In jedem Jahr geht die Weihnachtszeit mit dem Sonntag nach dem Dreikönigsfest beinahe jäh zu Ende. Am Sonntag nach Epiphanie wird die Taufe Jesu gefeiert. Damit sind wir aber auch bereits im Bereich des öffentlichen Wirkens Jesu. Tatsächlich lassen uns auch die Schriften des Neuen Testaments über Kindheit und Jugend ziemlich im Dunkeln. Als Jesus mit Josef und Maria - er ist zwölf Jahre alt - vom Tempelbesuch nach Nazaret zurückkehrt, heißt es, wenigstens bei Lukas, lapidar: „Dann kehrte er mit ihnen nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam." (Lk 2,51f.)
Wenn wir davon ausgehen, dass Jesus etwa im Alter von 30 Jahren öffentlich auftrat, dann bleiben im Unterschied zu dem grellen Licht, in dem das sichtbare Wirken Jesu dargelegt wird, viele Jahre, über die wir zunächst überhaupt nichts wissen. Sie scheinen auch inhaltslos zu sein. Wir rechnen damit, dass der Sohn des Zimmermanns das Handwerk des Vaters lernte (vgl. Mt 13,55; Mk 6,3). Wir dürfen auch noch annehmen, dass er ein religiöses Leben führte, wie es damals in Israel für Juden Brauch war. „Jesus kehrte ... nach Galiläa zurück und die Kunde von ihm verbreitete sich in der ganzen Gegend. Er lehrte in den Synagogen und wurde von allen gepriesen. So kam er auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge." (Lk 4,14-16) Wir erfahren etwas von dem ungewöhnlichen Auftreten Jesu (vgl. schon Lk 2,46ff.), aber sonst bleiben diese Jahre im Dunkel. Deshalb sprechen wir in der christlichen Tradition gerne von den verborgenen Jahren Jesu in Nazaret. Weil man nicht viel über diese Zeit wusste, blieb sie lange Zeit auch weniger beachtet. Es gab jedoch in der Spiritualität einen Brauch, über die einzelnen Stationen des Lebens Jesu zu meditieren. Sie erschlossen sich dann wirklich als Mysterien, Geheimnisse, aber auch in ihrer Bedeutung für unser eigenes Leben.
Zu diesen Geheimnissen, die dann vor allem in der Exerzitientradition des Ignatius von Loyola und damit des Jesuitenordens besondere Beachtung gefunden haben, gehören drei Abschnitte: das verborgene, das öffentliche Leben und die Passion. Also gehört auch das verborgene Leben Jesu unbedingt zur Ganzheit seiner Sendung. Jesus lebt in der verborgenen Alltäglichkeit, die wenig zu tun zu haben scheint mit seiner Sendung, eine durchaus religiöse Existenz. Sein Dasein ist zurückgezogen und in Unauffälligkeit gehüllt. Die mühevolle und zumal vielleicht sogar unnütz scheinende Arbeit, die Jesus in seinem verborgenen Leben schlicht und ohne Ansehen getan hat, ist für uns in Wirklichkeit wegweisend. Ein unauffälliges und unscheinbares Leben darf nicht abgewertet werden, weil es nicht im Rampenlicht des öffentlichen Interesses steht. Die Verborgenheit hat einen guten Sinn, denn sie kündet auch von täglicher Dienstbereitschaft, von treuem Arbeiten, vom stillen Zusammenleben mit anderen Menschen. Gerade wenn nichts Sensationelles zu berichten ist, so ist dieser Alltag nicht einfach nichtig. Er kann deswegen durchaus grau sein, mühsam, manchmal banale Plagerei. Auf weite Strecken ist unser Alltag ja auch aufreibende Plage, unansehnlich, verschleißend. Vieles ist, wenn man es mit einem großen Wort sagen will, Gehorsam.
Aber gerade darin lebt - vielleicht lange Zeit auch namenlos, eben verborgen - die Gnade Gottes. Auch die alltäglichen Dinge sind, wie Karl Rahner in kleinen Besinnungen über alltägliche Dinge wie Sitzen und Gehen, Stehen und Schlafen gezeigt hat, tiefer von Gottes Gnade durchdrungen, gerade wenn man es nicht so merkt. Beachtet man dies, so ist der Alltag doch nicht so eintönig grau, wie es oft scheint. Wir spüren, was der hl. Paulus meint, wenn er einmal sagt, dass unser Leben mit Christus in Gott verborgen ist (Kol 3,3). Vielleicht können wir in diesem Licht unseren Alltag besser verstehen und froher leben.
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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