Der treue Zeuge

Gastkommentar in der Mainzer Allgemeinen Zeitung am 18. Oktober 2003

Datum:
Samstag, 18. Oktober 2003

Gastkommentar in der Mainzer Allgemeinen Zeitung am 18. Oktober 2003

Die Welt feiert Johannes Paul II. weit über den Anlass der 25 Jahre seit seiner Wahl hinaus. Freilich ist dies ein äußerst seltenes Ereignis, denn in der langen Liste der Päpste gibt es nur zwei bis drei, die nach unserer Kenntnis eine so lange oder längere Regierungszeit hatten, mit großem Abstand Pius IX (1846-1878).

Die Menschen wollen danken. Für vieles, was sich in diesem Vierteljahrhundert in Kirche und Welt ereignete. Seine Haltung zu den östlichen Staatsdiktaturen und der Anteil an ihrem Niedergang wird auch in den weltlichen Geschichtsbüchern stehen. Das Eintreten für die Menschenrechte und den Frieden haben ihm in aller Welt viel Zuneigung gebracht. Die Verteidigung des menschlichen Lebens vom Anfang bis zum Ende, und was das in letzter Konsequenz bedeutet, hat gewiss weniger Sympathie in der Breite, viele bewundern ihn aber auch wegen seiner konsequenten Haltung im Blick auf das „Evangelium des Lebens", sein markantes Weltrundschreiben. Im Vordergrund steht hier immer wieder die Unerschrockenheit des Eintretens für Recht und Gerechtigkeit, die eine letzte Unabhängigkeit voraussetzt. Dies sichert dem Papst Glaubwürdigkeit und Aufmerksamkeit.

 

Dies wird in diesen Tagen weltweit anerkannt. Auch ansonsten durchaus kritische Zeitgenossen feiern diesen Nachfolger Petri. Zahlreiche Beiträge in allen Medien haben ein faires, ja gewinnendes Bild gezeichnet. So erreichte der Papst nochmals viele, gerade auch in seiner persönlichen Lebensgeschichte und in seiner Frömmigkeit.

 

Es ist verständlich, dass sich auch Kritik regt. Sie ist in diesen Tagen innerkirchlich, wo man an manchen Entscheidungen konkret leidet, stärker. Es sind freilich Stichworte, die gewiss ernsthafte Anfragen und Sachprobleme betreffen: Stellung der Frau in der Kirche, Sexualmoral („Pille", Kondome, homosexuelle Lebenspartnerschaften usw.), Zugangswege zum Priesteramt (Frage nach verheirateten, in Ehe und Beruf bewährte Männer, Ehelosigkeit der Priester usw.). Aber meistens bleiben sie auch in diesen Tagen Schlagworte, die zu wenig differenziert werden. Fast immer geht es jeweils um eine Gratwanderung zwischen der Offenheit für mögliche Reformen und einer Anpassung an den Zeitgeist.

 

Die daraus entstehenden tiefen Ambivalenzen und Zweideutigkeiten werden zu wenig gesehen. Manche meinen, zwischen Deutschland bzw. der Kirche in unserem Land und dem Papst würden besondere Spannungen bestehen. Der jahrelange Konflikt um die Ausstellung einer Bestätigung in der gesetzlichen Schwangerenberatung („Schein") hat viele Wunden hinterlassen. Aber der Papst ist ein ausgesprochener Freund Deutschlands. Wie ein besorgter Vater kümmert er sich besonders um die geliebten und vielversprechenden Kinder.

 

Die Spannung zwischen der wachsenden Gebrechlichkeit des Papstes und der ungewöhnlichen Willenskraft und Geistesgegenwart machen nachdenklich und sind oft auch schmerzlich. Beide steigern sich in diesen Tagen. Aber noch in der Schwäche, gerade in ihr, legt der Papst Zeugnis ab von der Kraft des Glaubens und gibt vielen Leidenden ein nachdrückliches Beispiel.

 

 

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz