I.
Der interreligiöse Dialog hat zwar seit dem 11. September 2001 in der öffentlichen Meinung Hochkonjunktur, die sich vor allem auch in vielen Publikationen niederschlägt, aber die intensiven Bemühungen um einen Dialog der Religionen untereinander sind schon länger im Gang, sodass die Religionen selbst und besonders auch die christlichen Kirchen darauf durchaus vorbereitet sind. Aber es besteht gewiss auch kein Zweifel, dass alle durch diese Herausforderung noch größere Anstrengungen zu einem neuen Miteinander versuchen müssen.
Dabei gibt es gewiss verschiedene Phasen in diesem Versuch einer Begegnung und des Gesprächs mit den Religionen. Von katholischer Seite aus möchte ich dabei vier Phasen unterscheiden: eine intensive Bemühung vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil um eine neue Theologie der Religionen; die Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Thema, vor allem in der „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate“ (=NA); nachkonziliare Bemühungen um das Verständnis der außerkirchlichen neuen Religiosität; Neuansatz zum interreligiösen Dialog. Dabei sollte man auch den unterschiedlichen Stand des Dialogs mit den einzelnen Gesprächspartnern ins Auge fassen. Der interreligiöse Dialog muss unterschieden werden von der Ökumene, die sich um die Aussöhnung unter deren verschiedenen christlichen Kirchen und Gemeinschaften bemüht.
Der Dialog mit dem Judentum, der seit Jahrzehnten vielleicht nicht sehr intensiv, aber stetig ist, muss aufgrund der Gemeinsamkeit der biblischen Offenbarung des Alten Testaments, aber auch vor dem Antisemitismus und den Gräueln der nationalsozialistischen Diktatur in seinem eigenen Gewicht betrachtet werden.
Das Gespräch mit dem Islam hat ebenso eine eigene Struktur. Mit dem Judentum und dem Christentum gehört der Islam zu den sogenannten abrahamitischen Religionen, die in mancher Hinsicht – bei allen tiefgreifenden Differenzen – immer noch nicht genügend entdeckte Gemeinsamkeiten haben. Außerdem spielt hier natürlich auch eine wichtige Rolle, dass die Anwesenheit vieler Muslime in Europa und das Zusammenleben mit ihnen in unserem Land diesen Dialog noch dringender machen. Demgegenüber stecken die Dialoge vor allem mit dem Buddhismus und mit dem Hinduismus, die freilich immer mehr Vertreter auch bei uns haben und finden, eher noch in den Anfängen bzw. sind bis jetzt weniger beachtet.
Nicht in allen Ländern ist dieser Dialog intensiver aufgenommen und geführt worden. So hat man im Allgemeinen wenig Kenntnis, dass mitten im Zweiten Vatikanischen Konzil und im Blick auf die geplante Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen bereits im Jahr 1964 von Papst Paul VI. eine entsprechende Einrichtung gegründet worden ist. Sie hieß damals „Sekretariat für die Nichtchristen“. Kein geringerer als der Erzbischof von Wien, Franz Kard. König, ein namhafter Religionswissenschaftler, war der erste Präsident dieser Institution. Sie heißt seit 1980 bzw. 1988 „Päpstlicher Rat für den interreligiösen Dialog“. Papst Paul VI hat in seiner großen Enzyklika „Ecclesiam Suam“ vom 6. August 1964 über den Dialog der Kirche mit der Welt erklärt, „unsere respektvolle Anerkennung gegenüber den geistlichen und moralischen Werten der verschiedenen nichtchristlichen Religionen nicht mehr verweigern zu wollen“, und darüber hinaus mit dieser Einrichtung diejenigen Ideale fördern und verteidigen zu wollen, die auf den Gebieten religiöser Freiheit, menschlicher Brüderlichkeit, der Kultur, der Wohltätigkeit und der Zivilisation gemeinsam sind. Im Hinblick auf diese gemeinsamen Ideale ist ein Dialog unserseits möglich, und wir werden es nicht versäumen, zu ihm einzuladen, wo er in wechselseitigem und loyalem Respekt wohlwollend angenommen werden wird.
Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf hinweisen, dass die Dokumente, die zum interreligiösen Dialog aufrufen, und zwar Dokumente des Konzils, der Päpste sowie der in Rom mit diesen Fragen befassten Institutionen, insgesamt einen Band mit jetzt über 1750 Seiten füllen. Wir sind zumal im deutschen Sprachgebiet der damit vielfach beschriebenen Aufgabe noch längst nicht gerecht geworden.
Ähnliches könnte man gewiss auch von anderen Kirchen und Religionen berichten. Die katholische Kirche musste immer schon diese Frage des Dialogs mit den nichtchristlichen Religionen in betonter Weise aufgreifen, da sie als Weltkirche vor Ort in Begegnung und Auseinandersetzung mit den anderen Religionen lebte und leben musste, besonders auch in kolonialistisch geprägten Ländern und Kulturen. Dies gilt vor allem für den Islam und den Buddhismus.
II.
Vor diesem allgemeinen Hintergrund möchte ich nun in Thesenform einige Überlegungen in Form einer prinzipiellen Zuspitzung vortragen:
1.Das Gespräch und die Begegnung der Religionen setzen einen universalen und menschheitlichen Horizont voraus. Man muss ins Auge fassen, was den Menschen gemeinsam ist und sie zu einer schließlich unbegrenzten Gemeinschaft untereinander führt. Dazu gehört auch, dass man sich in gleicher Weise als Menschen anerkennt und annimmt, was in der selben Menschenwürde und in den Menschenrechten für alle Ausdruck findet. Keine Religion darf sich von dieser Basis entfernen. Ein Dialog ist nur dann möglich, wenn man sich – unbeschadet aller Unterschiede – zunächst einmal als Ebenbürtiger unter Ebenbürtigen akzeptiert („par cum pari loquitur“). Der Dialog darf nicht durch Machtansprüche jeglicher Art verzerrt werden.
Das Fundament für diese Gemeinsamkeit ist nicht nur das eine Menschengeschlecht, das auf dem ganzen Erdkreis wohnt und eine einzige Gemeinschaft darstellt. Die Religionen sehen in Gott den Ursprung und das Ziel der Menschheit. Die Güte und Liebe Gottes beziehen sich auf alle Menschen, die Gott einmal in Freiheit und Frieden zum gemeinsamen Mahl der Völker vereinen möchte.
2.Gerade heute müssen die Religionen zwar auf ihre Weise, aber doch in einem gemeinsamen Bemühen gegenüber den Fragen und Herausforderungen, aber auch angesichts der Nöte und Leiden der Menschen Zeugnis dafür ablegen, warum es überhaupt Religion gibt und warum sie dem Menschen dienlich ist. Die elementaren Antworten auf die Frage „Wozu Religion?“ müssen jeweils in Wort und Tat überzeugen. Diese Herausforderungen haben einen durchaus philosophischen Kern, der etwa in diesem Sinn umschrieben werden könnte: Woher kommt der Mensch? Wohin geht sein Weg? Gibt es einen Sinn des Lebens auch jenseits des Todes? Man kann aber dies auch stärker in religiöser Hinsicht formulieren: „Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“
Diese Fragen stellen die Menschen seit jeher. Sie ändern sich nicht grundlegend, auch wenn der geschichtliche Horizont und die konkreten Problemstellungen sich ändern. Auch in unserer Zeit stellen Menschen diese Fragen. Freilich beherrschen sie weniger als früher – wenigstens explizit und direkt – die Öffentlichkeit unseres Lebens, werden aus der gesellschaftlichen Szene und erst recht aus dem staatlichen Raum eher ausgeklammert und der persönlich-privaten Haltung und Beantwortung übereignet. Mindestens gilt dies sehr stark für die Menschen und Religionen, die in Ländern mit einer hohen wissenschaftlich-technischen Zivilisation leben. Aber auch da kann die Religion auf Dauer nicht einfach verdrängt werden, wie nicht zuletzt nach dem Terrorakt des 11. September 2001 und auch bei verschiedenen Katastrophen, z.B. bei der Flutkatastrophe am 26. Dezember 2004 in Südasien, deutlicher erkennbar wird.
Die Religionen müssen dafür sorgen, dass dieser Grund für ihre Existenz auch dem heutigen Menschen einsichtig wird. Dies darf nicht nur apologetisch geschehen, sondern muss geistig offensiv argumentativ und diskursiv für unsere Gegenwart geleistet werden.
3.Alle Religionen geben eine verlässliche Orientierung in der Unübersichtlichkeit und in den Wechselfällen des menschlichen Lebens. Dies muss heute gewiss zwar von der Erfahrung der Menschen ausgehen, aber eben doch mit Hilfe möglichst rationaler Argumentation einsichtig gemacht werden. Aber es geht nicht nur darum, kognitive Orientierungssysteme aufzustellen, sondern in der Religion geht es immer auch um die praktische Wahrheit, nämlich um die Bewährung der religiösen Überzeugung in der Tat des Lebens. Im Johannesevangelium heißt dies schlicht: „die Wahrheit tun“ (Joh 3,21). Deshalb ist Religion immer auch eine Einheit von Theorie und Praxis, von Erkennen und Handeln, von Frömmigkeit und Nächstenliebe. Für die allermeisten Menschen ist eine Religion nur überzeugend, wenn beide Dimensionen zur Deckung kommen und auf diese Weise verstärkte Evidenz erhalten. Religion spricht darum auch Herz und Sinne an, hat eine starke affektive Dimension, die freilich geistig diszipliniert werden muss.
4. Wenn der Anspruch der Religion und die faktische Erfüllung bzw. Realisierung prinzipiell auseinanderklaffen, Wort und Tat sich nicht decken, sondern sogar eher widersprechen, ist dies für jede Religion von Grund auf schädlich. Da sie auf die Überzeugungskraft in Wort und Tat, in Theorie und Praxis angewiesen ist, erleidet sie eine große Einbuße an Glaubwürdigkeit, wenn der Riss zwischen Anspruch und Erfüllung zu groß ist. Dann entsteht notwendigerweise Religionskritik, sei es im allgemeinen oder im neuzeitlichen Sinn. Dies kann bis zum Vorwurf der Heuchelei gehen. Damit können auch andere als religiöse Interessen – z.B. Macht politischer oder finanzieller Art – verbunden sein, sodass gegenüber der Religion ein massiver Verdacht und oft großes Misstrauen entstehen können. Oft sind auch handfeste Interessen auf verborgene Weise beteiligt. Deshalb muss jede Religion aufmerksam auf sich selbst bleiben, ob sich in ihrem Anspruch letztlich solche Interessen an die erste Stelle schieben oder mindestens auf verborgene Weise wirksam sind. Deshalb gibt es eine notwendige Unterscheidung zwischen Wesen und Unwesen jeder Religion. Darum gehört zur Religion von Grund auf eine stetige Erneuerung (Reform), die zuerst einen überzeugenden spirituellen Grund, aber auch konkrete Auswirkungen haben muss für Organisation und Institution. Sonst kann eine Religion dem Verdacht, letztlich eine Ideologie zu sein und konkrete Interessen weitgehend zu verdecken, nicht genügend entgegentreten.
Nach meinem Urteil gilt dies grundsätzlich für alle Religionen. Darum gibt es wohl auch in jeder Religion immer wieder Erneuerungsversuche und Reformbewegungen aus dem eigenen Inneren. Aber gewiss sind das geistige Klima und die kulturelle Prägung eines Landes sowie einer Gesellschaft dafür wichtig, in welcher Form eine Religion in dieser Hinsicht in Frage gestellt wird und ob bzw. wie sie darauf reagiert. Am überzeugendsten wirkt dabei das gelebte Zeugnis der Anhänger einer Religion selbst, nicht zuletzt auch aus den authentischen Reformbewegungen (vgl. z.B. auch die verschiedenen Formen der Mystik und des Mönchtums).
5.Dieser Horizont ist dafür maßgebend, wie die Religionen miteinander umgehen. Sie müssen sich angesichts der Verneinung von Religion und ihrer vielfachen Bestreitung auch gegenseitig kritisch betrachten. Es geht nicht nur um die abstrakte Gemeinsamkeit einiger religiöser Elemente, sondern auch darum, wie eine Religion als Ganzes von anderen verstanden wird und gesellschaftlich in Erscheinung tritt.
III.
Dafür gibt es nach meiner Meinungsbildung einige Kriterien, die gerade heute wichtig zu sein scheinen:
·In jeder Religion muss erkennbar bleiben, dass sie ganz auf Gott als Grund und Ziel unseres Lebens bezogen ist. Ihm allein gebührt Ehre und Anbetung. Er darf nicht verwechselt werden mit der Absolutsetzung endlicher Dinge. Dies wären nur Idole und Götzen. Damit ist auch gegeben, dass der Name Gottes nicht instrumentalisiert werden darf für offene oder verkappte andere Interessen. Alle, die für eine Religion sprechen und für sie eintreten, müssen davon Zeugnis geben.
·Kein wahrer Glaube ist einfachhin weltlos. Er möchte seine Überzeugungen bei aller Vorläufigkeit und Unvollkommenheit in dieser Welt und Zeit verwirklichen. Aber es muss auch zweifellos feststehen, dass die Religion sich nicht in Interessen innerhalb von Raum und Zeit erschöpft, sondern nach einem verlässlichen, unerschütterlichen Sinn jenseits des Todes sucht. Eine Religion erfüllt nur die Erwartungen der Menschen, wenn sie wirklich auf die oben erwähnten existenziellen Fragen (vgl. Nr. 2) eingeht und eine überzeugende Antwort gibt. Darum muss es auch eine Unterscheidung zwischen Zeit und Ewigkeit, Geschichte und Transzendenz, Menschenherrschaft und Gottesherrschaft geben, die die Religion vor einer Instrumentalisierung schützen hilft.
·Eine Religion, die die gleiche Würde der Menschen verletzt und den Rang und Wert der Menschen nach Rasse und Klasse, Herkunft und Stand, Bildung und Reichtum, ja nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion einschätzt und absolut setzt, gefährdet sich fundamental selbst und zerstört die eine Welt, in der fast überall immer mehr auch andere Religionen leben.
·Jede Religion muss die recht verstandene Freiheit der Menschen fördern. Gewiss kennt jede Religion Ordnung und Bindung an ethische Normen und religiöse Weisungen. Auch gehören Gehorsam und Gemeinschaftsverpflichtung zu jeder Religion. Aber ein maßgeblicher Beweggrund für jede Religion besteht in der Überwindung infantiler Bevormundung und in der Förderung wahrer Freiheit zu einem guten Leben. Darum möchte die Religion immer auch die Menschen von falschen Autoritäten, Magie und Aberglauben befreien und sie zu seiner eigenen Verantwortung führen. Zugleich soll der rechte Gebrauch von Freiheit, die in ihrer Zügellosigkeit und Willkür für alle schädlich werden kann, eingeübt werden. Bei aller Notwendigkeit von Orientierung und Weisung, Führung und Autorität darf ihre Ausübung nicht zur Unmündigkeit und zum Verlust personaler Verantwortung führen. Die eigene Kritik- und Denkfähigkeit muss gefördert und vertieft werden. Begeisterung, die dies auslöschen würde, und ein blinder Fanatismus können deshalb auch zu sehr fragwürdigen Gestalten innerhalb einer Religion werden.
·Jede Religion möchte dem einzelnen Menschen und den religiösen Gemeinschaften zum Finden eines unverlierbaren Lebenssinnes und auch zu einer letzten Geborgenheit verhelfen. Sie möchte auch die Annahme und das Bestehen der Grundrisiken des menschlichen Lebens ermöglichen, wie sie in Armut und Not, Krankheit und Leid sowie im Tod auf den Menschen zukommen. Die Religion soll den Menschen angesichts dieser oft radikalen Lebensgefährdungen vor jeder Verzweiflung bewahren. Sie macht den Menschen darum nicht weltflüchtig, sondern hilft ihm, die Gefährdungen dieses Lebens zu bestehen und an ihnen nicht zu zerbrechen.
So sehr die Religion dabei dem einzelnen Menschen und den im Glauben verbundenen Gemeinschaften hilft, so sehr muss sie bestrebt sein, diesen Sinn des Lebens in Wort und Tat auch anderen Menschen zu vermitteln. Religion steht so fundamental im Dienst des Menschen und darf sich nicht nur auf die Pflege der eigenen Interessen und Ziele zurückziehen. Zu ihr gehören Sendung und Dienst. Aber ihre missionarische Ausrichtung darf nicht dazu führen, dass sie die Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben, gefährdet oder verletzt. Missionarische Sendung gehört zu einer Religion, wenn und solange sie überzeugt ist, dass sie ihre Orientierung, die den eigenen Mitgliedern und Anhängern kostbar und wertvoll ist, auch anderen zu ihrem Nutzen weitergeben möchte und sollte. Aber in dem Augenblick, in dem diese missionarische Sendung in irgendeiner Weise mit Gewalt verbunden wird, ist nicht nur die Würde und Freiheit des Menschen, sondern auch der Religion zerstört.
IV.
Das Gewaltproblem ist in jeder Religion von ganz elementarer Bedeutung. Wer seine Überzeugungen mit Macht und Gewalt durchsetzen möchte, schließt sich selbst aus jedem verantwortungsvollen Dialog der Religionen untereinander aus. Hier muss sich auch jede Religion prüfen, wie weit ihr Gottesbild – vielleicht sehr subtil – mit dem Ideal einer gewalttätigen Durchsetzung von Glaubensüberzeugungen oder Interessen einhergeht. Dies kann unter Umständen sehr verborgen sein. Dies hängt auch eng damit zusammen, wie eine Religion das Verhältnis des Leidens und des Leides zu Gott sieht.
Es gibt im Dialog freilich ein entscheidendes Element, das vielleicht eher sogar zu den Voraussetzungen des Dialogs gehört. Dies ist die theoretische und praktische Frage der Toleranz, und dies im Sinne der negativen und positiven Religionsfreiheit. Das Eintreten für eine allseitige Religionsfreiheit und ihre praktische Verwirklichung ist ein ganz zentrales und wesentliches Kriterium für jeden interreligiösen Dialog. Das Zweite Vatikanische Konzil hat nach langen und sehr heftigen Debatten in der „Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae“ (= DH) eine eindeutige Position bezogen. Dabei geht es um die unverletzlichen Rechte der menschlichen Person, aber auch um die rechtliche Ordnung der Gesellschaft. Die Anerkennung der Religionsfreiheit als Menschenrecht ist ein Prüfstein dafür, ob eine Religion sich den Spielregeln des menschlichen Zusammenlebens unter heutigen Bedingungen stellt und auch unterwirft. Im Übrigen ist wichtig: Die moralische Pflicht des Einzelnen, den wahren Glauben zu suchen und anzunehmen, wird durch die Gewährung der Religionsfreiheit keineswegs aufgehoben oder relativiert , sondern lediglich von den Eingriffsmöglichkeiten staatlicher Gewalt kategorisch geschieden und gegen sie gesichert. In diesem Sinne hat die Religionsfreiheit eine zentrale und kritische Rolle auch für die anderen Menschenrechte. Nicht zuletzt deshalb haben sich viele Politiker, die persönlich nur ein schwaches Verhältnis zur Religion haben, für die exemplarische Rolle der Religionsfreiheit in Auseinandersetzung mit totalitären Systemen eingesetzt. Sie ist oft Probe aufs Exempel und Test für die Menschenrechte.
Dies schließt den Verzicht auf die geschichtlich überkommene Inanspruchnahme staatlicher Machtmittel für die Durchsetzung eigener Wahrheitsansprüche und Interessen sowie die Bereitschaft ein, zur Überzeugung anderer im Geist der Toleranz mit den Mitteln besserer Argumentation, überzeugenderer Praxis, bewegenderer Motivationen, attraktiverer sozialer Gemeinschaft und der Anwaltschaft für Arme und an den Rand der Gesellschaft gedrängte Menschen zu arbeiten. Dies setzt eine selbstkritische Betrachtung der Religionen im Blick auf bestimmte Praktiken der Wahrheitsdurchsetzung voraus (für die christlichen Kirchen: Häresie, Inquisition, Mission).
Unter diesen Voraussetzungen ist heute der interreligiöse Dialog unverzichtbar. Dabei sollte sich dieser Dialog nicht einfach auf eine minimale Gemeinsamkeit, auf die man sich einigen kann, beschränken. Dann würden wir von dem Reichtum verschiedener Entfaltungen des Glaubens in den einzelnen Religionen abstrahieren. Wir würden dann eigentlich alle ärmer. Es gibt eine fälschliche Interpretation, als ob die Aufklärung einen solchen abstrakten, verdünnten Rest von Religiosität, auf den man sich nun gemeinsam stützt, eher zulassen könnte. Dies wäre am Ende der Tod des interreligiösen Dialogs. Wir dürfen uns nicht scheuen, in diesem Dialog uns auch und gerade mit dem radikal Anderen und Fremden zu beschäftigen. Das Gespräch und die Auseinandersetzung damit öffnen uns die Augen, erweitern den Horizont und lassen uns die Mitmenschen besser verstehen.
Es scheint mir eine bessere Maxime zu sein, die das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Erklärung „Nostra aetate“ für den interreligiösen Dialog, zunächst gewiss für die Kirche, aber eben analog empfiehlt: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet. Unabhängig aber verkündet sie und muss sie verkünden Christus, der ist ‚der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ (Jo 14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat. – Deshalb mahnt sie ihre Söhne (und Töchter), dass sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.“ In diesem Zusammenhang wird auch nochmals mit aller Deutlichkeit jede Verletzung der Menschenwürde sowie die Förderung von Diskriminierung und Gewalt entschieden verurteilt.
Ich würde auch einen Dialog unter den Religionen für schädlich halten, der im Grunde die religiöse Frage ausklammert und nur politisch und sozial relevante Themen in Angriff nimmt. Es wäre geradezu paradox, wenn der interreligiöse Dialog sich um alles kümmern würde, was zwischen Himmel und Erde ist, aber nicht um die Suche nach Wahrheit und die Erfüllung dieses Suchens im Glauben an Gott. Der interreligiöse Dialog braucht auch diese spezifische Herausforderung, denn er darf sich nicht gesellschaftlich oder politisch, aber auch nicht kulturell instrumentalisieren lassen. Dafür ist es gut, wenn er um die Unentbehrlichkeit der Gottesfrage weiß und sich dazu überzeugend bekennt.
Unter dieser Voraussetzung ist es gewiss anzuerkennen, dass die Religionen sich gerade darum bemühen müssen, ein verbindendes Ethos zu fördern, das schwierige Konflikte meidet, ja sie sogar – möglichst im Vorfeld – lösen hilft und Solidarität unter den Menschen schafft. In diesem Zusammenhang ist es klar, dass alle Fragen der Gewaltverhinderung oder wenigstens ihrer Minimierung, der Beendigung kriegerischer Verhältnisse, der Friedenssicherung, der Einhaltung der Menschenrechte usw. zu den vordringlichen Themen des interreligiösen Dialogs gehören müssen. Hans Küng hat dafür seit vielen Jahren und mit der Unterstützung einer Stiftung ein „Weltethos“ auf einen Nenner zu bringen gesucht. Seine fünf zentralen Imperative sind bekannt. Ich darf sie in Erinnerung rufen:
1.Kein Zusammenleben auf unserem Globus ohne ein globales Ethos!
2.Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen!
3.Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen!
4.Kein Dialog zwischen den Religionen und Kulturen ohne Grundlagenforschung!
5.Kein globales Ethos ohne Bewusstseinswandel von Religiösen und Nicht-Religiösen!
Man kann gewiss von diesem „Weltethos“, das Hans Küng in vielen Veröffentlichungen entfaltet hat, ausgehen – und dies mitten in allen kulturellen Verschiedenheiten. Vielleicht sollte man aber auch stärker mit einem bilateralen Dialog beginnen, bevor man es multilateral versucht. Beides schließt sich nicht aus. Aber lernen kann man zuerst und besser beim Gegenüber zweier Partner mit ihrem jeweiligen Profil. Die Polyphonie braucht mehr den Meister. Ökumenische Erfahrungen legen ein solches Vorgehen nahe. Aber verständigen kann man sich immer wieder über das gemeinsame Vorgehen.
V.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat in bemerkenswerter Form die wichtigsten Grundsätze für das interreligiöse Gespräch aufgenommen, wie wir es bisher schon summarisch dargestellt haben. Aber es geht auch um das Gespräch mit den einzelnen Religionen.
Für den Islam sind dabei zwei Aussagen des Konzils maßgebend. Die erste Äußerung finden wir im Zweiten Kapitel der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ (Art. 16). Dabei ist der Ansatz aufschlussreich. In dieser Passage geht es vor allem um die verschiedenen Strukturen des Volkes Gottes. Die Konstitution führt in ihrer Darstellung von innen nach außen, von größerer Nähe zu größerer Ferne. Dabei geht es im Art. 16 um das Verhältnis der Nichtchristen zum Volk Gottes. Dabei wird sorgfältig unterschieden die Beziehung zu den Juden, zu den Anhängern des Islam, zu den Völkern, welche zwar die jüdisch-christliche Offenbarung nicht kennen, aber doch den Gott der Vorsehung und der Vergeltung verehren. Diese werden schließlich abgehoben von den Atheisten oder solchen Menschen, die sich zwar als religions- und gottlos bezeichnen, in Wirklichkeit aber doch zum Beispiel auf der Suche nach Gerechtigkeit und Frieden schlechthin so etwas wie absolute Werte bejahen.
In diesem Zusammenhang wird nun beim allgemeinen wirksamen Heilswillen Gottes eingesetzt. So heißt es schon zu Beginn: „Diejenigen endlich, die das Evangelium noch nicht empfangen haben, sind auf das Gottesvolk auf verschiedene Weisen hingeordnet. In erster Linie jenes Volk, dem der Bund und die Verheißungen gegeben worden sind und aus dem Christus dem Fleische nach geboren ist (vgl. Röm 9, 4-5), dieses seiner Erwählung nach um der Väter willen so teure Volk: die Gaben und Berufung Gottes nämlich sind ohne Reue (vgl. Röm 11, 28-29). Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.“ Der Text muss hier in seiner – wie schon gesagt – konzentrischen Bewegung von innen nach außen verstanden werden. Dabei erhält der Islam eine Art Zwischenstellung zwischen dem Judentum und den nichtchristlichen Religionen, die gar nicht von der biblischen Offenbarung berührt sind. Dies sichert dem Islam eine eigene Qualität zu. Dabei fällt auch auf, dass der Glaube Abrahams, wenigstens in der Schlussfassung, eine verbindende Brücke darstellt zwischen Juden, Christen und Muslimen. Der Ein-Gott-Glaube wird als zentraler Anknüpfungspunkt des Heilswillen Gottes hingestellt.
Dieser grundsätzliche Ansatz wird nun in dem schon genannten Text über die nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“ (Art. 3) genauer entfaltet. Es war ein außerordentlich langes Ringen, bis dieser Text zustande kam. Er lautet in der verbindlichen Endfassung: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten. Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslimen kam, ermahnt die Hochheilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“ Einzelne Elemente, die in der Kirchenkonstitution genannt worden sind, werden nun ausführlicher entfaltet. Man versucht, das muslimische Pathos des alleinigen, einzigen Gottes, der freilich auch die Trinität ausschließt, hervorzuheben. Zugleich werden die wichtigsten Eigenschaften genannt: der lebendige, in sich seiende, barmherzige und allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde. Zugleich wird die Unbegreiflichkeit der göttlichen Ratschlüsse in das Zentrum gestellt, denen sich der Mensch mit allen seinen Kräften ergeben und seinem Willen unterwerfen muss. Gleichzeitig wird die Hochschätzung von Jesus als Prophet und der jungfräuliche Mutter Maria als gemeinsame Gestalten betont. Von Maria wird sogar gesagt, dass Muslime sie manchmal auch andächtig anrufen. Die ganze Differenz wird in die Christologie gedrängt, die freilich auch sehr verkürzt ist (Jesus würde nicht als Gott anerkannt). Es ist verständlich, dass hier der Unterschied kräftig markiert wird. Denn in der Tat wird im Koran die Gottheit Jesu Christi ausdrücklich abgelehnt. Wenn die Christen an dieser falschen Lehre festhalten sollten, können sie als Ungläubige bezeichnet werden. Andere Aussagen des Koran, wie etwa die Knecht-Gottes-Christologie oder die Bezeichnung als „Gesandter“, oder dass Jesus mit dem Geist der Heiligkeit und mit Wunderkraft ausgestattet ist, schließlich als Wort Gottes oder auch als Geist von Gott bezeichnet wird, werden im Konzilstext, der eben auch knapp sein musste, nicht ausgenommen oder entfaltet. Sie sollen auch dem künftigen Dialog dienen. Der Konzilstext verzichtet auch auf die Differenz in der Haltung zum Tod Jesu am Kreuz.
Schließlich bekommt das Letzte Gericht einen entscheidenden Ort. Seine Bedeutung wird in engste Beziehung gebracht zum Ethos des Menschen und zu einem tugendhaften Leben. Die Gottesverehrung vollzieht sich vor allem in Gebet, Almosen und Fasten. Dies sind drei der fünf Säulen des Islam.
Es fällt auf – und es ist auch öfter getadelt worden –, dass Mohammed hier überhaupt nicht genannt wird, wobei ja das kürzeste Glaubensbekenntnis des Islam lautet: „Es gibt keine andere Gottheit außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet.“ Auch an anderer Stelle kann man ein gewisses vorsichtiges Schweigen nicht übersehen, zum Beispiel im Blick auf die Abstammung von Ismael, den Koran und die Bedeutung der „Umma“. Ein Hinweis auf die „Scharija“ unterbleibt. Aber auch schwere Mängel in der koranischen Moral werden nicht eigens genannt, nämlich die Polygamie und Verstoßung der Frau durch eine bloße Willenserklärung des Ehemannes. Dem kurzen Text waren natürlich auch zwischen gefährlichen Klippen enge Grenzen gesetzt. Roman A. Siebenrock stellt dazu fest: „In solchem Schweigen zeigen sich eine Verlegenheit und eine Grundhaltung des Textes. Weil noch keine angemessenen Kategorien zur Verfügung stehen und die überkommenen nicht mehr hinreichen, verzichtet der Text auf ungeprüfte Experimente und überlässt diese Fragen der kommenden Entwicklung. Die Legitimität dieser Vorgehensweise ist im Titel des Textes gut begründet. Damit ist aber keiner beliebigen Ausgangsebene des zu entwickelnden Dialogs das Wort geredet. Buchstabe und Geist von NA 3 stellen vielmehr die ‚neue Charta des christlich-islamischen Dialogs’ dar, die von normativer Bedeutung ist.“
Der ganze Artikel strebt aber auf die praktische Zielsetzung, womit denn auch der konkrete Dialog angepeilt wird. Man muss die Sätze nochmals hören: „Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslimen kam, ermahnt die Hochheilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“
Dies ist ein gewaltiges Programm. Mit Recht hat man auch darauf hingewiesen, dass dies ein bemerkenswertes Beispiel sei, „wie Artikel 3 voller Hochachtung vom Islam spricht“, und dass in diesem Text ein „Zeugnis aufrichtiger Großherzigkeit des Konzils“ zu finden sei.
Ähnlich formuliert Roman A. Siebenrock: „In der Einheit mit LG 16 stellt NA 3 eine Revolution jener Sicht des Islams dar, wie sie in der christlichen Theologie seit dem 7. Jahrhundert vorherrschend war. Zum ersten Mal wird der Glaube der Muslime von einem Konzil ‚mit Wertschätzung’ als monotheistische Glaubensform anerkannt.“ Es ist deutlich, dass dieser Text bewusst das Gemeinsame betont, ohne Differenzen einfach zu verschweigen. Dies gilt gerade, wie schon erwähnt, für die Christologie.
VI.
In der Zwischenzeit hat dieser Dialog viele Schritte nach vorne gemacht. Trotzdem kann man auch verstehen, dass manche meinen, er wäre immer noch in den Kinderschuhen. Es ist ein Dialog mit einer eigenen Struktur. Hier ist besonders das wechselseitige bessere Kennenlernen im Vordergrund. So gibt es viele Hilfen zu einer gediegenen Information übereinander. Im deutschen Sprachgebiet wurden früh schon wichtig die Beiträge zur Religionstheologie, hrsg. von der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Gabriel in Mödling bei Wien. Diese ersten Schritte des Dialogs sind auch heute immer noch wichtige Hilfen. Viele konkrete Einzelstudien ergänzen diese allgemeinen Einführungen, z.B. über das Christusbild im Koran.
Im Lauf der Zeit haben auch die Kirchen viele grundlegende Hilfen zur Verfügung gestellt: Von evangelischer Seite z.B. „Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland“ (Gütersloh 2000), eine Fortsetzung unter dem Titel „Klarheit und gute Nachbarschaft“ (Hannover 2006); zu nennen ist auch „Was jeder vom Islam wissen muss“ (Gütersloh 2001, 6. Aufl.). Die Deutsche Bischofskonferenz hat ähnliche Hilfen vorgelegt, so z.B. „Christen und Muslime in Deutschland (Bonn 2003), „Leitlinien für multireligiöse Feiern von Christen, Juden und Muslimen“ (Bonn 2003). Im Übrigen verdanken wir vielen wissenschaftlichen Autoren über Jahre und Jahrzehnte beständige Hilfen, so z.B. A. Th. Khoury, L. Hagemann, R. Wielandt, U. Spuler-Stegemann, H. Zirker, Chr. Troll, H. Vöcking, B. Huber-Rudolf, A. Renz, P. Antes, R. Leuze, J. Sperber. Es ist gefährlich, einige Namen zu nennen, weil man zugleich vieles übergehen muss. Dabei ist es nicht erstaunlich, dass z.B. dieser Dialog auch in anderen Ländern sehr gepflegt wird. Ich denke z.B. an Italien, wo Bischof Pietro Rossano wegweisend wirkte und viele Arbeiten angestoßen hat. Die zahlreichen Äußerungen der Päpste und der römischen Institutionen habe ich schon genannt. Die Regensburger Vorlesung von Papst Benedikt XVI. hat das Interesse für den Dialog noch einmal verstärkt. So können heutige Berichte über den Stand des Dialogs viele Initiativen verzeichnen. Ich nenne hier nur das Komitee für den christlich-islamischen Dialog zwischen der angesehenen muslimischen Universität al-Azahr in Kairo und dem Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog, 1998 gegründet. Die Themen dieses Treffens zeigen, dass der Dialog immer stärker Fragen der Friedenssicherung und der Menschenwürde, der Gewaltanwendung und der Vermeidung kriegerischer Handlungen behandelt hat: „Der religiöse Extremismus und sein Einfluss auf die Menschheit“ (2002); „Das Phänomen des Terrorismus und die Verantwortung der Religionen“ (2003); „Das Nein zur Verallgemeinerung in der Rede von der Religion oder der Gemeinschaft des anderen und die Fähigkeit zur Selbstkritik“ (2004). Der 24. Februar soll der Tag eines jährlichen Zusammentreffens werden. Hier muss auch der Name des verdienstvollen, früheren Präsidenten des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, Erzbischof Michael Fitzgerald, heute Apostolischer Nuntius in Ägypten, genannt werden. So wäre noch manches an internationalen Dialogen zu nennen. Ich übergehe die Bemühungen der christlichen Kirchen in unserem Land in Form von Arbeitsgruppen und Kommissionen.
Zum Stand der christlich-islamischen Beziehungen gehören auch menschliche Begegnungen, wie sie alltäglich sind, z.B. in Kindertagesstätten, in der Diakonie, im Krankenhaus, in der Altenhilfe. Dabei sind elementare menschliche Beziehungen in Stadtteilen und in der Nachbarschaft nicht zu übersehen. Ich freue mich, dass mit der heutigen Preisverleihung ein Projekt des Duisburger Dialogs „Religionspädagogischer Austausch über die Glaubensvermittlung an Kinder und Jugendliche“ solch eine praktische Initiative ausgezeichnet wird. Aber auch die Tatsache, dass dies mitgetragen wird von der Georges-Anawati-Stiftung, zeigt die Richtung der intensiven Dialog-Tätigkeit.
VII.
Nun ist es Zeit, noch einige Worte zu sagen zu dem soeben genannten Namensgeber für die erwähnte Stiftung: Georges Anawati. Manchmal wird der Eindruck erweckt, als habe der islamisch-christliche Dialog erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen. Dies wäre eine große Täuschung. Begegnungen zwischen dem Islam und dem Christentum gab es schon im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Es gab aber schon im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils große Pioniere, die diesen Dialog vorbereitet haben und auf deren Schultern wir stehen. Ich nenne dabei nur drei: Louis-Ferdinand Jules Massignon (1883-1962), Louis Gardet (1904-1986) und Georges Chehata Anawati (1905-1994). Nicht zufällig schreiben alle drei in französischer Sprache. Frankreich war durch die vielen Kolonien in muslimisch geprägten Ländern geradezu für diesen Dialog prädestiniert. Er ist vom griechisch-orthodoxen Glauben syrischer Herkunft Katholik geworden. Nach der Arbeit in der pharmazeutischen Einrichtung seiner Familie wurde er Dominikaner und genoss noch eine intensive Ausbildung, bis er 1944 nach Kairo zurückkam. Er hat viele arabische Philosophen des Mittelalters ediert und mehr und mehr sich auch dem Dialog zwischen dem Islam und dem Christentum geöffnet. So darf man ihn wirklich einen „unermüdlichen, weisen und tiefgläubigen Wegbereiter eines aufrichtigen christlich-islamischen Dialoges“ nennen. Seine menschliche Größe, sein ruhiger Glaube und seine warmherzige Art der Begegnung mit Menschen haben seine hohe wissenschaftliche Kompetenz unterstützt. Es ist noch viel zu wenig bekannt, wie Georges Anawati auch als Berater im Zweiten Vatikanischen Konzil die Arbeiten zu Nostra aetate mitgetragen hat, und wie er in besonderer Weise an der unmittelbaren Vorbereitung von NA 3 beteiligt war. Schließlich hat er kurze Zeit nach dem Konzil dazu einen vorzüglichen Kommentar veröffentlicht, der heute – 40 Jahre danach – kaum mehr bekannt ist. Dort schreibt er zum dritten Abschnitt von NA 3: „Dieser Teil muss die Zustimmung aller Menschen guten Willens erlangen ... Das aber wird vor allem auf katholischer Seite noch sehr viel Anstrengungen und Geduld fordern ... Die Wunden von einst sind noch lange nicht geheilt und manche führenden Muslim, die in diesem Kampf maßgeblich sind, haben Mühe, bei der Mobilisierung der Volkskräfte und bei der Anspannung ihres Kampfgeistes nicht an die ‚Angriffe’ aus dem Abendland sowohl zur Zeit der Kreuzzüge als auch in Gestalt des ‚Kolonialismus’ und ‚Imperialismus’ zu erinnern. Es ist notwendig, dass viele konkrete Situationen (für die arabischen Länder besonders das Problem Israels und die Befreiung mancher Völker) bereinigt werden, bevor der Schwamm auch über die Zusammenstöße der Vergangenheit gehen kann. Die abendländischen Christen müssen sich mit unermüdlicher Geduld wappnen und aus dem Glauben leben, der Berge versetzt.“
Ich möchte ein letztes Zeugnis von Georges Anawati zitieren. Er schrieb 1976 an P. Andreas Bsteh im Blick auf die Einladung zur früher genannten Tagung in St. Gabriel: „Was mich betrifft, so übernehme ich von ganzem Herzen die Rolle, die mir zugedacht ist – die vollkommen mit der Aufgabe übereinstimmt, der ich mein Leben geweiht habe: dem islamisch-christlichen Dialog.“
(c) Karl Kardinal Lehmann
Im Original sind eine Reihe von Fußnoten und Anmerkungen zu finden.
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz