I.
Wir sind glücklich, dass wir im August 2005 im Großraum Köln für Deutschland den XX. Weltjugendtag ausrichten können. Wir dürfen aufbauen auf eine inzwischen schon jahrzehntelangen Geschichte. Es gehört zu den großen genialen Einfällen des heutigen Papstes, Weltjugendtage durchzuführen und dazu an verschiedene Orte in der ganzen Welt einzuladen. Ich bin überzeugt, dass die Schaffung der Weltjugendtage zu den großen pastoralen und pädagogischen Erfindungen und Maßnahmen unserer Zeit gehört. Auf nationalem Niveau würde ich es vergleichen mit der Einführung der Sternsingeraktion in unserem Land.
Dass der Weltjugendtag nach Deutschland kommt, ist zunächst einmal ein wichtiges Ereignis für die ganze Kirche, besonders aber auch für unser Land. Es wird dadurch offenkundig, dass die katholische Kirche, ganz in Entsprechung zu den biblischen Grunddaten, in mehreren zusammenhängenden Ebenen lebt: in der einzelnen Pfarrgemeinde, in der Diözese, in einem Land oder einem Sprachgebiet und schließlich in der Weltkirche. Die verschiedenen Ebenen bedingen sich gegenseitig und bauen aufeinander auf.
Dies bedeutet zunächst einmal, dass die verschiedenen kirchlichen Lebenskreise sich in besonderer Weise aufeinander öffnen müssen. Die einzelnen Lebenskreise dürfen sich nicht in sich verschließen und gegeneinander abschotten, sondern sie öffnen sich so zueinander, dass es zu einer Begegnung, zu einem wechselseitigen Lernen und zu einem gemeinsamen christlichen Leben kommt. Was sich auch sonst durch unsere zwischenkirchlichen Aktivitäten überall ereignet, wird in den Tagen der Weltjugendtreffen ganz besonders dicht erfahren und gelebt. Insofern ereignet sich hier Kirche in einer sehr konzentrierten und gesteigerten Form.
Es ist gut, wenn der Weltjugendtag zu uns kommt. Wir werden dann selbst herausgerissen aus der Tendenz, uns in uns selbst zu verschließen. Wir spüren auch, dass wir nicht einfach das Maß für das Kirchesein und der Nabel der Welt sind. Wir sind ein lebendiger Bezirk in der Gesamtkirche, der immer auch auf den Austausch mit allen anderen Teilen angewiesen ist. Ein Weltjugendtag macht jede Ortskirche auch bescheiden und demütig, weil er uns unsere begrenzten Fähigkeiten und Möglichkeiten aufzeigt. Wir sind manchmal sehr selbstgenügsam und merken gar nicht, wie arm wir dabei werden.
Es ist dabei gut, dass wir diese Gemeinschaft in verschiedener Weise erfahren. Es ist für die Einstimmung der Gemeinsamkeit wichtig, dass unsere Schwestern und Brüder aus den Nachbarländern und der ganzen Welt schon für ein paar Tage bei uns sind, bevor die gemeinsamen Tage in Köln beginnen. In den einzelnen Diözesen, besonders auch in den Pfarreien und in den verschiedenen religiösen Gemeinschaften, können sie sehen, wie wir als katholische Christen mit den anderen Christen und mit Andersgläubigen zusammenleben. Dann wird auch die ganze Vielfalt und Buntheit unseres deutschen Lebens erkennbar. Wir haben ja, was vielleicht sonst nicht so zur Geltung kommt, in den 27 Diözesen und in den verschiedenen Bundesländern reiche, differenzierte Landschaften der Kultur und auch des Glaubens. Nicht nur die Bayern, die in sich selbst wieder vielfältig sind, bilden ein eigenes Völkchen. Wir haben sehr vom katholischen Glauben geprägte Gegenden, die seit vielen Jahrhunderten eine enge Symbiose von christlichem Glauben und einheimischer Kultur eingegangen sind.
Wir sind aber auch zweifellos das Land, das sehr tief geprägt ist von der Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts. So sehr wir viel Gemeinsames zwischen uns wiederum entdeckt haben, so sehr leben wir eben doch in getrennten Kirchen. Dies macht sich besonders bemerkbar in den Diasporagebieten des Nordens und des Ostens, aber auch in fast allen anderen Landschaften. Am meisten bedrängt uns dabei im Blick auf den Osten die Tatsache, dass der jahrzehntelang herrschende Kommunismus, vor ihm aber auch der Nationalsozialismus, den Glauben vieler Menschen sowohl in den Herzen als auch in den öffentlichen Institutionen ausgehöhlt hat. Ungefähr 70 Prozent unserer Mitbürger in den so genannten neuen Bundesländern, der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, sind nicht nur nicht getauft und keiner konkreten christlichen Kirche zugeordnet, sondern haben wohl auch nur eine sehr geringe Kenntnis von christlicher Lebensauffassung und kirchlichem Leben.
Es ist ein Vorteil, wenn wir mit dieser Vielfalt und diesem Reichtum einfach in die gesamte Weltkirche hineingestellt werden, mit unseren vielen Möglichkeiten, aber auch mit unserer Enge und Armut. Davon wird noch die Rede sein müssen.
Wir wollen dabei zuerst gute Gastgeber sein. Es ist vom Beginn des kirchlichen Lebens her schon eine Auszeichnung der Christen, dass sie offen sind für andere Menschen, fremde Kulturen und bisher unbekannte Sprachen. Es ist immer wieder ein Wunder, dass das Christentum in seiner Geschichte schon früh die nationalen, kulturellen, stammesmäßigen und sprachlichen Grenzen durchbrochen hat, in andere Sprach- und Lebensräume übersetzt werden konnte und so Menschen sehr verschiedener Herkunft und Ausrichtung in einem Geist zu einer lebendigen Gemeinschaft führen konnte. In diesem Sinne war die Weltkirche in verschiedenen Jahrhunderten immer wieder der Ort, an dem die Einheit in wahrer Vielfalt gelebt wurde. Wir brauchen keinen Uniformismus, um Einheit zu haben; wir zerfallen aber auch nicht in beziehungslose und gleichgültig nebeneinander existierende Pluralitäten, wenn wir die bunte Vielfalt in der Kirche dulden. Natürlich müssen wir uns immer wieder um diese Balance und dieses Gleichgewicht mühen. Es ist keine prästabilierte Harmonie. Die Anwesenheit des Heiligen Vaters, der zugleich der Initiator der Weltjugendtage ist, zeigt uns in ganz besonderer Weise, dass er der Hirte der universalen Kirche ist, der in gleicher Weise sich um das Recht zu einem eigenen Leben, aber auch um die Einheit im Bekenntnis des gelebten Glaubens sorgt. Er ist in seiner Person wirklich auch der Pontifex, der Brückenbauer zwischen den Kulturen und den vielen Ortskirchen.
II.
Wir können alle voneinander lernen. Es ist ja gerade ein Kennzeichen des Katholischen, dass wir füreinander offen sind und die Begegnung mit allen Menschen suchen. Dies reicht tief in die letzte Wurzel unseres Glaubens hinein, denn gerade die Geheimnisse von Jesu Christi Geburt haben uns in der Weihnachtszeit wieder gezeigt, wie sehr Jesus durch die Menschwerdung zum Bruder aller geworden ist, Licht aller Völker ist und einen weiten, unbegrenzten Horizont eröffnet, der das Wohl und Heil der ganzen Welt betrifft. Besonders am Dreikönigsfest ist uns dies aufgegangen. Und Köln, wo die drei Magier, die so gennanten „Heiligen drei Könige“ seit alter Zeit verehrt werden, birgt eine besondere Chance für die vertiefte Wahrnehmung dieses gerade heute wichtigen Aspektes unseres Glaubens.
Dass Gott zu uns herabgestiegen ist und das Heil in alle Winkel unserer Erde bringen möchte, vollendet sich schließlich am tiefsten im Leiden und Sterben Jesu Christi „für alle" und erweist gerade darin seine große Kraft, dass er sogar Feinde miteinander versöhnt, Mauern niederreißt, wie dies besonders zwischen Juden und Heiden beispielhaft in Erscheinung tritt. Pfingsten ist so das Fest der Geburt der Kirche, die nun durch den Gottesgeist überall durch die Sendung vieler Zeugen bis an die Grenzen der Erde gegenwärtig wird. Jeder Weltjugendtag nimmt teil an dieser von Anfang an universalen Dimension der Kirche, wie wir es schon sehr früh im Glaubensbekenntnis sagen, dass wir an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche glauben.
Wenn Jesus Christus uns so miteinander versöhnt hat, dann müssen wir auch neu lernen, auf eine christliche, geistliche Weise miteinander umzugehen. Die erste Norm, die daraus erfließt, ist die gegenseitige Annahme. Sie ist für den Menschen nie leicht. Er ist gewohnt, an sich selbst, seinen Gewohnheiten und Lebensanschauungen Maß zu nehmen. Er ist immer in der Gefahr, sich nicht auf die Andersheit der übrigen Menschen wirklich einzulassen. Darum sind wir von Hause aus immer intolerant, wörtlich übersetzt: wir können das Anderssein nicht ertragen. Es gehört zu den tiefsten Aufgaben des Menschseins, dass wir uns gerade auch im Anderssein, ja in der Fremdheit annehmen.
Der Mensch hat von Anfang an Angst vor dem Fremden. Er muss diese Urangst, die im Grunde zur Tötung des Fremden verleiten kann, überwinden. Dies ist nur dadurch möglich, dass wir über uns hinauswachsen, uns nicht absolut setzten. Das tut oft weh und ist schmerzlich. Wir müssen uns oft erst aufbrechen lassen. Aber dann spüren wir auch, dass wir durch diese oft ganz anderen Erfahrungen von uns selbst befreit und erweitert, aufgeschlossen und bereichert werden. Darum braucht es unter den Menschen immer wieder das Zusammentreffen mit dem Fremden, den fremden Menschen und dem Fremden im weitesten Sinne des Wortes. Dieses Zusammentreffen, wenn wir es wagen, findet in der Begegnung statt. In der Begegnung kommen verschiedene, fremde Horizonte, Geschichten und Lebensauffassungen zusammen. Dies ist ein einziger großer Lernprozess, der den Mut zur Erziehung und die Herausforderung braucht, wie sie allen Bildungsprozessen zu Eigen sind. Auch der Weltjugendtag kann nur gelingen, wenn wir solchen zu Einsichten bereit sind.
So bin ich der Meinung, dass wir auch als Deutsche viel lernen können auf diesem bevorstehenden Weltjugendtag. Natürlich kann man unsere Erfahrungen nicht einfach vorausplanen oder im Vorhinein wissen. Jede echte Begegnung hat auch etwas Unberechenbares an sich. Aber wenn ich an meine Erfahrungen in Rom und in Toronto - also die beiden letzten Weltjugendtage - denke, dann habe ich eine feste Hoffnung in dieser Hinsicht. Ich habe beide Male auch vor vielen jungen Menschen Katechesen gehalten und danach Glaubensgespräche geführt. Sie gehören im Bereich des Sprechens über den Glauben zu den wichtigsten Einsichten und kostbaren Geschenken meines Lebens. In diesem Sinne war ich mehr der Empfangende als der Gebende.
Was mir dabei zuerst auffiel, war die Freude am Glauben, die ich in dieser Weise nicht oft erlebt habe. Es war nicht nur die Unmittelbarkeit und Unbefangenheit, die aus den Fragen der jungen Leute hervorstachen. Sie hatten ein ganz elementares Interesse an Fragen, die keine künstlichen intellektuellen Probleme betrafen, sondern wirklich zutiefst Glaube und Lebensgestaltung miteinander verbunden haben. Keine Frage, die gestellt worden ist, war blasiert, intellektuell verspielt, wichtigtuerisch. Sie kamen alle aus dem konkret gelebten Leben. Ich war auch überwältigt, in wie einfacher Form sie ihre Überzeugungen zur Sprache brachten. Keine künstlichen Begriffsstelzen, keine geschwollene Fachsprache. Glaube und Lebenswelt gehörten eng zusammen. Dabei war aber doch auch ein echter Wissensdurst unübersehbar, der sich nicht vor den Rätseln des Lebens drückte, wie z.B. vor der Frage nach dem Ursprung des Bösen und der Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels in der Welt.
Zu dieser Erfahrung der ungeheuchelten Freude am Glauben gehört aber auch die Tatsache, dass viele junge Menschen, die sich so verhielten, aus sehr ärmlichen Verhältnissen in unserer Welt kamen. Eigentlich hatte ich gedacht, sie würden sozialkritisch und auch anklagend die Situation in ihrer Heimat anprangern. Es hätte ja wirklich viele Probleme gegeben: von der Armut über den Handel bis zur Korruption. Im Grunde hatte ich auch erwartet, dass sie unsere reichen Lebensverhältnisse konfrontieren mit der Not und dem Hunger vieler Menschen in ihrer Heimat. Es war schon in den Gesprächen zu spüren, wie sie damit nicht nur vertraut waren, sondern wie sie von diesen Nöten betroffen waren. Aber dass die Jugendlichen aus dieser Not kommend eine solche Freude an der Hoffnungskraft des Glaubens mitbrachten und vielleicht auch noch tiefer entdeckten, dies war überraschend. Dies hat mich auch tief beschämt. Denn ich musste in unserer gesellschaftlichen und geistigen Situation immer wieder die Erfahrung machen, dass wir über vieles klagen, was hier gar nicht zur Sprache kam, und dass wir oft bitter bleiben bei relativ einfachen Entbehrungen unseres Lebens. Ich bin also zutiefst überzeugt, dass wir auch in Deutschland von den vielen jungen Menschen, die vor allem aus anderen Kontinenten zu uns kommen, etwas von der Hoffnungskraft und einer gerade sieghaften Gewissheit des Glaubens lernen können. Dies könnte uns selbst neuen Schwung geben mitten in unseren Problemen und Fragen, die ja sehr klein und bescheiden sind im Verhältnis zu den großen Nöten, aus denen viele junge Leute kommen.
Ich muss noch auf eine andere Erfahrung kommen, die ich mir in ähnlicher Weise bei uns erwarte. Der Heilige Vater war ja besonders in Toronto schon sehr erschöpft und gebrechlich. Aber dies hat offensichtlich die jungen Leute gar nicht so sehr interessiert, jedenfalls nicht so tief irritiert, wie man dies vielleicht erwartet hätte. Im Gegenteil, der Papst und die Jugend haben sich – fast könnte man sagen: an den Erwachsenen vorbei – in einmaliger Weise verstanden. Immer wieder habe ich mich gefragt, wie es zu dieser einzigartigen Begegnung kommen konnte, bei der sich ja zunächst einmal viel Fremdes gegenüberstand. Aber dann fiel einmal ein Satz von Johannes Paul II. in einer Predigt, der mir alles aufzuhellen schien: Ich vertraue euch, dass ihr mit euren Kräften und euren Gaben die Zukunft, die vor uns liegt, bewältigen könnt. Es gab einen unbeschreiblichen Jubel nach diesem Wort. Da ist mir klar geworden, dass es das Vertrauen des Papstes in die jungen Menschen ist, die offenbar diese gegenseitige Anziehung ganz besonders belebte und stärkte. Man konnte förmlich spüren, wie diese jungen Menschen durch dieses Vertrauen, das ihnen geschenkt worden ist, auch wieder ein großes Vertrauen dem Papst zurückgaben, ja ihm regelrecht Begeisterung und Liebe schenkten.
Dies alles gehört eng zusammen, die verschiedenen Elemente dürfen nicht voneinander getrennt werden. Noch viele andere Dimensionen wären hier zu erwähnen: Die Suche nach Versöhnung, das Durchwachen der Nacht, die Verehrung des Weltjugendtag-Kreuzes. Aber es würde alles in diese Richtung weisen.
Wir können also viel von den Weltjugendtagen und ganz gewiss auch von dem XX. Weltjugendtag im Sommer in Köln lernen, wenn wir uns wirklich öffnen.
III.
Ich meine, dass zu diesem Weltjugendtage des Jahres 2005 noch etwas ganz Besonderes gehören wird. Was wir in den letzten 14 Tagen weltweit anlässlich der Flutkatastrophe in Südasien erfahren haben, wird zwar bald wieder, wie es in der Menschheitsgeschichte immer wieder ist, in vielem der Vergessenheit anheim fallen. Aber ich bin doch auch überzeugt, dass es unser Denken verändern wird. Und dies betrifft ganz gewiss die jungen Generationen auf der ganzen Welt.
Wir leben wirklich in einer Welt, auch wenn sie noch so abgründig verschieden ist in den einzelnen Weltregionen. Wir spüren es bei der wachsenden Globalisierung, wie wir alle bis in das berühmte „globale Dorf“ hinein voneinander abhängiger werden. Gewiss haben wir manchmal den Eindruck, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Aber wir sind auch eine große Schicksalsgemeinschaft und spüren dies immer stärker. Es ist nicht nur die ökonomische Globalisierung, die uns zusammenbringt. Wir haben bei dieser großen Naturkatastrophe erfahren, dass wir alle bedingte, verwundbare und armselige Menschen sind, wenn wir elementar bedroht werden. Viele Unterschiede spielen dann keine große Rolle mehr. Wir erwachen auch aus manchen Träumen, in denen wir glaubten, dass wir wirklich die Herren und die Besitzer der Natur sind, und dass wir sie ganz nach unseren Bedürfnissen und Vorstellungen umgestalten können. Jetzt wird uns bewusst, wie arm wir im Nu werden können, wie wenig wir die irdischen Besitztümer festhalten können und worauf es am Ende im Leben ankommt.
Diese Erfahrungen haben in einer kaum vorstellbaren Weise die Einheit des Menschengeschlechtes neu zur Erfahrung gebracht. Auf einmal sind Bande der Solidarität und Verpflichtungen füreinander aus dem Boden geschossen, wie wir es schon lange nicht mehr kannten. Was dann geschah, hat alles Bisherige an Hilfsbereitschaft, konkretem Einsatz und Mitgefühl übertroffen.
Wenn ich recht sehe, dann ist zur ökonomischen Globalisierung wirklich auch eine soziale Globalisierung dazu gekommen. Es ist nicht mehr gleichgültig, wie es der armen Fischerfamilie an der Küste in Nord-Sumatra geht. Der Anblick der Verwüstungen lässt uns tief erschaudern. Länder, die bei solchen Katastrophen bisher völlig abseits standen, sind zu hohen finanziellen Hilfen in der Katastrophe bereit. Plötzlich begegnen radikale Muslime freundlich und dankbar ihren amerikanischen Rettern und Helfern, die sie bisher verachtet haben, und umgekehrt. Könnte dies nicht zu einem Katalysator künftiger Weltpolitik werden? Müsste dies nicht die Vereinten Nationen und ähnliche Einrichtungen stärken?
Wir können den Weltjugendtag 2005 nicht ohne diese elementare Erfahrung begehen. Die Flutkatastrophe in Südasien hat auch unsere Konzepte insgeheim verändert, aber vor allem auch vertieft. Wir brauchen nichts grundlegend zu ändern, aber wir werden in der Substanz, worum es dem Weltjugendtag gehen muss, ganz unvermeidlich auf eine tiefere Spur gewiesen. Der Weltjugendtag kann nämlich das lebendige Bewusstsein für ein Menschheitsethos, dass alle Menschen und Religionen umfasst, inspirieren und unterstützen. Es werden gerade die künftigen Generationen sein, die das Bewusstsein dieser gemeinsamen Verantwortung für unsere Erde und alle ihre Menschen stärker spüren und es auch tatkräftiger umsetzen müssen in der Wirklichkeit unseres Lebens. Der Weltjugendtag könnte im Rahmen der Kirche eine einzigartige Plattform und ein Forum werden, damit die Erfahrungen dieser Tage nicht eine modische Eintagsfliege bleiben, sondern künftig entschieden unser Bewusstsein prägen, wie sehr die Menschen unserer Erde einander verpflichtet bleiben, und wie sie in Solidarität aufeinander angewiesen sind. Damit könnten wir auch den vielen Völkern an der Armutsgrenze ein Beispiel geben. Wir sind nicht nur eine auf Gedeih und Verderben zusammengewürfelte Schicksalsgemeinschaft, sondern wir sind auch durch den Mut des Glaubens eine wahre Hoffnungsgemeinschaft. So rüsten wir einander für die künftigen Entscheidungen.
Der Weltjugendtag ist eine einzigartige Gelegenheit, dieses neue Denken in weltweiter Solidarität wahrzunehmen und zur Sprache zu bringen, uns darin gemeinsam einzuüben und es auch vor allem zu praktizieren. Jeder kann dazu etwas beitragen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat uns viele Aussagen geschenkt über die Einheit der Menschheit. Die ökumenischen Bemühungen und das interreligiöse Gespräch der letzten Jahrzehnte und Jahre haben immer wieder diese Einheit des Menschengeschlechts als eine zentrale theologische Kategorie herausgestellt. Aber vieles blieb eben auch abstrakt und blass. Jetzt haben wir durch die große Katastrophe in Südasien bei allen schlimmen Wirkungen geradezu nochmals eine Gnadenfrist erhalten, um von unseren falschen Träumen, dass wir die großen Macher sind, aufzuwachen.
Auch wir kommen wie die drei Magier durch die Wüsten der Welt mit ihren Gefahren. Wir gehen alle auf einen Stern zu, den wir suchen und der uns führt. Wenn wir diesen Gefahren unterwegs entkommen und den selbst gemachten Götzen abschwören, dann sind wir bereit, IHM allein die letzte Ehre zu geben, der uns wirklich die große Freiheit schenkt: „Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.“ (Mt 2,2)
(c) Karl Kardinal Lehmann
Es gilt das gesprochene Wort!
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz