Die Katholiken und das Dritte Reich

Aktueller Überblick über die Kontroversen und Debatten seit 50 Jahren

Datum:
Samstag, 6. November 2010

Aktueller Überblick über die Kontroversen und Debatten seit 50 Jahren

Gastkommentar in der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" im November 2010

In diesen Tagen bietet der Bayerische Rundfunk in zwei Teilen einen ausgedehnten Film über Papst Pius XII. Es ist ein Zeichen, wie lebendig die Debatte in den letzten Jahrzehnten geblieben ist, wenn es um das Verhalten der katholischen Kirche und der Katholiken in der Zeit des Nationalsozialismus geht.

Das Thema ist gewiss nicht neu. Es ist in diesen Monaten 50 Jahre her, dass junge katholische Intellektuelle selbst das Thema aufgegriffen haben. Ich erinnere nur an Ernst-Wolfgang Böckenfördes Aufsatz „Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Eine kritische Betrachtung" (erschienen im „Hochland" 1960/61, wieder abgedruckt: Kirche und christlicher Glaube in den Herausforderungen der Zeit, 2. Auflage, Berlin 2007). Das vorläufige Ergebnis dieser Studien hält die Diskussion bis heute in Atem: Es zeigte sich eine Phase im Verhältnis des deutschen Katholizismus zu Hitler und zum NS-Regime, die bis dahin wenig bewusst wurde. Nämlich kein Widerstand von Anfang an, wie man gerne annahm. Vielmehr gab es mindestens einen kurzen Zeitraum der Bereitschaft zur Mitarbeit und auch der Anerkennung einzelner positiver Elemente der neueren politischen Ordnung, und dies vor allem auch bei den Kirchenführern.

Der Aufsatz schlug damals wie eine Bombe ein. Böckenförde sagt im Rückblick: „Der Schleier der (unbewussten) Verdrängung war zerrissen, der Katholizismus in seinem Selbstverständnis am Nerv getroffen. Wie nicht anders zu erwarten, gab es in der katholischen Öffentlichkeit heftige Reaktionen, darunter überwiegend polemische Anwürfe und erschreckte Verteidigungen, vereinzelt auch sachliche Kritik; die zahlreichen Äußerungen, die ich mündlich und schriftlich - vor allem von Zeitzeugen - erhielt, bekundeten überwiegend Zustimmung." (2005).

Es scheint mir wichtig, dass es nicht zuerst Rolf Hochhuth mit seinem am 20. Februar 1963 in Berlin uraufgeführten Bühnenstück „Der Stellvertreter" war, der das vermeintliche „Schweigen" Papst Pius XII. zum Holocaust öffentlich anprangerte und ein bis heute sehr kritisches Geschichtsbild vom Versagen der Kirche bestimmte. Bald waren auch die langlebigen Stichworte in der Öffentlichkeit: die Kirche habe einen „modus vivendi" mit dem NS-Regime gesucht; sie wollte Angriffe von Partei und Staat in kirchliche Belange abwenden; sie halte sich dafür betont zurück, wenn es z.B. um eine öffentliche Erörterung der Judenfrage gehe; wenn Widerstand prinzipielle Opposition heiße, habe die Kirche keinen Widerstand geleistet. Gerne werden der Abschluss des Reichskonkordates (1933) und das Verhältnis von Papst Pius XII. zu den Juden und auch zum Krieg in die Mitte gerückt. Bis heute werden diese kritischen Muster ständig wiederholt. Ich will in diesem Zusammenhang auf Belege verzichten. Leider werden nicht überall anerkannte Forschungsergebnisse aufgenommen.

Eine Frucht dieser Auseinandersetzungen führte zu einem wichtigen Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz. Man war sich verhältnismäßig bald klar, dass man die schwierige Situation mit den vielfältigen Ebenen und Themen sorgfältig erforschen müsse. So wurde die (katholische) Kommission für Zeitgeschichte bereits im Jahr 1962 gegründet. Sie hat in den bald 50 Jahren ihres Bestehens in herausragender Kompetenz und Qualität 56 Bände mit Quellen und Gesamtdarstellungen sowie 118 Bände mit Forschungen zu Einzel- oder übergreifenden Themen veröffentlicht. Es war nicht zuletzt eine kluge Entscheidung des damaligen Direktors der Katholischen Akademie in Bayern und ersten Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz Prälat Prof. Dr. Karl Forster (1928-1981), die diese Diskussion von kirchlicher Seite aus auf eine ziemlich unabhängige, wissenschaftliche Ebene von Historikern stellte. Bis heute hat diese Kommission sich große Verdienste für die „Aufarbeitung" der genannten Probleme erworben.

Bald ist deutlich geworden, dass es bei der breiten Diskussion und der ständigen Verführung zu Schlagworten nicht genügt, in akademischer Freiheit, aber auch Abgeschiedenheit eine hochdifferenzierte Literatur zu veröffentlichen. Es war klar, dass man für die größere Öffentlichkeit eine gute, allgemeinverständliche Gesamtdarstellung schaffen musste. Klaus Gotto und Konrad Repgen haben dies 1980 in einem Buch „Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus" getan. Diesem Werk folgte bereits 1983 eine überarbeitete Auflage nun mit dem Titel „Die Katholiken und das Dritte Reich". 1990 gab es bereits eine wiederum überarbeitete und erweiterte 3. Fassung.

Es ist eine große Hilfe, dass nun jüngere Historiker dieses Anliegen wieder aufgenommen und sich vorgenommen haben, in neu konzipierter Form das Buch in die Öffentlichkeit zu bringen mit dem früheren und heute noch gültigen Zweck „zentrale Fragen im Verhältnis Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus in verständlicher, gleichwohl wissenschaftlich solider Form für breitere Leserschichten darzustellen".

Ich kann das über 300 Seiten umfassende Buch in der Herausgeberschaft von Karl-Joseph Hummel, Direktor der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn, und Michael Kißener, Professor für Zeitgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, „Die Katholiken und das Dritte Reich" mit elf Beiträgen von sieben weitgehend angesehenen Wissenschaftlern als eine hervorragende Information über diese immer wieder diskutierte Problematik nur empfehlen und den Herausgebern und Autoren herzlich dafür danken.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz