Der langersehnte Frieden

Ein Beitrag von Bischof Karl Lehmann für die Kirchenzeitung des Bistums Mainz „Glaube und Leben", 31.10./1.11.1998

Datum:
Samstag, 31. Oktober 1998

Ein Beitrag von Bischof Karl Lehmann für die Kirchenzeitung des Bistums Mainz „Glaube und Leben", 31.10./1.11.1998

Seit langer Zeit gab es keinen Gedenktag mehr, der so gefeiert wurde wie die Erinnerung an den Westfälischen Frieden, der in diesen Tagen vor 350 Jahren in Osnabrück und Münster geschlossen wurde. Zwanzig Staatsoberhäupter aus dem Norden und Süden, Westen und Osten Europas versammelten sich.

Die Berichterstattung vor allem im Fernsehen bezog sich auf die bunte Heerschau dieser seltenen Prominenz an einem Tag an zwei Orten. Mit Recht hat man auch die Worte des Bundespräsidenten von der Anwendung solcher Friedensstiftung im heutigen Kosovo herausgestellt. Aber sonst blieb - von einigen Sondersendungen abgesehen - wenigstens in den Nachrichten der eigentliche Anlaß eher im Hintergrund. Wir sind manchmal zu heutig und wissen kaum mehr, auf welchen geschichtlichen Fundamenten, die uns tragen, wir stehen.

 

Die zerstrittenen Kirchen konnten sich damals über Glaubensfragen nicht einigen. Längst ging es aber nicht mehr nur über das Glaubensverständnis, sondern schon sehr früh vermischte sich die Auseinandersetzung um den wahren Glauben mit allerhand Begierlichkeiten auf Macht, Landgewinn und Herrschaft. Die Menschen waren unsäglich müde von diesen sich lange hinziehenden mörderischen Kriegen, die gewiß nicht alle Teile in gleicher Weise in Mitleidenschaft zogen.

 

Es ging darum, endlich den Menschen das nackte Überleben zu sichern. Die Herrscher, Diplomaten und Juristen verzichteten darum auf eine Klärung der Wahrheitsfrage und schlossen einen Frieden, der den großen Kirchen eine unaufhebbare, wechselseitige Gleichheit und Gleichberechtigung (Parität) bescheinigte, die niemals mehr durch Kriege elementar gefährdet werden sollte. Keine Religionspartei sollte einfach über die andere, eventuell auch durch Mehrheitsbeschluß, den Sieg davontragen.

 

Es dauerte länger, bis dies überall anerkannt war. Aber tatsächlich gab es nun in den vom Frieden betroffenen Ländern keine eigentlichen Religionskriege mehr, wenn es so etwas überhaupt je gab und gibt. Dies war nicht nur die Geburtsstunde des neuzeitlichen Staates und der Toleranz in ihm, sondern so bahnte sich auch das friedliche Miteinander verschiedener Konfessionen und Glaubensüberzeugungen an, die ihren Wahrheitsanspruch nicht aufgeben mußten. So wurde ein Weg gefunden, der nach der Erfahrung der schrecklichen Kriegswirren endlich zu einem nackten Überleben führte.

 

Der Preis war hoch. Die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der einen Kirche und der einen Wahrheit für alle war damit auf solchen Wegen gescheitert. Mancher ungerechte Besitzwechsel von Gütern aller Art war besiegelt. Papst Innozenz X. förderte zwar bis zuletzt den Friedensabschluß, lehnte aber wegen dieser Nachteile den Vertrag entschieden ab. Nicht wenige geschichtliche Darstellungen sind an diesem Punkt nicht ganz korrekt. - Der Frieden hielt weitgehend im Blick auf religiös begründete kriegerische Auseinandersetzungen, aber er konnte die erstarkenden nationalistischen Tendenzen in Europa nicht genügend eindämmen. Es war kein „ewiger Friede".

 

Im Friedensvertrag findet sich nebenbei und nicht so oft beachtet die Erwartung, eines Tages könne es durch die Gnade Gottes doch zu einer Einigung über die christliche Religion kommen. Ich finde, daß dies ein Satz von unerhörter Kühnheit mitten im bitteren Streit und in zähen Verhandlungen war. Es dauerte lange, bis so etwas mehr war als eine sehr vage Hoffnung. Die ökumenischen Bemühungen seit dieser Zeit und ganz besonders in unserer Gegenwart sind der Versuch, religiös und theologisch an Einheit wiederzugewinnen, was damals nicht gelang. Es ist darum ein hoher, freilich verletzlicher Friedensauftrag für die Kirche heute, diese Bemühungen mit allen Kräften weiterzuführen und einmal, so Gott will, zu einem guten Ende zu bringen. Dies ist und bleibt die aktuelle Botschaft von 1648 für uns.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz