) hat sich so verändert, dass heute dank wachsender Qualifikation der Arbeitskräfte industrielle Zwischenprodukte und Fertigwaren auch in der „Dritten Welt“ hergestellt werden, wobei es gewiss immer noch charakteristische Strukturen gibt. Japan, Deutschland und die USA behalten z.B. eine Vorreiterrolle in der Automobilindustrie. Die Weltkleidung wird inzwischen zu über 50% in Asien hergestellt. Indien ist aber heute schon der zweitgrößte Software-Exporteur der Welt.

Die Globalisierung führt nicht nur dazu, dass die Güter-, Finanz- und Arbeitsmärkte die Grenzen der Nationalstaaten immer häufiger überschreiten, sondern sie hat auch zur Konsequenz, dass die Entscheidungen über Produktion und Investition die Standorte in mehreren Ländern betreffen. Arbeitsprozesse oder auch Wertschöpfungsanteile werden kostenminimierend auf verschiedene Länder verteilt. Man kann auch etwas provozierend sagen: „Einfache Produktionen sind dort zu finden, wo die Löhne niedrig sind; geforscht wird in den Ländern, in denen es kaum gesetzliche Beschränkungen gibt; Gewinne werden dort ausgewiesen, wo die Steuersätze besonders gering oder die Abschreibungsregeln besonders großzügig sind.“ Globalisierung bedeutet hier natürlich auch wechselseitige Konfrontation mit den möglicherweise besseren Produkten, niedrigeren Umwelt- und Sozialstandards, geringeren Lohnkosten, höheren Zinsen und Renditen. Mit der Einbindung in die internationale Arbeitsteilung ist auch für alle ein starker Zwang zur Begrenzung von Kosten und zu weiteren Rationalisierungsmaßnahmen verbunden. Auch mittlere und kleinere Firmen, nicht zuletzt im Zulieferbereich, müssen sich längst auf Konkurrenzangebote aus dem Ausland einstellen und ihre Produkte wettbewerbsfähig halten, und zwar in qualitativer wie in preislicher Hinsicht. Der vom Weltmarkt her kommende Druck auf einzelne Sektoren und Unternehmen ist nicht zu übersehen. Unsere Welt ist dadurch ziemlich gründlich verändert worden.

IV.

Das Phänomen „Globalisierung“ ist trotz dieser plausiblen Erklärungsgründe nicht leicht zu fassen. Ich vermute, dass dies von den nicht von einer Stelle aus beherrschbaren Wirkungen kommt. Es haftet ihm bei aller Klarheit in der Tendenz eine schwebende Plastizität an. Es entsteht eine grundlegende Unsicherheit, die nicht ohne weiteres beseitigt werden kann. Es gibt keine Weltzentralbank oder allseits akzeptierte automatische Regeln zur weltweiten Regulierung der Ausgaben- und Steuerpolitik. Es fehlt – um etwas utopisch zu reden – ein einziges Land mit anerkannten Rechten und Pflichten im Sinne eines wohlwollenden Welt-Wirtschaftsführers. In diesem Sinne ist das Bild vom „Global Player“ sehr treffend. Denn dieses Spiel, dass sich hier vollzieht, ist natürlich schwer überschaubar und erst recht schwierig prognostizierbar. Es scheint auch kaum von einem Punkt aus lenkbar zu sein. Es gibt hier freilich auch immer wieder die Frage, ob es am Ende doch unsichtbare Hände gibt, die dieses Spiel steuern. Diese bestimmte Unbestimmtheit schafft Unsicherheit und Ängste.

Dieses Bild wird noch schwieriger, wenn man die Folgen der so auch entstehenden Pluralisierung mitbedenkt. Die Wettbewerbssituation verschärft sich für den einzelnen, für die Unternehmen, letztlich aber auch für die Ordnungsmodelle, so z.B. für die Soziale Marktwirtschaft. Dieser Wettbewerb ist damit chancenreich für qualifizierte, flexible, mobile sowie risikofreudige Personen und problematisch für geringqualifizierte, fehlqualifizierte, ältere oder wenig mobile Personen, wobei hier gerade auch neue Probleme für Ehe und Familien auftauchen. Der damit einhergehende Wandel hin zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft hat nicht nur große Auswirkungen auf die Form und Organisation der Arbeit, sondern vollzieht sich auch in einer relativ großen Schnelligkeit, sodass hier neue Unsicherheiten entstehen können. Länder, die im wirtschaftlichen und sozialen Bereich relativ stabile Strukturen und Lösungen haben, haben es im Schnitt wohl schwieriger, den notwendigen Herausforderungen zu entsprechen. Sie sind oft zu schwerfällig. Dies gilt erst recht angesichts des demographischen Wandels mit den gravierenden Veränderungen der Altersstruktur der Bevölkerung und den langfristigen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt.

Diese und andere Gefährdungen dürfen nicht übersehen werden. Daraus ergeben sich ja auch viele Fragen, nämlich nach der Möglichkeit einer internationalen Koordination. Wenn man diese und andere Herausforderungen nicht auf sich nimmt, entsteht die Gefahr einer Dämonisierung der Globalisierung. Dies ist zu einem gewissen Teil bereits schon 1995 erfolgt, als 500 führende Konzernchefs, Politiker und Wissenschaftler in San Franzisco hinter verschlossenen Türen über das 21. Jahrhundert diskutierten. Die Einschätzung der Weltenlenker war verheerend: Nur mehr ein Fünftel aller Arbeitskräfte werde in Zukunft benötigt. Der überwältigende Rest (80%) müsse mit einer Mischung aus Entertainment und Ernährung durch die wenigen Produktiven bei Laune gehalten werden – eine moderne Vision des römischen „panem et circenses“. Aus diesen Prophezeiungen, die sich wie Himmel und Hölle, Glück und Elend mischten, entstanden viele Unheilsprophezeiungen. Kein Job erschien mehr sicher. Millionen von Menschen bangten um ihren Arbeitsplatz. China, Indien und Europas Oststaaten seien mit ihren Billigstlöhnen – so hieß es – unschlagbare Konkurrenzen am Weltmarkt.

Vor diesem Hintergrund wachsen sehr unterschiedliche Einstellungen zur Zukunft. Dabei ist das Wort von der „Globalisierungsfalle“, in die man durch die globale Vernetzung von Wirtschaft, Politik und Medien gerät, gewiss eine Mahnung zur kritischen Beobachtung der Prozesse, aber solche Schlagworte schläfern auch das Bewusstsein ein und verhindern eher eine sachgerechte und darum auch wirklich hilfreiche Diskussion. In diesem Sinne muss man diese Prozesse – übrigens auch der Digitalisierung und der Individualisierung – in ihren Chancen, Grenzen und Gefährdungen genauer verfolgen. Es hat keinen Zweck, diese Wandlungen von vornherein mit einem Schreckensszenario zu verbinden. Alles kommt darauf an, dass vor allem die Politik in der Lage ist, die Herausforderungen besonders in den Bereichen des Sozialen und der Bildung schöpferisch anzunehmen und auszuhalten.

Globalisierung bedeutet freilich – und dies ist nach mancher Seite hin zu sagen – keine harmonische Integration mit fairem Interessenausgleich, sondern ist oft eine erzwungene und kaum regulierbare wechselseitige Konfrontation. Der Anpassungsdruck wird auch durch die große Unübersichtlichkeit vor allem der Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten und die wachsende Unsicherheit darüber gestärkt, dass möglicherweise nur kleine Fehler große wirtschaftliche Schäden hervorrufen können. „Vor allem im monetären Bereich zeigt sich, dass die globale Mobilität des Geldkapitals die einzelnen Nationalstaaten vor Anpassungszwänge stellt, die sowohl die gesellschaftlichen Ungleichheit als auch die globalen Instabilitäten noch vertiefen können.“

Das neue „System“ bringt gewaltige Probleme, die keineswegs gelöst sind. Die Globalisierung spaltet die Weltökonomie und die einzelnen Staaten auseinander. Diese geraten unter einen kaum berechenbaren Druck. Eine höchst problematische Wettbewerbsdynamik wird in Gang gesetzt, die sich in vielen Entscheidungen auf globale Sachzwänge beruft. Unter dem Stichwort „Deregulierung“ wird die Wirtschafts- und Arbeitswelt-Ordnung gründlich verändert, die nun wenig rücksichtsvoll mit dem Schicksal von Hunderten von Millionen Menschen umgeht.

Es ist von der „Falle“ der Globalisierung gesprochen worden. Die globale Ökonomie verspricht vieles und sie leistet auch manches, aber sie bringt auch neue Verwerfungen, indem die neue Revolution auf ihre Weise Arbeit eliminiert und Arbeitsplätze abbaut. Das alte Problem des Verhältnisses von Kapital und Arbeit erweist sich unter neuen Bedingungen als ungelöst. Die globale Ökonomie ist, wenn sie leider oft nur bei den wirtschaftlichen Fragen allein stehen bleibt und alle Folgen ausblendet, so wenig eine Lösung wie der alte Kapitalismus.

Man muss diese Risiken deutlich sehen. Ohne minimale Steuerung und ohne einen Ausgleich elementarer Gefährdungen kann dieser Prozess im Einzelnen tatsächlich zu einer Falle werden, aus der nur sehr wenige mit positiven Ergebnissen hervorgehen werden. Bestehende Disparitäten werden wohl im Ganzen eher verschärft als gemindert werden. Die Globalisierung hat bis jetzt wohl auch nur relativ wenige Länder voll in so etwas wie ein Weltsystem integriert. Es ist schon eine fast klassische Formulierung geworden zu sagen, die Globalisierung erzeuge „Dritte Welten“ mitten in der „Ersten Welt“, „Erste Welten“ mitten in der „Dritten Welt“ und dazu noch eine von der Dynamik anderer Welten weitgehend ausgeschlossene „Vierte Welt“. Das globale Wirtschaftsleben wird bestimmt von multinationalen Akteuren, die große Chancen haben, sich dem Zugriff nationaler Instanzen zu entziehen. Der Erfolg kommt nicht mehr selbstverständlich den Herkunftsländern zugute: Unter dem internationalen Konkurrenzdruck und ständig wachsender Produktivität bauen gerade die erfolgreichen Unternehmen in ihren Herkunftsländern Arbeitsplätze ab, um ihre Konkurrenzfähigkeit durch Internationalisierung der Produktion zu erhöhen. Die positiven Effekte werden jedoch weder den Menschen in den bisher armen Ländern noch allen bei uns in gleicher Weise zugute kommen. Die Nachteile werden sich bei bestimmten Bevölkerungsgruppen konzentrieren. Man sieht dies besonders im Gefälle der Löhne zwischen Deutschland und den östlichen Nachbarländern: Von einem Zehntel (Tschechien und Polen) bis zum Teil sogar einem Hundertstel (Ukraine und Russland) unserer Löhne geht die Spannweite des Verdienstes. Es ist nicht leicht, diesen Prozess zu beurteilen. Er entgleitet einem auch immer wieder aus den Händen, weil er sich immer wieder anders gestaltet und sich nicht so leicht festhalten lässt.

In jedem Fall bietet die Globalisierung Chancen und Risiken. Sie eröffnet zunächst der deutschen Wirtschaft viele Möglichkeiten, an den rasch wachsenden, weltweiten Märkten teilzunehmen. Außerdem haben viele Länder des Südens und des Ostens einen stärkeren Zugang zu den Märkten in den Industrieländern erhalten. Positiv ist auch zu bewerten, dass die Macht allzu beharrender einheimischer Interessensgruppen durch internationale Einflüsse beschränkt wird. Die weltoffenen Märkte können eher Innovationen und Strukturwandlungen begünstigen. Verteilungsstrukturen lassen sich unter diesen Voraussetzungen nicht mehr so unbeweglich festhalten. Die bewegliche Weltwirtschaft verhindert in diesem Sinne auch institutionelle Sklerosen. Vielleicht können die Einschränkungen, die den Nationalstaaten auferlegt werden, auch hier neben problematischen Aspekten doch auch einen positiven Effekt haben. Die Globalisierung kann vielleicht eher Bewegungen verhindern, die nur unter nationalen Aspekten interessant sind. Sie können helfen, dass politische Experimente, die z.B. eher Wahlgeschenke sind, vermieden werden. So gibt es durchaus auch Tendenzen zu einer globalen Annäherung und vielleicht sogar zu lockeren Harmonisierungstendenzen der Wirtschaftspolitiken.

Gewiss muss man hier festhalten, dass die Globalisierung insgesamt den Ländern der „Dritten Welt“ größere Chancen bietet. Ja, die Globalisierung kann in einzelnen Fällen zu einem mächtigen ökonomischen Auftrieb führen. „Unter der Voraussetzung, dass der Welthandel nicht durch protektionistische Bestrebungen der Industrieländer weiterverzerrt wird, ist dieser Marktzugang sogar wichtiger als Entwicklungshilfe. In einer Reihe von Ländern, z.B. in Asien und Lateinamerika, wurde ein wirtschaftlicher Aufschwung erzielt, der auch großen Teilen der Bevölkerung dieser Länder, jedoch nicht allen in gleicher Weise zugute kam. Der neue Wohlstand führt dort auch zu mehr sozialer Sicherung. Andererseits nimmt die Polarisierung zwischen den dynamischen Wachstumszentren und den Regionen, die den Anschluss an diese Entwicklung verlieren, zu.“

V.

Freilich gibt es auch Begrenzungen, die man ins Auge nehmen muss. Die Globalisierung engt den Spielraum für als wünschenswert angesehene nationale Maßnahmen ein. Heute kann kaum mehr ein Land Regelungen im Bereich der Sozial- oder Umweltpolitik ohne Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit seiner eigenen Industrie treffen. Die ärmeren Staaten sind hier auch weitgehend von den Vorgaben auf den Weltmärkten abhängig. Die wohlhabenderen Länder erhalten dabei eine Vorreiterrolle, die sie nicht ausschlagen dürfen. Sie haben Schutzmaßnahmen für die Umwelt und für sozial notwendige Sicherungen einzuführen und Preise und Anforderungen international zu beeinflussen. Es wird dabei notwendig sein, grundlegende nationale Maßnahmen auf internationaler Ebene abzusprechen. Diese internationale Koordination der Politik umfasst gewiss viele Stufen. Elementar wichtig ist eine gegenseitige vorherige Information über wirtschaftspolitische Ziele und Maßnahmen. Die nationalen Wirtschaftspolitiken müssen zusätzlich aufeinander abgestimmt werden, sodass sie nicht gegenseitigen Schaden stiften und ungewollte Gegenmaßnahmen erzwingen. Es wird dabei immer noch recht verschiedene Dosierungen der gleichen wirtschaftspolitischen Mittel geben. Einzelne Ereignisse, wie die deutsche Einigung oder der Umbruch in Osteuropa, werden auch spezifische Reaktionen und regionale Sonderprogramme erforderlich machen. Vor allem aber bilden sich in Europa, Nord- und Mittelamerika und Südostasien regionale Zusammenschlüsse zu einer engeren Abstimmung untereinander. Solche regionalen Koordinierungsabkommen sind zwar leichter durchsetzbar, aber sie sind bekanntlich auch instabil und konfliktträchtig. Hier wird man immer wieder neue Anstrengungen unternehmen müssen, um den Globalisierungsprozess und die Regionalisierung auszugleichen.

Dennoch wird man immer wieder über solche regionalen Absprachen hinaus die Gesamtverantwortung erkennen müssen. Wo eine starke Eigendynamik am Werk ist, wird eine globale Ordnungspolitik immer wichtiger. Es wäre eine Utopie, an einen „Weltwirtschaftsrat“ zu denken, trotzdem wird man sich immer wieder an Ideen dieser Art abarbeiten müssen. „Der Prozess der Globalisierung ist von einer so starken Eigendynamik, dass er von einem einzelnen Nationalstaat immer schwerer beeinflusst werden kann. Die Globalisierung der Wirtschaft bedeutet gleichzeitig die Globalisierung der sozialen und der ökologischen Frage. Damit wächst die Bedeutung einer gemeinsamen Verantwortung der Völkergemeinschaft. Globalisierung ereignet sich nicht wie eine Naturgewalt, sie verlangt nach politischer Gestaltung.“

In jüngster Zeit sind immer wieder Überlegungen im Gang, wie weit die Herausforderung der Globalisierung im Gegenzug auch neue lokale Chancen bieten. Man muss diese Überlegungen begrüßen, aber doch auch skeptisch bleiben, wie weit solche Prozesse aus der Gesamtdynamik herauspräpariert und für sich bewahrt werden können.

Es gibt in der Auseinandersetzung mit diesen Tendenzen auch viele ungelöste Spannungen. Man muss sich davor hüten, dem verstärkten Wettbewerb einen Verzicht auf Gerechtigkeit und einen Rückfall in den nackten Wettbewerbskampf aller gegen alle zu unterstellen. Deshalb soll man auch vorsichtig sein, den Vertretern eines stärkeren Wettbewerbs rasch nur das Schild „Neoliberaler“ umzuhängen. Die dynamische und freiheitliche Kraft dieser gewiss auch wiederum zu disziplinierenden Bewegung darf nicht unterschätzt werden. Ob dies gleich bedeuten muss, dass nun die entstehende und sich vergrößernde Ungleichheit qualifiziert werden soll, steht auf einem anderen Blatt. „Das Plädoyer für mehr Wettbewerb“ – so Rainer Hank zusammenfassend – „kommt nicht aus der Kälte. Im Gegenteil: Es geht zusammen mit einem moralischen und sozialen Engagement. Es spricht nämlich vieles dafür, dass die reine Marktwirtschaft der ‚Kapitalismus pur‘ unterdessen die sozialere Wirtschaftsform ist als eine auf umverteilenden Ausgleich bedachte Soziale Marktwirtschaft. Wir müssen freilich bereit sein, mehr Ungleichheit in Kauf zu nehmen und eine größere Spreizung der Einkommen und Lebenslagen in Kauf zu nehmen. Ungleichheit kennt indessen auch die ‚Soziale‘ Marktwirtschaft: Sie akzeptiert seit langem die Teilung der Erwerbsbevölkerung in Beschäftige und Arbeitslose. Im Vergleich dazu ist ein radikales Wettbewerbsmodell humaner: Dessen Verteilung von Ungleichheit gehorcht den Regeln der Fairness und honoriert Bildung, Fähigkeiten und Wissen. Diese Thesen liegen nicht im Trend. Konjunktur haben noch immer diejenigen, die warnen vor dem überbordenden Kapitalismus, der auf Kosten politischer Steuerungsfähigkeit und moralischer und sozialer Regulierung dem gnadenlosen Marktgeschehen seinen Lauf nimmt.“

Man muss sich an solchen Konzepten abarbeiten und sich mit den Stärken der liberalen Positionen auseinandersetzen. Wer so denkt, ist der Überzeugung, dass diese Dynamik zwar zerstörerische Kräfte hat, dass diese Umwandlung jedoch auch schöpferische Erfindungen aus sich entlässt. Dies sei ein anderer Kapitalismus, der echte Neuerung und Qualität habe, nicht bloß mit Dumpingpreisen einherkomme. Ich meine jedoch, dass es auch zu den heutigen Aufgaben der Diskussion um die Globalisierung gehört, die Frage zu diskutieren, wie es um den Fortbestand der Sozialen Marktwirtschaft gerade in der Prägung unseres Landes steht. Dabei soll nicht verkannt werden, dass der bei uns entwickelte Sozialstaat im Zug der Globalisierung auf den Prüfstand gestellt werden muss. Die Globalisierung ist ein Treibsatz der Ungleichheit. Zugleich ist sie aber auch eine Chance für mehr Beschäftigung und Wohlstand. Der Sozialstaat ist jedoch durch die dargestellten Tendenzen unter enormen Druck geraten. Neue Regelungen im Beschäftigungssystem, der Wandel der Lebensformen und nicht zuletzt die demographischen Komponenten verändern die Ausgangslage der Sozialpolitik grundlegend. Die Verschärfung des ökonomischen Wettbewerbs hat auch Schwächen unserer Wirtschaft offengelegt. Zudem werden die Finanzierungsschwierigkeiten der sozialen Sicherungssysteme weiter zunehmen. Viele glauben, der vielbeschworene „soziale Konsens“ sei nicht mehr haltbar. Wir stehen mitten in diesem Wandel und diskutieren bzw. streiten um ihn. Dabei besteht kein Zweifel, dass unsere gesamten Sozialsicherungssysteme, wenn sie künftig funktionieren sollen, mindestens in den Randbezirken eine viel größere Eigenverantwortung verlangen, gerade um die Menschen in den bleibenden Kernrisiken zu schützen.

Aber auch wenn man diese Wandlungen für unausweichlich hält, entsteht doch die Frage, ob das vielgerühmte deutsche Modell der Sozialen Marktwirtschaft an der „Globalisierung“ scheitert. Dabei geht es m.E. im Kern um einen bestimmten Ausgleich zwischen Arbeit und Kapital. Man kann die Soziale Marktwirtschaft auch so definieren, dass es in ihr darum geht, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden“ . Dies kann auf verschiedene Weise geschehen, wie die Vertreter der Freiburger und der Kölner Schule belegen. Jedenfalls entsteht hier die Frage, wie im Zeitalter der Globalisierung grundlegende sozial-staatliche Errungenschaften nicht zuletzt auch der deutschen Tradition gerettet werden können. Angelsachsen und Deutsche haben über die Frage des Sozialstaates schon im 19. Jahrhundert gestritten und verschiedene Antworten gefunden. Das im Titel etwas provozierende Buch von Klaus von Dohnanyi „Im Joch des Profits?“ scheint mir in dieser Richtung viele wichtige Fragen zu stellen, aber auch gute Antworten zu geben. „Auch die erste industrielle Revolution begann mit einem Vorsprung angelsächsischer Individualität, aber sie endete mit der deutlichen Überlegenheit des sozialstaatlichen Modells deutscher Prägung. Heute scheinen in einer neuen Phase des Aufbruchs wieder die angelsächsischen Länder einen Vorsprung zu gewinnen. Vernachlässigen sie aber nicht erneut die angemessene Ordnung sozialer Strukturen? Auch die Informationsgesellschaft wird sie brauchen. – Im Sturzbach wissenschaftlicher, technischer, wirtschaftlicher und damit auch sozialer Veränderungen werden wir, so meine ich, nur mit einer klaren und durchsetzbaren Ordnung frei und solidarisch überleben. Diese muss flexibel genug sein, um in den Sturmgewässern der Globalisierung zu segeln: Aber eben doch eine Ordnung sein. Ist das aber so, dann könnte das deutsche Modell am Ende dem angelsächsischen Modell doch wieder erfolgreich Konkurrenz machen ... Bei aller berechtigten Kritik an der Schwerfälligkeit unserer Reformpolitik heute und auch an manchen Fehlentwicklungen des deutschen Modells sehe ich angesichts unserer besonderen sozialstaatlichen Traditionen und der fortbestehenden Struktur dezentraler Flexibilität auch hierfür noch immer eine ganz besondere Chance. Und eine große deutsche Verantwortung in Europa ... Weltoffen, erfahren im Schmerz der Geschichte und frei von verengendem Belast. Hören wir auf zu klagen und zeigen wir, dass wir, dass die Deutschen es wieder zusammenbringen können.“

Die Überlebensfähigkeit des deutschen Sozialstaates wird in einem hohen Maß davon abhängen, in welchem Maße es uns gelingt, angesichts dieser Prozesse den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern. Dabei werden die gemeinsamen Überzeugungen im Sinne der Grundwerte ebenso eine Rolle spielen wie die Frage nach dem künftigen Ort der Familie und nicht zuletzt eine grundlegende Erneuerung von Erziehung und Bildung.

VI.

Der Beitrag ist überschrieben „Der Prozess der Globalisierung braucht eine Antwort“. Diese kann sehr verschieden angesetzt werden. Vielleicht ist auch der Eindruck entstanden, das christliche Menschenbild sei bisher zu wenig zu Wort gekommen. Im Blick auf die verwendeten Wörter mag dies stimmen. Aber wir haben, wenn Bewertungen und Beurteilungen vorgenommen worden sind, immer schon auch Maß genommen am Verständnis des Menschen nach dem biblischen und christlichen Glauben. Es gibt ja zweifellos Anstöße des christlichen Glaubens, die in die Richtung einer „Globalisierung“ tendieren. Es gibt aber auch vom Glauben her Maßstäbe, die den Prozess der Globalisierung kritisch beleuchten. Es ist ein sehr vielfältiges Verhältnis, das sich nicht einfach in ein Für oder Wider auflösen lässt. Gerade deshalb wollen wir noch zum Abschluss einigen Perspektiven besonders nachgehen.

Gewiss gibt es Bezüge zwischen der globalen Wirtschaft und einer Kirche, die weltweit verbreitet und tätig ist. Aber es gibt eben auch beträchtliche Unterschiede. Die universale Kirche wird vom Zentrum der Weltkirche aus geleitet, was es eben bei der Globalisierung auch nicht annähernd so geben kann. Die Weltkirche muss auch bestrebt bleiben, die Vielfalt in der einen Kirche schöpferisch zu wahren. Eine weltweite Kirche darf die Universalität dem Ganzen nicht einfach überstülpen. Schon im Neuen Testament ist Kirche ein vielschichtiges Phänomen, ist immer eine „Gemeinschaft der Gemeinschaften“ und besonders eben auch durch die Vielfalt der Sprachen und Kulturen mitgeprägt. Die Universalität schließt die bunte Vielfalt und den vielschichtigen Reichtum von Kirche nicht aus. Konzilien und Synoden, Bischofskonferenzen und wechselseitige Besuche (Ad limina-Besuche und Pastoralreisen des Papstes) sind dabei wichtige Begegnungsformen, Strukturen und Ausgleichsmomente auf der Suche nach der wahren Einheit.

Dies alles ist nicht ein Anliegen der Globalisierung. Man sollte also diese Momente einer gewissen Nähe und Analogie nicht übertreiben. Insofern die Globalisierung manchen Ländern der „Dritten Welt“ zu einer ökonomischen Verbesserung verhilft, kann sie wirklich auch von kirchlicher Seite aus begrüßt werden. Es ist jedoch auf der anderen Seite zu fragen, ob im Zusammenhang der Globalisierung bei allen Chancen nicht auch eine neue Ungleichheit unter den Menschen wächst und befördert wird, die mit der Ebenbildlichkeit aller Menschen zu Gott und mit der Gleichwertigkeit einer jeden Menschenwürde in Konflikt kommen kann. Man muss auch fragen, ob die Art und Weise, wie in diesem Zusammenhang Arbeitsplätze beseitigt werden, einem humanen Menschenbild und besonders auch dem Sinn der Arbeit für die Menschen entspricht. Hier meldet sich wieder eine uralte Thematik, nämlich das Verhältnis von Arbeit und Kapital, das besonders nach den letzten Verlautbarungen der katholischen Soziallehre die Würde des arbeitenden Menschen in das Zentrum rückt und die Dominanz der menschlichen Arbeit vor dem Kapital betont (vgl. besonders Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika „Laborem exercens“ 1981). Natürlich bedeutet dies kein simples Ausspielen von Kapital und Arbeit. Aber es lässt sich nicht übersehen, dass im heutigen Verständnis Sozialer Marktwirtschaft – wenn das Adjektiv (klein oder groß geschrieben) überhaupt mitgesetzt wird – eine ungelöste Problematik liegt. Nicht wenige betonen, dass eine freiheitlich geordnete Marktwirtschaft an sich schon sozial sei. Der beklagte Missbrauch des Wohlfahrtsstaates wird dabei fast ausschließlich dem Faktor Arbeit zugeordnet. Ein Missbrauch des Sozialstaates durch den Faktor Kapital wird sehr viel weniger erwogen und ist viel weniger Gegenstand der Kritik. Die alte Auseinandersetzung über die Verhältnisbestimmung von Arbeit und Kapital, wie sie besonders aus dem Streit um den Kapitalismus bekannt ist, muss also unter neuen Voraussetzungen wieder aufgenommen werden. Dabei geht es um das Ausmaß und das Auspendeln der Balance zwischen Arbeit und Kapital. Zweifellos muss auch hier der Platz des Unternehmers noch mehr respektiert werden.

In der Globalisierung wird den Menschen oft eine sehr hohe Mobilität zugemutet. Die Diskussion in unserem Land über die „Zuwanderung“ ist in einem hohen Maß auch von diesen Problemen wirtschaftlicher Nutzung der Immigranten mitbestimmt. Dies hat zum Teil schwerwiegende Konsequenzen für die Verwurzelung des Menschen in seiner Heimat, aber besonders auch in seiner Familie. Hier gibt es viele Rücksichtslosigkeiten, die insgeheim den Menschen nur als Arbeitskraft begreifen, die seinen Markt- und Funktionswert im Blick hat, aber weniger seine konkrete Würde. In diesem Sinne ist das Personalitätsprinzip ein sehr wichtiges Korrektiv. Dies gilt aber auch für die Frage, wie auf diesem Weg der Zusammenhalt einer Gesellschaft, die „soziale Kohäsion“ (K. Gabriel) und das Funktionieren von so etwas wie Grundwerten gewährleistet werden können.

Immer wieder haben wir beim Durchdenken des Phänomens „Globalisierung“ eine Doppeldeutigkeit, eine tiefe Ambivalenz gespürt. Der Globalisierung wohnen – und dies sollte man nicht leugnen – wahre Möglichkeiten inne, um den Durchbruch zu einer größeren, wirklich globalen Solidarität und Humanität zu gewinnen, aber man kann auch die Risiken eines Zusammenbruchs zivilisatorischer Strukturen nicht verkennen. Es geht also in ganz entscheidender Weise um eine „Globalisierung der Solidarität“, wie Papst Johannes Paul II. formulierte. Dafür hat die Religion ein immer noch großes Potenzial, besonders auch im Dialog der Weltreligionen untereinander, der noch kaum wirklich begonnen hat. Vielleicht liegt darin besonders auch die Zukunftschance der Bewältigung der Probleme der Globalisierung. Dies setzt voraus, dass wir die Entwicklung mit aller Nüchternheit begleiten. Sie gehört ganz besonders zur „conditio humana“, zur konkreten heilsgeschichtlichen Situation des Menschen, der immer wieder zwischen Heil und Unheil, Wohl und Elend zu entscheiden und zu kämpfen hat.

Ich möchte schließen mit den letzten Sätzen eines wichtigen Buches, das erst vor kurzer Zeit erschienen ist, nämlich des amerikanischen Volkswirtschaftlers und Nobelpreisträgers (2001) Joseph E. Stiglitz, der auch neben seinen Professuren an den bedeutendsten amerikanischen Universitäten Wirtschaftsberater der Clinton-Regierung und Chefvolkswirt der Weltbank gewesen ist: „In vielen Ländern empfinden die Menschen die Globalisierung in ihrer gegenwärtigen Gestalt als eine Art Teufelspakt. Einige wenige ihrer Landsleute werden reicher, die – nur sehr begrenzt aussagekräftigen – BIP-Statistiken sehen schöner aus, aber Lebensweisen und Grundwerte sind bedroht. In einigen Regionen der Erde fällt der Nutzen noch kümmerlicher aus, während die Kosten offenkundig sind. Die engere Einbindung in die Weltwirtschaft hat uns mehr Instabilität, mehr Unsicherheit und mehr Ungleichheit beschert. Sie bedroht sogar fundamentale Werte. – So muss es nicht sein. Wir können die Globalisierung zu einer Erfolgsgeschichte machen, nicht nur für die Reichen und Mächtigen, sondern für alle Menschen, auch diejenigen in den ärmsten Ländern. Die Aufgabe wird langwierig und beschwerlich sein. Wir haben bereits zu lange gewartet. Wir müssen sie in Angriff nehmen. Jetzt.“

(c) Karl Kardinal Lehmann 

Redemanuskript - Es gilt das gesprochene Wort

Im Original sind Fußnoten mit Literaturhinweisen enthalten.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz